Die Linke ist die große Überraschungssiegerin der Bundestagswahl. Dennoch bedeutet die Wahl einen dramatischen Rechtsruck. Eine Analyse der Gründe und ein Ausblick auf die gewaltigen Herausforderungen, vor denen wir nun stehen. Von der marx21-Redaktion
Blasmusik schallt durch den Bierkeller des Münchner Hofbräuhauses. Dann tritt Friedrich Merz ans Mikro: »Links ist vorbei! Es gibt keine linke Mehrheit und keine linke Politik mehr in Deutschland! Jetzt werden wir [..] wieder Politik für Deutschland machen, meine Damen und Herren! Und nicht für irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser Welt!«
Das ist aller Voraussicht nach der neue deutsche Bundeskanzler. Wenig später tritt die neue Oppositionsführerin im Bundestag, Alice Weidel, vor die Kamera und verkündet mit süffisantem Lächeln im Gesicht: »Unsere Hand ist ausgestreckt, um wieder Politik für unser Land zu machen.«
Noch wird es so weit nicht kommen. Ein Regierungsbündnis von Union und der im Kern faschistischen AfD ist noch keine Option für die bürgerlichen Kräfte in der deutschen Politik. Wie schnell sich das jedoch ändern könnte, zeigt der Blick nach Österreich, wo eine Regierungsbildung unter dem FPÖ-Faschisten Herbert Kickl erst vor wenigen Wochen gerade noch gescheitert ist. Sollten die erneuten Koalitionsgespräche der ÖVP mit SPÖ und Neos keinen Erfolg haben, würden Neuwahlen drohen, bei denen der endgültige Durchmarsch der Nazi-Partei wohl kaum noch abzuwenden wäre.
»Wir werden sie tatsächlich jagen«, so Weidels Drohung am Abend der Bundestagswahl in Richtung CDU/CSU, in Anlehnung an die Worte des ehemaligen AfD-Chefs Alexander Gauland 2017, gerichtet an Angela Merkel. Die Jagdordnung der AfD scheint aufzugehen. Sie kann es sich auf dem Hochstand gemütlich machen und abwarten. Denn was wir von einem Kanzler Merz erwarten können, sind massive Angriffe auf den Lebensstandard der Mehrheit der Bevölkerung, flankiert von Rassismus und einer immer unverhohleneren Hetze – ein politisches Klima, das den Nazis den roten Teppich ausrollt.
Die vorgezogene Bundestagswahl 2025 bedeutet einen dramatischen Rechtsruck. Die große Überraschung des Wahlabends ist jedoch nicht der Sieg der unter Merz weiter nach rechts driftenden Union und auch nicht der Erfolg der AfD, die trotz weiterer Radikalisierung ihr Ergebnis gegenüber 2021 verdoppeln konnte. Stattdessen war das unerwartet starke Abschneiden der Linken die Sensation des Tages. Die noch vor wenigen Monaten von vielen totgesagte Partei hat mit 8,8 Prozent der Stimmen deutlich den Einzug in den Bundestag geschafft und kann nun dafür sorgen, dass dort weiterhin eine soziale, antirassistische, antifaschistische und antimilitaristische Stimme vertreten ist.
Faschistischer Durchmarsch
Dennoch – wenn auch absehbar – ist das, was von dieser Bundestagswahl in erster Linie bleibt, der brandgefährliche Durchmarsch der AfD. Die Nazi-Partei wurde in Ostdeutschland, mit Ausnahme des Großteils Ost-Berlins und einem der beiden Leipziger Wahlkreise, flächendeckend stärkste Partei. In ihren sächsischen Hochburgen holte sie teilweise mehr als 46 Prozent der Zweitstimmen. Auch in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg gewann sie einzelne Wahlkreise mit mehr als 40 Prozent. Insgesamt holte die AfD in Ostdeutschland, inklusive Ost-Berlins, erschreckende 32 Prozent der Zweitstimmen. Doch nicht nur im Osten, sondern auch in Westdeutschland ist sie mit teilweise dramatischen Zuwächsen auf dem Vormarsch und konnte ihre Ergebnisse flächendeckend steigern. Mit einem Gesamtergebnis von 18 Prozent in Westdeutschland ist sie hier noch vor der SPD (17,6 Prozent) zur zweitstärksten Kraft nach der Union (30,9 Prozent) aufgestiegen. Offensichtlich ist und bleibt der Kampf gegen den Faschismus in Form der AfD eine der drängendsten Aufgaben unserer Zeit – nicht nur für Linke, sondern für alle Antifaschist:innen in diesem Land, die sich dem Schwur von Buchenwald verpflichtet fühlen: Nie wieder!
