Die Brandmauer ist eingerissen und Friedrich Merz stolpert über den Trümmerhaufen. Von der marx21-Redaktion
Jubelnd und feixend liegen sich die AfD-Abgeordneten in den Armen. Dieses Bild hat am Mittwoch viele Menschen in Deutschland schockiert. Die Unionsparteien haben an diesem Tag mit den Stimmen von AfD und FDP und Dank der Enthaltung des BSW einen Antrag im Bundestag zur weiteren Beschränkung der Einwanderung beschlossen.
Damit haben CDU und CSU ihre bereits löchrige »Brandmauer« gegen den Faschismus vollends eingerissen. Der rassistische und menschenfeindliche Inhalt der Beschlüsse ist dabei nicht einmal mehr der entscheidende Faktor. Die Verschärfung der Repression gegen Migrant:innen ist und war in den vergangenen Jahren die Politik aller Parteien, mit Ausnahme der Linken. Entscheidend ist die Bereitschaft, Politik gemeinsam mit Faschist:innen zu machen und damit deren Normalisierung und Etablierung zu unterstützen.
Bisher hat die Union die Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen. Auch wenn diese Beschlusslage sich zuletzt immer wieder als löchrig erwies, so hielten CDU/CSU dennoch ihre Linie durch, z.B. der AfD den Posten eines Bundestagsvizepräsidenten zu verweigern.
Widerstand zeigt Wirkung
Mit der neuen Interpretation der Brandmauer durch Friedrich Merz kann sich das bald ändern. Mehrheiten mit der AfD seien demnach zwar unerwünscht, dürfen aber trotzdem genutzt werden. Auf dieser Grundlage könnte die Union in zahlreichen Parlamenten von der kommunalen Ebene bis zum Bundestag bestehende Mehrheiten mit der AfD einsetzen. Die gemeinsame Formulierung von Anträgen und Absprachen zur Besetzung von Posten sind dann nur noch eine Frage der Zeit. Die Beteiligung von Faschist:innen an Regierungen rückt näher.
Denn es macht einen gewaltigen Unterschied, ob eine Partei einen Antrag stellt, dem auch die AfD zustimmt oder ob sie einen Antrag stellt, der nur mit Hilfe und Unterstützung der AfD eine Mehrheit erlangen kann. Im ersten Fall sind die Stimmen der AfD »Beifang«, also ungewollt gefangener, minderwertiger Fisch im Netz. Im zweiten Fall sind die AfD-Stimmen der »Hauptfang« – von vornherein gejagte Beute. So waren die AfD-Stimmen bei der Abstimmung im Bundestag über den Antrag zu Antisemitismus an Hochschulen und Schulen am Mittwoch eher peinlicher »Beifang«, den man am liebsten nicht im Netz gehabt hätte. Der »Beifang« blamiert den Fischer, der mit falschem Netz auch falsche Beute fängt. Mit der Bundestagsabstimmung über den 5-Punkteplan von Merz am selben Tag haben CDU/CSU die Brandmauer gegen den Faschismus jedoch bewusst eingerissen.
In der Abstimmung am heutigen Freitag wird es noch deutlicher: Merz will, dass ein Gesetz verabschiedet wird, das nur mit den Stimmen der AfD eine Mehrheit gewinnen kann.
Merz‘ Niederlage ist ein Erfolg der antifaschistischen Bewegung
Die Massen, die in den letzten Tagen gegen Merz und die CDU/CSU auf die Straße gegangen sind und dies in den kommenden Tagen weiter tun werden, sehen ganz richtig die Parallelen zu 1933. Ohne die Duldung und Zusammenarbeit der Konservativen hätten die Nazis damals nicht immer mehr Akzeptanz gefunden und letztlich die Macht ergreifen können.
Aber wie schon zu Beginn des letzten Jahres gab es dieser Tage in sehr kurzer Zeit bundesweit eine entschlossene Reaktion aus der Gesellschaft: In zahlreichen Orten kam es zu großen Protesten und Blockaden vor CDU-Zentralen. Der öffentliche Druck auf die CDU/CSU wuchs enorm. Am späten Freitagnachmittag dann zeigte der Widerstand seine Wirkung: Merz und die CDU/CSU Fraktion verloren nach langer Debatte im Bundestag die entscheidende Abstimmung über ihr rassistisches »Zustrombegrenzungsgesetz« – trotz tatkräftiger Unterstützung der AfD.
Merz in Brünings Fußstapfen
Bislang lehnt die große Mehrheit der Deutschen bis tief ins konservative Lager eine Beteiligung der AfD an Regierungen ab. Nach einer im Januar 2025 durchgeführten Umfrage befanden 66 Prozent der Befragten die damalige Entscheidung der CDU als richtig, die Zusammenarbeit mit der faschistischen AfD grundsätzlich auszuschließen. Unter der befragten Parteianhängerschaft der Christdemokraten befürworteten sogar 72 Prozent der Befragten die sogenannte »Brandmauer gegen Rechts«, die eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließen soll.
