DIE LINKE trat bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen mit einem kämpferischen Profil an, konnte jedoch im Gegensatz zu den Grünen kaum vom Niedergang der SPD profitieren und wurde von der AfD aus dem Stand überholt. Welche Konsequenzen muss die Partei jetzt ziehen? Sechs Thesen des marx21-Netzwerks für das Wahljahr 2019
1. Das Parteiensystem der Bundesrepublik befindet sich in einem rasanten Umbruch.
Die wachsende politische Polarisierung in Deutschland prägte den Ausgang der Wahlen in Bayern und Hessen weit mehr als landespolitische Themen. Die politische Grundkonstellation auf Bundesebene, insbesondere der Streit innerhalb der Union um den Umgang mit dem Aufstieg der AfD, beherrscht die Politik und schlug sich auch im Ausgang der Landtagswahlen nieder. Der massive Stimmenverlust von Union und SPD, wie er sich bereits bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr zeigte, setzte sich in Bayern und Hessen unvermindert fort. In beiden Ländern verloren die Regierungsparteien im Bund gegenüber der letzten Wahl jeweils mehr als zehn Prozentpunkte.
Die politische Landschaft verändert sich. Die etablierten Parteien, die glaubten, über eine sichere Basis zu verfügen, verlieren diese plötzlich. Die Tatsache, dass Millionen Wählerinnen und Wähler den einstigen Volksparteien den Rücken zuwenden, ist Ausdruck wachsender politischer Instabilität. Während die Unionsparteien aus Angst vor der AfD nach rechts rücken, lässt die SPD jegliches politische Profil vermissen und ist im Begriff vollständig in der Versenkung zu verschwinden.
Bedeutende Teile der politischen Klasse sind der Großen Koalition überdrüssig
Auch in Berlin lösten die beiden Landtagswahlen ein politisches Erdbeben aus. Angela Merkel versucht den Eindruck zu erwecken, dass sie weiterhin das Heft des Handels in der Hand hat. Ihr angekündigter Rücktritt vom Parteivorsitz der CDU trägt in Wahrheit aber mehr die Züge eines Sturzes, als einer souveränen Entscheidung der Kanzlerin. Die Führung der SPD wird sich an die Große Koalition klammern wie ein Ertrinkender an einen Rettungsring. Angesichts der CDU-Revolte gegen Merkel steht die Koalition aber dennoch vor schweren Turbulenzen. Die Wahrscheinlichkeit eines Koalitionsbruchs und damit von Neuwahlen in nächster Zeit wächst. Bedeutende Teile der politischen Klasse sind der Großen Koalition überdrüssig.
Der Aufstieg der AfD hat das deutsche Parteiensystem durcheinandergewirbelt. Wahlgewinnerin in Hessen und Bayern ist jedoch nicht nur die AfD, sondern auch die Grünen. Wie bereits bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg im Jahr 2016 ist es den Grünen gelungen, sowohl enttäuschte ehemalige SPD-Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren, als auch ein eher bürgerliches Klientel anzusprechen, das durch den Rechtskurs von Teilen der Unionsparteien abgeschreckt wurde. Sowohl in Bayern als auch in Hessen liefen mehr ehemalige Unionswähler zu den Grünen über als zur AfD. Bei der SPD beliefen sich die Wählerwanderungen zu den Grünen sogar auf ein Vielfaches der Verluste an die AfD.
Der Höhenflug der Grünen ist nur eine Momentaufnahme
Das zeigt: Nach wie vor haben wir es nicht einseitig mit einem Rechtsruck zu tun, sondern mit einer wachsenden politischen Polarisierung. Auch wenn die Grünen längst nicht mehr eindeutig im linken Lager des politischen Spektrums verortet sind, ist eine Stimme für sie in den Augen ihrer Wählerinnen und Wähler auch eine Stimme gegen die AfD und den Seehofer-Kurs in der Union.
