Vor 90 Jahren wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Doch schon vor der Machtergreifung 1933 strebte Hitler für die NSDAP Regierungsbeteiligungen auf Länderebene an. Die Konservativen wollten die Nazis über die Beteiligung als »Juniorpartner« zähmen. Doch das Gegenteil war der Fall. Yaak Pabst über die Motive der Nazis, ihre Strategie an der Regierung und die Lehren für den Kampf gegen rechts heute
1923 hatte Adolf Hitler versucht, mit dem »Marsch auf Berlin«, der an der Münchner Feldherrnhalle kläglich endete, Mussolinis »Marsch auf Rom« nachzuahmen. Der italienische Faschist Benito Mussolini hatte zwei Jahre eines blutigen Vernichtungsfeldzugs mit bewaffneten faschistischen Banden gegen die norditalienische Arbeiterbewegung hinter sich. Damit hatte sich Mussolini die Unterstützung der Bourgeoisie und der Armee für eine Machtübergabe an ihn erworben. Daher sein Erfolg beim »Marsch auf Rom«. Nichts dergleichen hatte Hitler 1923 vorzuweisen. Daher sein Misserfolg (Lies hier den marx21-Artikel: »Die Gegenwart des Faschismus«).
Adolf Hitler und die neue Strategie der Nazis
Daraufhin änderten die Nazis ihre Strategie: Ausnutzung von Parlamenten und Regierungen für den Aufbau einer Massenbewegung, mit einem bewaffnetem Arm nach Mussolinis Vorbild.
Als die Nazis im Gefolge der Weltwirtschaftskrise Wahlerfolge erlebten, traten sie als Juniorpartner in Landesregierungen ein, zuerst in Thüringen und Braunschweig 1930, ab 1932 folgten weitere Regierungsbeteiligungen (in Anhalt, Oldenburg, Mecklenburg-Schwerin und Thüringen), bei denen die NSDAP sogar den Ministerpräsidenten stellte. Für die Motive der Nazis und ihre Strategie bei diesen Regierungsbeteiligungen gibt es zwei beredte Zeugnisse.
Einmal die Erinnerungen des Nazi-Pressechefs Otto Dietrich und zum anderen einen ausführlichen Brief Hitlers an einen US-amerikanischen Gönner anlässlich des Regierungseintritts 1930 in Thüringen. In seinem Buch: »Mit Hitler in die Macht. Persönliche Erlebnisse mit meinem Führer« von 1934 schreibt NSDAP-Mitglied Otto Dietrich: »Mit der Eroberung Coburgs Ende 1929 hatte der Führer planmäßig eine Demonstrations- und Einkreisungspolitik eingeleitet, die darauf abgestellt war, von der Seite der Kommunen und Länder her vorzudringen und sich dort eine Machtposition nach der anderen zu schaffen, solange das Reich selbst für die NSDAP noch nicht sturmreif war; es folgten im Jahre 1930 Thüringen und Braunschweig (…) .« Dietrich nennt hier auch die Rolle als Juniorpartner in einer Landesregierung eine »Machtposition«. Warum?
