Rot-Rot-Grün könnte nach aktuellen Umfragen eine rechnerische Mehrheit im nächsten Bundestag bekommen. Es ist zu erwarten, dass Gewerkschaften und soziale Bewegungen Druck auf DIE LINKE machen für eine Beteiligung an einer Koalition. Wie soll DIE LINKE damit umgehen? Eine Stellungnahme des marx21-Netzwerkes
DIE LINKE schließt Regierungsbeteiligungen explizit nicht aus und proklamiert im aktuellen Wahlprogramm: »Wir wollen regieren, um zu verändern!« Auch Wähler:innen der Partei, wünschen sich eine Reformregierung unter Beteiligung der LINKEN. Laut einer Umfrage aus dem Mai dieses Jahres wollen 96 Prozent der LINKEN-Anhänger:innen ihre Partei in der Regierung sehen. Die Wähler:innen erwarten jedoch zugleich, dass DIE LINKE ihr Programm nicht verrät und sich für Minister:innenposten an Kürzungspolitik, Privatisierungen, Militarisierung und Krieg beteiligt.
Richtig ist: DIE LINKE steht bereit für einen Politikwechsel – allerdings nur, wenn die Grundlagen stimmen. Doch unter gegebenen politischen Kräfteverhältnissen ist die Orientierung auf Rot-Rot-Grün für die Partei eine Sackgasse.
Rot-Rot-Grün: Drahtseilakt der LINKEN
DIE LINKE steht vor einem Drahtseilakt, bei dem sie nach links und nach rechts abstürzen kann. Nach links abstürzen hieße, Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung zu stellen, die große Teile ihrer Wähler:innen nicht nachvollziehen können – also etwa Bereitschaft zu Sondierungsgesprächen an die Frage des Nato-Austritts zu knüpfen. Und es reicht auch nicht aus, mit Verweis auf das Sündenregister aus der Vergangenheit von SPD und Grünen die Option Rot-Rot-Grün von vornherein auszuschließen, weil viele Menschen den im Wahlkampf aufgestellten Forderungen von SPD und Grünen Glauben schenken.
Die größere Gefahr besteht jedoch in einem Absturz nach rechts. Das wäre der Fall, wenn DIE LINKE unter der Parole »Alles ist besser als eine Regierung, an der CDU oder FDP beteiligt sind« in eine »Kleinere-Übel«-Position verfiele. Denn schlimmer als eine Regierungsbeteiligung von CDU oder FDP wäre ein Verrat der LINKEN an den durch eine Mitte-Links-Regierung entstehenden Hoffnungen und Erwartungen der Wähler:innen. Es wäre eine Bankrotterklärung, wenn DIE LINKE Teil einer Koalition würde, die sich beispielsweise durch die Schuldenbremse zu Sozialabbau und Massenentlassungen im öffentlichen Dienst gezwungen sähe, oder aufgrund von Nato-Treue aufrüstete und die Bundeswehr in Auslandseinsätze schickte.
Das Kalkül von SPD und Grünen
Die einzige Möglichkeit, den Drahtseilakt von Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen zu meistern, besteht darin, den Wähler:innen deutlich und nachvollziehbar zu machen, dass DIE LINKE einen Politikwechsel will, Regieren aber kein Selbstzweck ist.
DIE LINKE hat daher richtigerweise erklärt, dass sie für einen Politikwechsel bereit steht, und hat neben Eckpunkten für einen solchen Politikwechsel, mit den Roten Haltelinien klar formuliert, was mit ihr nicht zu machen ist: Sozial- und Stellenabbau, Privatisierungen, Militarisierung und Kriegseinsätze.