Gleichzeitig bedeutet der aktuelle Wahlerfolg der Grünen noch lange nicht, dass sie die SPD als »Volkspartei« ersetzen werden. Die Parteienbindung nimmt rasant ab. Und ein Wahlsieg ersetzt keine langfristige Verankerung in der Bevölkerung, geschweige denn eine über Jahrzehnte gewachsene Parteistruktur. Obwohl die SPD seit 1990 über die Hälfte ihrer Mitgliedschaft verloren hat, ist diese noch sechsmal so groß wie diejenige der Grünen. Der aktuelle Höhenflug der Grünen ist eine Momentaufnahme und die politischen Kräfteverhältnisse sind im Fluss. Ob ihre neuen Wählerinnen und Wähler bei den Grünen bleiben, ob sie zu ihren alten Parteien SPD und CDU zurückkehren, ob sie resigniert ins Nichtwählerlager wechseln oder vielleicht demnächst ihr Kreuz bei der LINKEN machen, das hängt auch von der Politik der LINKEN ab.
2. DIE LINKE hat in Bayern und Hessen auf Protest gesetzt und gewonnen – vor allem viele neue Aktive sowie Vertrauen und Rückhalt in den sozialen Bewegungen. Wir sollten die Stärke der LINKEN nicht nur in Prozentpunkten messen.
DIE LINKE führte in Bayern und Hessen einen kämpferischen Wahlkampf und stellte offensiv die Frage nach Umverteilung und sozialer Gerechtigkeit. Die zentralen Kampagnenschwerpunkte waren der Kampf gegen steigende Mieten und Verdrängung, gegen den Pflegenotstand sowie gegen den Rechtsruck, die AfD und Rassismus.
Um dem Thema bezahlbare Mieten mehr Druck zu verleihen, initiierte die hessische LINKE zusammen mit Mieterinitiativen und Verbänden in Frankfurt einen Mietenvolksentscheid. Aber nicht nur in Frankfurt war die Partei Motor und organischer Bestandteil von Bewegungen, Protesten, Streiks und Bündnissen. Durch das Verzahnen von Wahlkampf und Protestbewegung konnte DIE LINKE in Hessen auf eine breite gesellschaftliche Mobilisierung zurückgreifen. Gleichzeitig konnten mit der kontinuierlichen und vertrauensvollen Bündnisarbeit viele Stammwählerinnen und -wähler sowie wichtige Multiplikatoren gewonnen werden.
Der kämpferische Kurs hat sich für DIE LINKE nicht in erster Linie an der Wahlurne bemerkbar gemacht
Auch in Bayern setzte DIE LINKE im Wahlkampf auf Protest und Bewegungsorientierung. Mit den Großdemonstrationen unter dem Motto #noPAG gegen das neue Polizeiaufgabengesetz und den #ausgehetzt-Protesten gegen die AfD und Seehofers Hetze gab es dazu viel Gelegenheit. In beiden Bündnissen spielte DIE LINKE eine wichtige Rolle und konnte Vertrauen und Ansehen unter den Aktivistinnen und Aktivisten ausbauen. Das gleiche gilt für das Volksbegehren gegen den Pflegenotstand in Bayerns Krankenhäusern, das im Wahlkampf auf gewaltige Resonanz stieß und über 100.000 Unterschriften sammeln konnte.
Für viele Wählerinnen und Wähler besteht der Hauptgrund DIE LINKE zu wählen in eben diesem konsequenten antirassistischen und sozialen Engagement. Von daher war es genau richtig, als verlässlicher Partner der sozialen Bewegungen, aber auch all derer, die von den Zumutungen des Kapitalismus betroffen sind, zu agieren.
Der kämpferische Kurs und die Massenmobilisierung haben sich für DIE LINKE nicht in erster Linie an der Wahlurne bemerkbar gemacht. Zwar konnte sie in den Städten und unter jungen Wählerinnen und Wählern deutlich zulegen, es gibt aber nach wie vor ein starkes Stadt-Land-Gefälle und immer noch viele Landkreise, in denen DIE LINKE überhaupt nicht präsent ist. Angesichts der massiven Verluste der SPD kann die LINKE mit ihrem Stimmenwachstum nicht zufrieden sein. Aber wenn es um die Ursachenforschung geht, sollte wir uns vor zu einfachen Antworten hüten. Letztlich führt kein Weg vorbei am weiteren Parteiaufbau an der Basis und einer stärkeren Verankerung vor Ort. Es gibt dazu keine Abkürzungen.