Der zweite – wenn auch weniger dramatische – Ausdruck des Rechtsrucks bei dieser Bundestagswahl ist das Abschneiden der Unionsparteien. Zwar blieb das Ergebnis von CDU/CSU mit insgesamt 28,5 Prozent hinter den Erwartungen der Partei zurück – sie konnte ihr historisch schlechtestes Ergebnis von 2021 nur um 4,3 Prozentpunkte übertreffen –, dennoch erwartet uns nun eine Regierung unter Führung des ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden von Blackrock in Deutschland, dessen scharfe Rechtsaußenparolen im Wahlkampf denen von AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel beinahe in nichts nachstehen. Die Union ist unter Merz massiv nach rechts gerückt und seine höchstwahrscheinliche Kanzlerschaft dürfte uns die Merkel-Jahre als wesentlich kleineres Übel zurückwünschen lassen.
Bundestagswahl 2025: Doppelter Rechtsruck
Für die Parteien der ehemaligen Ampel-Koalition wurde die Wahl zum Desaster. Die SPD verlor gegenüber der letzten Bundestagswahl 9,3 Prozentpunkte und fuhr mit nur 16,4 Prozent der Stimmen ihr schlechtestes Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik ein. Die Grünen, die zu Beginn des Wahlkampfs Robert Habeck vollmundig zum Kanzlerkandidaten erklärt hatten, büsten 3,1 Prozentpunkte ein und landeten bei gerade einmal 11,6 Prozent. Die FDP fliegt mit nur 4,3 Prozent (-7,1) hochkant aus dem Bundestag.
Ebenso wenig reichte es für das BSW, das sich mit seinem rasanten Aufstieg nach der Parteigründung vor einem Jahr bereits sicher im Bundestag wähnte und nun mit 4,97 Prozent denkbar knapp den Einzug verpasste, wozu mit Sicherheit auch ihre Beteiligung am Einreißen der Brandmauer gegenüber den Faschist:innen der AfD durch Friedrich Merz einen Beitrag leistete, mit dem das BSW die verbliebenen linken Teile ihrer Wählerschaft vor den Kopf gestoßen hat.
Ob FDP und BSW die Wahlniederlagen politisch überleben werden, ist ungewiss. Erstere hat als Stoßtrupp der Kapitalistenklasse eine gewisse gefestigte Basis und wird von Kapitalseite als Mehrheitsbeschafferin neoliberal-bürgerlicher Regierungen gebraucht, weshalb sie nicht zu früh abgeschrieben werden sollte. Schon einmal gelang ihr 2017 der Wiedereinzug in den Bundestag, nachdem sie 2013 ausgeschieden war. Das BSW wiederum beschwört am Tag nach der Wahl zwar weitermachen zu wollen, doch angesichts der großen Widersprüche und Spannungen innerhalb der jungen Partei könnte der Nichteinzug in den Bundestag zum Genickbruch von Wagenknechts Querfront-Projekt werden.
Wir haben es mit einem doppelten Rechtsruck bei dieser Bundestagswahl zu tun. Zum einen ging das rechte Parteienlager als klarer Gewinner aus der Wahl hervor. Zum anderen haben sich innerhalb dieses Lagers mit dem Niedergang der FDP und dem Aufstieg der AfD sowie der Rechtsentwicklung der Union die Koordinaten dramatisch nach rechts verschoben.
Überraschungssiegerin Linke
Dennoch gibt es auch Grund zur Hoffnung, denn innerhalb des massiv geschwächten linken Parteienspektrums aus SPD, Grünen und Linken haben sich die Kräfteverhältnisse zugunsten letzterer verschoben. Das mindert nicht den allgemeinen Rechtstrend der deutschen Politik, zeigt aber, dass wir es – ähnlich wie etwa in Frankreich, wenn auch nicht so offensichtlich – auch hierzulande mit einer politischen Polarisierung zu tun haben.
