Im Vorfeld der Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg wird in der LINKEN kontrovers über die Verluste im Osten diskutiert. Viel zu wenig Beachtung wird dabei jedoch einem offensichtlichen Grund geschenkt: dem Glaubwürdigkeitsproblem infolge einer katastrophalen Regierungspolitik. Ein aktuelles Beispiel: das Brandenburger Polizeigesetz. Ein Kommentar von Johannes König
Als Anfang 2018 der Entwurf für ein neues bayerisches Polizeiaufgabengesetz (PAG) öffentlich wurde, machte sich in Bayern große Empörung über den von der CSU beabsichtigten Umbau der Polizei zum de-facto-Geheimdienst breit.
Bürgeraufstand gegen autoritären Umbau
Infolgedessen gründete sich mit »noPAG« ein Bündnis, das sich dem Widerstand gegen das Gesetz verschrieb. Mit über 100 Mitgliedsorganisationen bildete es die Ablehnung der autoritären CSU-Novelle in ihrer ganzen gesellschaftlichen und politischen Breite ab und mobilisierte Zehntausende zu Großdemonstrationen.
Georg Restle, Chef-Journalist des ARD-Politmagazins Monitor, kommentierte: »Es ist ein Bürgeraufstand, wie ihn dieses Land schon lange nicht mehr gesehen hat. Zehntausende sind heute in München auf die Straße gegangen, und ja: es ist eine Demonstration, die man historisch nennen sollte: Zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung machen so viele Menschen gegen einen beispiellosen Abbau von Grundrechten in ihrem Land mobil.«
Die bayerische LINKE war nicht nur Teil des Protests, sondern organisierte ihn maßgeblich mit. In der Folge war zumindest in den bayerischen Großstädten eine Anerkennung der LINKEN als Protestpartei an der Seite der sozialen Bewegungen deutlich spürbar.
Brandenburger LINKE auf Abwegen
Dass die Landesregierung von Brandenburg, an der auch DIE LINKE beteiligt ist, ebenfalls an einem neuen Polizeigesetz arbeitet, könnte die Vermutung nahelegen, dass es sich hierbei um einen Gegenentwurf zur autoritären Law-and-Order-Politik von Seehofer, Söder & Co. handelt. Weit gefehlt: Tatsächlich erinnern die Pläne der rot-roten Regierung in weiten Teilen an das von Juristen als verfassungswidrig eingeschätzte neue bayerische Polizeigesetz.
Der gemeinsame Gesetzesentwurf von SPD und LINKE liegt derzeit im Innenausschuss und soll bis zum März überarbeitet werden. Er sieht – ähnlich dem bayerischen Vorbild – vor allem die Ausweitung der polizeilichen Befugnisse vor: Neben dem heimlichen Einsatz von Überwachungssoftware zum Auslesen von Handys und Computern sollen künftig auch polizeiliche Wohnungseinbrüche erlaubt sein. Auch präventive Gewahrsamnahme, Aufenthalts- und Kontaktverbote, Bodycams und der Einsatz von Handgranaten gegen Personen würden durch das zukünftige Gesetz ermöglicht werden.
»Einschränkung jeder antikapitalistischen Praxis«
In Brandenburg hat sich ebenfalls ein Bündnis gegen das Polizeigesetz formiert. DIE LINKE ist auch hier involviert, jedoch gespalten: Während vereinzelte Kreisverbände sowie der Jugendverband der Partei dem Bündnis angehören, ist die rot-rote Landesregierung, die den Gesetzesentwurf mitverantwortet, politischer Gegner des Bündnisses »noPolGBbg«.
In einem Redebeitrag auf einer Demonstration gegen das Brandenburger Polizeigesetz stellte die Linksjugend ’solid klar: »Wir stehen heute hier auf der Straße, weil wir in der Novellierung des Brandenburgischen Polizeigesetzes eine drohende Einschränkung jeder antikapitalistischen Praxis und jedes linken Aktivismus sehen.« Und: »Mehr Eingriffsbefugnisse für die Polizei machen uns nicht sicherer. Deshalb geht es grundsätzlich nicht darum, welches Vor- oder Zurückdrängen von polizeilichen Eingriffsmöglichkeiten noch okay oder vertretbar ist und welches nicht. Uns geht es um nichts weniger als den Kampf gegen den Rechtsruck und den damit einhergehenden Ausbau des staatlichen Sicherheitsapparates. Wer Freiheit und Demokratie vor ihren Gegnern verteidigen möchte, der darf sie auch nicht selbst abschaffen!«
Die jungen Aktivistinnen und Aktivisten lasen ihrer Partei gehörig die Leviten und forderten die Abgeordneten schließlich auf, gegen ihr eigenes Gesetz zu stimmen. Dass die gesamte LINKE in Brandenburg unter diesen schizophren anmutenden Verhältnissen nur verlieren kann, ist offensichtlich.
