Es war der brutalste Luftangriff der Bundeswehr seit dem Zweiten Weltkrieg: Auf Befehl von Oberst Georg Klein töteten im afghanischen Kundus zwei Bomben mehr als hundert Menschen – darunter fast nur Zivilist:innen. Doch die Regierung rechtfertigt weiterhin die Bombardierung
Am 4. September 2009 sind auf Befehl der Bundeswehr zwei im Kundus-Fluss steckengebliebene Lastkraftwagen ohne Vorwarnung bombardiert worden. Bei dem Angriff starben bis zu 140 afghanische Zivilisten, darunter zahlreiche Kinder. Viele weitere sind verletzt und traumatisiert worden. Die Fraktion DIE LINKE hat aus Anlass des zehnten Jahrestages der folgenreichen Bombardierung von Kundus der Bundesregierung sechs Einzelfragen nach der Aufarbeitung und den Konsequenzen gestellt. Zum 12. Jahrestag der Bombardierung dokumentieren wir diese hier nachfolgend.
»Die Antworten der Bundesregierung auf unsere Fragen sind eine Verhöhnung der Opfer und ihrer Angehörigen. Die Bundesregierung stellt den Angriff heute so dar, als sei er legitim gewesen. Sie kümmert sich nicht um die Hinterbliebenen, verweigert die Übernahme von Verantwortung und zieht keine Konsequenzen aus der Bombardierung. Die Antworten offenbaren, dass es der Bundesregierung damals wie heute in Afghanistan bei dem Bundeswehreinsatz nicht um die Bevölkerung geht. Die Bundeswehr hat in Afghanistan an der Seite der US-Armee Krieg geführt. Und dieser Krieg richtete sich nicht nur gegen die Aufständischen, sondern auch gegen Zivilisten. Das Image der Bundeswehr war und ist der Bundesregierung wichtiger als die Wahrheit.
DIE LINKE fordert, dass die Bundesregierung endlich ihrer Verantwortung gerecht wird. Der Angriff von Kundus muss als mögliches Kriegsverbrechen behandelt und die Angehörigen der Opfer offiziell entschädigt werden.
Kundus: Die Bundesregierung verteidigt die Bombardierung von Zivilisten
Die Bundesregierung zitiert zustimmend die Bundesanwaltschaft mit der Behauptung, der Luftangriff auf wehrlose Zivilisten sei »völkerrechtlich zulässig und damit strafrechtlich gerechtfertigt« gewesen. Die Bundesregierung unterstreicht überdies, der Angriff habe sich gegen »legitime Ziele im Sinne des humanitären Völkerrechts« gerichtet. Dies ist eine Verhöhnung der Opfer. Sie werden damit selbst für das Unglück verantwortlich gemacht, das sie getroffen hat.
Damit fällt die Bundesregierung heute noch hinter die Position zurück, die der damalige Verteidigungsminister Guttenberg eingenommen hatte. Dieser sagte am 3. Dezember 2009, der Angriff sei »militärisch nicht angemessen« gewesen. Auch wurde in dem vom Bundestag in der 17. Wahlperiode eingesetzten parlamentarischen Untersuchungsausschuss deutlich, dass der den Angriff kommandierende Oberst Klein nicht zwischen Aufständischen und Zivilisten unterschieden und damit Grundregeln des Völkerrechts missachtet hatte. Überdies ignorierte Klein selbstherrlich mehrere Einsatzregeln der Nato. So verzichtete er auf die vorgeschriebene »show of force«, also einen Überflug in niedriger Höhe als Warnung für den bevorstehenden Angriff. Stattdessen ließ Klein ohne Vorwarnung bombardieren.
