Der Brief von Horst Seehofer an den italienischen Innenminister Salvini ist der Gipfel der Heuchelei, meint Daniel Anton
Nur kurz nach dem Drama um die »Sea Watch 3« und dem Hausarrest von Carola Rackete, lag mit der »Alan Kurdi« schon das nächste Rettungsschiff mit 44 geretteten Geflüchteten vor der italienischen Insel Lampedusa. Dass die Rechtsradikalen Teile der italienischen Regierung um Innenminister Matteo Salvini sich ein weiteres Mal mit Händen und Füßen gegen ein Anlegen wehren würden, war absehbar.
Und doch schreibt Horst Seehofer, ja der Horst Seehofer, tatsächlich einen Brief an den italienischen Innenminister: »Wir können es nicht verantworten, dass Schiffe mit geretteten Menschen an Bord wochenlang im Mittelmeer treiben, weil sie keinen Hafen finden. […] Ich appelliere daher eindringlich an Sie, dass Sie Ihre Haltung, die italienischen Häfen nicht öffnen zu wollen, überdenken.«
Solidarität mit Seenotrettung
Wird der Heimatminister auf seine alten Tage doch noch weich? Blickt er wie Hemingways Santiago auf sein inneres Meer und bereut seine Lebensentscheidungen? Nein, das tut er ganz und gar nicht.
Zweierlei Dinge veranlassen Seehofer einen solchen Brief zu schreiben. Zum einen: der öffentliche Druck. Nach wie vor sind in vielen Städten die orangenen »Seebrücke«-Ortsgruppen aktiv und bringen Zehntausende Menschen auf die Straße. Doch nicht nur daran lässt sich ablesen, dass in Deutschland inzwischen ein anderer Wind in der Migrationsfrage weht. Im Auftrag der Tagesthemen kam eine Befragung zu dem Schluss, dass über 70 Prozent der deutschen Bevölkerung die Arbeit der privaten Seenotretter positiv sehen.
Der Zynismus des Horst Seehofer
Zum Zweiten: Wer, wie Seehofer, vehement die »Dublin«-Asylverordnungen verteidigt, der hat leicht reden. Diese sehen vor, dass Geflüchtete in den EU-Ländern Asyl beantragen müssen, welche sie zuerst betreten haben. Da die Mittelmeerküstenlinie Deutschlands nicht besonders lang ausfällt und niemand über die Nord- oder Ostsee in die EU flüchtet, braucht sich die Bundesregierung auch nicht allzu viel Sorgen machen.
Es ist zynisch, wenn ausgerechnet Seehofer, der sich gegen die »Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme« bis zur »letzten Patrone« wehren will, nun mit sentimentaler Feder gegen die geschlossenen Häfen in Italien anschreibt. Dass eben diese Schließung an Menschenverachtung kaum zu überbieten ist und dass diese Manöver natürlich wunderbar in die rechte Ideologie und Praxis von Salvini und der »Lega Nord« passen, ist keine Frage. Aber durch den Unwillen, eine faire Verteilung der Geflüchteten auf die EU-Mitgliedsstaaten voranzutreiben, gibt die deutsche Bundesregierung den ganz Rechten in der EU eine Steilvorlage für deren Argumentation.
Die Bundesregierung heuchelt
Die Heuchelei zieht sich übrigens durch die komplette Regierungsbank. Der Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer hat vollkommen recht, wenn er die Tweets des Außenministers Heiko Maas von der SPD als »leere Statements« bezeichnet. Denn auch Maas sollte »dafür sorgen, dass an EU-Außengrenzen Menschenrechte durchgesetzt werden – aber das tut er nicht«. Stattdessen hat seine SPD die sogenannten Flüchtlingsdeals mit der Türkei und Libyen gestützt, wohl wissend, welche entsetzlichen Zustände, bis hin zur Folter und Sklaverei, die fliehenden Menschen dort erwarten.
Wer massenhaft abschiebt, wer – wie jüngst, auch unter Mitwirkung der Grünen im Bundesrat – das Asylrecht in Deutschland weiter aushöhlt, wer keinen Finger für einen sicheren Transit über das tödliche Mittelmeer rührt, der soll gefälligst seine Klappe halten und sich nicht als Retter aufspielen.
Die wahren Retter sind die Menschen auf den Schiffen von Sea Watch, Lifeline usw., die jeden Tag die menschenfeindliche Migrationspolitik der EU und allen voran der Bundesregierung ausbaden müssen. Wir müssen weiterhin den orangenen Druck auf der Straße erhöhen. Horst, Heiko und Co. sind keine glaubwürdigen Partner im Kampf gegen das Sterben im Mittelmeer.
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Schlagwörter: Asyl, Flüchtlinge, Mittelmeer, Seebrücke, Seehofer, Seenotrettung