DIE LINKE ist bei Wahlen in Brandenburg und Sachsen übel unter die Räder gekommen. Noch sind aber die Potentiale für einen Neustart im Osten vorhanden
Die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg zeigen, dass die politische Erosion ungebremst weitergeht. Das jahrzehntealte Parteiensystem der Bundesrepublik befindet sich in Auflösung. In Sachsen, das seit der Wende vor 30 Jahren durchgehend von der CDU regiert wird, erreichte diese mit 32,1 Prozent ihr bisher schlechtestes Ergebnis in diesem Bundesland. Die mitregierende SPD sackte auf ein historisches Tief von 7,7 Prozent. Sie verschlechterte damit ihr miserables Ergebnis vor fünf Jahren noch einmal um fast 5 Prozentpunkte und nähert sich der Fünf-Prozent-Hürde.
DIE LINKE im freien Fall
Die Linkspartei, die in Sachsen bisher die Opposition anführte, konnte vom Niedergang der Regierungsparteien nicht profitieren, sondern ist Hauptverlierer der Sachsenwahl. Sie rutschte von knapp 19 auf 10,4 Prozent – ein Minus von 8,5 Prozentpunkten. Hauptgewinner in Sachsen ist die AfD. Sie konnte beinahe 18 Prozentpunkte zulegen und erreichte 27,5 Prozent.
Sehr ähnlich ist das Wahlergebnis in Brandenburg, wo die SPD seit der Wende den Ministerpräsidenten stellt, seit zehn Jahren im Bündnis mit der Linkspartei.
Die SPD verlor in Brandenburg 5,7 Prozentpunkte und rutschte auf 26,2 Prozent ab. DIE LINKE fiel von 18,6 Prozent vor fünf Jahren auf 10,7 Prozent. Mit Verlusten von 7,8 Prozent ist sie damit auch in Brandenburg der größte Wahlverlierer. Auch die oppositionelle CDU verlor 7,4 Prozent und erzielte mit 15,6 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis in diesem Bundesland. Die AfD konnte um 11,3 Prozent zulegen und erreichte 23,5 Prozent.
Die Grünen erzielten in beiden Länder ihr bisher bestes Ergebnis, legten aber weit weniger zu, als ihnen vorausgesagt worden war. In Sachsen erzielten sie 8,2 Prozent (+2,5), in Brandenburg 10,7 Prozent (+4,5).
Damit bestätigt sich die allgemeine Entwicklung – die beiden mittigen Säulen der politischen Nachkriegsstabilität, Konservative und Sozialdemokratie sind beide im Niedergang, die SPD dabei noch wesentlich schneller als die CDU. Von der Polarisierung profitiert in kleineren Ausmaß die Grünen, seht stark die AfD. Die Wahl ist also eindeutig eine Rechtsverschiebung im Osten.
Regierungs-Desaster in Brandenburg
Für DIE LINKE waren die Ergebnisse ein Desaster, das sich in den Umfragen schon lange abzeichnete.
In Brandenburg wurde die Partei als profilloses Beiboot der SPD wahrgenommen. Laut einer Umfrage von Infratest Dimap sagen 70 Prozent der Brandenburger und Brandenburgerinnen, dass DIE LINKE im Kabinett nichts durchgesetzt habe und 64 Prozent sagen, es fehle an politischen Ideen.
Schlimmer noch: Die Politik der Brandenburger Genossinnen und Genossen war eine Belastung für die Gesamtpartei. Während LINKE-Aktivistinnen und -Aktivisten in mehreren Bundesländern Sturm gegen die Verschärfung von Polizeigesetzen liefen, zeichnete die Brandenburger LINKE genau ein solches Gesetz ab. Während die Bundespartei versuchte ein Profil in der gigantischen Klimaschutzbewegung aufzubauen, lavierte DIE LINKE in Brandenburg in der Frage des Braunkohleabbaus hin und her und konnte letztendlich weder ein der dramatischen Klimasituation angemessenes Ausstiegsszenario beschreiben, noch das Bedürfnis der Beschäftigten im Tagebau nach einer sozialen Perspektive hinlänglich beantworten. Während DIE LINKE im Bund versucht die flächendeckende öffentliche Daseinsvorsorge zum Thema zu machen, strickte DIE LINKE Brandenburg mit an einer Kreisgebietsreform, die die öffentliche Verwaltung weiter geschwächt hätte.
Dazu kommt ein zu wenig antikapitalistisches, also klar gegen Konzerne und Reiche gerichtetes Profil, und eine fast gespenstisch anmutende Lethargie gegenüber der AfD und ihrem Rassismus. Damit wurde der AfD das Feld der Anti-Establishment Partei überlassen.