Dass Friedrich Merz, dem diese Zahlen durchaus bekannt und bewusst sind, nun trotzdem Mehrheiten mit der AfD sucht, liegt an der Position, in der Merz sich und die CDU/CSU sieht. Die öffentliche Debatte in Folge der Gewalttaten in Magdeburg und Aschaffenburg, der von SPD und Grünen mitgetragene Überbietungswettlauf um die effizienteste Abschiebepolitik und die guten Wahlumfragen der CDU/CSU haben Merz eine Position der Stärke vermittelt. Dies hat ihn dazu gebracht, eine Strategie zu verfolgen, die an den konservativen Zentrumspolitiker Brüning in den 1930er Jahren erinnert, der versuchte Hitler und die NSDAP dadurch zu bekämpfen, dass er die durch die Arbeiter:innenbewegungen erkämpften Rechte und Sozialstandards radikal schliff und gleichzeitig die NSDAP immer wieder zur Zusammenarbeit und zum Eintritt in eine gemeinsame Regierung zu bewegen versuchte.
Denn wie Brüning damals hat auch Friedrich Merz eine klare Antwort auf die wirtschaftliche Krise und Stagnation, in der sich Deutschland befindet. Sie lautet: »Agenda 2030«. Wie schon die »Agenda 2010« unter Schröder bedeutet das: Austeritätspolitik, das Schleifen von Sozialstandards, von Arbeitnehmerrechten und Umweltstandards als Antwort auf die wirtschaftliche Stagnation – kurz gesagt: ein Angriff auf die arbeitende Klasse, auf deren Rücken die Wirtschaft wieder gesunden und die für die Krise zahlen soll. Um diesen Plan durchzusetzen, flankiert Merz ihn mit Rassismus – ganz wie Rechte es schon immer gemacht haben, um von ihrer Politik auf Kosten der großen, arbeitenden Mehrheit abzulenken.
Wer einmal lügt…
Friedrich Merz hatte gehofft, in Reaktion auf den Angriff von Aschaffenburg mit seinem Vorstoß in die Offensive zu kommen, ist damit aber gescheitert. Er hat zwar die ganze Woche immer wieder betont, es gäbe keine Zusammenarbeit mit der AfD und dies sei nur eine gemeinsame Abstimmung über etwas, das in der Sache richtig wäre. Es werde aber auch in Zukunft unter einem Kanzler Merz keine Zusammenarbeit mit der AfD geben.
Die arbeitenden Menschen in Deutschland sollten sich bei diesen Worten an das alte Sprichwort erinnern: »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, […].« Denn was sollte Merz nach der Wahl davon abhalten, wenn es um die Durchsetzung seiner »Agenda 2030« geht, nicht auch mit der AfD gemeinsame Sache zu machen und gemeinsam mit der AfD Sozialstandards und Arbeitsrechte zugunsten der Konzerne zu schleifen und so seinen Angriff auf die Arbeiter:innenklasse zu fahren. Die Antwort lautet: Nichts!
Und genau das ist der Punkt: Unsere Aufgabe als Sozialist:innen ist es, den Zusammenhang von Form und Inhalt, vom Bruch der Brandmauer und von der de facto Abschaffung des Asylrechts durch Merz’ Vorstoß aufzuzeigen. Gleiches gilt für die Tatsache, dass die Union nie auf die Idee gekommen wäre, diesen Schritt zu wagen, wenn SPD und Grüne nicht im Überbietungswettlauf um die effizienteste Abschiebepolitik mitgemacht hätten.
Dass Merz mit seinem Plan gescheitert ist und das Gesetzesvorhaben trotz AfD-Stimmen abgelehnt wurde, zeigt: Der Druck der Straße wirkt! Merz‘ Niederlage ist ein Erfolg der antifaschistischen Bewegung. Doch klar ist auch, dass der Druck nun weiter aufrechterhalten und sogar noch erhöht werden muss, denn für die AfD war das Schauspiel der letzten Tage ein Geschenk. Sollte die Union nun aufgrund einer internen Krise in den Umfragen zurückfallen und die AfD weiter hinzugewinnen, droht gar ein Kopf-an-Kopf-Rennen, wer am 23. Februar als stärkste Partei aus der Bundestagswahl hervorgeht.
Wir stehen erst am Anfang einer politischen Entwicklung, die noch viele Schockmomente mit sich bringen wird. Das hoffnungsvolle Signal, das von diesen Tagen ausgeht, ist jedoch: Viele Tausende im Land sind wachsam und bereit, gegen den Faschismus und für die Demokratie zu kämpfen. Darauf gilt es jetzt aufzubauen.
Foto: © Olaf Kosinsky Olaf Kosinsky creator QS:P170,Q30108329, 20200226 Friedrich Merz Politischer Aschermittwoch CDU Thüringen Apolda by OlafKosinsky 0894, CC BY-SA 3.0 DE
Schlagwörter: AfD, CDU, Merz