Nach Hanau: Auf die Straße gegen Rassismus und rechten Terror!

Nach dem rassistischen Terroranschlag in Hanau steht das Land unter Schock. Die Tat zeigt wieder einmal, was Teile der Bundesregierung, Gerichte und Polizei seit Jahren ignorieren: Rechter Terror ist in Deutschland alltäglich. Doch es ist nicht nur die Hetze von AfD und Co., die zu solchen Taten führt. Von der marx21-Redaktion

In Hanau hat ein Mann am späten Mittwochabend neun Menschen in einer Shisha-Bar und einem Kiosk ermordet. Wenig später fand die Polizei in einer Wohnung zwei weitere Tote: den mutmaßlichen Täter, der ein rassistisches Bekennerschreiben hinterließ, sowie dessen Mutter. 

Den Ermittlern zufolge war der Täter der Polizei bislang nicht bekannt. Zudem lägen »keine Hinweise auf weitere Täter vor«. Handelt es sich also um die Gewalttat eines geistig-verwirrten Einzeltäters?

Hanau: Terrorwelle in Deutschland

Nein. Selbst wenn der Täter von Hanau alleine gehandelt haben sollte, war dies nicht einfach die Tat eines einzelnen Wahnsinnigen. Sie ist eingebettet in gesellschaftliche Verhältnisse, in denen sich Nazis und Faschisten berufen fühlen, den »Umsturz« zu provozieren, den ein Björn Höcke auf der Bühne predigt.

In den letzten Monaten verging kaum eine Woche ohne neue Enthüllungen über rechtsterroristische Netzwerke, die sich regional und teilweise auch bundesweit organisieren, Waffen horten und Anschläge planen. Erst vergangenen Freitag nahmen Polizisten zwölf Angehörige einer mutmaßlichen rechten Terrorzelle fest, darunter auch ein Polizeibeamter. Geplant waren offenbar groß angelegte Angriffe auf Moscheen.

Rechter Terror ist in der Bundesrepublik kein neues Phänomen: Seit den 1970er Jahren töteten rechte Terroristen in Deutschland mindestens 229 Menschen. Zudem verübten sie 123 Sprengstoffanschläge, 2173 Brandanschläge, zwölf Entführungen und 174 bewaffnete Überfälle. Hierbei handelt es sich um Mindestangaben, bei denen nur nachgewiesene Vorfälle berücksichtigt wurden – die Spitze des Eisbergs.

AfD: Politischer Arm des rechten Terrors

Die Häufung rechter Anschläge, Gewalttaten und Morde in der jüngsten Zeit, ist klarer Ausdruck davon, dass wir aktuell eine neue Qualität rechtsterroristischer Bedrohung erleben. Das ist kein Zufall: Mit dem Aufstieg der AfD hat sich erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine zumindest in Teilen neofaschistische Kraft zur festen Größe in der deutschen Politik etablieren können. 

Der SPD-Politiker und Staatsminister im Auswärtigen Amt Michael Roth bezeichnet die AfD zurecht als »politsichen Arm des Rechtsterrorismus«. Er schrieb am Donnerstag auf Twitter: »Das Milieu von Taten wie in Hanau wird ideologisch genährt von Faschisten wie Höcke«. Und weiter: »Demokratieverachtung, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus & Islamfeindlichkeit fallen auf fruchtbaren Boden.« 

Diese Aussage ist nicht weit hergeholt. Führende Politikerinnen und Politiker der AfD haben durch ihre rassistischen Hetze den Hass weiter angestachelt. Noch am Wahlabend, dem Einzug der AfD in den Bundestag, tönte Alexander Gauland: »Wir werden sie jagen«. AfD-Chef Jörg Meuthen meinte: »Bescheidenheit bei der Entsorgung von Personen ist unangebracht«. Noch deutlicher wurde Andreas Geithe von der Berliner AfD: »Wir sollten eine SA gründen und aufräumen!«. Passend dazu verschickte der Chef der AfD-Fraktion in Pankow, Stephan Wirtensohnm, ein Bild von sich mit einem Maschinengewehr, betitelt mit »Antifaneutralisierer«. Mittlerweile sind unzählige ähnliche Aussagen von führenden AfD-Politikerinnen und -Politikern dokumentiert. 

Antimuslimischer Rassismus

Die Debatte um den Charakter der AfD ist wichtig. Gleichzeitig ist die AfD nicht die einzige Kraft, die den Rassismus anheizt. In den letzten Jahren haben sich Politikerinnen und Politiker aller etablierten Parteien, ebenso wie ein Großteil der Medien, an dem Aufbau rassistischer Feindbilder beteiligt. Im Zentrum stehen dabei die gezielten Angriffe auf den »Islam«, indem die Religion mit negativen Schlagworten wie Terrorismus, Frauenunterdrückung, Homophobie oder Antisemitismus in Zusammenhang gebracht wird.