Die Taktik von Hitler
Zunächst einmal war Hitler überzeugt, dass seine Partei in rechte Koalitionen eintreten musste, wann immer ohne die Nazis keine rechte Regierung gebildet werden konnte. In dem oben erwähnten Brief schreibt Hitler am 2. Februar 1930: »Hätte ich ‚Nein‘ gesagt und wäre es darüber zu einer Neuauflösung des (thüringischen, Redaktion) Landtages gekommen, würden manche Wähler vielleicht den Entschluss, uns das Vertrauen zu schenken, wieder bedauert haben.«
Der Historiker Fritz Dickmann schreibt in seinem Text »Die Regierungsbildung in Thüringen als Modell der Machtergreifung« aus dem Jahre 1966 über Hitlers Taktik: »Auch ist für seine Taktik bezeichnend, wie er ständig die Rückwirkung der Regierungsverhandlungen auf die Stimmung draußen im Lande und die Chancen einer Neuwahl im Auge behielt. (…) Ein prinzipielles Nein zur Beteiligung an einer bürgerlichen Regierung hätte den Nationalsozialisten den Ruf der Unfähigkeit, Verantwortungsscheu und Tatenlosigkeit eingetragen, wenn aber ihre Beteiligung an einem Nein der bürgerlichen Parteien scheiterte, so war damit eine Wahlparole gewonnen, die man sich nicht besser wünschen konnte. Der Wahlkampf konnte dann in schroffer Frontstellung gegen diejenigen geführt werden, deren Wähler man für sich zu gewinnen hoffte, und mit der einleuchtenden Zielsetzung, dass die NSDAP gestärkt werden müsse, um den Widerstand gegen ihre Regierungsbeteiligung zu brechen. Genauso hat Hitler alle seine Wahlkämpfe bis 1933 geführt: Nicht für sachliche Forderungen, sondern stets mit dem Blick auf die nächste Wahlschlacht, deren Chancen im voraus abwägend und den gegenwärtigen Wahlerfolg nur als Voraussetzung weiterer, noch größerer Siege wertend.«
Hitler und die Koalitionsverhandlungen in Thüringen
Die Nazis traten in Koalitionsregierungen ein, nicht, um mit dem Koalitionspartner zusammenzuarbeiten, sondern um ihn politisch zu schwächen. Hitler war klar, dass sein Erfolg davon abhängt, den anderen reaktionären Parteien die Wähler wegzunehmen, weil die Arbeiterbewegung damals einen relativ fest gefügten ideologischen Block bildete, in den die Nazis nicht einzudringen vermochten.
Diesem Ziel diente der Eintritt in Regierungen und das diese Regierungsbeteiligungen begleitende politische Auftreten. Hitler maß den Koalitionsverhandlungen in Thüringen so große Bedeutung bei, dass er sie selbst leitete. Seinem Gönner in den USA schrieb er: »Ich glaube man erwartete (besonders auf Seite der deutschen Volkspartei!), dass ich irgendeinen national schimmernden Regierungsbeamten zur Verfügung stellen würde, mit dem man dann schnell fertig geworden wäre. Man mußte deshalb dieses Mal gleich von Anfang an den Herren Parteipolitikern zeigen, daß jeder Versuch der Übertölpelung der nationalsozialistischen Bewegung lächerlich ist.« Stattdessen präsentierte Hitler als Kandidaten seinen langjährigen Kampfgefährten Wilhelm Frick, nach Hitlers Worten »ein durchgekochter Nationalsozialist von ebenso großer Fachkenntnis wie bedingungsloser nationalsozialistischer Gesinnung.«
Die Provokation bestand darin, Frick vorzuschlagen, der wegen seiner Teilnahme am Münchner Putschversuch als Hochverräter verurteilt worden war. Während der Koalitionsverhandlungen erhöhte Hitler den Druck auf die ins Auge gefassten Koalitionspartner, indem er vor deren Klientel sprach. In dem Brief vom 2. Februar 1930 heißt es weiter: »In einer Industriellenversammlung, die ich am selben Tag hielt und zu der alles, was in der mitteldeutschen Wirtschaft überhaupt eine Rolle spielte, nach Weimar gekommen war, vertrat ich unsere nationalsozialistischen Gedanken und Prinzipien mit dem Erfolge, daß auf einmal gerade von dieser Seite ein sehr scharfer Druck auf die deutsche Volkspartei ausgeübt wurde mit dem Gesamtergebnis, daß wir am Montag abend die prompte Einwilligung zu unserem Kandidaten und zu den beiden Ministerien erhielten.« Ein Vorspiel zu Hitlers Tour durch die Industrieclubs in Deutschland am Vorabend der Machtergreifung.