Für Die Linke ist ihr Wahlergebnis mit 8,8 Prozent (+3,9) eine kleine Sensation. Zum Jahresbeginn vor gerade einmal acht Wochen hätte noch kaum jemand ihr zugetraut, über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. Alle Hoffnung bestand darin, drei Direktmandate zu holen, die den Einzug der Linken dennoch ermöglicht hätten. Nun gewann sie sogar doppelt so viele Direktmandate. Insbesondere in Berlin räumte die Partei ab: Wenig überraschend siegte Gregor Gysi in Treptow-Köpenick haushoch. Aber auch die neue Parteivorsitzende Ines Schwerdtner entschied ihren Wahlkreis Lichtenberg mit deutlichem Vorsprung. Noch überraschender war der Sieg von Pascal Meiser in Friedrichshain-Kreuzberg.
Die große Sensation ist jedoch der Erdrutschsieg von Ferat Koçak in Neukölln, der mit 30 Prozent der Erststimmen alle Kontrahent:innen weit hinter sich ließ und das erste Direktmandat in der Geschichte der Partei in einem reinen Westbezirk gewann. Andere Kandidat:innen der Linken verfehlten einen Sieg des Direktmandats nur knapp, so etwa die Krankenpflegerin Stella Merendino in Berlin-Mitte, die nun durch das starke Gesamtergebnis der Partei aber dennoch über die Landesliste in den Bundestag einziehen wird. Und auch außerhalb Berlins konnten die aussichtsreichen Kandidaturen von Bodo Ramelow in Erfurt/Weimar und Sören Pellmann in Leipzig ein Direktmandat für Die Linke sichern.
Doch nicht nur in ihren Hochburgen, sondern auch in der Fläche konnte Die Linke deutlich hinzugewinnen. Insbesondere in zahlreichen Großstädten gelang es, ihr Ergebnis von 2021 teilweise mehr als zu verdoppeln. In Berlin wurde sie mit 19,9 Prozent der Zweitstimmen sogar zur landesweit stärksten Kraft. Somit werden nun 64 Abgeordnete der Linken in den Bundestag einziehen und dort die linke Opposition gegen die neue Bundesregierung stellen.
Ursachen des Rechtsrucks
Die tiefere Ursache des Rechtsrucks dieser Bundestagswahl liegt in der schweren Krise des deutschen Kapitalismus. Das Land befindet sich im zweiten Jahr in Folge in einer Rezession, die sich aller Voraussicht nach auch 2025 fortsetzen wird. Wie auch in zahlreichen anderen europäischen Ländern – und darüber hinaus – hat der Zustand der Dauerkrise, einhergehend mit wachsender sozialer Unsicherheit und Abstiegsängsten breiter Bevölkerungsteile, zu großer Unzufriedenheit mit dem politischen System und seinen Repräsentanten in Form der etablierten Parteien geführt. Die Hegemonie des liberal-bürgerlichen und sozialdemokratischen Spektrums bröckelt an allen Ecken und Enden. Dass hiervon insbesondere rechte Kräfte bis hin zu Faschisten profitieren, liegt in erster Linie daran, dass nahezu alle Parteien sich an der rassistischen Stimmungsmache gegen Geflüchtete und Migrant:innen beteiligen.
Was wir im Bundestagswahlkampf erleben mussten, war ein fataler Überbietungswettlauf nach rechts, an dem nicht nur AfD und CDU/CSU mitwirkten, sondern auch SPD, Grüne, FDP und BSW. Die Anschläge von Magdeburg, Aschaffenburg und München während der heißen Wahlkampfphase waren ein gefundenes Fressen für die Rechte. Doch schon zuvor überboten sich alle Parteien bis auf Die Linke mit immer radikaleren Forderungen nach Grenzschließungen und Massenabschiebungen. Geflüchtete und Migrant:innen mussten als Sündenböcke für die gescheiterte Politik der Herrschenden und die Auswirkungen von Krisen und sozialen Missständen herhalten, die in Wahrheit Folge der neoliberalen Kahlschlag-Politik der letzten Jahrzehnte sind. Erinnert sei etwa an Friedrich Merz’ Hetze, dass Geflüchtete deutschen Staatsbürger:innen die Plätze in Zahnarztpraxen wegnehmen würden.