Bereits 2007 kommt eine Studie der Medienwissenschaftler Kai Hafez und Carola Richter über »Das Islambild von ARD und ZDF« zum Schluss, dass von 133 Sendungen der öffentlich-rechtlichen Sender in 81 Prozent der Fälle der Islam in Zusammenhang mit negativ aufgeladenen Themen repräsentiert wurde. Eine Studie des Schweizer Auswertungsdienst Media Tenor kommt 2014 zu dem Schluss, dass das Bild des Islam in den Medien auf einem neuen Tiefpunkt angelangt sei. Die Studie wertete 2,6 Millionen TV-Sendungen in Deutschland, Großbritannien und den USA aus. Deutsche Medien berichten der Studie zufolge besonders negativ. 

Hanau und der Rassismus der »Mitte«

Die rechte Szene in Deutschland kann auf den Rassismus der bürgerlichen »Mitte« aufbauen, diesen radikalisieren und so den gesellschaftlichen Diskurs immer weiter nach rechts ziehen. Ermutigt durch ihre Hetze fühlen sich Nazis und Rassisten im ganzen Land berufen, den Worten Taten folgen zu lassen.

Dass sich der Täter von Hanau Shisha-Bars als Angriffsziel aussuchte, ist ebenfalls kein Zufall. Die Kriminalisierung und Diffamierung von Shisha-Bars als Brutstätte von »Clan-Kriminalität« ist Teil der rassistischen Hetze, mit der Muslime und Menschen mit Migrationshintergrund seit Monaten verstärkt angegriffen werden. 

Nicht nur AfDler, sondern auch Politikerinnen und Politiker von Union und SPD beteiligten sich immer wieder am Verbreiten rassistischer Vorurteile und überzogen Shisha-Bars mit Razzien unter dem Vorwand der Bekämpfung organisierter Kriminalität. Auch sie haben damit die Stimmung bereitet für den rechtsradikalen Terror von Hanau. 

Wie weit der Rassismus in der Debatte um Shisha-Bars geht, zeigte sich auch an der Reaktion auf den Terroranschlag in Hanau: Zahlreiche Medien berichteten von einer »Schießerei« und suggerierten oder mutmaßten sogar offen, dass es sich um eine Auseinandersetzung zwischen »Clans« oder kriminellen Banden handele.

Der Staat ist keine Hilfe…

Um den rechten Terror zu stoppen, fordern jetzt Medienvertreter, Politikerinnen und Politiker, dass Justiz und Polizei härter durchgreifen. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir twitterte unmittelbar nach der Bluttat von Hanau: »Es reicht! Wir haben in Deutschland ein massives Problem mit rechtem Terror & müssen endlich anfangen, rechten Sumpf mit aller Härte des Rechtsstaates ein für alle Mal trockenzulegen, und zwar on- wie offline.«

Diese Linie ist nicht neu. Nach Bekanntwerden rechtsterroristischer Strukturen im Jahr 2016 hatte der damalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) bereits eine »starke Hand« des Staates angekündigt und eine »Verhaftungswelle« angeordnet. Er versprach: »Etwaiger entstehender Rechtsterrorismus wird von den Sicherheitsbehörden im Keim erstickt.« Vier Jahre später können Rechtsterroristen immer noch ihr Unwesen treiben.

…sondern Teil des Problems

Die Rufe nach dem »starken« Staat im Kampf gegen rechts sind falsch. Der Staatsapparat ist ungeeignet, Rassismus und Naziterror zu bekämpfen. Denn: Er ist Teil des Problems. Spätestens seit den NSU-Morden ist bekannt, dass der Staat nicht nur auf dem rechten Auge blind ist, sondern, dass staatliche Organe, wie der Inlandsgeheimdienst »Verfassungsschutz« die rechten Strukturen auch aktiv unterstützen. Zahlreiche Skandale der letzten Jahre zeigen mehr als deutlich, wie sehr Polizei, Armee, Geheimdienste und Judikative von rechtsradikalen Strukturen und Neonazis durchsetzt sind.

Zudem wurde in den letzten Jahren mehr als deutlich, dass die staatlichen Behörden strukturelle Probleme haben, rechten Terror überhaupt als Gefahr wahrzunehmen. Es ist kein Zufall, dass staatliche Stellen nur 75 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990 zählen, antifaschistische Initiativen dagegen von mehr als 200 ausgehen. 

Gleichzeitig sind teilweise ranghohe Beamte des »Sicherheitsapparats« selbst in rechtsterroristische Netzwerke verstrickt oder verharmlosen diese. Die Äußerungen des ehemaligen Geheimdienst-Chefs Maßen zeigen, welches Personal in den staatlichen Stellen teilweise den Ton angibt. 

Verbote bieten keine Lösungen

Auch das Gerichtsurteil im NSU-Prozess zeigt, dass die Justiz nicht gewillt ist, gegen den Rechtsterrorismus »wirksam durchzugreifen«. So wurde ein Teil der Komplizen von Beate Zschäpe 18 Jahre nach begangener Tat nach Jugendstrafrecht verurteilt. Für die Unterstützung beim Morden gab es drei Jahre Haft. Zum Vergleich: Ein Flaschenwurf bei den G20-Protesten in Hamburg wurde mit dreieinhalb Jahren Haft geahndet. André E., ein bekennender Nazi, dessen Körper mit antisemitischen und rassistischen Tätowierung übersät ist, wurde unter johlendem Applaus seiner Gesinnungsgenossen im Gericht freigesprochen. Wenn am Ende eines Prozesses gegen Rechtsterroristen die Nazis auf der Zuschauerbühne jubeln, während Angehörige der Opfer schockiert in Tränen ausbrechen, ist dem Kampf gegen rechts ein Bärendienst erwiesen worden.