Klartext: Hitler spricht vor Industriellen
Über diesen Vortrag Hitlers am Sonnabend, den 11. Januar 1930 in Weimar, zu dem die nationalsozialistische Fraktion des Thüringer Landtages »im Einvernehmen mit führenden Persönlichkeiten der thüringischen Wirtschafts- und Industrieverbände und auf deren Anregung« eingeladen hatte, berichtete die von Hitler herausgegebene Zeitung Völkischer Beobachter am 17. Januar 1930. Hitler sprach nach dieser Meldung vor mehr als 200 »maßgeblichen Persönlichkeiten der Politik und Verwaltung, des Handels, der Wirtschaft und Industrie sowie der Kunst und Wissenschaft aus ganz Thüringen« über das Thema »Politik und Wirtschaft«.
Hitler wollte Demokratie und Marxismus vernichten
Die Zeitung gibt wörtlich die Schlusssätze von Hitlers Rede wieder, die mit folgender massiver Drohung endet: »Wenn wir uns jetzt in Thüringen zur Mitwirkung an der Regierung entschlossen haben, dann bedeutet das keinen Verzicht auf unser Programm, sondern unseren eisernen Willen, in diesem schönen Lande unsere Grundgedanken einzuführen, und wir werden dabei keinen Zentimeter von unserem Glaubensbekenntnis abgehen. Unser Kampf gilt unserem Volke und Vaterlande, und wer unseres Volkes Feind ist, der sieht logischerweise in uns seinen Todfeind. Versöhnung gibt es für uns nicht! Es gibt nur eins: Rettung unseres Volkes, und wenn es sein muss, durch Erledigung unserer Gegner!«
Welche Ämter wollte sich die NSDAP als Juniorpartner sichern?
Welche Ämter wollte sich die NSDAP als Juniorpartner sichern? Den Nazis ging es vor allem um das Innenministerium und das Bildungsministerium. Hitler erläuterte: »Von dem Moment an, an dem unser prinzipielles Einverständnis vorlag, wäre jede Neuwahl zu Ungunsten der anderen Parteien ausgegangen. Nachdem auf solche Art unsere prinzipielle Bereitschaft zur Beteiligung an der Regierung abgegeben und angenommen worden war, stellte ich zwei Forderungen: Innenministerium und Volksbildungsministerium. Es sind dies in meinen Augen die beiden in den Ländern für uns wichtigsten Ämter. Dem Innenministerium untersteht die gesamte Verwaltung, das Personalreferat, also Ein- und Absetzung aller Beamten, sowie die Polizei. Dem Volksbildungsministerium untersteht das gesamte Schulwesen, angefangen von der Volksschule bis zur Universität in Jena sowie das gesamte Theaterwesen. Wer diese beiden Ministerien besitzt, und rücksichtslos und beharrlich seine Macht in ihnen ausnützt, kann Außerordentliches wirken.«
Und in der Tat nutzten die Nazis die kurze Zeit in der Regierung voll aus. Sozialdemokratische Beamte, vor allem bei der Polizei, wurden entlassen, statt ihrer Nazis eingestellt. Entlassen wurden auch kommunistische Lehrer und Bürgermeister. Frick führte das obligatorische Schulgebet wieder ein. Auch Hitlers großer Wunsch ging in Erfüllung, die Schaffung eines Lehrstuhls für den »Rassekundler« Hans Günther an der Universität Jena. Nicht anders in Braunschweig. Hier wurde der Nazi Anton Franzen Minister für Inneres, Kultur und Volksbildung. Sozialdemokratische Kreisdirektoren, Polizisten, Professoren, Schulräte und Lehrer wurden entlassen. Letzteres löste einen Schulstreik aus, den Franzen als Vorwand benutzte, die sozialdemokratische Tageszeitung Braunschweiger Volksfreund zu verbieten.
