Die Bewegungen von 1968 stellen heute noch ein Trauma für die herrschenden Klassen weltweit dar. Rosemarie Nünning stellt zwei Buchtipps zum Thema vor
Unter den vielen Publikationen, die zu 1968 erschienen sind, sind zwei Bücher besonders zu empfehlen: Chris Harmans »1968 – eine Welt in Aufruhr« und Jonathan Neales »Der amerikanische Krieg – Vietnam 1960–1975«. Sie liefern ein sehr gutes Verständnis der Ereignisse und ihrer Dynamik.
Niederlage der Supermacht
Der erste Paukenschlag von 1968 kam am 31. Januar mit der Neujahrsoffensive der vietnamesischen Befreiungsbewegung. Zum ersten Mal kämpften die Guerilleros in den Städten statt in fernen Dschungeln, und plötzlich waren weltweit Bilder von dem grausamen Krieg der USA zu sehen. Sie gaben dem Widerstand überall Auftrieb. Jonathan Neale schildert die Hintergründe des Vietnamkriegs und stellt eindrucksvoll dar, wie die Supermacht am Ende durch drei Kräfte in die Knie gezwungen wurde: die vietnamesische Befreiungsbewegung, die Antikriegsbewegung in den USA und ihre eigenen Soldaten, die schließlich Befehle verweigerten und Offiziere umbrachten.
Neale rollt den Widerspruch auf, in dem sich die GIs befanden: Sie kamen aus der Arbeiterklasse und sollten eine Revolte armer Bauern zerschlagen. Sie wurden ermuntert, zu töten und Leichen zu zählen. Auf der falschen Seite zu stehen, trieb viele erst recht zur Grausamkeit. Gleichzeitig konnte dieselbe Erfahrung die Männer jedoch auch zum Aufstand gegen den Krieg bewegen. Der Autor, seinerzeit Aktivist der Vietnamkriegsproteste in den USA und heute noch aktiv in der Klimabewegung, beleuchtet sehr eingängig die Geschichte Vietnams seit dem französischen Kolonialismus bis zur Entkolonialisierung, das Eingreifen der USA Anfang der 1960er-Jahre und die Kriegsführung selbst. Zum Schluss bietet er einen Abriss der Zeit nach dem Abzug der US-Armee, des Kriegs in Kambodscha und der Lebensbedingungen in Vietnam.
Was das Buch so lebendig macht, sind die vielen Berichte von Kriegsgegnern in den USA, Frauen und Männern des Vietcongs und von GIs, die nach dem Gemetzel in Vietnam schwer verwundet und traumatisiert von ihrer Regierung fallengelassen wurden. Die Erfahrung der Niederlage, das »Vietnamsyndrom«, hat die Supermacht USA jahrzehntelang gehindert, wieder offensiv Krieg zu führen.
1968: Weit mehr als eine Studentenrevolte
Die weiteren 68er-Bewegungen sind das Thema des britischen Marxisten Chris Harman. Er spannt einen großen Bogen über die Zeit vor, während und nach 1968, über die verschiedensten Länder und sozialen Schichten, die 1968 prägten. Er rückt dabei das Bild zurecht, wonach 68 vor allem als Revolte der Studierenden begriffen wird. Denn in vielen Ländern trat die Arbeiterklasse ebenfalls auf den Plan. Der Aufstand der französischen Studierenden ging in den französischen Generalstreik im Mai 1968 über. In Italien folgte auf die Proteste der Studierenden der heiße Herbst von 1969 mit massenhaften Betriebsbesetzungen.
Nach den Studierendenaufständen in Warschau im März 1968 kam es zu der großen Rebellion der Arbeiterinnen und Arbeiter von Gdansk und Szczecin in den Jahren 1970/71. Die Kampfansage an den Stalinismus erfasste im Prager Frühling von 1968 das gesamte Land. Aus den Protesten an den britischen Universitäten 1968 entwickelte sich eine Streikwelle in den Betrieben. Nach den Studierendenprotesten 1967/68 in Deutschland brachen in der Industrie »wilde« Streiks aus.
Harman arbeitet die Wechselwirkung zwischen den zunächst scheinbar getrennt voneinander ablaufenden Ereignissen heraus und diskutiert, warum am Ende das System zwar schwer erschüttert, aber nicht gestürzt war. Ein spannendes Buch für alle Aktiven von damals und heute, die nach wie vor glauben, dass eine andere und bessere Welt möglich ist.
Die Bücher:
Chris Harman
1968: Eine Welt in Aufruhr
488 Seiten
Zweite Auflage
16,80 Euro
2018
Jonathan Neale
Der amerikanische Krieg
- Vietnam
1960 – 1975
267 Seiten
16,80 Euro
2004
Schlagwörter: 1968, Bücher, Buchtipps