Die Antworten der Bundesregierung gehen darauf nicht ein und rechtfertigen auf diese Weise nachträglich das Vorgehen von Oberst Klein. Die Bundesregierung sagt, die Beförderung von Oberst Klein zum Brigadegeneral müsse sie nicht bewerten, da diese in keinem Zusammenhang mit den Ereignissen in Kundus gestanden habe. Dies hat auch niemand behauptet. Die Frage ist vielmehr, warum die Verantwortung für die tödliche Bombardierung von bis zu 140 Zivilisten nicht ausreicht, um eine solche Beförderung auszusetzen. Offenbar ist für die Bundesregierung das Ansehen der Bundeswehr wichtiger, als Konsequenzen aus mutmaßlichen Kriegsverbrechen zu ziehen.
Kundus: Die Bundesregierung lügt
Die Bundesregierung wiederholt in ihrer Antwort die Behauptung, die Tankfahrzeuge seien angegriffen worden, um zu verhindern, dass sie »für einen späteren Angriff missbraucht werden«. Die ist eine Lüge. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss der 17. Wahlperiode hat deutlich gemacht, dass sich die angegriffenen Tankfahrzeuge vom Lager der Bundeswehr entfernthatten, bevor sie im Fluss steckenblieben. Die örtliche Bevölkerung sammelte sich an ihnen, um das enthaltene Benzin für den individuellen Verbrauch abzuzapfen. Anders als die Bundesregierung heute behauptet, stellten die Tankfahrzeuge keine militärische Gefahr dar.
Kundus: Die Bundesregierung ignoriert die Opfer und ihre Angehörigen
Die Antworten der Bundesregierung bringen ansonsten ein erschreckendes Ausmaß an Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen zum Ausdruck. Die Bundesregierung muss zugeben, dass sie sich nicht darum gekümmert hat, die Zahl der Opfer im Nachhinein zu überprüfen. Über den Zustand der Gräber der Opfer kann sie keine Auskunft geben, obgleich Informationen darüber zugänglich sind. Auf die Frage, ob sie Kontakt zu den Opferfamilien gehalten habe, antwortet die Bundesregierung gar nicht. Sie kann keine Aussage darüber treffen, ob Hinterbliebene oder Verletzte des Luftangriffs in Deutschland Recht auf Asyl bekommen.
Schließlich muss die Bundesregierung gestehen, dass sie keinerlei Gedenkaktivitäten plant. Bereits 2010 wurde ein entsprechender Antrag der LINKEN für eine Gedenkveranstaltung im Bundestag abgelehnt. Offenbar will die Bundesregierung die Erinnerung an die Bombennacht von Kundus vergessen machen. Die Bundesregierung hat den Einsatz in Afghanistan stets mit der Sorge um die Zivilbevölkerung begründet. Die Antworten auf die Fragen nach den Umgang mit den Kundus-Opfern verdeutlichen, dass ihr die afghanische Zivilbevölkerung in Wirklichkeit reichlich egal ist.
Die Bundesregierung verweigert den Opfern und ihren Hinterbliebenen den Anspruch auf Entschädigung
Die Bundesregierung bleibt bei ihrer Position, wonach die Opfer des Luftangriffs und ihre Hinterbliebenen keinen Anspruch auf eine Entschädigung hätten. Sie verweist auf freiwillige Einmalzahlungen an Opferfamilien. In ihren Antworten erweckt die Bundesregierung den Eindruck, als habe sie damit großzügig gehandelt. Das Gegenteil ist der Fall.
Die geleisteten Einmalzahlungen sind keine Entschädigung. Sie fallen geringer aus als sonst in Afghanistan geleistete Entschädigungszahlungen in vergleichbaren Fällen, und sie beinhalten kein Schuldeingeständnis.
Die Haltung der Bundesregierung ist arrogant und verantwortungslos. Zum Schmerz über den Verlust der Angehörigen und Kinder kommen bei vielen schwere ökonomische Probleme hinzu. Viele Verletzte sind infolge des Angriffs invalide, viele andere Haushalte haben den Hauptverdiener verloren.
DIE LINKE fordert die Anerkennung des Rechts auf Entschädigung. Die Opfer der Bombennacht von Kundus und ihre Angehörigen müssen endlich anerkannt werden.«
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Schlagwörter: Afghanistan, DIE LINKE