Während 2021 die Klimakrise noch eines der großen Themen im Wahlkampf war, fand dieses 2025 nahezu nicht mehr statt. Stattdessen dominierten Debatten über innere Sicherheit und Migrations- und Asylpolitik sowie die Wirtschaftskrise und ihre Folgen die politische Auseinandersetzung. Infolge der rassistischen Stimmungsmache geben mittlerweile 55 Prozent der Wähler:innen an, sich »große Sorgen« zu machen, »dass zu viele Fremde nach Deutschland kommen« – 2021 waren es noch 42 Prozent, 2017 »nur« 38 Prozent. Gleichzeitig hat sich die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands in den letzten Jahren massiv verschlechtert: So gaben 2021 noch 59 Prozent der Befragten an, dass sie diese als »gut« beurteilen, 2025 tun dies nur noch 16 Prozent.
Verantwortlich gemacht für diese Entwicklung wird in der Bevölkerung – wenig verwunderlich – die Ampel-Koalition, die 2021 mit dem Versprechen nach Modernisierung der Wirtschaft, Klimaschutz und sozialem Ausgleich nach einer rasanten Aufholjagd der SPD auf die Union die Bundestagswahl gewann. Mit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise, stark angestiegener Inflation und der darauffolgenden Zinswende der EZB brach der Koalition jedoch die Geschäftsgrundlage weg und die Regierung geriet selbst in die Krise, weil sie ihren Haushalt nicht länger über Staatsanleihen zu Negativzinsen finanzieren konnte. Ende letzten Jahres brach die Koalition schließlich auseinander, nachdem die FDP ausgeschert und Kanzler Scholz infolgedessen die Notbremse gezogen hatte. Doch für eine erneute Trendumkehr war es zu spät. Nur 17 Prozent der Wähler:innen geben an, mit der Arbeit der amtierenden Bundesregierung zufrieden zu sein, 82 Prozent verneinen dies. So war eine Aufholjagd der SPD unter Scholz, trotz weitgehender Unbeliebtheit des Unionskandidaten Merz unmöglich. Zudem war das Versagen der sich progressiv gebenden Ampel-Regierung Wasser auf die Mühlen der AfD, die sich erfolgreich den »woken«, aber zugleich elitären und bellizistischen Kurs insbesondere der Grünen – ganz wie Donald Trump in den USA gegenüber den Demokraten – als geeignete Zielscheibe für ihre reaktionäre Hetze vornahm.
Bundestagswahl 2025: Comeback der Linken
Das BSW, als Abspaltung der Linken, war angetreten, die AfD zurückzudrängen, indem es sich gesellschaftspolitisch konservativ bis rechts positioniert und den »progressiven Neoliberalismus« zum Hauptfeind erklärt, während es sich sozialpolitisch und in der Friedensfrage eher links positionierte, um das klassische Arbeitermilieu anzusprechen. Insbesondere in der Sozial- und Wirtschaftspolitik ist wenig vom linken Anspruch der Partei übrig geblieben. Aber auch die Anbiederung an rechte, rassistische und nationalistische Diskurse war im Kampf gegen die AfD von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Feuer bekämpft man eben mit Wasser und nicht mit Zunder.
Für Die Linke war die Abspaltung des Wagenknecht-Flügels ein längst überfälliger Befreiungsschlag, weil sie der Partei ermöglichte, wieder halbwegs geschlossen aufzutreten, anstatt sich im innerparteilichen Kleinkrieg gegenseitig zu sabotieren. Der Abgang Wagenknechts brachte Die Linke in eine Position, in der sie sich als einzig konsequente Kraft gegen Rassismus und Faschismus profilieren konnte – als einzige Partei, die den allgemeinen politischen Rechtsruck nicht mitmacht, sondern standhaft bleibt – und als einzige wirklich soziale Alternative zum neoliberalen Sparkurs auf Kosten der Mehrheit. Die Eintrittswellen ab Oktober 2023 führten zudem schrittweise zu einer Revitalisierung der Parteistrukturen in der Breite.
