Im pfälzischen Kandel ersticht ein afghanischer Geflüchteter seine Freundin. Eine schreckliche Tat und zugleich ein gefundenes Fressen für die AfD, die sich mit einer gezielten Kampagne als »Retterin« der Frau inszeniert, dabei aber ganz andere Ziele verfolgt. Von Marion Wegscheider und Silke Stöckle
Alle Jahre wieder treibt die Rechte eine altbekannte, populistische Sau durchs Dorf: den Schutz »unserer« Frauen vor Übergriffen durch kriminelle Migranten. Wer dagegen argumentiert, bekommt eine Beispiel-Gewalttat aus den Medien zitiert und steht sofort im Verdacht, die Unversehrtheit von Frauen zugunsten einer zu wohlwollenden Perspektive auf Migration opfern zu wollen. Trotzdem ist Widerspruch unbedingt notwendig, denn was genau macht Frauen schutzbedürftig, wer sind »unsere« Frauen und warum sind sie nur vor einer bestimmten Männergruppe zu schützen?
Täglich Mord und Totschlag
Die aktuelle Debatte, die von der AfD geradezu als Kampagne geführt wird, bezieht sich immer wieder auf einen Vorfall: Ende des vergangenen Jahres erstach in der pfälzischen Stadt Kandel ein junger Mann seine 15-jährige Freundin. Der Skandalwert liegt dabei offensichtlich nicht in der Tat an sich. Denn wie häufig bekommt ein derartiges Verbrechen über Wochen bundesweit mediale Aufmerksamkeit? Die Zeitungen wären täglich seitenweise damit gefüllt, denn alleine im Jahr 2016 kam es laut Bundeskriminalamt 441 Mal zu Mord und Totschlag in Partnerschaften und 16.805 Mal zu schwerer Körperverletzung, teilweise mit Todesfolge.
Tatsächlich ist es allein die Herkunft des Täters, die für einen Aufschrei herhalten muss: Es handelt sich um einen Geflüchteten aus Afghanistan. Alle anderen Faktoren treten dadurch sofort in den Hintergrund. So etwa die Tatsache, dass heranwachsende Männer allgemein mit höherer Wahrscheinlichkeit zu Tätern werden, unabhängig ihrer Herkunft. Dies geht beispielsweise aus einem Anfang 2018 veröffentlichten Gutachten zur Entwicklung von Gewalt in Deutschland hervor. Darin wird auch das Datenmaterial der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) als ungenügend kritisiert. Denn gegen Geflüchtete wird deutlich häufiger Anzeige erstattet als gegen Einheimische. Und auch die gestiegene Zahl der Tatverdächtigen im Bereich der Gewaltkriminalität ist irreführend, weil die Mehrheit der Verfahren eingestellt werden. Die PKS gibt eben keine Auskunft darüber, wie viele Straftaten tatsächlich begangen werden. Entscheidend ist stattdessen die Anzeigebereitschaft, die bei Körperverletzungs- und Sexualdelikten seit Jahren steigt.
Hetze statt Fakten
Das hält das rechte Lager jedoch nicht ab eben diese Kriminalstatistiken mit großem Eifer selektiv zu zitieren und zu interpretieren, um zu verdeutlichen, wie Migranten angeblich eine Verrohung der Gesellschaft und Explosion von Gewalttaten – gerade gegen Frauen – vorantreiben. Die AfD-Abgeordnete Nicole Höchst machte in ihrer ersten Bundestagsrede aus einem Anstieg an Gewalttaten in Deutschland ganz nebenbei einen Anstieg von Gewalt gegen Frauen durch Geflüchtete und garnierte ihre Lügen mit den Worten »Fakt nicht Hetze«.
Fakt ist jedoch, dass Geflüchtete gegenüber Frauen nicht mehr oder weniger übergriffig sind als Einheimische. Die Sexualdelikte machten im Jahr 2016 (die PKS für 2017 ist noch nicht veröffentlicht) an der Gesamtzahl der von Geflüchteten begangenen Straftaten 1,1 Prozent aus. Das entspricht dem bundesdeutschen Durchschnitt. Und auch bei Sexualmorden sind 90 bis 95 Prozent der Tatverdächtigen Deutsche. Selbst wenn wir – wie die AfD – einfach nur die unbereinigten Zahlen der polizeilichen Statistiken der letzten Jahre lesen, dann fällt insbesondere ins Auge, dass es im Jahr 2015 gegenüber 2014 keinen Anstieg der Sexualstraftaten gab, obwohl die Anzahl nichtdeutscher Tatverdächtiger an Straftaten von 2014 auf 2015 um etwa ein Drittel angestiegen ist.