Wer eine starke LINKE in den Parlamenten will, muss Wählerinnen und Wähler zu Mitgliedern machen
Sowohl in Bayern als auch in Hessen erreichte DIE LINKE mit über 60 Wählerinnen und Wählern pro Mitglied eine starke Mobilisierung im Verhältnis zur Größe der Partei. Zum Vergleich: Die bayerische CSU konnte 18 Wähler pro Mitglied mobilisieren, die SPD lediglich zehn. Nur wenn DIE LINKE weiter an der Basis wächst, kann sie auch ihr Potenzial bei Wahlen steigern. Wer eine starke LINKE in den Parlamenten will, muss Wählerinnen und Wähler zu Mitgliedern machen. Und in dieser Hinsicht waren die Wahlkämpfe in Bayern und Hessen durchaus erfolgreich. Beide Landesverbände konnten einen deutlichen Mitgliederzuwachs verzeichnen. Die Wahlkampfveranstaltungen der LINKEN waren in vielen größeren Städten die größten Kundgebungen aller Parteien. Darauf gilt es aufzubauen.
DIE LINKE muss mehr sein als Wahlverein. Viel entscheidender ist ihre Interventionsfähigkeit in Klassenkämpfe. Auch darin ist die Partei noch lange nicht gut genug, aber sie wird besser und die Wahlkämpfe in Bayern und Hessen waren ein Ausdruck von dieser Entwicklung. Letztlich werden wir auch Wahlen nur durch eine wachsende Verankerung als aktivistischer Mitgliederpartei gewinnen können.
3. Die Grünen sind Hauptprofiteur der Bewegung gegen den Rechtsruck, weil sie im Gegensatz zur LINKEN ein geschlossenes Bild als »Gegenpol zur AfD« abgeben.
Die Grünen konnten mit Abstand am meisten von der Profillosigkeit der SPD und dem Chaos in der Union profitieren. Zu ihrem Erfolg beigetragen haben mit Sicherheit auch die sich zuspitzende Klimakrise sowie der Dieselskandal und der Kampf gegen die Braunkohle. Es ist davon auszugehen, dass diese Fragen in Zukunft noch weiter an politischem Gewicht gewinnen werden. DIE LINKE ist daher gut beraten, weiter ihr ökologisches Profil zu schärfen sowie die Umwelt- und Klimafrage – im Gegensatz zu den Grünen – mit der sozialen Frage und einem entschlossenen Antikapitalismus zu verknüpfen.
Allerdings war es nicht nur die ökologische Krise, die den Grünen in den letzten Wochen und Monaten Auftrieb gab. Ebenso waren sie die Hauptnutznießerin der antirassistischen Bewegung gegen den drohenden Rechtsruck, weil es ihnen gelungen ist, sich als »Gegenpol zur AfD« (Jürgen Trittin) zu profilieren. Zwar kamen die Organisatorinnen und Organisatoren der Proteste gegen die AfD und die Politik von Seehofer häufig aus dem linken Umfeld, der Flüchtlingsarbeit und der Gewerkschaftsjugend, medial wurden die Proteste aber zum »Aufstand der bürgerlichen Mitte« umgedeutet.
Dass die breite Gegenbewegung in den Medien auf »Grüne« und »linksliberales Bürgertum« reduziert werden konnte, ist auch Folge einer falschen Herangehensweise der LINKEN
Richtig daran ist, dass die maßlose Kampagne von Seehofer und der CSU sowie der Straßenterror von Nazis und AfD in Chemnitz und anderswo eine breite Gegenbewegung ausgelöst haben, die von der bürgerlichen »Mitte« bis nach ganz links reicht. Die katholische Landfrau aus Bayern, die CSU wählt, aber 2015 in der Flüchtlingshilfe aktiv war, war über Seehofers Treiben genauso entsetzt wie der linke Student aus Berlin oder die streikende Krankenpflegerin in Augsburg. Dass diese breite Gegenbewegung in den Medien auf »Grüne« und »linksliberales Bürgertum« reduziert werden konnte, ist auch Folge einer falschen Herangehensweise der LINKEN.