Polizeigesetz: Historischer Fehler
Doch nicht nur die Brandenburger LINKE trüge den Schaden davon, würde der aktuelle Entwurf im Landtag angenommen werden. Die Glaubwürdigkeit der gesamten Partei, die in vielen anderen Bundesländern den Kampf gegen autoritäre Polizeigesetze mitunter anführt und deren Bundestagsfraktion eine Normenkontrollklage gegen das bayerische PAG eingereicht hat, wäre bedroht.
Denn der LINKEN ist es in den letzten Jahren gelungen, sich als Verteidigerin von Grund- und Freiheitsrechten zu profilieren. Konsequent stimmte sie bisher gegen jede polizeiliche Überwachungssoftware.
Die zu befürchtende erstmalige Zustimmung einer Linksfraktion zum Staatstrojaner und anderen autoritären Maßnahmen würde daher einen historischen Fehler bedeuten, der die gesamte Partei diskreditieren könnte. Netzpolitik.org analysiert treffend: »In Brandenburg entscheidet sich, ob DIE LINKE Bürgerrechtspartei bleibt.«
Verluste im Osten
Ein Ausrutscher in ansonsten blühenden linken Landschaften? Leider nein. DIE LINKE befindet sich in Brandenburg, ebenso wie die anderen ostdeutschen Landesverbände auf dem absteigenden Ast: Vom »Ende der Ost-Partei« schrieb der SPIEGEL nach der Bundestagswahl 2017, bei der DIE LINKE zwar insgesamt zulegen konnte, im Osten jedoch herbe Verluste einstecken musste.
Seitdem diskutiert die Partei kontrovers über die Ursachen und wie sich weitere Verluste verhindern lassen. Sahra Wagenknecht hatte schon am Wahlabend eine Analyse parat: Man hätte es sich »in der Flüchtlingsfrage zu einfach gemacht«. In der Konsequenz gründete die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag zusammen mit ihrem politischen Umfeld die Initiative »Aufstehen«, die mit einem migrationsskeptischen Kurs geradeauch auf ostdeutsche Wählerstimmen abzielt.
Katja Kipping, Parteichefin der LINKEN, sucht zum Auftakt des Wahljahres 2019 offensiv den Schulterschluss mit SPD und Grünen: »Wir drei Parteien links der Union stehen in der Pflicht, eine fortschrittliche Regierungsalternative zu ermöglichen«. Das sei ihre »Verantwortung gegenüber der Geschichte, gegenüber den Sorgen der Menschen in der Gegenwart und angesichts der großen Zukunftsfragen.«
Zorn gegen das Establishment
In Wahrheit liegt der Schlüssel zum Erfolg für DIE LINKE weder in migrationspolitischer Anpassung an den Rechtsruck à la Sahra Wagenknecht, noch in staatstragendem Pathos à la Katja Kipping. Die Plätze für Migrationskritiker sind im Parteiensystem schon ebenso vergeben wie die für Sozialdemokraten.
Die Rolle, die DIE LINKE stattdessen ausfüllen muss, ist die einer rebellischen Kraft, die den berechtigen Zorn der (ost)-deutschen Bevölkerung gegen die Eliten des politischen und wirtschaftlichen Establishments von links kanalisiert: In scharfer Abgrenzung zur rassistischen Rechten, klassenpolitisch zuspitzend, den neoliberalen und autoritären Gegner fest im Blick.
Der Entwurf für ein neues Polizeigesetz der brandenburgischen rot-roten Landesregierung zeigt zwar in besonders eklatanter Weise, wie wenig DIE LINKE gerade in Regierungsverantwortung dieser Rolle entspricht. Doch nicht nur in Brandenburg ist die Partei weitgehend zahnlos. Auch bei den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen, wo DIE LINKE regiert, bzw. sich eher als Regierung im Wartestand präsentiert, denn als schlagkräftige Opposition, drohen krachende Niederlagen.
Hinsichtlich der Verluste im Osten könnte DIE LINKE daher selbst von Christian Lindner (FDP) etwas dazulernen, der immerhin wusste: »Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren.«
Foto: Wiesbaden112.de
Schlagwörter: Brandenburg, Linke, Polizei, Regierungsbeteiligung