Statt auf Protest und Aktivismus zu setzen, gibt sich DIE LINKE im Osten oft staatstragend. Wie es anders gehen kann, zeigen Parteimitglieder im Landkreis Mansfeld-Südharz. Ein Gespräch über den Pflegenotstand, krankmachende Arbeitsbedingungen und Aktivismus im ländlichen Osten
Florian Fandrich ist Heilerziehungspfleger in einem Kinderheim in Querfurt, aktiv in der LINKEN und Mitbegründer vom »Bündnis gegen Pflegenotstand Mansfeld-Südharz«.
marx21: Florian, Du hast gemeinsam mit einigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern im letzten Sommer das »Bündnis gegen Pflegenotstand Mansfeld-Südharz« gegründet. Wie kamt ihr auf die Idee?
Florian Fandrich: Der Kampf gegen die miserablen Arbeitsbedingungen in der Pflege ist ja nun schon seit einigen Jahren in aller Munde. Das ist ein Erfolg der Pflegestreiks in den Krankenhäusern. Die Streikbewegung hat aber auch gezeigt, dass der Kampf für gute Pflege nur als gesellschaftlicher Kampf gewonnen werden kann. Daher sind Solidaritätsbündnisse so wichtig, die Beschäftigte, aber auch Patientinnen und Patienten sowie Aktivistinnen und andere Unterstützer zusammenbringen. So etwas wollten wir auch bei uns im Landkreis aufbauen.
Im »Zukunftsatlas 2016« belegte unser Landkreis Platz 400 von 402 untersuchten Landkreisen und kreisfreien Städten in ganz Deutschland
Ist der Pflegenotstand auch in Mansfeld-Südharz ein Thema?
Klar, das ist ein bundesweites Problem und der Personalmangel trifft besonders die wirtschaftlich schwachen, ländlichen Regionen im Osten, aus denen gerade junge Menschen wegziehen. Bundesweit ist kein anderer Landkreis in den letzten Jahren so stark geschrumpft wie Mansfeld-Südharz – und in kaum einem ist die Bevölkerung so alt. Jeder vierte Einwohner ist mindestens 65 Jahre alt. Der Pflegesektor ist hier eine der wenigen »Wachstumsbranchen«.
Was sind die Gründe für die Abwanderung?
Im Grunde die gleichen wie überall im ländlichen Ostdeutschland: Das Mansfeld ist wohl das beste Beispiel dafür, was man eine »strukturschwache Region« nennt. Selbst innerhalb Sachsen-Anhalts gehört es zu den wirtschaftsschwächsten Regionen, die Arbeitslosigkeit liegt deutlich über dem Landesdurchschnitt. Im »Zukunftsatlas 2016« belegte unser Landkreis Platz 400 von 402 untersuchten Landkreisen und kreisfreien Städten in ganz Deutschland.
Wachstumssektor Pflege
Also haben wirtschaftlicher Zusammenbruch und sozialer Kahlschlag nach der Wende auch das Mansfeld hart getroffen?
Auf jeden Fall. Zu DDR-Zeiten gab es hier noch viel Industrie, vor allem im Kupferbergbau und der Aluminiumverhüttung, aber das ist lange her. Noch heute ist die Mansfelder Kupfer- und Messing GmbH mit 1.200 Beschäftigten der größte einzelne Arbeitgeber im Landkreis, aber direkt dahinter folgt schon der Krankenhauskonzern Helios. An den drei Klinikstandorten in Sangerhausen, Eisleben und Hettstedt zusammen beschäftigt der Konzern sogar über 1.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Rechnet man noch die Beschäftigten in anderen Pflege- und Altenheimen sowie der ambulanten und häuslichen Pflege hinzu, ist das wohl der Sektor mit den meisten Beschäftigten in der Region.
Ich habe keine Ahnung wie Jens Spahn auf die Idee kommen kann, dass es eine Lösung sein könnte, »Pflegekräfte zu Mehrarbeit zu motivieren«
War das der Grund, warum ihr euch als LINKE-Aktivistinnen und -Aktivisten vor Ort auf den Pflegebereich konzentrieren wolltet?
