National Book Award, Pulitzer-Preis, sogar Obama empfiehlt ihn: Der Roman »Underground Railroad« sorgt international für Aufsehen. Jary Koch hat das Buch für uns gelesen
Offiziell wurde die Sklaverei in den Vereinigten Staaten im Jahr 1865 abgeschafft. Heute, 153 Jahre später, sterben Schwarze in den USA 21-mal häufiger durch Polizeikugeln als Weiße. Das Durchschnittsvermögen einer weißen Familie beträgt 210.000 Euro, das einer schwarzen Familie dagegen 23.000. In den Gefängnissen der USA befinden sich heute mehr schwarze Menschen als es 1850 Sklaven gab. Rassismus und der US-amerikanische Kapitalismus bilden nach wie vor eine untrennbare Einheit. Darauf macht nun auch ein Roman aufmerksam – mit einem gewagten Blick in die Vergangenheit.
Flucht durch den Untergrund
»Underground Railroad« von Colson Whitehead erzählt auf 349 Seiten die Geschichte von Cora, einer jungen Sklavin, die von der Baumwollplantage flieht, auf der sie geboren wurde. Unterstützt wird sie auf ihrem Weg in den Norden von der »Underground Railroad«, einem Netzwerk von mittlerweile freien Schwarzen und Weißen, die die Sklaverei bekämpfen. Statt sich an die wahre Geschichte der Organisation zu binden, wird in Whiteheads Roman der Name »Underground Railroad« Realität. Die historische Organisation »Underground Railroad«, die zwischen 1810 und 1850 wohl bis zu 100.000 Sklaven zur Freiheit verhalf, verwendete Begriffe der Eisenbahner zur geheimen Kommunikation. Im Roman wird die USA von denen »die, die alles gebaut haben« bis in den tiefsten Süden untertunnelt und mit einer unterirdischen Eisenbahn durchzogen. Diese unterirdische Eisenbahn ermöglicht Cora, trotz dramatischer Verfolgungen, grausamer Gewaltexzesse und mehrfacher Konfrontationen mit freiwilligen Suchbataillonen und professionellen »Sklavenjägern« letztlich die Flucht ins sicherere Kanada.
Gewagter Blick in die Vergangenheit
Whiteheads Erzählung fesselt in einem Moment mit abenteuerlicher Spannung, um einem kurz darauf wieder detailreich und schmerzhaft das Grauen der historischen Realität vor Augen zu führen. Es ist dieses Wechselspiel aus elegant aufgebauten Spannungskurven und den Momenten der Wut über die Verhältnisse, die »Underground Railroad« zu einer Achterbahn der Gefühle machen. Gewagt ist dieser Blick in die Vergangenheit, weil Whitehead die Genregrenzen überschreitet und Elemente des historischen Romans mit Science-Fiction und Fantasy vermischt. Man könnte sagen, dass die Freiheit, die sich Whitehead in der historischen Auseinandersetzung nimmt, vermessen sei. Das Gegenteil ist der Fall. Durch das Spiel mit Zeiten und Metaphern wird deutlich: Es handelt sich hier nicht um das Nacherzählen einer abgeschlossenen Vergangenheit. Nein, was hier dargestellt wird, ist eine Wurzel dessen, was im 21. Jahrhundert weiterhin auf der Tagesordnung steht. Alle 28 Stunden eine von Polizei oder Bürgerwehr ermordete schwarze Person, ein Rassist im Weißen Haus – kurz: rassistische Gewalt und Unterdrückung.
Systematische Ausbeutung der Schwarzen
Colson Whitehead gibt uns mit seinem Roman einen tiefen Einblick in die rassistischen Verhältnisse des vergangenen Amerikas und zieht gleichzeitig eine Verbindung zu den Polizeimorden und den vollen Gefängnissen der heutigen USA und: zu Trump. Das verdeutlicht, worauf das »große Amerika« immer gebaut hat: die systematische und massenhafte Ausbeutung der schwarzen Bevölkerung. Und so wird die Leserin am Ende der Lektüre eine Erkenntnis nicht mehr los: Wenn Donald Trump »Make America Great Again« fordert, dann ist das eine Drohung. Eine Drohung an all diejenigen, deren Wohlergehen niemals im Interesse der überwiegend weißen Herrschenden der Vereinigten Staaten lag. Dass sich dagegen viele Menschen wehren werden, dazu kann dieser Roman einen Teil beitragen.
Das Buch:
Colson Whitehead
Underground Railroad
Hanser Verlag
München 2017
352 Seiten
24,00 Euro
Foto: steveburt1947
Schlagwörter: Buchrezension, Geschichte der USA, Rassismus, Rezension, Roman, USA