LINKE Sachsen: »Regierung im Wartestand«
In Sachsen liegt der Fall anders, aber nicht komplett. Hier hat DIE LINKE nie regiert, aber das Problem der Profillosigkeit angesichts der heutigen Herausforderungen war genauso eklatant. Wesentliche Teile der innerparteilichen Diskussion der letzten Jahre zielten auf die Erarbeitung eines respektablen Programms für den Fall einer möglichen Regierungsbeteiligung, die Parteiführung stellte die Partei als »Regierung im Wartestand« auf. Kollateralschäden auch hier: der Antikapitalismus, das Element des Aufbegehrens gegen ein zunehmend delegitimiertes politisches System und das scharfe Profil gegen die AfD.
Dabei haben sich Zehntausende Sachsen versucht gegen die Rechtsentwicklung zu stemmen – auf die Hetzjagd in Chemnitz folge das fantastische »Wir sind mehr«-Fetival mit Zehntausenden Teilnehmern. Eine Woche vor der Wahl übertraf die #unteilbar-Demonstration mit 40.000 Teilnehmern, die meisten davon aus der Region, alle Erwartungen. In zahllosen Orten mühen sich Aktivistinnen und Aktivisten, ob unter der Flagge von lokalen Antifabündnissen, der Kampagne »Aufstehen gegen Rassismus«, Seebrücke oder #unteilbar auch in der Fläche und in den mittelgroßen Städten, dem rechten Vormarsch etwas entgegenzusetzen. Bei vielen dieser Aktionen war DIE LINKE mit dabei, aber Motor, Initiator und deutlich die Kraft, die alle ihre Ressourcen anspannt, um argumentativ und organisatorisch der AfD die Stirn zu bieten, war DIE LINKE Sachsen nicht.
Wie es gehen könnte, zeigte der LINKE-Spitzenkandidat Rico Gebhardt bei der #unteilbar Demonstration, als er zum aktiven Kampf gegen rechts aufrief –nicht nur gegen die AfD, sondern auch gegen den Rassismus der CDU, welcher der AfD den Boden bereitet hat. Doch was nützt ein solcher Aufruf, wenn die Parteispitze in Sachsen diesen Kampf größtenteils selbst ignoriert.
Die Partei war viel zu wenig darauf fokussiert, ihre jungen Aktivistinnen und Aktivisten politisch und organisatorisch für das zu rüsten, was in Sachsen jetzt Phase ist: Die politische Mobilisierung gegen eine rechte Gefahr, die von der AfD über die CDU bis in den sächsischen Staatsapparat reicht. Genau dies wurde von der Parteimitgliedschaft bei der »Basis ist Boss«-Konferenz Ende 2018 auch eingefordert: Als zentralen Themenschwerpunkt wünschten sich die Mitglieder den »konsequenten Kampf gegen menschenverachtende Ideologien, für ein weltoffenes und humanitäres Sachsen«. Trotzdem fand sich das Thema in den Wahlmaterialien nur am Rande wieder. Die AfD als faschistische Partei im Werden und Motor des Rechtsrucks kam im Wahlkampfmaterial des sächsischen Landesverbands der LINKEN schlicht nicht vor.
Parlamentarisierung und Stellvertreterpolitik
Diese Politik ist nicht vom Himmel gefallen: Die Ostpartei leidet an derselben Grundmalaise wie die Westpartei, nur in noch ausgeprägterer Form: Überparlamentarisierung und Stellvertreterpolitik, bei der die Fraktionen und gegebenenfalls Minister die eigentlichen Akteure der Partei sind, die Parteimitgliedschaft staunend danebensteht und dann im Wahlkampf die Kampagnen fahren soll, die in den Jahren zwischen den Wahlen nicht gelaufen sind.
Hier verkehrt sich die frühere flächendeckende Stärke der Partei in einen Nachteil: DIE LINKE besetzt im Osten abertausende kommunaler Mandate, oft in strukturschwachen Regionen mit kaum Spielraum für linke Politik. Hier durchläuft der Parteikader eine administrativ-bürokratische Ausbildung im Rahmen der Sachzwanglogik von Schuldenbremse, Kampf um Investitionen etc., der sich dann auch auf die Gesamtausrichtung der Partei überträgt. Die Folge ist dann der Habitus einer staatstragenden, etablierten, nicht als antikapitalistisch wahrnehmbaren »Volkspartei, ein bisschen links«. Damit vermag es DIE LINKE nicht an die tiefe Abgegessenheit vieler Menschen mit dem politischen und ökonomischen System anzudocken. Diejenigen, die von den etablierten Parteien nichts mehr erwarten, wählten AfD, wie der große Stimmenzuwachs für die Neofaschisten aus dem Nichtwählerlager zeigt. In Brandenburg gewann die AfD 107.000 Stimmen von ehemaligen Nichtwähler – fast doppelt so viele, wie sie von allen anderen Parteien zusammen eroberte. In Sachsen gaben 241.000 ehemalige Nichtwähler der AfD die Stimme.
