Der NSU-Prozess hat erneut gezeigt, dass der deutsche Staat im Kampf gegen rechts kein Verbündeter, sondern unser Gegner ist. Ein Kommentar von Lisa Hofmann
Nach über fünf Jahren Gerichtsprozess, 597 vernommenen Sachverständigen, Zeuginnen und Zeugen sowie neun Untersuchungsausschüssen wurden Beate Zschäpe und vier weitere Komplizen des NSU nun verurteilt. Von Aufklärung kann jedoch keine Rede sein und so mehren sich Stimmen, die von »Staatsversagen« sprechen. Doch das greift viel zu kurz, denn es suggeriert, der deutsche Staat hätte jemals ein Interesse an der Aufklärung dieser beispiellosen rechtsterroristischen Mordserie gehabt. Das ist nicht der Fall. Der Staat hat nicht versagt, er ist Teil des Problems.
Der NSU-Prozess war eine Farce
Der Prozess in München war von Beginn an eine Farce und bis zuletzt eine Tortur für die Hinterbliebenen der Opfer. Das Gericht folgte mit seinem Urteil der These der Bundesstaatsanwaltschaft von einem mordenden Trio, das, unterstützt von wenigen Einzelnen, durch die Republik zog und innerhalb von sieben Jahren zehn Menschen ermorden und drei Sprengstoffanschläge verüben konnte.
Nicht nur die Anwältinnen und Anwälte der Nebenklage, sondern auch hohe Beamte des BKA gehen hingegen davon aus, dass das Trio von einem breiten rechtsradikalen Netzwerk unterstützt wurde. Obwohl bereits vor fünf Jahren Listen des BKA und des Bundesamts für Verfassungsschutz mit den Namen von 129 möglichen NSU-Unterstützern vorlagen, weigerte sich die Bundesanwaltschaft überhaupt in diese Richtung zu ermitteln. Ziel des Prozesses war von Beginn an, Zschäpe und ein paar Bauernopfer abzuurteilen, ohne dabei zu tief im Schlamm staatlicher Verstrickungen in bundesweite Nazi-Strukturen zu wühlen.
Die NSU Morde und der Verfassungsschutz
Der Frage, inwieweit V-Männer und-Frauen der Inlandsgeheimdienste in die rechtsterroristischen Netzwerke involviert waren und vom NSU und dessen Morden wussten, wurde nicht nachgegangen. Und das obwohl in mindestens einem Fall nachweißlich ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes zum Tatzeitpunkt am Tatort anwesend war, in den Verfassungsschutzämtern massenhaft Akten geschreddert wurden und es zu teilweise haarsträubenden Ermittlungspannen kam.
So etwa der Tatsache, dass man beim Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter jahrelang die Theorie eines Mörder-Phantoms aufrechthielt, dessen DNA an mindestens 40 weiteren Tatorten gefunden wurde, um dann bekanntzugeben, eine Mitarbeiterin in der Fabrik, die die Wattestäbchen herstellt, hätte alle Proben verunreinigt und die Taten stünden in keinem Zusammenhang. Später wurde ein Teil davon dem NSU zugeordnet.
Rassismus und die Verhöhnung der Opfer
Statt ein rechtsradikales Motiv überhaupt in Betracht zu ziehen, wenn bundesweit Menschen mit Migrationshintergrund mit derselben Waffe ermordet werden, verdächtigten die Ermittler die Angehörigen und das persönliche Umfeld der Opfer. Die Presse schrieb von »Döner-Morden«. Selten trat der in diesem Land herrschende institutionelle Rassismus offener zutage.
Und auch mit dem Urteil hört die Verhöhnung der Opfer nicht auf: Sie wissen bis heute nicht, was passiert ist. Ein Großteil der Akten bleibt über mehrere Generationen hinweg unter Verschluss — bis zu 120 Jahre — ein Novum in der deutschen Rechtsprechung. Und auch die Entschädigung von 1,5 Million Euro für sämtliche von den zehn Morden betroffenen Angehörigen fällt vergleichsweise gering aus.
Jubelnde Nazis im Gerichtssaal
Neben vielen offenen Fragen bleibt vom NSU-Prozess zudem der schale Eindruck einer viel zu milden Verurteilung. Ein Teil der Komplizen von Zschäpe wurde 18 Jahre nach begangener Tat nach Jugendstrafrecht verurteilt. Für die Unterstützung beim Morden gab es drei Jahre Haft. Zum Vergleich: Ein Flaschenwurf bei den G20-Protesten in Hamburg wurde mit dreieinhalb Jahren Haft geahndet.
André E., ein bekennender Nazi, dessen Körper mit antisemitischen und rassistischen Tätowierung übersät ist, wurde unter johlendem Applaus seiner Gesinnungsgenossen freigesprochen. Wenn am Ende eines Prozesses gegen Rechtsterroristen die Nazis auf der Zuschauerbühne jubeln, während Angehörige der Opfer schockiert in Tränen ausbrechen, ist dem Kampf gegen rechts ein Bärendienst erwiesen worden. Doch mehr noch: Die Bundes- und Landesregierungen wollen den strukturell rassistischen Polizeiapparat und eben jene Inlandsgeheimdienste, die die rechtsradikalen Strukturen um den NSU jahrelang aufgebaut haben und das womöglich heute noch tun, weiter stärken und mit noch mehr Kompetenzen ausstatten.
Aufbauhilfe für die Erben des NSU
An einem Tag, an dem die etablierte Öffentlichkeit der Bundesrepublik damit beschäftigt ist, zu klären, ob das Retten Ertrinkender auf dem Mittelmeer eine Straftat darstellt, wirkt das Urteil im NSU-Prozess wie der Versuch, einen Schlussstrich unter die Frage des rassistisch motivierten Rechtsterrorismus zu ziehen, um sich wieder der eigenen rassistischen Abschiebe- und Abschottungspraxis zuwenden zu können, mit der man der AfD und allen anderen Nazis momentan den roten Teppich ausrollt. Von diesem Staat haben wir im Kampf gegen rechts nichts zu erwarten außer Aufbauhilfe für die neuen Nazis und potenziellen Erben des NSU.
Foto: Rasande Tyskar
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