Die Linke konnte sich als konsequente Stimme gegen die den Wahlkampf prägende rassistische Hetze der Union und den Aufstieg der neuen Faschist:innen, der Millionen Menschen zurecht Angst macht, präsentieren. Der rassistische Überbietungswettbewerb, an dem sich auch SPD und Grüne beteiligt haben, hat der Linken ein Alleinstellungsmerkmal verliehen. Anders als 2021 waren SPD und Grüne nach dem Scheitern der Ampel nicht in der Lage, eine Rolle im Rennen um die Kanzlerschaft zu spielen und konnten sich somit nicht als Alternative zur Union unter Merz aufbauen. Es gab kein Rennen um die Regierungsführung – Schwarz-Gelb gegen Rot-Grün –, sondern nur um die Frage, wer unter Merz mitregieren darf, wodurch Die Linke, im Gegensatz zu 2021 nicht unter die Räder kam. So gelang es der Linken, ehemalige Wähler:innen von Grünen und SPD für sich zu gewinnen, die von deren Versprechen, ein Korrektiv innerhalb einer Regierung unter Merz darzustellen, offensichtlich wenig begeistert werden konnten. Unter Jungwähler:innen von 18 bis 24 Jahren wurde Die Linke bundesweit mit 25 Prozent der Stimmen zur stärksten Partei – gefolgt von der AfD mit 21 Prozent.
»Niemals allein, immer gemeinsam!«
Es ist jedoch bei weitem nicht so, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einen Automatismus für das Erstarken der Linken bedeutet hätten. Voraussetzung für den Erfolg war, dass Die Linke es über den Verlauf der letzten anderthalb Jahre geschafft hat, sich so aufzustellen, dass sie ihr objektives Potenzial zumindest in Teilen auch heben konnte. Es wurde ein Fundament geschaffen, mit dem der Moment der Spontaneität ab Jahresbeginn 2025 wirksam aufgenommen werden konnte.
Ein Teil dieses Fundaments ist mit Sicherheit eine gewisse Professionalisierung im Parteiapparat hinsichtlich des Kreisverband-Aufbaus, der Kampagnenführung und der Social-Media-Arbeit, die einen regelrechten Hype auslösen und im richtigen Moment verstärken konnte.
Mithilfe eines systematischen Organizing- und Beteiligungsprojekts an der Basis gelang es, viele Tausend Neumitglieder sowie Aktivist:innen, die (noch) nicht in der Linken organisiert sind bzw. waren, direkt in die Wahlkampfaktivitäten einzubinden. Viele Kreisverbände konnten durch die gezielte Aktivierung der Basis wieder zum Leben erweckt werden.
Der Schlüssel zum Erfolg war ein Haustürwahlkampf, in dem Tausende Aktive die Menschen in den Kiezen und Nachbarschaften aufsuchen – nicht um lediglich zur Wahl aufzurufen oder einen Flyer dazulassen, sondern um sie nach ihren Wünschen und Nöten zu befragen und zum gemeinsamen Kampf um politische Veränderung einzuladen. Der Erfolg dieses Herangehens lässt sich an den Wahlergebnissen direkt ablesen. So konnte Die Linke zwar fast überall in der Fläche hinzugewinnen, die stärksten Zuwächse an Wählerstimmen erlebte die Partei jedoch an den Orten, an denen am meisten Aktivität in dieser Hinsicht entfaltet wurde. Den bundesweit stärksten Stimmenzuwachs konnte Die Linke in Berlin-Neukölln erzielen, wo mehr als Tausend Aktivist:innen den größten Haustürwahlkampf in der Geschichte der Bundesrepublik durchführten. Das Ergebnis: 25,3 Prozent der Zweitstimmen, ein Plus von 13,4 Prozent gegenüber 2021, sowie 30,0 Prozent der Erststimmen für Ferat Koçak.