Ja, auch. Aber das war nicht der Hauptgrund. Wir alle kennen Menschen in unserem persönlichen Umfeld, die zum Teil unter richtig beschissenen Arbeitsbedingungen in diesem Bereich arbeiten und dementsprechend überlastet sind. Und letztlich geht uns das Thema alle an: Auch ich will, wenn ich krank oder alt bin, nicht von einer Person gepflegt werden, die selbst nicht mehr kann, weil sie den vierzehnten Tag in Folge in chronisch unterbesetzten Schichten arbeitet und ständig Überstunden macht. Wie kann es sein, dass Pflegende mit Mitte zwanzig ein Burnout haben, weil sie auf der Arbeit komplett verheizt wurden?
Pflegenotstand und Fachkräftemangel
Sind die Bedingungen so katastrophal?
Es gibt natürlich Unterschiede, aber zum Teil sind sie wirklich furchtbar. Das fängt damit an, dass Auszubildende teilweise als volle Arbeitskräfte eingesetzt werden, was rechtlich natürlich absolut verboten ist. Gleichzeitig haben die Ausbilderinnen und Ausbilder, aufgrund von Unterbesetzung, oft überhaupt keine Zeit, sich um die Azubis zu kümmern. Nachtschichten werden meist von nur einer Person pro Station gestemmt. Ich habe keine Ahnung wie Jens Spahn auf die Idee kommen kann, dass es eine Lösung sein könnte, »Pflegekräfte zu Mehrarbeit zu motivieren«.
Für die Beschäftigten bedeutet der sogenannte Fachkräftemangel aber auch mehr Machtressourcen
Stimmt es denn, dass es schlicht nicht genügend Fachkräfte gibt?
Da ist natürlich etwas dran, aber das haben sich Politik und Konzerne selbst zuzuschreiben. Ein schlecht bezahlter und körperlich wie psychisch extrem belastender Beruf ist natürlich nicht besonders attraktiv. Wenn man das ändert, würden sich auch wieder mehr Menschen für den Beruf entscheiden. Momentan ist die Situation aber leider, dass aus keinem anderen Beruf so viele aussteigen wie der Pflege.
Für die Beschäftigten bedeutet der sogenannte Fachkräftemangel aber auch mehr Machtressourcen: Es ist nicht mehr so wie vor zwanzig Jahren, als man den Menschen hier sagte: »Wenn es dir nicht passt, da ist die Tür, draußen steht der nächste, der deinen Job macht.« Denn draußen vor der Tür steht heute niemand mehr.
Das Bündnis: Vom Stammtisch zur Demo
Erzähl uns von eurem Bündnis! Wer nimmt daran teil?
Im Kern sind wir rund zehn Personen, die zu fast jedem Treffen kommen, und einige mehr, die von Zeit zu Zeit mitarbeiten oder Aktionen unterstützen. Bei uns sind Pflegekräfte und Auszubildende aus den Helios-Kliniken oder anderen Pflege- und Altenheimen aktiv, aber auch Betriebsräte, Studierende und Menschen, die Angehörige zuhause pflegen. Alterstechnisch sind wir gut durchmischt und wir haben einen Frauenanteil von über 70 Prozent.
Wie arbeitet ihr als Bündnis und was habt ihr bisher gemacht?
Wir veranstalten regelmäßig unsere »Pflegestammtische« an verschiedenen Orten in der Region, insbesondere den großen Klinikstandorten von Helios. Dort diskutieren wir aktuelle Probleme und Entwicklungen und planen unsere Aktionen und Veranstaltungsangebote.
Wir wollen das Bewusstsein der Leute vor Ort schärfen, dass sie selbst etwas erreichen können
Was sind das für Aktionen?
Wir haben etwa Vorträge zum Thema »Pflege im Kapitalismus« oder Filmvorführungen über die Missstände in deutschen Krankenhäusern veranstaltet. Außerdem haben wir letztes Jahr eine sehr erfolgreiche Kundgebung in Eisleben organisiert, zu der fast einhundert Menschen kamen – sogar eine ganze Berufsschulklasse für Gesundheit und Pflege war dabei und kam mit selbstgebastelten Schildern. Im Anschluss sind wir dann gemeinsam durch die Stadt gezogen und haben gegen den Pflegenotstand demonstriert.
