Der Richtungskampf in der AfD hat das Potential, die Partei zu spalten. Wir schauen auf die Hintergründe des Konflikts. Von Volkhard Mosler
In der AfD ist jetzt ein schon lange schwelender Richtungskampf entbrannt, der die Partei spalten könnte. Nun wäre das nicht der erste große Konflikt in der AfD. Im Sommer 2015 kam es zu einer Abspaltung der Minderheit des Essener Parteitags um die gerade abgewählte alte Führung von Bernd Lucke und Olaf Henkel. Zwei Jahre später verließ deren Nachfolgerin Frauke Petry die AfD. Die anschließenden Parteineugründungen sowohl von Lucke als auch von Petry scheiterten. Zugleich schienen die Abspaltungen die weiter nach rechts driftende AfD sogar eher zu stärken. Wird sich dieses Szenario ein drittes Mal wiederholen? Werden die sogenannten »gemäßigten« Kräfte in der AfD um Bundessprecher Jörg Meuthen und Bundesvorstandsmitglied Beatrix von Storch ins politische Abseits gedrängt? Und würde eine erneute Abspaltung national-konservativer Kräfte dem rechten Rest der AfD zu neuer Stärke verhelfen?
Mehr als Show
Nicht wenige Kommentatoren sehen in dem Streit um den Rauswurf des Brandenburger Parteichefs Andreas Kalbitz eine Art symbolischen Akt: eine medienwirksame Show, die vor allem den ramponierten Ruf der AfD als wertkonservative bürgerliche Partei renovieren soll. Meuthens überraschender Vorstoß gegen Kalbitz sei letztlich nur ein persönlicher Kampf um die Spitzenpositionen bei den Bundestagswahlen 2021 oder erfolge vor allem aus taktischen Gründen zur Stimmenmaximierung.
Björn Höcke, der Sprecher des inzwischen aufgelösten »Flügels«, sieht das freilich anders. Es gehe nur vordergründig um Personen, tatsächlich handele es sich aber um einen Konflikt über die »inhaltliche Grundausrichtung« der AfD. Meuthen und von Storch wollten »eine andere Partei, eine kalte Partei, eine marktradikale Partei.« »Wir« – und damit meint er offensichtlich die Kräfte des »Flügels« – »wollen keinen kalten Kapitalismus. Wir wollen eine ökologische, eine soziale, wir wollen eine menschliche Marktwirtschaft.«
Umgekehrt sagt Meuthen, er wolle »eine rechtskonservative Partei, die (…) eben nicht nationalistisch und nicht sozialistisch« und frei von »extremistischen Bezügen« sei. Worum geht es also? Ist Höcke ein »Extremist« und Meuthen nicht?
Blick in die Geschichte
Die Kennzeichnung des »Flügels« als »rechtsextrem« ist inzwischen zur Standardbezeichnung geworden. Der Verfassungsschutz hat hierfür gewissermaßen grünes Licht gegeben, als er der Strömung im März dieses Jahres »gesichert rechtsextremistische Bestrebungen« bescheinigte. Die Charakterisierung der Kräfte um Höcke und Kalbitz als »rechtsextrem« lässt jedoch nicht nur deren Beziehung zum historischen Faschismus offen, sondern ist auch völlig ungeeignet, um die Differenzen zu verstehen, die sie zu den »gemäßigteren« Kräften um Meuthen haben.
Warum das so ist, zeigt ein Blick in die deutsche Geschichte: In der Weimarer Republik gab es gleich zwei große antidemokratische, antisemitische und völkisch-nationalistische Parteien, die nach der Definition des Verfassungsschutzes beide als »rechtsextrem« eingeordnet werden müssten, die sich aber doch wesentlich unterschieden: Hitlers Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) und die Deutschnationale Volkspartei (DNVP).