Bundesweit wurde im Rahmen des Wahlkampfs an mehr als 600.000 Wohnungstüren geklopft und vielerorts praktische Hilfs- und Organisierungsangebote wie Nachbarschaftsfeste, die Mietwucher-App und der Heizkostencheck gemacht. Aus den Befragungen der Anwohner:innen wurden Schwerpunktthemen wie der Kampf gegen hohe Mieten abgeleitet, was jedoch nicht bedeutete, dass Die Linke darauf verzichtete, klare Kante bei anderen Themen wie Migration, Asyl und Antirassismus oder in der Außenpolitik, etwa zu Waffenlieferungen in Kriegsgebiete, zu zeigen.
Auch der praktische Kampf gegen Rechts, wie bei Widersetzen zum AfD-Bundesparteitag in Riesa, hat dazu beigetragen, Die Linke als einzig konsequente und glaubwürdige Kraft des Antifaschismus zu etablieren. Gleiches gilt für die Solidarität mit den Streikenden in der aktuellen Tarifrunde des öffentlichen Dienstes. Tatsächlich konnte Die Linke im Rahmen ihrer Erneuerung in den letzten Monaten erste Schritte hin zu einer Neuerfindung als Klassenpartei der arbeitenden Menschen in diesem Land machen – nicht nur im Sinne einer parlamentarischen Repräsentation gewerkschaftlicher Forderungen, sondern einer solidarischen Kraft an der Seite der Beschäftigten und insbesondere des kämpfenden Teils der Klasse.
Große Herausforderungen nach Bundestagswahl
Dennoch: Die Herausforderungen, vor denen Die Linke als Partei sowie die gesamte gesellschaftliche Linke nun stehen, sind enorm und noch steckt die Erneuerung der Partei zur aktivistischen Mitglieder- und Klassenpartei in den Kinderschuhen. Auch der Wahlerfolg und die vielen neuen Parlamentssitze stellen die Partei vor große Herausforderungen. Es müssen Mittel und Wege gefunden werden, die eine Entkopplung der Fraktion von der Partei verhindern. Dazu zählen eine Mandatszeitbegrenzung und Gehaltsdeckelung der Abgeordneten. Es muss aber auch klar sein, dass die Parlamentarier:innen der Partei dienen und nicht andersherum. Zugleich muss die positive Außenwendung der Linken, wie sie im Wahlkampf vorgemacht wurde, verstetigt und weiter ausgebaut werden, um nah an den Menschen und ihren Anliegen zu sein und viele weitere Tausende für die Partei und die Kämpfe gegen Rechts sowie für eine soziale und solidarische Gesellschaft zu gewinnen.
Klar ist auch, es steht für die Unionsparteien nun eine schwierige Regierungsbildung an. Durch den Nichteinzug von FDP und BSW reichen die Parlamentssitze für Union und SPD für eine knappe, aber wackelige Mehrheit, 328 von 316 nötigen Abgeordnetenstimmen. Ob sie für stabilere Mehrheiten auch die Grünen in die Regierung holen, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich ist, dass diese dafür zu haben wären. Doch selbst dann würde es der Regierungskoalition nicht zu einer für Verfassungsänderungen notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit reichen, die etwa für eine Reform der Schuldenbremse nötig wäre.
In jedem Fall können wir damit rechnen, dass uns unter einem Kanzler Merz harte Angriffe auf Soziales und Arbeitnehmerrechte sowie weitere rechte Stimmungsmache gegen Minderheiten bevorstehen. Die Union plant eine »Agenda 2030«, um den deutschen Kapitalismus auf Kosten der arbeitenden Mehrheit aus der Krise zu befreien und die Profite der Reichen und Konzerne zu sanieren. Inwieweit die SPD hier mitzieht, wird auch vom Druck von links abhängen.
Die AfD steht in den Startlöchern und wird alles dafür tun, die neue Regierung von rechts unter Druck zu setzen. Zentral wird daher in jedem Fall der massenhafte Kampf gegen die Gefahr eines neuen Faschismus und das Widersetzen gegen die Nazis um den ungewählten Führer der Partei, Björn Höcke. Dafür braucht es sowohl den antifaschistischen Kampf aller demokratischen Kräfte wie auch eine entschlossene, solidarische Alternative zum Neoliberalismus und seinen Agenten in der neuen Regierung.
Schlagwörter: AfD, Bundestagswahl, DIE LINKE, Rechtsruck