Der Gegensatz könnte nicht größer sein: Während vor einem dreiviertel Jahrhundert die Nazi-Barbarei mit Weltkrieg und Holocaust ihren Höhepunkt erlebte, beschrieb in den USA Isaac Asimov, ein junger Schriftsteller jüdischer Herkunft, ganz andere Welten. Mitten während des Krieges begründete er 1942 die drei »Robotergesetze«, die inzwischen angesichts Künstlicher Intelligenz hoch aktuell sind. In weiteren Science-Fiction-Geschichten beschrieb er, wie scheinbar festgefahrene Machtverhältnisse überwunden werden. In diesem Jahr wäre Asimov hundert Jahre alt geworden, für Thomas Walter Anlass, an ihn und sein Werk zu erinnern
Isaac Asimov wurde vor Hundert Jahren am 2. Januar 1920 als Sohn jüdischer Eltern in Russland wenige Jahre nach der Oktoberrevolution geboren. Sein Geburtsdatum legte er selbst fest, da es nicht mehr genau feststellbar ist. 1921 überlebte er als Kind mit Mühe eine Lungenentzündungsepidemie. 1923 wanderte die Familie Asimov in die USA aus. Seine Eltern betrieben einen Süßwarenladen in der Bronx in New York.
Ab 1939 schrieb Asimov Science-Fiction-Kurzgeschichten. Beruflich arbeitete er als Biochemiker. Doch bald verdiente er mehr Geld mit seinen Büchern als mit seinem Beruf.
Die drei Robotergesetze
Eine Besonderheit der Asimovschen Romane ist, dass sie einen gemeinsamen, fiktiven geschichtlichen Hintergrund haben, der in der Zukunft liegt. So spielen die sogenannten Robotergeschichten in einer näheren Zukunft, in welcher die Menschheit erste Planeten außerhalb des Sonnensystems besiedelt hat. In Deutschland erschien diese Sammlung von Kurzgeschichten 1952 als »Ich, der Roboter« (I, Robot, 1952). 1954 kam »Der Mann von drüben« dazu (The Caves of Steel, 1954). Es geht um Roboter mit »Positronengehirnen«, die von Menschen kaum mehr unterscheidbar sind.
Den Robotern sind drei »Robotergesetze« einprogrammiert. Diese Gesetze, die bei Asimov bereits 1942 beschrieben werden, gelten für die heutigen Diskussionen um Künstliche Intelligenz immer noch als bahnbrechend:
- Ein Roboter darf niemals einem Menschen schaden.
- Er muss die Anweisungen der Menschen befolgen, sofern dies nicht gegen 1. verstößt.
- Er soll sich selbst am Leben erhalten, sofern dies mit 2. vereinbar ist.
Asimov schafft es, auf diesen drei scheinbar einfachen Gesetzen alle möglichen widersprüchlichen Situationen aufzubauen. Der Leser bleibt gespannt, wie sich dies letztlich logisch auflöst.
Das »Galaktische Imperium«
Viele Tausend Jahre in der Zukunft spielen die Geschichten, in welchen die Menschen nach und nach die Galaxis besiedeln und schließlich ein »Galaktisches Imperium« gründen. In Deutschland erschienen die zentralen Romane unter den Titeln »Der Tausendjahresplan«, 1951, »Der galaktische General«, 1952, und »Alle Wege führen nach Trantor«, 1953.
Technisch möglich ist die Besiedlung der Galaxis durch den »Sprung durch den Hyperraum«. Das Problem ist, dass nach Albert Einstein kein Körper sich schneller als Licht fortbewegen kann. Das würde bedeuten, dass die Durchquerung der Galaxis mindestens etwa 100 000 Jahre dauern würde. Asimovs Raumschiffe verschwinden aber aus dem dreidimensionalen Weltall in eine vierte Dimension, in den Hyperraum. Ohne weitere zeitliche Verzögerung – im Hyperraum gibt es keine Zeit – tauchen sie dann wieder Lichtjahre entfernt in unser Weltall ein.