Vom Juniorpartner zum Ministerpräsidenten in Thüringen
Die thüringische Koalition hielt unter dem Druck der Taktik Hitlers nicht lange. Die Attacken der Nazis auf die Deutsche Volkspartei waren so heftig, dass diese die Koalition nach 15 Monaten platzen ließ, indem sie einem Misstrauensantrag von SPD und KPD zustimmte. Die rechte Minderheitsregierung ohne Nazis wurde eine Zeit lang von der SPD toleriert. Die folgenden Landtagswahlen am 31. Juli 1932 brachten der NSDAP statt 11,3 nun 42,5 Prozent ein. In der Folge konnte die NSDAP den Ministerpräsidenten in Thüringen stellen. Hitlers Taktik war aufgegangen.
Regierungsbeteiligung und Straßenterror
Die Regierungsbeteiligungen der Nazis auf Länderebene hielten sie nicht davon ab, die außerparlamentarischen Mobilisierungen weiter zu forcieren und sich mit der SA und der SS einen Machtapparat zu schaffen, der ihr Programm mit physischer Gewalt durchsetzen konnte. Im Gegenteil: Hitler nutzte den Landgewinn durch die Regierungsbeteiligung für eine einmalige Machtdemonstration, die deutlich machen sollte, was er in seinen Reden zuvor tausendfach verkündete hatte: Die NSDAP macht keinerlei Kompromisse und ist in der Lage, den Krieg gegen »Demokratie« und »Marxismus« bis zum Ende zu führen.
Hitler nutzte das Parlament für den SA-Aufbau
Ein Jahr nach dem Einstieg als Juniorpartner in die Regierung in Braunschweig organisierte die NSDAP dort am 17. und 18. Oktober 1931 den größten Aufmarsch der Nazis vor der Machtergreifung 1933. Die NSDAP hatte im Freistaat Braunschweig zuvor bei der Landtagswahl im September 1930 22,2 Prozent der Stimmen erhalten. Da keine Partei eine Alleinregierung stellen konnte, kam es zur Koalition zwischen Bürgerlicher Einheitsliste (BEL) und NSDAP, in welcher letztere das Innenministerium erhielt. Braunschweig wurde damit nach Thüringen das zweite Land mit einem nationalsozialistischen Minister.
Die Nazis besaßen mit Minister Anton Franzen und seit dem 15. September 1931 mit dessen Amtsnachfolger Dietrich Klagges die Kontrolle über Polizei und Schulwesen. Nach dem Ausschluss des thüringischen NSDAP-Staatsministers für Inneres und Volksbildung, Wilhelm Frick, aus der dortigen Landesregierung am 1. April 1931 bestand in Deutschland zu diesem Zeitpunkt einzig im Land Braunschweig die Möglichkeit, nationalsozialistische Aufmärsche genehmigen zu lassen und mit Polizeigewalt gegen mögliche Störungen vorzugehen. Dies nutzte Hitler, um mit dem SA-Aufmarsch, welcher der größte Aufmarsch eines paramilitärischen Verbandes während der Weimarer Republik war, auch im Lager der »nationalen Opposition« den Führungsanspruch von ihm und der NSDAP durchzusetzen.
Hitler und die Nazis werden zum »respektablen Verhandlungspartner«
Dass die Nazis Teil von Landesregierungen und damit »respektabler Verhandlungspartner« wurden, ist auch der Strategie der damaligen Konservativen, insbesondere des damaligen Reichskanzlers Heinrich Brüning (Zentrum) und des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (Parteilos) geschuldet. Brüning war nach dem Scheitern der Regierung Müller (SPD) vom Reichspräsidenten Hindenburg eingesetzt worden, um die Politik der Einschnitte ins soziale Netz fortzusetzen und die außenpolitischen Ziele der Militärs zu verfolgen.