DIE LINKE konnte in Bayern und Hessen als organischer Teil der Bewegungen zwar durchaus an Ansehen unter den aktivistischen Milieus gewinnen, das mediale Bild der LINKEN wurde hingegen durch den Streit in der Bundespartei und der Bundestagsfraktion über die Flüchtlingspolitik und den Umgang mit dem Aufstieg der AfD überlagert. Zurecht machten SPD und Union in Bayern und Hessen die Berliner Politik der GroKo mitverantwortlich für ihr katastrophales Abschneiden. DIE LINKE auf Bundesebene erscheint in der Frage Migration und Antirassismus jedoch nicht weniger gespalten und das hat gerade unter antirassistisch Aktiven und jungen Menschen abschreckend gewirkt.
In den Wählern der AfD sehen Lafontaine und Wagenknecht vor allem irregeleitete LINKE-Wähler
Das Problem hinter dem Streit ist die in der LINKEN verbreitete Vorstellung, dass AfD-Wähler in erster Linie einem fehlgeleiteten Sozialprotest folgen. Dies führt dann zu einer Politik des Wegduckens in der Frage des wachsenden Rassismus. Stattdessen soll die AfD durch eine besonders konsequente Haltung in der sozialen Frage kleingehalten werden. Oskar Lafontaine ist sogar der Meinung, dass nicht die antirassistische Massenbewegung, sondern die Zustimmung der SPD zur massiven Einschränkung des Asylrechts im Jahr 1993 den Aufschwung der rechtsradikalen Partei der Republikaner gebremst und damit auch den Grundstein zum Wahlsieg der SPD 1998 gelegt hat. In den Wählerinnen und Wählern der AfD sehen Lafontaine und auch Sahra Wagenknecht vor allem irregeleitete LINKE-Wähler, die zurückgewonnen werden müssen. Deshalb ist Wagenknecht auch ganz bewusst nicht nach Chemnitz gekommen, um die Antinaziproteste zu unterstützen und hat öffentlich die #unteilbar-Demo kritisiert.
DIE LINKE in Hessen und Bayern war ein, wenn nicht sogar der entscheidende Teil in den Protesten gegen die Politik von Seehofer und gegen die AfD. Aber diese richtige Politik war nicht eingebettet in eine bundespolitische Linie der gesamten Partei. Statt im Sommer ihre Angriffe auf Seehofer zu konzentrieren, kam es immer wieder zu medialen Angriffen der Fraktionsvorsitzenden auf die migrationspolitischen Positionen der LINKEN und das in einer Situation, in der in bürgerlichen Medien wie der »Zeit« öffentlich darüber räsoniert wurde, die Flüchtenden doch einfach im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Weil DIE LINKE hier eine große Lücke aufgemacht hat, konnten die Grünen zu dem Antipol zur AfD werden, obwohl ihre reale Politik weit weniger antirassistisch und flüchtlingsfreundlich ist als die der LINKEN.
4. Die AfD sitzt nun auch in Bayern und Hessen im Landtag, aber der Kampf gegen die Nazis und Rassisten war nicht umsonst.
»Migration ist die Mutter aller politischen Probleme«, rief Horst Seehofer auf dem Höhepunkt des Überholmanövers der CSU im Wettlauf mit der AfD um die Führungsposition im Kampf gegen Migrantinnen und Flüchtlinge. Das gesamte innenpolitische Klima verschob sich durch diesen Streit nach rechts und Alexander Gauland verstand es allemal, Seehofer als Opportunist im Dienste Merkels auszustechen. An dieser politischen Grundkonstellation konnte DIE LINKE nichts ändern.