Der amerikanische Historiker Benjamin Carter Hett beschrieb die Differenzen folgendermaßen: »Obwohl die Deutschnationalen und Nationalsozialisten in manchen ihrer Ziele übereinstimmten und Teile ihrer Ideologien sich entsprachen, insbesondere ihr extremer Nationalismus, Militarismus und Antisemitismus, unterschieden sie sich eklatant in der sozialen Zusammensetzung ihrer jeweiligen Basis sowie ihrem politischen Stil. (…) Die Deutschnationalen waren die Partei der traditionellen deutschen Eliten, der Aristokratie, des Offizierscorps der Armee, der höheren Beamtenschaft und von Teilen der Großindustrie, während die Nationalsozialisten ihre Mitglieder aus Schichten rekrutierten, die in der sozialen Hierarchie deutlich tiefer angesiedelt waren. In ihrem Glauben an die Idee einer autoritären Regierungsform konnten die Deutschnationalen nichts mit der nationalsozialistischen Geringschätzung gegenüber geltenden Gesetzen und den sozialen Eliten anfangen, ebenso wenig mit den antikapitalistischen Versatzstücken, die für die nationalsozialistische Rhetorik typisch waren.«
Deutschnationale und Nationalsozialisten
Die DNVP war von Beginn an gegen die Republik und für die Wiederherstellung der Monarchie. Die Parteisatzung verwehrte Jüdinnen und Juden die Mitgliedschaft. Von 1918 bis 1923 führte sie eine Kampagne gegen die Einwanderung von »Ostjuden«. Außenpolitisch trat sie für eine Revision des Versailler Vertrags, die Rückgabe der ehemaligen deutschen Kolonien und die Wiederherstellung des Deutschen Reichs in den Vorkriegsgrenzen ein. 1920 unterstützte sie den Kapp-Lüttwitz-Putsch gegen die Republik – Wolfgang Kapp war Mitglied der DNVP. In der Frühphase der Naziherrschaft koalierte sie mit der NSDAP, bis sie sich schließlich im Juni 1933 auflöste und die meisten ihrer Mitglieder zur Hitler-Partei übertraten. Zuvor hatte sie sich an mehreren Koalitionsregierungen im Reich und den Ländern beteiligt.
Aber im Unterschied zu den Nazis wollte die DNVP nicht mittels einer eigenen paramilitärischen Massenbewegung politische Macht ausüben, sondern gestützt auf den bürgerlichen Machtapparat von Reichswehr, Justiz und den noch aus dem Kaiserreich übernommenen Beamtenapparat. Ihre militärisch ausgebildete Bürgermiliz »Stahlhelm« stand unter politischer und militärischer Kontrolle der Reichswehr bzw. ehemaliger Offiziere der Reichswehr, als deren stille Reserve sie sich verstand.
Der Radikalismus der NSDAP hatte hingegen seine Wurzel in der Verzweiflung großer Teile des vom Untergang bedrohten Kleinbürgertums. Ihr rhetorischer Antikapitalismus bildete ein Amalgam mit dem Antisemitismus. Der Faschismus ist seinem Wesen nach eine »Bewegungspartei«, die sich selbst als zukünftige Verdoppelung des bürgerlichen Machtapparats versteht. Das ideologische Werkzeug einer sozialen Demagogie ist für ihn aus zwei Gründen unverzichtbar: Zum einen entspricht es dem in Krisenzeiten vom Groß- und Finanzkapital bedrängten und bedrohten Kleinbürgertum. Zum anderen ist die soziale Basis im Kleinbürgertum – heute auch in der neuen Mittelklasse – zu schmal und zu schwach, um genügend verzweifelte Menschen für eine konterrevolutionäre Erhebung zu mobilisieren, weshalb der Faschismus auch auf Unterstützung aus Teilen der Arbeiterklasse angewiesen ist. Leo Trotzki schrieb über den Antikapitalismus der NSDAP: »Ohne solche Demagogie brächte sie keine Massenbewegung zustande.« Über den rein demagogischen Charakter ihres Sozialismus schrieb er: »Das Programm war für die Nazis nötig, um an die Macht zu kommen; aber die Macht dient Hitler durchaus nicht dazu, das Programm zu erfüllen. (…) Die Klassenverbrüderung gipfelt darin, daß – an einem eigens von der Regierung bestimmten Tage – die Reichen zugunsten der Armen auf Vor- und Nachtisch verzichten.«
Parallelen zum Konflikt in der AfD
Die Parallelen zum aktuellen Konflikt in der AfD sind nicht zu übersehen. Meuthen und sein nationalkonservatives Lager sind antidemokratisch, rassistisch, völkisch und sexistisch. Darin unterscheiden sie sich nicht vom Naziflügel. Aber Meuthen suchte nicht die Nähe zum rassistischen Mob auf der Straße, als dieser unter dem Banner von Pegida und ähnlichen Formationen seit Herbst 2014 aufmarschierte. Er strebt nach einer Koalitionsregierung mit einer nach rechts gewendeten CDU.