Das »Schwarze Peter«-Spiel beginnt
In der LINKEN beginnt absehbar jetzt das »Schwarze Peter«-Spiel um die Verantwortlichkeit. Sahra Wagenknecht sieht die Verantwortung vollständig beim Parteivorsitz, genauer bei deren positiven Reaktionen auf die neuen sozialen Bewegungen wie die antirassistische Bewegung und die Klimagerechtigkeitsbewegung. Zu den Defiziten in der Ausrichtung der LINKEN im Osten und den spezifischen Herausforderungen sagt sie kein Wort.
Damit ergreift Sahra Wagenknecht aber nicht das eigentliche Problem. Denn: Die Wahlergebnisse der LINKEN in Sachsen und Brandenburg drücken einen längerfristigen Trend des Niedergangs der Partei in den beiden Bundesländern aus. In Sachsen hatte die Partei 2004 (noch als PDS) ihr bestes Ergebnis mit 23,6 Prozent. Seither ging es mit jeder Wahl ein Stück bergab –von 20,6 Prozent 2009 über 18,9 Prozent 2014 auf jetzt 10,4 Prozent.
In Brandenburg war die Spitze mit 28 Prozent ebenfalls 2004 erreicht, der Absturz auf jetzt 10,7 Prozent führte über die Stationen 27,2 Prozent (2009) und 18,6 Prozent (2014).
Miserable Parteientwicklung im Osten
Die Negativentwicklung der Wahlergebnisse entspricht grob der Mitgliederentwicklung. Bei Gründung der LINKEN zählte der sächsische Landesverband 13.280 Mitglieder, Mitte 2019 waren es 7.830 (minus 42 Prozent). Ähnlich das Bild in Brandenburg, wo die Partei Mitte 2019 5648 Mitglieder zählte, ein Minus von 40 Prozent gegenüber dem Stand von 2007 (9319).
Damit verläuft die Parteientwicklung im Osten genau gegenteilig zur Parteientwicklung im Westen, die von Mitgliederzuwachs geprägt ist. 2007 lag der Landesverband NRW mit 5.519 Mitgliedern an siebter Stelle hinter den fünf Ostverbänden und Berlin, heute ist NRW mit 8.241 Mitgliedern der stärkste Landesverband (ein Plus von 33 Prozent). Noch stärker ist der prozentuale Mitgliederzuwachs in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern.
Warum ist das wichtig? Die Mitgliederentwicklung und damit verbunden die Altersstruktur sind wichtige Anzeiger für die Gesundheit und Schlagkraft der Partei – bei der LINKEN noch ausgeprägter als bei anderen Parteien. Die Medienkonzerne finden DIE LINKE politisch schlimm. Ihre Berichterstattung pusht uns nicht, sondern greift im wesentlichen Parteikonflikte auf, um uns zu schaden und die Konflikte anzuheizen. Das wird sich nicht ändern. Deshalb ist DIE LINKE viel stärker als andere Parteien davon abhängig, über die aktive Mitgliedschaft vor Ort wahrnehmbar zu sein. Ein Verlust von 40 Prozent der Mitgliedschaft ist ein Verlust von 40 Prozent der Wahrnehmbarkeit und Politikfähigkeit.
Aufbau West, Absturz Ost
Angesichts dieses Langzeittrends ist es nicht sinnvoll die anstehende Analyse durch die Brille »des Kurses« »der Partei« vorzunehmen. Die Parteientwicklung entkoppelt sich nämlich zunehmend: Im Westen baut die Partei auf und kommt bei Wahlen voran oder bleibt zumindest stabil, im Osten stürzt sie in zunehmender Geschwindigkeit ab. Deshalb ist es sinnvoll, die Situation, Struktur und Politik der Partei im Osten, in den einzelnen LVs in den Fokus zu nehmen.