SPD und Grüne haben wiederholt eine Koalition mit der LINKEN aufgrund der aus ihrer Sicht überzogenen (Umverteilung) oder »unverantwortlichen « (Außenpolitik) Forderungen abgelehnt. Scholz und Baerbock wollen keine Linksregierung, die es ernst meint mit einem politischen Richtungswechsel. Das ist nicht nur ein Problem mit dem Personal. Das Problem ist die Grundausrichtung von Sozialdemokratie und Grünen: Sie wollen die Profitinteressen der Konzerne im internationalen kapitalistischen Wettbewerb sichern, anstatt sich mit den Reichen und Konzernen anzulegen. Ihr Projekt ist eine sozial-ökologisch angestrichene Modernisierung des Kapitalismus – im Einvernehmen mit den Bossen und auf Kosten der Lohnabhängigen. Eine LINKE, die ihre Prinzipien verteidigt, ist deshalb für die Spitzen von SPD und Grünen nicht akzeptabel. Das können Scholz und Baerbock natürlich so nicht sagen. Deshalb versuchen sie der LINKEN die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben, dass es keine Linksregierung geben wird – etwa, in dem sie auf ihr fehlendes Bekenntnisses zur Nato verweisen.
Es liegt an der LINKEN aufzuzeigen, dass der notwendige Politikwechsel nicht an ihr scheitert. Der Ball muss öffentlich an SPD und Grüne zurückgespielt werden. Wenn SPD und Grüne sich einer Linksregierung verweigern, weil sie sich weiter an Kriegseinsätzen beteiligen, oder unsoziale Politik machen wollen, dann liegt die Verantwortung dafür bei ihnen und nicht bei der LINKEN.
Sackgasse Lagerwahlkampf für Rot-Rot-Grün
DIE LINKE darf also nicht einknicken und in vorauseilendem Gehorsam ihre eigenen Forderungen herunterfahren auf das, was unter den gegebenen Bedingungen – ohne deutliche Steuererhöhungen für Reiche und Konzerne – finanzierbar oder gegenüber den »Nato-Partnern« vertretbar ist. Es ist problematisch, dass einige Stimmen aus dem Reformerlager der Partei bereits öffentlich beispielsweise die außenpolitischen Positionen der LINKEN zur Disposition stellen, um sich an SPD und Grüne anzubiedern.
Genauso falsch ist es, lediglich auf vermeintliche Schnittmengen mit den anderen Parteien zu verweisen und das eigene Profil dadurch abzuschwächen. Wenn DIE LINKE auf solche Weise der SPD und den Grünen ein progressives Mäntelchen verpasst, wäre das erstens naiv und würde zweitens unserem Wahlkampf schaden, weil unser Profil und die Alleinstellungsmerkmale für die Wähler:innenmobilisierung verloren gingen. Eine solche Herangehensweise führte 2002 dazu, dass die PDS aus dem Bundestag flog.
Ein weiterer Fehler wäre, lediglich mit Positivforderungen in die Debatte zu gehen und die Roten Haltelinien zu verschweigen – wie es etwa leider bei der Formulierung des »Sofortprogramms« der LINKEN der Fall war. Dieses beinhaltet zudem am neuralgischen Punkt der Außenpolitik fatale Abschwächungen – etwa Waffenexporte lediglich in »Krisengebiete« verbieten zu wollen, sowie Auslandseinsätze »auf den Prüfstand zu stellen«, anstatt sie zu beenden. Angesichts des Debakels mit dem gescheiterten Nato-Krieg in Afghanistan sollte DIE LINKE ihre Ablehnung von Auslandseinsätzen viel selbstbewusster vertreten.
Haltelinien sind keine Verhandlungsmasse
Viele der Positivforderungen aus dem »Sofortprogramm« der LINKEN sind keine harten Bedingungen, sondern Verhandlungsmasse, bei denen DIE LINKE sich in Sondierungsgesprächen eben auch etwa bei der Frage der Höhe der Verbesserung kompromissbereit zeigen kann – ob nun 12 oder 13 Euro Mindestlohn, oder etwas dazwischen. Aber bei den Haltelinien gibt es diesen Spielraum nicht, weil wir keinen Schritt in die Richtung Kürzungen, Privatisierung, Aufrüstung und Kampfeinsätze gehen wollen. Wenn die Bildung einer Linksregierung daran scheitert, dass SPD und Grüne nicht von »schwarzer Null« und Auslandseinsätzen der Bundeswehr ablassen wollen, dann kann DIE LINKE das zwar bedauern, aber umso glaubwürdiger aus der Opposition heraus Druck für ihre Forderungen mobilisieren.