Tatsächlich sind es die rechten Hetzer von der AfD, die ein zwiespältiges Verhältnis zu Gewalt im Allgemeinen und zu Gewalt gegen Frauen (und Kindern) im Besonderen haben. Um unerwünschte Geflüchtete an den Grenzen abzuwehren, ist ein Griff zur Waffe für Beatrix von Storch in Ordnung. Wird sie durch abstammungsdeutsche Männer begangen, ist sie zwar bedauerlich, aber kein Thema. Werden jedoch Männer mit Migrationshintergrund zu Tätern, so ist sie ein verabscheuungswürdiges Verbrechen und deutsche Frauen und Männer werden aufgerufen, sich »zu wehren«. Sexualisierte und häusliche Gewalt wird von den Rechten gerne als eine Bedrohung von außen dargestellt, die von standhaften Deutschen abgewehrt werden muss. Natürlich passt es da nicht ins Bild, wenn die Realität doch ist, dass etwa jede vierte Frau in Deutschland von häuslicher Gewalt betroffen ist oder sein wird – denn dabei gehen einem schnell die vermeintlich migrantischen Täter aus, und man müsste sich die eigenen Reihen näher ansehen.
Die wahren Frauenfeinde
Seit Jahren wird von rechts bis ins bürgerliche Lager hinein versucht, sexualisierte Gewalt öffentlich so zu verhandeln, als sei sie im Westen eine neue Erscheinung und mit der Fluchtbewegung aus Syrien und der angeblich damit einhergehenden »Islamisierung« zu uns »herübergeschwappt«. Doch Gewalt gegen Frauen ist keine Importware. Das Recht auf Selbstbestimmung von Frauen wird im »christlichen Abendland« immer wieder mit den Füßen getreten, was etwa beim Abstimmungsverhalten der alteingesessenen, konservativ-christlichen deutschen Politiker im Fall der Vergewaltigung in der Ehe zutage getreten ist: Erika Steinbach und Konsorten stimmten in den 1990er-Jahren im Bundestag dagegen, Vergewaltigungen zwischen Eheleuten als Straftatbestand zu werten. Einer Verschärfung des Sexualstrafrechts (»Nein heißt Nein«) stimmte dieses Lager nur im Gegenzug zu diversen Verschärfungen des Zuwanderungsgesetzes zu. Und die historische Forderung für ein Recht der Frauen auf legalen, kostenfreien, sicheren Schwangerschaftsabbruch wird aus dem Lager heraus vehement bekämpft, was beispielsweise in der aktuellen Auseinandersetzung um die Abschaffung des Paragrafen 219a StGB zu sehen ist, der es Ärztinnen und Schwangeren unnötig erschwert, Informationen zum Thema Schwangerschaftsabbruch anzubieten bzw. zu bekommen.
Seit jeher bekommen Betroffene von sexualisierter Gewalt den schwarzen Peter zugeschoben, wenn ihre Vergewaltiger nicht in das Raster des islamisch geprägten Migranten fallen. Hier ist dann plötzlich ihr Verhalten schuld, ihr Alkoholpegel oder ihr zu knappes Kleid. Laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums haben nur acht Prozent der Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, überhaupt die Polizei eingeschaltet. Und von 100 angezeigten Vergewaltigungen enden im Schnitt nur 13 mit einer Verurteilung.
Dabei ist die Argumentationsweise, dass Frauen selbst schuld wären, wenn sie Opfer werden, weil sie sich nicht »tugendhaft« verhalten hätten, doch genau das, was die deutschen »Beschützer« vermeintlich am Islam so sehr stört. So lässt sich die These nur schwerlich aufrechterhalten, dass Frauen im Westen frei und gleichberechtigt seien. Im Gegenteil scheinen die Befreierambitionen gegenüber Frauen genau bis zu dem Punkt zu reichen, an dem eine Frau Kopftuch oder Niqab abzulegen hat, oder ein deutsches Mädchen ihre Beziehung zu einem Geflüchteten aus Syrien beenden soll, um sich dem angeblich drohenden Kopftuchzwang zu entziehen.
Täterfixierung statt Stärkung von Frauen
Außerhalb dieser »Bedrohungslage« für deutsche Frauen greifen plötzlich ganz andere Regeln: Ungerechte Löhne, Überbelastung durch Fürsorge- und Haushaltsarbeit oder mangelnde Selbstbestimmung im Falle von Schwangerschaften sind jedoch anscheinend keine Themen, bei denen es sich für die Befreiung der Frau zu kämpfen lohnen würde, denn hier würde die Freiheit ja die zentralen ideologischen Gesellschaftsgebäude der Rechten ins Wanken bringen. Ganz im Gegenteil: Gerade die Politik der AfD ist diesbezüglich ausgesprochen frauenfeindlich.