Problem Eins für die Ostpartei: Sowohl ihre traditionelle Wählerbasis als auch ihre Mitgliedschaft stirbt weg. In Sachsen verlor die Partei 32.000 Wähler an die Friedhöfe, in Brandenburg 17.000 –in beiden Ländern mehr als an die AfD. Allein im ersten Halbjahr 2019 hatte der Landesverband Sachsen 159 Todesfälle zu verzeichnen – beim größeren Landesverband NRW waren es im selben Zeitraum nur 30 Todesfälle. Ein Blick auf die Altersstruktur in Sachsen verrät, dass dieser Trend sich verstärken wird. 17 Prozent der Partei sind über 86 Jahre alt, 12 Prozent 81-85 Prozent, 11 Prozent 76-80, 7 Prozent 71-75 und 10 Prozent 66-70. Kurz: 57 Prozent der Partei sind im Rentenalter, der Altersschnitt liegt bei 66 Jahren. Auch in Brandenburg beträgt das durchschnittliche Alter 66,85 Jahre. 59 Prozent der Parteimitglieder sind älter als 66 Jahre. Nur 11 Prozent sind unter 35 Jahre. Zum Vergleich: In Hessen sind 51 Prozent der Parteimitglieder unter 35 Jahren.
Das ist sehr wichtig. Denn das Geheimnis der Stärke der PDS im Osten bis 2004 war eine große (wenn auch alte und oft passive) Mitgliedschaft und eine sehr mit der Partei identifizierte Stammwählerschaft, die sich aus dem ehemaligen SED-Personal und dessen Umfeld rekrutierte. Diese Generation wird als Mitglied und Wähler binnen 20 Jahren vollständig wegbrechen. Entweder erschließt sich die Partei bis dahin eine neue Mitglied- und Wählerschaft oder sie ist nicht mehr existent im Osten. Im Kern stehen die Ostverbände damit genau vor derselben Herausforderung wie die Westverbände 2007. Auch hier war klar, dass die neugegründete LINKE scheitern wird, wenn sie nicht über das traditionelle West-PDS-Klientel ausgreift. Hier hat die Fusion mit der WASG entscheidende Impulse zur Ausweitung gebracht.
Potenzial für eine Neuaufstellung
So eine »Frischzellenkur« wie die Fusion 2007 wird es für die Ostpartei nicht geben, dennoch gibt es Potenziale für eine Neuaufstellung. Der Eintrittswelle in DIE LINKE in den Jahren 2016ff ist nicht an der Ost-LINKEN vorbeigegangen – allein im ersten Halbjahr 2019 hatte die sächsische Partei 163 Neueintritte, die Brandenburger Partei 109 Neueintritte. Wie im Bundesschnitt auch sind die Neueintritte überwiegend jung, die Quote der unter 35-Jährigen unter den Neuen liegt bei knapp 60 Prozent. Auch die Motivation ist durch den Bundestrend bekannt – es handelt sich bei den Eintritten um eine Bauchreaktion auf den weltweiten Rechtstrend –auf Trump, Bolsonaro, die AfD. Die Neumitglieder wollen links aktiv werden, weil sie die Gesamtentwicklung schlimm und bedrohlich finden. Die positive Entwicklung des Studierendenverbandes Die LINKE.SDS im Osten, der zum Beispiel in Leipzig eine der größten und aktivsten Gruppen des gesamten Bundesgebietes hat, gibt einen weiteren Hinweis auf die Potentiale.
Hinzu kommt, dass eine neue Generation von Gewerkschaftsaktivistinnen und -aktivisten – politisiert als Antifaschisten, aber auch durch die Kämpfe im Einzelhandel, im Pflegesektor oder bei Amazon – Tuchfühlung mit der LINKEN sucht, auch weil die organischen Wurzeln der SPD in der Gewerkschaftsbewegung im Osten weit weniger ausgeprägt sind als im Westen.
Dieses neu in der Partei ankommende Milieu von jungen, aktiven, motivierten Leuten kann in den nächsten Jahren der entscheidende Akteur in der Neuaufstellung der Partei im Osten werden –aber nur, wenn er ein wirkliches Gestaltungsangebot erhält und letztendlich auch Politik und das Gesicht der Partei nach außen prägt. Zentral hierfür sind natürlich die Kämpfe gegen die AfD und die antirassistische Arbeit. »Aufstehen gegen Rassismus« und viele andere Akteure leisten hier hervorragende Arbeit – es gibt keinen Grund, dass DIE LINKE in Sachsen und Brandenburg diese Arbeit nicht mit aller Kraft politisch, personell und organisatorisch unterstützt.