Es wäre schließlich fatal, wenn DIE LINKE durch Einbindung in imperialistische Außenpolitik und Kürzungsregime in Zeiten einer Wirtschaftskrise als Motor für Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse ausfällt.
Die Bilanz vergangener und aktueller Regierungsbeteiligungen linker Parteien zeigt, dass sich linke Parteien damit nur zur Mitverwalterin des Status Quo machen oder sogar massive Verschlechterungen mittragen. Wo linke Parteien in Regierungsverantwortung sind, fallen sie als Opposition aus und können als antikapitalistische Kraft weniger in Erscheinung treten. Das ist gefährlich, weil es den linken Widerstand schwächt und Raum für die faschistische Rechte öffnet, von der Unzufriedenheit zu profitieren. Die schlechten politischen Erfahrungen der Linken mit Regierungsbeteiligungen in Griechenland, Italien und Spanien sollten der LINKEN in Deutschland eine Warnung sein.
Opposition ist kein Mist
Eine Regierungsbeteiligung auf der Grundlage der heutigen Kräfteverhältnisse ist daher der falsche Weg. Eine bessere Orientierung bietet die revolutionäre Tradition der Arbeiterbewegung. Rosa Luxemburg brachte diese auf den Punkt: »In der bürgerlichen Gesellschaft ist der Sozialdemokratie dem Wesen nach die Rolle einer oppositionellen Partei vorgezeichnet.«
Opposition ist kein Mist. Etliche Beispiele in der Geschichte zeigen, dass wesentliche Reformen durch große Bewegungen erkämpft wurden. Entscheidend war, wer opponiert und nicht, wer regiert. Oft waren es konservative Regierungen, die unter solchem außerparlamentarischen Druck zu Reformen gezwungen wurden, wenn linke Parteien in der Opposition und Teil der Gegenmobilisierung waren. Beispiele aus jüngerer Geschichte sind etwa die Abschaffung der hessischen Studiengebühren 2008, der Atomausstieg 2011, Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015. Und umgekehrt fand unter der letzten rot-grünen »Linksregierung « mit der »Agenda 2010« der größte Angriff auf den Sozialstaat in der Nachkriegsgeschichte statt. Zugleich wurde erstmals die Beteiligung der Bundeswehr an Kriegen, in Kosovo und Afghanistan, durchgesetzt.
In den nächsten Jahren werden sich die Verteilungskämpfe über die Frage, wer für die Coronakrise bezahlen soll, zuspitzen. Gleiches gilt für die imperialistische Konkurrenz: Die Welt wird nicht friedlicher – die Rüstungsausgaben sind 2020 auf Rekordniveau angestiegen. Auch werden die Auswirkungen der Klimakrise, die Frage von bezahlbaren Wohnraum und die Arbeitsbedingungen in der Pflege Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen bleiben. Die LINKE ist in diesen Auseinandersetzungen als Sprachrohr und Motor für Organisierung von Widerstand und Gegenmacht gefragt. Wir müssen uns der begrenzten Möglichkeiten des Parlamentarismus bewusst sein und die gegenwärtigen Besitz- und Eigentumsverhältnisse infrage stellen. Weil die wahre Macht außerhalb der Parlamente und Regierungsgebäude liegt, muss auch der Kampf um Verbesserungen dort geführt werden: auf der Straße und in den Betrieben. Eine linke Parlamentsfraktion kann dafür hilfreich sein – eine Regierungsbeteiligung nicht.
Bild: Martin Heinlein / DIE LINKE / flickr.com
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