Der Neoliberalismus von Meuthen ist ein Spiegelbild jener wohlsituierten Professoren und anderer gehobener Mittelschichten, die Anfangs den Kern der AfD bildeten und heute in den Westverbänden teilweise noch immer über Einfluss verfügen. Die soziale Demagogie eines Höcke oder Kalbitz zielt hingegen auf die Mobilisierung des von Abstiegsängsten getriebenen Kleinbürgertums, der Mittelschichten und Teile der Arbeiterklasse. Die Differenzen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik innerhalb der AfD, zuletzt aufgebrochen in der Rentenfrage, kennzeichnen nicht die politische Orientierung der beiden Strömungen. Der neofaschistische Flügel der AfD ist ebensowenig antikapitalistisch wie der nationalkonservative, nur zieht er es vor, seinen menschenverachtenden Rassismus mit der vorgetäuschten Sorge um das materielle Wohlergehen der kleinen Leute zu ergänzen. Rassismus allein macht auch den Wutbürger nicht satt.
So sehen wir in der AfD nationalkonservative Kräfte, die viel näher an der historischen DNVP sind als an der NSDAP, und wir sehen zugleich eine sich formierende und organisierende faschistische Bewegungspartei.
Konservatismus und Faschismus
Das Verhältnis von rechtem Konservatismus und Faschismus war immer schon von wechselnder Nähe und Distanz geprägt. 1931 gingen die beiden Lager aus unterschiedlichen Motiven in der »Harzburg Front« ein taktisches Bündnis ein, um sich in den beiden darauffolgenden Jahren bis aufs Messer zu befehden. Nach 1945 gab es immer wieder Phasen der Zusammenarbeit und der Spaltung. Bei der Gründung der NPD 1964 gingen nationalkonservative Kräfte der Deutschen Partei, der Gesamtdeutschen Partei und der FDP ein Bündnis mit neofaschistischen Kräften der Deutschen Reichtspartei ein, das jedoch schon 1967 wieder platzte, nachdem die Neofaschisten um Adolf von Thadden den Parteiapparat immer stärker mit eigenen Anhängern besetzt hatten.
Die Gründung der AfD war zunächst das Werk nationalkonservativer ehemaliger CDU- und FDP-Mitglieder. Ihr Erfolg zog aber rasch neofaschistische Kräfte an. Die Brüche und Häutungen der AfD seitdem folgten einer allgemeinen Rechtsentwicklung im Zeichen wachsender Islamfeindlichkeit der bürgerlichen Mitte. Ein Teil der nationalkonservativen Kräfte ging den Weg nach rechts mit und übernahm den antimuslimischen Kurs, der seit Sarrazins Bestseller »Deutschland schafft sich ab« in der Bundesrepublik mehrheitsfähig geworden war. Einzelne Vertreter wechselten sogar das Lager und schlossen sich den neofaschistischen Kräfte an.
Wichtigste Triebkraft der Rechtsentwicklung der AfD war die sich seit 2014 formierende antimuslimische Massenbewegung Pegida und ihre Ableger in anderen Städten, die seit 2015 Zehntausende auf die Straßen brachten. Das Bündnis zwischen den rassistisch gewendeten Nationalkonservativen und den Neofaschisten hielt, solange die gesamte AfD davon profitierte und von Wahlerfolg zu Wahlerfolg marschierte. In den Jahren 2016, 2017 und 2018 war Jörg Meuthen regelmäßig Gastredner auf dem vom »Flügel« organisierten Kyffhäusertreffen. 2019 nutzte Höcke dann das Treffen, um den Sturz Meuthens und seiner Anhänger aus dem Bundesvorstand anzukündigen.
Woher kommt die Krise der AfD?
Wir können nicht voraussagen, wie der offen ausgebrochene Richtungsstreit ausgehen wird, eine bloße Wiederholung der Abspaltungen von 2015 und 2017, die der AfD insgesamt nicht geschadet und den faschistischen Flügel innerhalb der AfD jeweils noch gestärkt haben, ist allerdings sehr unwahrscheinlich. Kai Butler schreibt im antifaschistischen Magazin »der rechte rand«: »Als Sammlungspartei der Strömungen rechts von der CDU könnte sie implodieren und ihren Charakter als ›Versuchslabor‹ verlieren, in dem strömungsübergreifende Bündnisse geschmiedet werden. Und so könnte ein Sonderparteitag der AfD – anders als bei Luckes Abwahl 2015 – das Ende ihrer Erfolge bedeuten.«
Doch woher kommt die Krise der AfD? Die gängige Antwort ist, dass es der Partei nicht gelungen sei, von der Coronakrise politisch zu profitieren, weil ihr Kernthema Rassismus angesichts der Pandemie nicht verfangen habe. Ein zweiter verschärfender Faktor sei die Ankündigung des Bundesamts für Verfassungsschutz, Teile der AfD wegen »extremistischer« Tendenzen unter Beobachtung zu stellen.