Das klingt vielleicht nicht besonders spektakulär, aber im beschaulichen Eisleben gibt es solche Demos alles andere als oft. Mit unserem Protest haben wir es sowohl in das lokale Fernsehen als auch in die Mitteldeutsche Zeitung geschafft. Das wollen wir dieses Jahr wiederholen.
Was sind eure unmittelbaren Ziele und wie wollt ihr sie erreichen?
Uns ist klar, dass wir den Pflegenotstand nicht lösen werden, aber wir können durchaus Verbesserungen erkämpfen. Vor allem können wir aber das Bewusstsein der Leute vor Ort schärfen, dass sie selbst etwas erreichen können und dafür eben nicht auf Jens Spahn oder andere Politiker warten und hoffen müssen.
DIE LINKE als Protestpartei im Osten
Welche Rolle spielt DIE LINKE im Bündnis?
Das ist so eine Sache: Einerseits waren es Aktivistinnen und Aktivisten der LINKEN, die das Bündnis gegründet haben, und LINKE-Mitglieder tragen auch die Hauptaufgaben. Zum anderen ist die Partei bei uns aber noch längst nicht so aufgestellt, wie wir uns das für eine aktivistische Mitgliederpartei wünschen würden.
Für einen Großteil der Partei dreht sich alles um Wahlen. Selbstaktivität und die Organisierung von Widerstand von unten sind höchstens Beiwerk. Das führt teilweise auch zu einer Kultur, die wenig damit zu tun hat, wie ich mir Selbstermächtigung von Betroffenen vorstelle. So kommt es schon mal vor, dass Genossen der LINKEN (ja, hauptsächlich ältere Männer) bei unserem Bündnistreffen auftauchen und dann alles besser wissen und allen anderen erzählen wollen, wie politische Arbeit geht. Das ist nicht nur nervig, weil es die Aktiven eher verprellt, sondern man fragt sich auch, wie sich die Genossen den aktuellen Mitgliederschwund erklären, wenn sie so überzeugt sind, alles richtig zu machen.
Das Gefühl, dass die eigene Stimme kein Gehör findet, ist sehr verbreitet
Klingt nach einer eher widersprüchlichen Rolle.
Ja, uns war aber auch immer klar, dass wir DIE LINKE nicht von heute auf morgen verändern werden und es an uns selbst liegt, vorzumachen, wie es anders gehen kann. Wir merken aber auch, wie positiv die Leute im Bündnis DIE LINKE wahrnehmen, denn wir machen ja keinen Hehl daraus, dass wir in der Partei sind. Mittlerweile sind zwei unserer Bündnisaktiven in DIE LINKE eingetreten.
Zurück zum »roten Mansfeld«
Warum ist ein Pflegebündnis gerade im ländlichen Osten so wichtig?
Über die Überalterung und die Bedeutung des Pflegesektors für den Arbeitsmarkt in unserer Region haben wir schon gesprochen. Hinzu kommt aber noch ein weiterer Faktor: Die Erfahrung vieler Menschen, die hier leben, ist geprägt vom wirtschaftlichen Niedergang der Region, sozialen Problemen und Abstiegsängsten. Das Gefühl, dem ausgeliefert zu sein, und dass die eigene Stimme kein Gehör findet, ist sehr verbreitet. Genau in diese Kerbe schlägt die AfD, indem sie versucht, den Unmut in ein rechtes und rassistisches Fahrwasser zu lenken.
Mit Erfolg?
Leider ja. Die AfD hat bei der Bundestagswahl 2017 bei uns in Mansfeld 23,3 Prozent der Stimmen geholt – und das ohne personell besonders sichtbar zu sein. DIE LINKE hat hingegen 9 Prozent verloren. Unser Bündnis ist auch ein Versuch, dem etwas entgegenzusetzen, indem wir Menschen anhand ihrer konkreten sozialen Interessen organisieren, sie in Aktivität bringen und sie damit auch ein Stück weit von dem Gefühl der Ohnmacht befreien. Das Mansfelder Land war früher als »rotes Mansfeld« bekannt und genau da wollen wir wieder hin.
Das Interview führte Martin Haller.
Foto: Bündnis gegen Pflegenotstand Mansfeld-Südharz
Schlagwörter: DIE LINKE, Krankenhaus, Ostdeutschland, Pflege, Pflegenotstand