Wie es laufen könnte zeigt auch das erfolgreich verteidigte Direktmandat von Jule Nagel in ihrem Wahlkreis in Leipzig. Ihre Kandidatur war kämpferisch, an der Seite von Bewegungen und betont antirassistisch. Ihr Wahlkreisbüro hat sie zu einem offenen sozialen Zentrum gemacht, in dem andere politische Initiativen genauso viel zu sagen haben wie DIE LINKE. Zwar ist der Wahlkreis vom Milieu her eher alternativ und bietet daher andere Potentiale. Doch andererseits gibt es, egal wie klein, in jeder ostdeutschen Kleinstadt dieses widerstände Milieu auf das sich ein dynamischer Parteiaufbau fokussieren kann. Nicht um sein Klientel künftig auf junge linke Antifaschistinnen und Antifaschisten zu beschränken, sondern um gemeinsam mit diesen neuen Aktivposten konkrete Kampagnen zu Themen wie Pflege, Mieten etc. zu fahren, die dann wiederum in die Breite der Gesellschaft ausstrahlen.
Die Gefahr von rechts
Wir sollten uns nicht in die Tasche lügen: Selbst, wenn das Ruder hart herumgerissen wird in die Richtung, die diese Analyse vorschlägt, kann es Jahre dauern, bis das neue politische Profil kenntlich, der Generationswechsel vollzogen und der Parteiapparat auf den Nutzwert für die politische Arbeit vor Ort umgebaut ist. Aber wir müssen irgendwann anfangen, weil sich die Kräfteverhältnisse nicht zu unseren Gunsten entwickeln. Besorgniserregend ist nicht allein die schiere Stärke der AfD, sondern auch die ideologische Härtung ihrer Anhängerschaft: 70 Prozent der AfD-Wählerinnen und -Wähler in Sachsen sagen, sie wählen die Partei wegen ihrer Programmatik, nur 24 Prozent, weil sie mit der Wahl einen »Denkzettel« verteilen wollen. Und die Programmatik der sächsischen AfD hat es bekanntlich in sich. Folgerichtig sagen 99 Prozent der AfD-Wähler, sie finden es gut, dass die Partei den Zuzug von Ausländern und Flüchtlingen begrenzen will. 88 Prozent finden es gut, dass die AfD den anderen Parteien etwas in der Klimadebatte entgegensetzt. Durchgehend ist die Ablehnung von Muslimen bei AfD-Wählern sehr hoch.
Auch bemerkenswert ist, dass 48 Prozent der sächsischen AfD-Wähler sagen, dass sich die Partei nicht genug gegenüber dem Rechtsextremismus abgrenzt, sie aber unverdrossen dennoch wählen. Gerade die Umfrage zur Klimafrage zeigt, dass die AfD längst keine thematische Ein-Punkt-Partei gegen Flüchtlinge ist, sondern ein geschlossenes reaktionäres Weltbild anbietet, welches sich durch diverse Themengebiete wie Klima und auch Frauenrechte durchzieht. Zunehmend wird sie auch genau wegen dieses reaktionären Weltbildes gewählt und nicht einfach als Stinkefinger gegenüber den Etablierten. Wenn dieser Prozess der Identifizierung mit den Inhalten der AfD erst einmal vorangeschritten ist, sind diese Menschen für DIE LINKE nicht mehr erreichbar –selbst wenn sie früher mal LINKE-Wähler waren.
Die Zukunft der Partei im Osten
Der Osten ist anders, das stimmt sicher. Doch daraus völlig unterschiedliche Herangehensweisen für den Parteiaufbau in Ost und West abzuleiten, ist falsch. Wir sollten die Unterschiede in der Herangehensweise zum erfolgreichen Aufbau der LINKEN auch nicht größer machen als sie sind.
Auch im Osten gibt es viele junge Menschen, die aufgeschreckt durch Trump und den AfD-Schock bereit sind, DIE LINKE als antikapitalistische Kraft gegen den rechten Vormarsch aufzubauen. Sie sind die Zukunft der Partei im Osten und brauchen ein entsprechendes Angebot vor Ort, welches sich nicht in einer Passivität ausstrahlenden Orientierung auf das Agieren linker Landtagsfraktionen oder linker Minister und Senatoren erschöpfen darf. Kurs auf Parteiaufbau in der Fläche, Kurs auf Einbindung der aktivistischen Potenziale in und außerhalb der Partei, Kurs auf die Zentralität des antifaschistischen und antirassistischen Kampfes – so könnte ein Neustart ausehen.
Foto: DIE LINKE
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