In dieser fernen Zukunft rätseln Wissenschaftler, ob die Menschheit einst auf dem Planeten Erde ihren Ursprung hatte oder auf anderen im gleichen »Sektor« liegenden Planeten oder ob die Menschheit auf mehreren Planeten entstand und dann erst zu einer Rasse verschmolz. Ähnlichkeiten zu heutigen Debatten über den Ursprung der Menschheit sind sicher nicht zufällig.
Politisch ist der Planet Erde im »Sirius-Sektor« unbedeutend. Auffallend ist seine radioaktive Verstrahlung. Historiker vermuten, dass hier in »vorgeschichtlicher« Zeit einmal ein Atomkrieg statt gefunden hat. Asimov spielt hier in makabrer Weise auf den nach dem zweiten Weltkrieg drohenden Atomkrieg zwischen USA und UdSSR an.
Terror und Imperialismus
Im Roman »Sterne wie Staub« (The stars, like dust, 1951) beuten »Tyrannen« die Bevölkerungen mehrerer Planeten aus. Einige wehren sich mit Terror. Als lachender Dritter schaltet sich das Imperium ein und kassiert die Planeten, natürlich mit eigenen Interessen. Im Vergleich zu den Tyrannen oder den Terroristen ist das Imperium aber doch das geringere Übel. Kommentatoren sahen hier eine Anspielung auf den zionistischen, auch terroristisch geführten Widerstand in Palästina gegen das ausbeuterische britische Empire. Die USA, als das neue Imperium, sind aber mit ihrem Eingreifen die bessere Lösung, obgleich sie natürlich auch ihre eigenen Interessen verfolgen.
Auch in »Radioaktiv…!« (Pebble in the sky, 1950), das auf der stark verstrahlten Erde spielt, siegt das Imperium. Religiöse Fanatiker kämpfen mit Terror gegen seine Oberhoheit. Andere Erdbewohner greifen gegen die Terroristen ein. Die Geschichte endet versöhnlich mit dem Ausblick, dass das Imperium mit seinen riesigen Ressourcen den Planeten Erde wohl befrieden können wird. Auch dieser Roman kann als ein Seitenhieb gegen den damaligen zionistischen Terror in Palästina gegen die Briten verstanden werden.
Der Kalte (oder womöglich heiße) Krieg zwischen USA und UdSSR spiegelte sich bei anderen SF-Autoren oft so wider, dass eine finstere Macht die Rolle der »bösen Russen« übernimmt. Bei Star Trek z.B. sind dies die Klingonen. Der Zeitgenosse von Asimov Robert A. Heinlein schildert in seinem umstrittenen Roman »Sternenkrieger« (starship troopers, 1960), wie die durchmilitarisierte Menschheit gegen böse insektenähnliche Außerirdische kämpft.
Bei Asimov hingegen gibt es nur das eine »Galaktische Imperium« ohne äußeren Feind. (Dies hat ihm von Marxisten die Kritik eingebracht, dass eine offensichtlich als kapitalistisch gedachte Wirtschaft nicht in einem einzigen Staat existieren könne, sondern mehrere konkurrierende Staaten voraussetzt.) Statt eines plumpen Kampfes der Guten gegen die Bösen nimmt Asimov den Aufstieg und Fall des Römischen Reiches als Vorbild.
Historischer Materialismus bei Asimov
Dass sich Asimov auch beim marxistischen »historischen Materialismus« bedient hat, stritt er selbst ab. Es gibt aber doch Ähnlichkeiten. Bei Asimov berechnet ein genialer Wissenschaftler mit Hilfe der »Psychohistorie«, dass der Untergang des scheinbar allmächtigen Imperiums aufgrund immanenter, freilich nicht näher beschriebener sozio-ökonomischer Widersprüche bald bevor steht. Bei Asimov-Lesern machte in den 1960er Jahren ein Zitat aus einem seiner Romane die Runde: »Wenn Sie mich fragen, geht die Galaxis langsam aber sicher zum Teufel.« Unwillkürlich dachte man an den Kapitalismus.