Aus Sicht der Bourgeoisie mussten »Demokratie« und »Marxismus« als Hindernis für die Vorbereitungen des kommenden Kriegs abgeschafft werden, den sowohl die Reichswehrführung als auch wachsende Teile des deutschen Kapitals als unvermeidbar betrachteten, um die infolge der Wirtschaftskrise eingebrochenen Profite zu sanieren. Um dies durchzusetzen, strebten alle Parteien der Rechten in der Endphase der Weimarer Republik eine gegen die Arbeiterbewegung gerichtete Diktatur in Deutschland an. Doch eine Militärdiktatur ohne die Unterstützung der Nazis war zu diesem Zeitpunkt nicht denkbar.
Hitler und die NSDAP an die Kette legen?
Deswegen sollten die Nazis eingebunden und an die Kette gelegt werden. Hierzu wollten sich Teile der Konservativen, insbesondere Reichskanzler Brüning, auf die Nazis als Juniorpartner stützen. Dies war auch angesichts derer Wahlerfolge unvermeidlich. Hatten die Nazis noch bei den Reichstagswahlen 1928 nur 2,6 Prozent der Stimmen gewonnen, so waren es bei den Neuwahlen nach dem Sturz der Regierung Müller im September 1930 – nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise – bereits 18,3 Prozent und im Juli 1932 – auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise – 37,4 Prozent. Diese Wahlerfolge verdankten sich hauptsächlich einer Verschiebung im konservativen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Lager zugunsten der Nazis und nicht einem Einbruch ins proletarische Wählermilieu. Die Arbeiterparteien SPD und KPD kamen bei allen Reichstagswahlen ab 1928 bis zur Machtergreifung der Nazis auf zwischen 36,6 und 40,2 Prozent der Stimmen. In diesem Lager gab es allerdings eine Verschiebung zugunsten der KPD (Lies hier den marx21-Artikel: »Arbeiterbewegung gegen Nazis: Gespalten in den Untergang«).
Zunächst war Brüning daran interessiert, die Nazis gegen den Versailler Vertrag agitatorisch erstarken zu lassen, um seine internationale Verhandlungsposition in dieser Frage zu stärken. Seine Regierung sorgte in der Folge dafür, dass Nazis – im Gegensatz zu Kommunisten – Beamte und Soldaten werden konnten. Das war nicht einfach, weil zeitgleich der von Werner Best – Amtsrichter und späterer Organisator des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) – entworfene Aufstandsplan der Nazis aufgeflogen war. Um dieses Hindernis auszuräumen, wurde die staatsanwaltliche Untersuchung eingestellt. Zuvor schon hatte man Hitler in einem Hochverratsprozess gegen einen Reichswehroffizier Gelegenheit gegeben, unter Eid seine rein legalistischen Absichten zu bekunden. Damit war der Weg für die Nazis in den staatlichen Gewaltapparat frei, es fehlten auf diesem Weg nur noch Leute, die die Nazis auch hereinriefen. Und diese Leute wurden durch die Beteiligung von Nazis an Landesregierungen installiert.
Die alten Eliten ausgekontert
Der Historiker Gotthard Jasper schreibt in seinem Buch »Die gescheiterte Zähmung. Wege zur Machtergreifung Hitlers 1930-1934«, dass Brüning »die NSDAP in den Ländern koalitionsfähig … machen und sie auf diese Weise für den beabsichtigten Rechtsschwenk der Regierung auf Reichsebene im Spiel … halten [wollte]«. Die Absicht war, den Nazis in den Ländern viel, in der Reichsregierung einiges, jedoch Hitler gar nichts zu bieten. So sollten, nach Brünings Kalkül, die Nazis einerseits durch Staatskarrieren gezähmt werden. Um sie andererseits als Kettenhund gegen die Arbeiterbewegung einsetzen zu können, musste ihrem bewaffneten Arm, der eine halbe Million Mann starken SA, Bewegungsfreiheit eingeräumt werden.