Dennoch, beide Wahlkämpfe wurden von einer großen Gegenbewegung gegen den drohenden Rechtsruck begleitet. In vielen Städten und Gemeinden Bayerns und Hessens sind in den letzten Wochen des Wahlkampfs Zehntausende gegen Rassismus, die Hetze von Seehofer und Co. und gegen den Einzug der AfD in den Landtag auf die Straße gegangen. Bayern erlebte einen antirassistischen und antifaschistischen Protestsommer, wie es ihn im Freistaat seit vielen Jahren nicht mehr gegeben hatte. Aber auch in Hessen, etwa in Marburg, Kassel, Fulda, Wiesbaden, Darmstadt oder Frankfurt haben die Demonstrationen gegen rechts massiven Zulauf erhalten. Die AfD musste daraufhin weitgehend darauf verzichten, öffentliche Kundgebungen abzuhalten. Dort, wo sie es wie in Kassel doch versuchte, kamen ein paar Dutzend zur AfD-Kundgebung und etwa 2000 zum Gegenprotest.
Eine Normalisierung der AfD und der Aufbau einer Straßenbewegung von rechts konnten in Bayern und Hessen verhindert werden
Ein wesentlicher Grund für diesen Anstieg der antirassistischen und antifaschistischen Proteste war die offene Solidarisierung der AfD mit der Naziszene in Chemnitz und die Verharmlosung dieser Pogromstimmung auf den Straßen und Plätzen durch Bundesinnenminister Horst Seehofer. Gauland und Weidel hatten Hetzjagden auf fremdländisch aussehende Menschen als »Selbstschutz« im Namen des vom angeblichen Untergang bedrohten deutschen Volkes verteidigt und Seehofer meinte, dass er in Chemnitz auch auf die Straße gehen würde, wenn er nicht Bundesinnenminister wäre. Die AfD schürte zusammen mit Pro Chemnitz und Pegida eine Pogromstimmung, die mehrere Anschläge auf jüdische, türkische und iranische Cafés und Restaurants in der Stadt zur Folge hatte. Damit betätigt sie sich im wahrsten Sinne des Wortes als geistiger Brandstifter.
Die Großdemonstration mit einer Viertelmillion Menschen in Berlin am 13. Oktober hat zusätzlich Mut gemacht und wesentlich dazu beigetragen, dass auch in Hessen die Teilnehmerzahlen an den Protesten gegen rechts noch einmal in die Höhe schossen.
Auch wenn es nicht gelungen ist, den Einzug der AfD in die letzten beiden nazifreien Landtage zu verhindern, so wurde doch der Normalisierung und Gewöhnung an die AfD wirksam entgegengetreten. Immerhin kritisiert inzwischen in Umfragen die Mehrheit aller Wählerinnen und Wähler die Nähe der AfD zu den »Rechtsextremisten«. Auch das ist ein Erfolg der Kampagnen gegen die AfD. Und selbst wenn die Aktivitäten gegen den Einzug der AfD die Partei nur ein bis zwei Prozentpunkte gekostet haben sollten, konnte dadurch die Hürde für eine Zusammenarbeit mit der »Partei der Nazis« deutlich erhöht und der Aufbau einer Straßenbewegung von rechts in Bayern und Hessen verhindert werden. Wie sehr die AfD durch die großen Gegenbewegungen unter Druck geraten ist, zeigt sich auch in den neu aufflammenden Flügelkämpfen um den Parteiausschluss offensichtlicher Neonazis.
5. Die AfD erhält auch aus der Arbeiterklasse Zuspruch. Es lohnt jedoch ein genauerer Blick darauf, wer mit »Arbeitern« überhaupt gemeint ist und was deren Motive für die Wahl der AfD waren.
Die Tatsache, dass die AfD laut Umfragen 22 Prozent der Stimmen unter »Arbeitern« in Bayern und sogar 24 Prozent in Hessen auf sich vereinigen konnte, wird in der Debatte innerhalb der LINKEN nun als Beleg angeführt, dass diese die soziale Frage nicht ausreichend in den Mittelpunkt gestellt und den Kontakt zur Arbeiterklasse verloren habe.
