Sahra Wagenknecht fordert mehr Stellen bei der Polizei. Doch das schadet dem Kampf gegen Terrorismus mehr als es nützt, meint Hans Krause.
Es passiert nicht oft, dass Politikerinnen und Politiker der sechs großen Parteien zu einem Thema fast dasselbe sagen. Doch wenn es um die Zahl der Polizisten geht, sind nicht nur Vertreterinnen und Vertreter von CDU, SPD, Grüne, AfD und FDP sondern auch manche von der LINKEN einer Meinung: Wir brauchen mehr, vor allem jetzt für den Schutz vor Terrorismus.
In mehreren Interviews hat die Linke-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht beim Thema Sicherheit mehr Polizei gefordert und den angeblichen Personalabbau kritisiert. Auch andere Politiker der LINKEN unterstützen diese Forderung. So sagte der stellvertretende LINKE-Fraktionsvorsitzende Frank Tempel im Deutschlandfunk, er unterstütze die Forderung der CDU-Landesinnenminister nach Schaffung von 15.000 zusätzlichen Stellen bei der Polizei. Tempels Kritik: Das seien immer noch zu wenig. Alle anderen innenpolitischen Vorschläge der CDU lehnte er ab. Auch der LINKE-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch bekräftigte, dass »die seit 1998 gestrichenen 17.000 Polizeistellen schnellstmöglich wieder besetzt« werden müssten.
Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert »mindestens 20.000 Polizeibeamte mehr« und auch für die Ausrüstung der Polizisten deutlich mehr Geld. Denn angeblich haben »viele Bundespolizisten noch nicht mal ein Reservemagazin für ihre Waffe«, so Jörg Radek, stellvertretender Vorsitzender der GdP.
Der Märchen von der kaputtgesparten Polizei
Doch die Geschichte von der kaputtgesparten Polizei hat einen Makel: Sie ist je nach Sichtweise falsch oder zumindest nicht ganz richtig. In Westdeutschland ist die Zahl der Polizistinnen und Polizisten seit 1949 stetig gestiegen, sowohl vor 1989 als auch seit der Wiedervereinigung, sowohl in absoluten Zahlen als auch im Verhältnis zur Zahl der Einwohner.
In Ostdeutschland wurden nach der Wende zunächst sämtliche Polizisten der DDR in die gesamtdeutsche Polizei übernommen. Allerdings war die DDR-Polizei gemessen an der Einwohnerzahl um ein vielfaches größer als die westdeutsche, auch weil sie stark zur Überwachung und Unterdrückung der Menschen eingesetzt wurde. Daher wurden in Ostdeutschland in den 1990er- und 2000er-Jahren tausende Polizei-Stellen abgebaut. Trotzdem gibt es hier im Verhältnis zur Einwohnerzahl noch heute deutlich mehr Polizisten als im Westen.
Auch das Budget der Polizei ist entgegen der Berichte über mangelnde Ausrüstung keinesfalls gesunken: Die Regierung hat den Etat der Bundespolizei von 2005 bis 2015 um 48(!) Prozent erhöht. Der Haushalt de Polizei Bayern als größter Landespolizei stieg in diesem Zeitraum um 39 Prozent. Mit 41.000 Stellen verfügt die bayerische Polizei über so viel Personal wie nie zuvor.
Trotzdem werden viele Polizistinnen und Polizisten gezwungen, hunderte Überstunden aufzuhäufen, was den Wunsch nach mehr Personal erklärt. Aber die von nahezu allen Medien und Parteien verbreitete Geschichte von der ausgebluteten Polizei ist ein Märchen. Im Gegensatz zu nahezu allen anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes, hat die Regierung die Polizei in den letzten Jahren technisch und personell enorm aufgerüstet.
Mehr Polizei schafft keine Sicherheit
Aber sollten wir für mehr Sicherheit vor Anschlägen nicht alles menschenmögliche tun und die Polizei weiter stärken? Das hängt davon ab, ob mehr Polizisten uns tatsächlich vor Terrorismus schützen können. Und das, geben selbst Politiker zu, die eine Aufstockung fordern, ist nicht der Fall.
»Einen solchen Attentäter werden sie nicht stoppen können. Der lässt sich auch von Polizei nicht abschrecken. Das ist immer auch gewollter Selbstmord«, räumt Peter Paul Ganzer nach den Anschlägen in Würzburg und Ansbach ein. Er ist in der bayerischen SPD-Fraktion zuständig für Polizei. »Mehr Polizeipräsenz hätte all diese Taten nicht verhindert. Dann müssten wir in jedem Abteil einen Polizisten haben, das ist unrealistisch«, erklärt auch Thomas Bentele, stellvertretender Vorsitzender der GdP Bayern mit Blick auf den Täter in einem Zug in Würzburg.