Alles, was der Freiheit von Frauen gesellschaftlich tatsächlich nutzen könnte, bewegt sich für Rechte irgendwo auf einer Skala zwischen »zu vernachlässigen« und »zu kriminalisieren«: die Finanzierung von Frauenhäusern ist in den Partei- und Wahlprogrammen sämtlicher konservativer Parteien nicht vorgesehen, eine verbesserte Sexualerziehung für Kinder wird vor allem von der AfD unter Genderwahn und Frühsexualisierung abgekanzelt, und erleichterter Zugang zu Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbrüchen wird von allen als unmoralisch und unnatürlich abgelehnt, wobei einige sogar die Abtreibungsparagraphen wieder verschärfen und Schwangerschaftsabbrüche wieder unter Strafe stellen wollen. Die Rolle der Frau wird als fürsorgende und pflegende Mutter in der Familie hochstilisiert. Es bleiben paternalistische Belehrung und Täterfixierung statt tatsächlicher Stärkung der Unabhängigkeit und Selbstständigkeit von Frauen.
Mit einer gezielten Kampagne versucht sich die AfD als Beschützerin der (deutschen) Frauen zu stilisieren. Doch der Kern ihrer Kampagne bleibt, den antimuslimischen Rassismus insbesondere gegen Geflüchtete weiter zu schüren. Nur so können die aktuellen Mobilisierungen verstanden werden: AfD-Politikerin Leyla Bilge, selbst Tochter von aus der Türkei nach Deutschland geflohenen Eltern, ruft für den 17. Februar »Biodeutsche« wie »Migranten« dazu auf, sich an einem »Marsch der Frauen« aufs Kanzleramt zu beteiligen. Protestiert werden soll hier gegen angeblich tägliche Übergriffe »illegal eingereister Krimineller« gegen Frauen, die seit September 2015 zu beklagen seien. Die Forderungen des Marsches lauten, illegal eingereiste Menschen sofort abzuschieben und die deutsche Grenze zu sichern. Bilges eigene Abstammung soll die AfD hier vor dem Vorwurf des Rassismus schützen – wie auch die Tatsache, dass »Migranten« zum Marsch eingeladen sind.
Solidarisch und antirassistisch
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die AfD, die kürzlich eine aktuelle Stunde im Bundestag zum Thema »Freiheit und Gleichheit von Frauen stärken – Grundgesetz statt Parallelgesellschaft« einberufen hat, in ihrem vermeintlichen Kampf gegen Parallelgesellschaften eifrig dabei ist, eine lupenreine Paralleljustiz aufzubauen: für denselben Tatbestand sollen Migranten abgeschoben werden – während Abstammungsdeutsche meist straffrei ausgehen, weil Betroffene der Justiz aus guten Gründen nicht vertrauen und nicht anzeigen. Und welche Frauen von der AfD gänzlich ignoriert werden, sind jene, die von »illegal eingereisten« Männern abhängig sind. Ihre Existenz wird nicht gesichert, denn auch sie sind »illegal«. Und auch den in den Herkunftsländern verbleibenden weiblichen Angehörigen junger Migranten bleibt wenig Hoffnung: nicht umsonst geht es im Aufruf von Leyla Bilge einzig um die Verhältnisse und Frauen »in Deutschland«. Wer sich illegal aufhält oder seinen Verwandten und Angehörigen nicht folgen durfte, hat für Bilges Partei ganz klar kein Anrecht auf Sicherheit und Freiheit in einer »friedlichen Gesellschaft« – was die neueste parlamentarische Abstimmung zum Thema Familiennachzug einmal mehr traurig verdeutlicht.
Für linke Kräfte ist angesichts der Instrumentalisierungskampagnen von AfD & Co. entscheidend, das Thema Gewalt gegen Frauen nicht den Rechtspopulisten, Nazis und Rassisten zu überlassen. Anstatt sich der Diskussion über sexualisierte und häusliche Gewalt zu entziehen, gilt es, weiter das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Gleichheit und Geschlechtergerechtigkeit hierzulande keineswegs erreicht sind oder nur »von außen« bedroht werden. Der Kampf gegen restriktive Abtreibungsparagraphen, Lohnungerechtigkeit, Einschränkungen im Asylrecht, mangelnde öffentliche Unterstützung sowie Justizversagen gegenüber Betroffenen sexualisierter und häuslicher Gewalt geht auch 2018 weiter. Die Aufgabe von Linken ist es, strukturelle Missstände mit genau derselben Vehemenz zu skandalisieren wie es die AfD mit der vermeintlichen Gewaltbereitschaft von Geflüchteten tut. Nur solidarisch, internationalistisch und antirassistisch kann eine tatsächliche Freiheit für und mit Frauen erstritten werden, ohne die rassistische Spaltung weiter fortschreiten zu lassen.
Schlagwörter: AfD, Antifaschismus, Feminismus, Flüchtlinge, Frauen, Geflüchtete, Gewalt, Inland, Rassismus, Sexismus, Sexualstraftaten, Sexuelle Gewalt