Tatsächlich verlor die AfD in Umfragen seit Anfang März dieses Jahres vier Prozentpunkte, aber ihr Niedergang setzte bereits früher ein. Nimmt man die Wahlumfragen als Maßstab der Krise der AfD, so hat sich ihre Einfluss seit dem Höhepunkt im September 2018 mit 18 Prozent auf heute 9 Prozent genau halbiert. Die ersten fünf Prozentpunkte verlor sie vor der Pandemie, vier Prozent seit deren Ausbruch Anfang März.
Antirassistische Massenbewegung
Tatsächlich hatte die gegenwärtige Krise der AfD ihre Geburtsstunde im antirassistischen Sommer und Herbst 2018. Was war geschehen? Die bürgerliche »Mitte« in Gestalt des CSU-Innenministers Horst Seehofer hatte nach der Bundestagswahl 2017 eine Kampagne gegen die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel gestartet. In München kam es zu antirassistischen Massenkundgebungen gegen Seehofer und die CSU (#Ausgehetzt). Eine bundesweite Protestwelle unter dem Slogan »Seebrücke statt Seehofer« folgte. Inmitten dieses antirassistischen Aufschwungs kam es im September 2018 zu den rassistischen Hetzjagden von Chemnitz. Sie wirkten auf die Bewegung wie ein Brandbeschleuniger. Höhepunkt der antirassistischen Proteste war die riesige #Unteilbar-Demonstration von einer Viertelmillion Menschen am 12. Oktober in Berlin. Im hessischen Landtagswahlkampf im gleichen Monat gingen insgesamt 300.000 Menschen gegen die AfD auf die Straße. Vielerorts musste die AfD angesichts des massiven Gegenwinds auf öffentlich Wahlkampfkundgebungen und Stände vollständig verzichten.
Der wahltaktische Rassismus Seehofers erwies sich als Schlag ins Wasser. Die CSU musste bei der bayerischen Landtagswahl massive Verluste hinnehmen. Sie verlor an die AfD, aber sie verlor noch stärker an die Grünen. Seehofer musste als CSU-Vorsitzender zurücktreten und er musste seinen mit der AfD sympathisierenden Verfassungsschutz-Chef Maaßen entlassen. Der unmittelbare Erfolg des Sommers und Herbstes des Antirassismus 2018 war ein Stimmungswechsel der bürgerlichen Mitte, die bis dahin der AfD und ihrer rassistischen Umvolkungskampagne den Resonanzboden bereitet hatte.
Niedergang der AfD
Das von vielen Politikerinnen und Politikern der bürgerlichen »Mitte« sowie den Medien geäußerte Verständnis für den rassistischen Straßenmob in Form von Pegida ist seither zunehmend der Empörung gewichen. CSU-Chef Markus Söder hat im Mai 2020 besorgte Bürger aufgerufen, »sich klar von Verschwörungstheoretikern und Extremisten« zu distanzieren. »Wir dürfen nicht den gleichen Fehler machen wie bei Pegida am Anfang.« Damals habe es geheißen, »man müsse mehr Verständnis haben«.
Das zentrale Thema der AfD, auf dem sie ihre bisherigen Erfolge aufbauen konnte, ist der Rassismus, die Hetze gegen alles »Fremde«, gegen Flüchtlinge und Muslime. Den Resonanzboden für diese Erfolge hatte die bürgerliche »Mitte« geschaffen. Die Legende von der drohenden Umvolkung durch Islamisierung war längst in der Welt, bevor die AfD 2013 auftrat und mit ihr der Rassismus als organisierte, selbständige Kraft. Dieser Resonanzboden ist durch die antirassistische Massenbewegung der letzten Jahre kleiner geworden. Auch die kraftvollen Massenkundgebungen der Black-Lives-Matter-Bewegung in diesem Juni sind Ausdruck der geänderten Stimmungslage und des vorläufigen Endes einer fast zehnjährigen Rechtsentwicklung in Deutschland. Die Krise der AfD und die Welle des Antirassismus sind zwei Seiten derselben Medaille. Der Niedergang der AfD führt zur Verschärfung des innerparteilichen Streits, nicht umgekehrt.