Ebenso verhält es sich mit der Forderungen nach Auflösungen oder Verboten von neofaschistischen Vereinen oder Parteien. Die bisherigen Erfahrungen mit Verboten zeigen vielmehr: Politische Überzeugungen lassen sich nicht verbieten. Schon in der Weimarer Republik wurde versucht, durch ein Verbot der NSDAP die entstehende nationalsozialistische Bewegung zu schwächen. Damals wurde das gesamte Parteivermögen konfisziert, die Geschäftsstelle der NSDAP in München geschlossen und sogar die Parteizeitung »Völkischer Beobachter« verboten. Gestoppt hat es den Aufstieg der Nazis nicht. Die Mitglieder organisierten sich in anderen Zusammenhängen und schließlich gründete sich 1925 die NSDAP neu.

Dass Verbote keine Lösungen bieten, zeigt sich auch heute. Die fast 40 Verbote und Auflösungen von neonazistischen und rechtsradikalen Strukturen seit der Wiedervereinigung haben weder den NSU verhindert, noch die gewaltbereite Neonazi-Szene entscheidend geschwächt.

Kampf gegen rechts

Der Ruf nach Polizei und Justiz verkommt noch mehr zur Farce, wenn man bedenkt, dass die Staatsorgane wesentlich intensiver mit der Verfolgung von Antifaschistinnen und Antifaschisten beschäftigt sind als mit dem Kampf gegen Nazis. So kann sich die Forderung nach einem entschlossenen staatlichen Durchgreifen gegen rechts auch leicht in ihr Gegenteil verkehren. Denn ideologischer Ausgangspunkt für die staatliche »Extremismusbekämpfung« ist das Konstrukt einer »demokratische Mitte der Gesellschaft«, die gleichermaßen von links und rechts bedroht werde. Diese These verschleiert jedoch, dass es der Linken, im Gegensatz zu den Nazis, um eine Ausweitung von Demokratie und Menschenrechten geht. Hinzu kommt, dass die Vertreter dieser angeblich »demokratischen« Mitte immer wieder aufs Neue Rassismus schüren.

Nicht mehr Polizei und eine Stärkung der Sicherheitsorgane, sondern der entschlossene Kampf gegen Rassismus und Faschismus ist jetzt das Gebot der Stunde. Wir benötigen breiten antirassistischen und antifaschistischen Massenprotest und Widerstand. Durch ihn können wir verdeutlichen, dass alle, die mit der AfD kooperieren, sich zum Steigbügelhalter der neuen Nazis machen und damit mitverantwortlich für den rechten Terror.

Bereits für heute sind in zahlreichen Städten Kundgebungen, Demos und Mahnwachen zum rassistischen Terroranschlag in Hanau angekündigt. Hier eine (unvollständige) Übersicht:

Aachen: 19.00 Uhr Elisenbrunnen
Aschaffenburg: 18.30 Uhr Stadthalle
Berlin: 18.00 Uhr Hermannsplatz
Bielefeld: 18.00 Uhr Rathausplatz
Bochum: 18.00 Uhr Hauptbahnhof
Bremen: 18.30 Uhr Ziegenmarkt
Dortmund: 19.00 Uhr Friedensplatz
Dresden: 19.00 Uhr Albertplatz
Essen: 19.00 Uhr Altendorferstr./Markscheidestr. (ehemaliges Aral-Gelände)
Frankfurt: 18.00 Uhr Paulskirche
Freiburg: 19.00 Uhr Johanneskirche
Fürth: 18.00 Uhr Dreiherrenbrunnen
Hamburg: 18.30 Uhr AfD Zentrale Innenstadt (Schmiedestr. 2)
Hanau: 18.00 Uhr Marktplatz
Kiel: 18.30 Uhr Hauptbahnhof, Platz der Matrosen
Köln: 18.00 Uhr Keupstr./Schanzenstr.
Leipzig: 20.00 Uhr Aldiparkplatz Eisi
München: 19.00 Uhr Odeonsplatz
Mönchengladbach: 18.00 Uhr Hauptbahnhof
Nürnberg: 18.00 Uhr Lorenzkirche
Saalfeld: 17.00 Uhr Boulevard
Siegen: 20.00 Uhr Kölner Tor
Stuttgart: 18.00 Uhr Schlossplatz
Tübingen: 19.00 Uhr Holzmarkt
Wetzlar: 18.30 Uhr Herkules Center
Wuppertal, 18h, Wupperfelder Markt, Oberbarmen
Münster, 18h, vorm Rathaus

Auf die Straße gegen Rassismus und rechten Terror!