Auch ein Blick ins Ausland zeigt, dass mehr Polizei, sei es in den Wachen oder auf der Straße, keinen Terrorismus verhindert. In Frankreich wurden erst nach dem Anschlag auf die Mitarbeiter der Pariser Zeitschrift Charlie Hebdo im Januar 2015 und dann erneut nach dem Terror-Angriff ebenfalls in Paris im November die Zahl der Polizisten deutlich erhöht. Im ganzen Land patrouillieren tausende Männer und Frauen in Uniform mit Maschinengewehren durch die Straßen, während der geltende Ausnahmezustand ihre Befugnisse deutlich ausgeweitet hat. Dennoch konnte ein einzelner Angreifer im Juli dieses Jahres in Nizza mit einem Lastwagen 84 Menschen ermorden.
Egal welches Land oder welche Region man betrachtet: Nirgendwo lässt sich ein Zusammenhang zwischen der Zahl der Polizisten und der Gefahr eines Terroranschlags erkennen. Der Grund ist einfach: Um an jedem möglichen Anschlagsort zu jedem Zeitpunkt immer Polizisten vor Ort zu haben, die blitzschnell eingreifen können, bräuchte es vielleicht hunderttausende, wahrscheinlicher aber Millionen neuer Beamter und der Begriff vom »Polizeistaat« würde grauenhafte Realität.
Das Spielen mit der Angst
Warum also die Forderung nach mehr Polizei? Dazu Ganzer: »Wir müssen unterscheiden zwischen objektiver Sicherheitslage und subjektivem Sicherheitsgefühl. Jeder zweite hat Angst, Opfer einer Straftat zu werden.« Doch der Vorschlag, für die viel beschworene »gefühlte Sicherheit« an Plätzen mit vielen Menschen auch viele Polizisten aufzustellen, lässt die entscheidende Frage außer Acht: Woher kommt unsere Angst vor Terrorismus? Warum fürchten wir uns so sehr, obwohl auch 2016 weitaus mehr Menschen an mangelndem Personal in Krankenhäusern sterben als durch Attentäter?
Unsere Ängste werden von Medien und Politikern geschürt, damit wir aus den Augen verlieren, dass in Wahrheit eine Politik gemacht wird, die für die Macht und den Reichtum der Konzerne fast alles, für die einheimischen und eingewanderten Menschen aber sehr wenig tut. Wer Terrorismus für die größte Gefahr hält, dem erscheinen niedrige Löhne, Teilzeitstellen, Arbeitslosigkeit und Hartz IV relativ weniger gefährlich für seine Gesundheit. Doch das Gegenteil ist die Realität.
Daher muss linke Politik Armut und soziale Ungleichheit aufdecken und anprangern. Aber gerade jetzt ist es genau so wichtig, all die von rechts vorgetragenen scheinbaren Gefahren auch als Lügen und Augenwischereien zu entlarven. Wir dürfen den Ruf nach »mehr Polizei« nicht aufnehmen. Denn im Gegensatz zu anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes, die mit mehr Personal, bessere Krankenpflege, besseren Umweltschutz oder kürzere Wartezeiten in Bürgerämtern erreichen würden, kann die Polizei uns mit mehr Beamten keine zusätzliche »Sicherheit« liefern.
Was tun gegen den Terror?
Sind wir den Terroristen also hilflos ausgeliefert? Nein, denn wenn es uns gelingt, eine Bewegung von Deutschen, Türken, Kurden, Arabern und allen anderen auf die Beine zu stellen, die sich gegen Rassismus und für gleiche Rechte und soziale Gerechtigkeit für alle wendet, bieten wir auch verzweifelten Menschen aus muslimischen Ländern neue Hoffnung auf ein besseres Leben, die sonst vielleicht vom Islamischen Staat zu einem Attentat und zum sicheren Tod verführt werden.
Das wird nicht sofort möglich sein und kann auch nicht garantieren, dass keine Anschläge mehr passieren. Doch wir müssen jetzt damit anfangen, langfristige Perspektiven aufzubauen, statt uns der Illusion hinzugeben, mehr Polizisten könnten uns den Terrorismus irgendwie vom Hals schaffen.
Eine solche Bewegung kann es jedoch nur geben, wenn wir Linke weder der jetzigen Mehrheitsmeinung nach dem Mund reden, noch dem Traum nachhängen, dass die Zahl der Polizisten im Ostdeutschland wieder auf DDR-Niveau angehoben wird und dadurch »Arbeitsplätze« entstehen. Stattdessen müssen wir die Polizei als das entlarven, was sie ist: Ein Gewalt-Werkzeug der Regierung, mit dem sie auf friedliche Demonstranten einprügelt, besetzte Häuser räumt, Menschen nach ihrer Hautfarbe auswählt, kontrolliert und verhaftet und Ausländern die grundlegenden Bürgerrechte in Deutschland verwehrt. Nur wenn wir diese Realität öffentlich machen, können wir mehr Menschen, auch solche die nicht deutschstämmig sind, davon überzeugen, links politisch aktiv zu werden.
Foto: dirkvorderstrasse
Schlagwörter: Amok, Attentat, DIE LINKE, Dietmar Bartsch, Inland, Islamischer Staat, Polizei, Rassismus, Sicherheit, Terror, Terroranschlag, Terrorgefahr, Terrorismus, Terroristen, Überwachung