Selbst mit der Psychohistorie kann das Imperium nicht mehr gerettet werden. Aber es lassen sich die Geburtswehen zum neuen »zweiten Imperium« verkürzen. Karl Marx schrieb im Vorwort zum Kapital vergleichbar: »Auch wenn eine Gesellschaft dem Naturgesetz ihrer Bewegung auf die Spur gekommen ist – und es ist der letzte Endzweck dieses Werks [das »Kapital«], das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen -, kann sie naturgemäße Entwicklungsphasen weder überspringen noch wegdekretieren. Aber sie kann die Geburtswehen abkürzen und mildern.«
Damit hört es aber mit den Ähnlichkeiten zu Marx dann doch auf. Arbeiterklasse oder Arbeiterpartei sucht man bei Asimov vergebens. Vielmehr gründet Asimovs »Karl Marx« (ein gewisser Hari Seldon) zwei technokratische »Fundationen«, wissenschaftliche Stiftungen, die die Geschichte der Galaxis hinter dem Rücken ihrer Bewohner durch das Chaos steuern. Da die Vorausberechnungen von Hari Seldon dann doch, vielleicht ähnlich wie bei Marx, im Detail nicht stimmen, bleibt für diese Technokraten jede Menge zu tun und für Isaac Asimov jede Menge Stoff für seine Romane.
Das Spätwerk von Asimov
Nicht nur galaktische Imperien, auch das Werk von Asimov unterliegt dem Wandel. In seinen letzten Romanen passte er seine Zukunftswelt an neue Gegebenheiten an. Er verrückte den Zentralplaneten »Trantor« etwas aus der Mitte der Galaxis, weil die heutige Wissenschaft dort ein großes schwarzes Loch vermutet. Außerdem war die Erde jetzt nicht mehr das Opfer eines Atomkrieges geworden, sondern einer Umweltkatastrophe. Der Kritik, in seinen Romanen gebe es zu wenig Sex, Frauen und Außerirdische, begegnete er mit dem Roman »Lunatico oder Die nächste Welt« (The Gods Themselves, 1972), in welchem Außerirdische mit drei Geschlechtern und unkonventionellen Sexualnormen erscheinen.
Asimov unterstützte politisch die Demokratische Partei, sprach sich gegen den Vietnamkrieg und Rassismus aus, verteidigte die Rechte homosexueller Menschen, bekannte sich zum Atheismus und kritisierte den Zionismus. Großes Vertrauen hatte er in Wissenschaft und Technik.
Mit dieser technokratischen Ideologie bleiben aber seine Romane zwiespältig. Auf der einen Seite beschreiben sie eine Welt, die sich verändert und in der auch festgefahrene Machtstrukturen gestürzt werden können. Doch die Menschen machen nicht ihre Geschichte selbst, sondern bleiben historischen Gesetzen unterworfen nach Art eines vulgär-marxistischen Histomats. In seinen Romanen sind die Helden, gelegentlich Heldinnen, Wissenschaftler, die die »Bewegungsgesetze« (wie Marx sagen würde) der Gesellschaft kennen und entsprechend die Entwicklung manipulieren können.
Außerdem drückt sich Asimov vor der »Systemfrage«. Man hat den Eindruck, dass in seiner Zukunftswelt die Menschheit nach Zehntausenden von Jahren gerade mal wieder feudale Machtstrukturen überwindet und zur bürgerlichen Demokratie findet.
Es ist vielleicht eine tragische Ironie, dass Asimov 1983 bei einer Operation in der Universitätsklinik von New York mit HIV infiziert wurde. Unter dem Druck der Ärzte hielt er dies geheim. 1992 starb er an dieser Infektion. In einem seiner Romane zitiert Asimov Friedrich Schillers »Gegen Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens«. Besser ausgedrückt: Im Kapitalismus hilft gegen Dummheit nicht einfach nur Wissenschaft und Technik.
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Schlagwörter: Bücher, Kultur, Roman