»Human Rights Graveyard« – Friedhof der Menschenrechte steht auf der Betonmauer. Stacheldraht säumt das 2020 niedergebrannte Lager Moria auf Lebsos. Zeitweise zwang die EU mehr als 20.000 geflüchtete Menschen hier unter miserablen Umständen zu leben. Der Ort steht symbolisch für den Rassismus und die Gewalt, mit denen Schutzsuchenden Menschen auf europäischem Boden begegnet wird. Die Umstände des Lagers stehen symbolisch für die Logik der »Festung Europas«. Errichtet und aufrechterhalten unter dem Leid der Menschen. Doch Moria ist mehr. Moria ist Symbol für Organisierung, Widerständ und Solidarität unter den Geflüchteten. Von Michel Brandt
Während die Phase der oberflächlichen Solidaritätsbekundungen und Selfies für Moria bei den Regierungsparteien wieder vorbei ist, besteht die katastrophale Situation in den Lagern an den EU-Außengrenzen fort. Als Delegation von DIE LINKE waren Janine Wissler, Sofia Leonidakis, Gökay Akbulut, Cornelia Ernst, Clara Bünger und Michael Brandt Ende Mai auf Lesbos, um deutlich zu machen: Die Abschaffung dieser Lager ist kein Trendthema. Die politische und mediale Aufmerksamkeit darf angesichts der Institutionalisierung zahlreicher Menschenrechtsverletzungen nicht abreißen.
Neuauflage Moria 2.0
»No more Morias« war das Versprechen der EU-Kommission nach dem Brand im September 2020 Das neue Lager Mavrovouni, das als Moria 2.0 Bekanntheit erlangte, zeugt jedoch vom Scheitern dieses Versprechens. Für die Verantwortlichen ist die europäische Migrations- und Asylpolitik, das Menschen- und Völkerrecht sowie die Genfer Flüchtlingskonvention bedeutungslos. Im neuen Lager müssen mehr als 6.150 Personen ausharren Die Zustände sind inhuman und desaströs. Die Menschen sind mit Stacheldraht eingezäunt und dürfen das Lager kaum verlassen. Sie sind den Wetterbedingungen fast schutzlos ausgesetzt, von Hitze und praller Sonne bis hin zu Schlamm, Regen und Sturm. Ebenso prekär ist die medizinische und psychologische Versorgung.
Inmitten einer Pandemie, ohne Strom, ohne fließendes und kaum Trinkwasser sind tausende Menschen auf engsten Raum eingesperrt, kontrolliert und überwacht. Die EU erzeugt bewusst menschenfeindliche Zustände und setzt auf Abschreckung. »Ich lebe in der Hölle«, schilderte ein Bewohner die Zustände. »In unserem Land stirbt man nur einmal, hier stirbt man jeden Tag«. Es überrascht also nicht, dass Ärzte ohne Grenzen 2020 von 49 dokumentierten Suizidversuchen unter Kindern in den Lagern auf Lesbos berichtet.
Die Pläne von EU und Griechenland sehen weitere Asylrechtsverschärfungen vor. Auf Lesbos sollen asylsuchende Menschen bald mitten im Nirgendwo in einem neuen, geschlossenen Lager isoliert und von der Außenwelt abgeschottet werden: Fernab von Städten, für die Augen der Urlaubenden unsichtbar hinter kamera- und drohnenüberwachten Zäunen etwa 30 Kilometer von der Hauptstadt Mytilini. Das sind keine »Registrierungs- und Identifizierungszentrum« (RIC), wie die Lager im EU-Sprech heißen. Das sind Knäste! Die EU hat kein funktionales System der humanitären Aufnahme schutzsuchender Menschen an ihren Außengrenzen. Stattdessen errichtet sie ein immer dichteres System der Abschottung. Dieses verengt sich auf Überwachung, Kontrolle, Abschreckung, Selektion und Pushbacks.
Schluss mit Migrationsbekämpfung
Es brauchteinen grundlegenden Paradigmenwechsel. Eine sozial gerechte und solidarische Migrationspolitik muss mit konsequenter Friedenspolitik, menschenrechtsbasierter Wirtschaftspolitik, einem Ende von Rüstungsexporten und Profiten mit Krieg, einem Ende (post-)kolonialer Ausbeutung zusammen gedacht werden. Die Abkommen der EU zur Migrationsbekämpfung mit Drittländern wie Türkei, Libyen und Marokko gehören beendet.Sie lösen keine der bestehenden Probleme. Stattdessen verschieben sie das Leid an weniger sichtbare Orte und delegieren die Verantwortung ab. Anstelle müssen stabile Korridore für legale und sichere Einreisen Asylsuchender treten. Bis dahin muss eine EU-weite zivile Seenotrettung das Sterben auf dem Mittelmeer ein für allemal beenden.
Gleichzeitig muss anerkannt werden, dass Migration schon immer Mutter aller Gesellschaften und Motor gesellschaftlicher Entwicklung war und ist – sie ist Normalität, nicht Abweichung. Es muss Schluss sein mit ideologisch aufgeladener Dämonisierung von Migration als Sicherheitsrisiko und Gefahr. Nationalistische Politikentwürfe und das gegeneinander ausspielen marginalisierter und ausgebeuteter Menschen, tragen zu dieser Dämonisierung bei und treiben die Zersetzung internationaler Klassensolidarität voran. Die Unterbringung schutzsuchender Menschen muss dezentral, menschenwürdig und selbstbestimmt organisiert werden. Autonome und selbstorganisierte Projekte wie das im letzten Jahr zwangsgeräumte Camp Pikpa auf Lesbos zeigen, wie funktionierende Alternativen aussehen. Das europaweite Netzwerk von mehr als 600 solidarischen, aufnahmebereiten Städten und Kommunen ist Beispiel transnational organisierter Migrationspolitik von unten. Dieses Netzwerk muss ausgebaut und ausgestaltet werden. Aber vor allem müssen die nationalen Regierung ihre aufgegeben, damit systematische und kontinuierliche kommunale Aufnahme möglich wird.
Soziale Migrationspolitik ist möglich
Eine sozial gerechte, solidarische und menschenrechtsorientierte Migrationspolitik ist möglich! Mit Seenotrettung statt Frontex. Mit sicheren Korridoren statt Abschottung. Mit dezentralen Wohnungen statt Lagern. Seite an Seite mit der Seebrücke-Bewegung, Anti-Abschiebebündnissen, der zivilen Seenotrettung, den Gewerkschaften und all denjenigen, die in einer solidarischeren Welt mit Bewegungsfreiheit für alle Menschen leben wollen.
(Foto: DSB)
Schlagwörter: Abschottung, EU, Flüchtlinge, Geflüchtete, Griechenland, Migrationspolitik