Auf den Verfassungsschutz im Kampf gegen rechts zu vertrauen und zu bauen, wäre ein Trugschluss. Dass die Landesämter und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) überhaupt einmal gegen »Rechtsextremismus« aktiv geworden sind, war das Ergebnis der politischen Mobilisierung gegen Faschismus und Rassismus. Bleibt die interessante Frage, wieso das BfV eine gezielte Kampagne gegen einen Vertreter des ehemaligen »Flügels« wie Kalbitz in Gang setzte. Der »Spiegel« berichtete, dass die Mitgliedsnummer von Kalbitz bei der Heimattreuen Deutschen Jugend dem Verfassungsschutz vorläge, folglich muss jemand aus dem Amt die Information an den »Spiegel« gegeben haben. Ein Grund könnte sein, dass es in konservativen Kreisen von CDU/CSU ein Interesse an einer »entnazifizierten«, regierungsfähigen AfD gibt, die auf eine »Optionserweiterung« bei möglichen Regierungsbildungen hinausliefe. Das Thüringer Desaster, ausgelöst durch die parlamentarischen Zusammenarbeit mit der Höcke-AfD, dürfte den Konservativen jedenfalls noch in den Gliedern stecken.
Lehren aus der Krise der AfD
Der Versuch der AfD, die Kampagne gegen den Lockdown als neuen Resonanzboden für ihre rassistische Programmatik zu gewinnen, ist erst einmal gescheitert. Auch hier haben in vielen Orten antirassistische und antifaschistische Kräfte erfolgreich dazu beigetragen.
Nun sind die Umfragewerte und auch die Wahlergebnisse der AfD in den ostdeutschen Ländern weniger zurückgegangen als im Westen. Ihre größten Verluste verzeichnete die AfD in den großen Westbundesländern wie Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, wo ihre aktuellen Umfragewerte jeweils nur noch knapp über der Fünfprozenthürde liegen. In den ostdeutschen Bundesländern hat die AfD zwar auch verloren, allerdings fallen die Verluste vergleichsweise gering aus. Die vom neofaschistischen Flügel dominierten Ostlandesverbände der AfD haben sich in der Phase des Niedergangs des Rassismus besser behauptet als die Westlandesverbände. Trotzdem hat dies den Einfluss des faschistischen »Flügel«-Lagers in der Gesamtpartei nicht vergrößert. Auch in den Ostverbänden klagen die AfD-Spitzen um Gauland über die wachsende politische Isolierung ihrer Partei und den damit zusammenhängenden Mangel an öffentlichkeitswirksamen Bekenntnissen von Wählerinnen und Wählern sowie Mitgliedern zur AfD.
Ihren innerparteiliche Aufstieg konnte das neofaschistische Lager um Höcke, Kalbitz und Gauland auf der Grundlage einer erfolgreichen rassistischen Straßenmobilisierung gewinnen. Diese Bewegung hat schon vor der Pandemie stark an Kraft verloren und ist seither fast vollständig zum Erliegen gekommen.
Das muss nicht so bleiben. Spätestens im Herbst 2020 werden die Karten neu gemischt, wenn die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der aktuellen Krise sichtbarer sein werden. Die AfD oder das, was davon dann übrig sein wird, wird versuchen, ihre Hetzkampagne vor einer angeblich bevorstehenden Umvolkung des Deutschen Volkes neu zu beleben. Sie wird versuchen, Migrantinnen, Migranten und Flüchtlingen die Schuld für höhere Arbeitslosigkeit und drohenden sozialen Abstieg zu geben.
Die Linke muss sich der doppelten Aufgabe stellen, den Kampf gegen die Krise und soziale Verelendung aufzunehmen und gleichzeitig den Resonanzboden des Rassismus, den die AfD zum Überleben braucht, weiter zu beschränken. Die wichtigste Lehre aus der Krise der AfD ist, dass diese nicht von alleine kam, sondern Resultat erfolgreicher antirassistischer Mobilisierungen ist.
Foto: Wikipedia / Professusductus
Schlagwörter: AfD, Gauland, Höcke, Meuthen, Nationalsozialismus, Neofaschismus