Allerdings sind die Angaben der Demoskopen zum beruflichen Status mit Vorsicht zu genießen, denn sie beruhen lediglich auf der Selbstauskunft der Befragten. Die Umfragen zeigen also nur, dass 22 bzw. 24 Prozent derjenigen, die sich auf Nachfrage zu ihrem Status als »Arbeiter« bezeichnen, AfD gewählt haben. Wie viele das insgesamt sind, wieviel sie verdienen, in welchen Arbeitsverhältnissen und in welchen Berufen sie arbeiten, über all das geben die Zahlen keine Auskunft.
Die Nachfrage zum Status ist für den Klassencharakter nahezu wertlos
Tatsächlich gibt es spätestens seit dem Jahr 2005 keine objektive Kategorie mehr für die Unterscheidung von »Arbeitern« und »Angestellten«. Damals war diese bei der Rentenversicherung und in Tarifverträgen endgültig abgeschafft worden. Die Nachfrage zum Status ist für den Klassencharakter nahezu wertlos, denn sie funktioniert selbst dort nicht, wo Hand- und Kopfarbeit heute noch getrennt werden: Auch ein Schreinerlehrling, eine Lageristin oder ein Friseur sind heute »Angestellte«. Ein Paketbote oder ein Werkvertragler in der Schlachtung ist »selbständig«. Im gesamten Gesundheitssektor, der Pflege und selbst in der Reinigung arbeiten »Angestellte«. Dafür bezeichnen sich auch selbständige Handwerker als »Arbeiter«. Sehr viele derjenigen, die einen Lohn ausgezahlt bekommen, sind zudem gar nicht wahlberechtigt, weil sie keine deutschen Staatsbürger sind.
Eine Wahlanalyse auf Grundlage dieser Selbstauskunft hilft uns also nicht weiter, um die Probleme der LINKEN zu erklären, in größere Teile der lohnabhängigen Bevölkerung auszugreifen. Der hohe Stimmenanteil der AfD unter Wählerinnen und Wählern, die sich als »Arbeiter« bezeichnen, dürfte mindestens ebenso stark mit dem überdurchschnittlichen Alter und dem hohen Anteil männlicher Wähler zu erklären sein, wie mit ihrem realem Klassenstandpunkt.
Das soll jedoch keinesfalls heißen, dass die Arbeiterklasse immun gegen Rassismus und die Hetze der AfD wäre. Tatsächlich ist es der AfD gelungen, nicht nur Teile der Arbeiterklasse für sich zu gewinnen, sondern sogar Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter zu ihrer Wahl zu bewegen. So wurde sie in Bayern mit 14,5 Prozent unter Gewerkschaftsmitgliedern überproportional gewählt, in Hessen sogar mit 17 Prozent, wobei hier insbesondere auch der Faktor Geschlecht ausschlaggebend war. Unter männlichen Kollegen erzielte die AfD 20,3 Prozent, unter Gewerkschafterinnen hingegen nur 10,8 Prozent.
Die AfD wird – auch unter Arbeitern – nicht trotz, sondern genau wegen ihres Rassismus unterstützt
Diese Zahlen müssen alle Gewerkschaftsaktiven und Linken alarmieren. Hier tut sich ein weites Feld auf und es reicht nicht, der AfD neoliberale Politik vorzuwerfen. Denn in der Partei kündigt sich längst ein Machtkampf zwischen dem neofaschistischen und dem rechtsnationalen und neoliberalen Flügel um das soziale Erscheinungsbild der Partei an. Der Ausgang ist ungewiss.
Zudem lohnt ein Blick auf die Frage, aus welcher Motivation Menschen der AfD ihre Stimme geben, denn hier steht keinesfalls die soziale Frage im Vordergrund. Die AfD wird – auch unter Arbeitern – nicht trotz, sondern genau wegen ihres Rassismus unterstützt. In allen Umfragen sehen die Wählerinnen und Wähler der AfD deren Kernkompetenz im Bereich Asylpolitik sowie in ihrem antimuslimischen Kurs und in der Kriminalitätsbekämpfung. Sie wählen die AfD mehrheitlich nicht aus Überzeugung, sondern aus Protest, allerdings hat dieser Protest einen zutiefst rassistischen und höchstens in zweiter Linie einen sozialen Charakter.