Das aber erwies sich als schwierig. Denn der preußische sozialdemokratische Innenminister Severing hatte bei Hausdurchsuchungen von Nazis erneut geheime Aufstandspläne der SA für den Fall von Hitlers Wahlsieg gefunden. Reichsinnenminister General Groener geriet unter den Druck der Länder und musste gegen seinen Willen die SA verbieten. Was die SA anging, hatte er eigentlich einen eigenen Zähmungsplan: Sie sollte als Miliz der Führung der einhunderttausend Mann starken Reichswehr unterstellt werden. Es zeigte sich, dass die Reichswehroffiziere im Land nicht gewillt waren, das Verbot der SA durchzusetzen. An diesem Problem scheiterte die Regierung Brüning. Die folgende Regierung Papen hob das SA-Verbot auf. Der neue Innenminister sagte in einer Kabinettssitzung offenherzig, worum es ging: »Die junge, immer weitere Kreise erfassende Bewegung Adolf Hitlers mußte, um die in ihr lebendigen nationalen Kräfte dem Wiederaufbau des Volkes nutzbar zu machen, von den ihr unter Brüning und Severing angelegten Fesseln befreit und zum erfolgreichen Kampf gegen den internationalen Kommunismus gestützt werden.«
Der Versuch, die NSDAP zu zähmen, scheiterte
Der seit längerem bereits verbotene kommunistische Rote Frontkämpferbund blieb verboten. Straße frei für die SA! In sechs Wochen nach der Wiederzulassung der SA wurden allein in Preußen im Wahlkampf 99 Tote und 1125 Verletzte in Straßenkämpfen gezählt. Dass die preußische Landespolizei der SA nicht Herr wurde, wurde wiederum von der Papen-Regierung zum Anlass genommen, das sozialdemokratisch regierte Preußen unter Kriegsrecht und dann unter Reichsaufsicht zu stellen. Im Juli 1932 trat ein Reichskommissar an die Stelle des Ministerpräsidenten. Der Staatsstreich, der über die Machtergreifung und den Reichstagsbrand zum Ermächtigungsgesetz, zur NS-Diktatur, zum Zweiten Weltkrieg und zum Holocaust führte, war bereits im Gang.
Brüning hatte, indem er die Hindernisse für eine Regierungsbeteiligung der Nazis in den Ländern aus dem Weg räumte und die konservativen Parteien bei solchen Bündnissen unterstützte, den Nazis die Falle der parlamentarischen Routine und der Staatskarriere stellen wollen. Diese Strategie der »Zähmung« scheiterte katastrophal. Die Taktik der Nazis in den Jahren 1930 bis 1933 war es, mit den national-konservativen Parteien nur so weit zusammenzuarbeiten, um deren Unzulänglichkeit herauszustellen. Mit Erfolg: Mit Ausnahme des katholischen Zentrums kannibalisierten die Nazis alle anderen konservativen Parteien.
Auch heute stellt sich für die radikale Rechte in Deutschland die Frage der Regierungsbeteiligung. Bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland 2019 ist die AfD zur zweitstärksten Partei aufgestiegen. Wenn CDU/CSU ohne die AfD keine rechte Regierung zustande bringen können, wird auf die AfD großer Druck ausgeübt werden – von innen und von außen – eine solche Koalition zu bilden. CDU/CSU werden sich wohl einbilden, die Nazis in der Regierung zähmen zu können. Die Erfahrungen von 1930 bis 1933 zeigen, dass dies ein fataler Irrtum sein kann.
Dieser Artikel erschien zuerst im marx21-Magazin Ausgabe 57 im Mai 2019 .
Zum Text: Vielen Dank an Horst Haenisch für die Überlassung seinens unveröffentlichten Manuskripts »Die alten Eliten ausgekontert – Hitlers Weg zur Macht«, welches die Grundlage für den Artikel lieferte.
Foto: Wikimedia / Bundesarchiv, Bild 102-13378 / CC-BY-SA
Schlagwörter: Faschismus, NSDAP