Umso wichtiger ist es, konsequent den Kampf gegen die rassistische Spaltungspolitik der AfD zu führen. Die Initiative des DGB Hanau (Südost-Hessen) »Keine AfD in den Landtag« war ein wichtiger Beitrag, um die Arbeiterschaft in Hessen gegen das Gift des Rassismus zu immunisieren. Leider wurde die Kampagne nicht von den Gewerkschaften insgesamt getragen.
6. Es ist ein Märchen, dass DIE LINKE ihre proletarische Basis mit Antirassismus abschrecken würde.
Das Lager um Sahra Wagenknecht und ihre Initiative »Aufstehen« sieht sich im Wahlausgang in Bayern und Hessen darin bestätigt, dass DIE LINKE in ihrem proletarischen Kernmilieu nicht mehr als die politische Kraft gegen den neoliberalen Mainstream und als glaubwürdige Vertretung der Arbeiterklasse wahrgenommen wird. Der Grund sei, dass die Partei zu sehr auf »identitätspolitische Themen« wie Antirassismus, Feminismus oder Ökologie setzen würde und die soziale Frage vernachlässige, wodurch sie die Arbeiterklasse abschrecke. Beides ist falsch.
In Hessen sehen etwa aktuell 49 Prozent der Befragten in der LINKEN die Partei, die am stärksten um den sozialen Ausgleich bemüht ist. Die AfD taucht bei dieser Umfrage nicht einmal auf. Auch die Wahlkampfaktivitäten der Partei geben diese Schlussfolgerung keineswegs her. Sowohl in Bayern als auch in Hessen war DIE LINKE insbesondere mit einem scharfen sozialen Profil auf den Straßen wahrnehmbar.
Zudem ist es ein gefährlicher Irrtum die sozialen Kämpfe von Kämpfen gegen verschiedene Unterdrückungsformen zu trennen. Wenn es etwa darum geht, die überdurchschnittlich migrantisch geprägte Handarbeiterschaft zu gewinnen, dann kann am Anfang jeder Mobilisierung dieser Schicht nur ein konsequenter proletarischer Antirassismus zur Einigung der Klasse stehen.
DIE LINKE muss aufhören, die Kämpfe gegen Ausbeutung und Unterdrückung gegeneinander auszuspielen
Die Vorstellung, dass ein progressives Gesellschaftsbild, das Kämpfe von Frauen und sexuellen oder ethnischen Minderheiten als wichtigen Teil des Klassenkampfes begreift, Arbeiterinnen und Arbeiter abschrecken würde, ist Unsinn. Sicherlich gibt es konservative Teile der Arbeiterklasse, die mit einer umfassenden Emanzipation wenig anfangen können – so ist die stärkste Kraft in der organisierten Arbeiterschaft in Bayern nach wie vor die CSU. Zu den Gewinnern unter organisierten Lohnabhängigen zählen jedoch auch die Grünen. So haben 19 Prozent der Gewerkschaftsfrauen in Bayern und 12,6 Prozent der Männer die Grünen gewählt. In Hessen waren es sogar 24,7 Prozent der Gewerkschafterinnen und 15 Prozent der männlichen Kollegen. Und auch DIE LINKE hat unter organisierten Arbeiterinnen und Arbeitern gewonnen – wenn auch in absoluten Zahlen nur marginal.
DIE LINKE muss aufhören, die verschiedenen Kämpfe gegen Ausbeutung und Unterdrückung sowie für eine solidarische Gesellschaft gegeneinander auszuspielen, sondern im Gegenteil sie miteinander zu verbinden und zum gemeinsamen Kampf einzuladen. Die Wahlkämpfe in Bayern und Hessen waren hierzu wichtige Schritte in die richtige Richtung.
Foto: Janine Wissler
Schlagwörter: Bayern, DIE LINKE, Hessen, Landtagswahl