Woran ist die Ampel gescheitert? Wie geht es nun weiter? Und was können Linke tun, um sich dem drohenden Rechtsruck zu widersetzen? Von der marx21-Redaktion
Das Ende der Ampel hat das politische Berlin erschüttert, kam aber letztlich nicht völlig überraschend. Schon lange befand sich die Koalition in einer tiefen Krise, aus der sie keinen Ausweg mehr finden konnte. In den letzten Wochen hatte sich bereits angekündigt, dass die Ampel platzen könnte. Dass es nun so schnell ging und das Ende der Regierung ausgerechnet am Tag nach Trumps Wiederwahl zum US-Präsidenten verkündet wurde, ist dennoch erstaunlich. Doch woran ist die Ampel-Koalition gescheitert?
Zerstörte Geschäftsgrundlage der Ampel
Spätestens mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November 2023, durch das im Haushalt der Bundesregierung plötzlich 60 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfond fehlten, war die finanzielle Geschäftsgrundlage der selbsternannten »Fortschrittskoalition« zerstört worden. Diese bestand darin, durch staatliche Investitionen und Subventionen die Konjunktur zu beleben und gleichzeitig die Transformation der Industrie voranzubringen sowie die marode Infrastruktur zu modernisieren. Als diese Pläne mit dem Urteil aus Karlsruhe, das die Umwidmung von Corona-Mitteln in Klimafonds für verfassungswidrig erklärte, zerplatzten, war das Ende der Ampel eingeleitet. Der Streit in der Koalition um das Stopfen des Haushaltslochs verschärfte sich zusehends. Einig war man sich lediglich darin, das gewaltige Aufrüstungspaket für die Bundeswehr nicht anzutasten. Im Bereich Soziales und vor allem bei den Investitionsplänen wurde hingegen der Rotstift angesetzt.
Die Frage der Aussetzung der Schuldenbremse war nicht der entscheidende Streitpunkt.
Bereits in den Monaten zuvor hatten die Spannungen innerhalb der Ampel zugenommen. Durch die Zinswende der EZB war die Finanzierung von Schulden auch für den deutschen Staat deutlich teurer geworden. Während bis Februar 2022 aufgrund von Negativzinsen auf deutsche Staatsanleihen noch Zinsgewinne abgeschöpft werden konnten, stiegen die Zinsen nun rasch an, was die finanziellen Spielräume der Koalition bereits einschränkte. Das Verfassungsgerichtsurteil brach ihr schließlich das Genick.
Seither eskalierten die Streitigkeiten innerhalb der Koalition. Die FDP und Finanzminister Lindner verweigerten eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse, wie sie in den Vorjahren mit Verweis auf den finanziellen Notstand durch Pandemie und Ukrainekrieg noch vereinbart worden war. Stattdessen forderte die FDP weitere Ausgabenkürzungen, etwa beim Bürgergeld und den Investitionen in den klimafreundlichen Umbau der Industrie. Vor allem aber verlangte sie Steuergeschenke für Konzerne sowie die weitere Deregulierung der Wirtschaft und des Arbeitsmarkts. SPD und Grüne konnten hier nicht mitgehen, ohne bei der anstehenden Bundestagswahl völlig abzustürzen.
Kapital will Generalangriff
Die Frage der Aussetzung der Schuldenbremse war dabei aber nicht der entscheidende Streitpunkt. Wie schon 2023 wäre hier ein Kompromiss auch mit der FDP durchaus denkbar gewesen. Doch der hätte seinen Preis gehabt. Denn angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage und des Zurückfallens Deutschlands gegenüber der internationalen Konkurrenz – mit den niedrigsten Wachstumsraten selbst im europäischen Vergleich – fordert das deutsche Kapital die Durchsetzung niedrigerer Lohnstückkosten, also einen Angriff auf Löhne und Gehälter, Arbeitsbedingungen, das Renten- und Sozialsystem sowie eine weitere Deregulierung des Arbeitsmarkts, sprich eine neue neoliberale Großoffensive, wie es sie zuletzt zu Beginn des Jahrtausends unter der rot-grünen Schröder-Fischer-Regierung mit der »Agenda 2010« gegeben hatte.
Die SPD ist nicht in der Lage, eine Neuauflage der Agenda-Politik umzusetzen. Daher muss sie aus Perspektive des Kapitals als Kanzlerpartei von der Union abgelöst werden.
Damals war die Kapitalseite für die Durchsetzung eines solchen Generalangriffs auf die SPD angewiesen, um den Widerstand der Gewerkschaften einzuhegen. Eine unionsgeführte Bundesregierung hätte ihn nicht durchsetzen können, da die Gewerkschaften dagegen Sturm gelaufen wären. Der SPD unter Schröder gelang es, die Genossen Gewerkschaftsführer einzubinden. Die Schrödersche Agenda-Politik senkte die Lohnstückkosten, schuf den größten Niedriglohnsektor Europas und verschaffte dem deutschen Kapital einen gewaltigen Wettbewerbsvorteil gegenüber der europäischen Konkurrenz. Dieser ist mittlerweile jedoch aufgebraucht, weshalb die herrschende Klasse einen neuen Angriff durchsetzen will.
Die FDP als marktradikale Verfechterin von Kapitalinteressen verliert ihren Zweck, wenn sie dieser Forderung nicht nachkommt. Die SPD wiederum ist anders als in den 2000er Jahren nicht in der Lage, dieses Projekt durchzusetzen. Eine Neuauflage der Agenda-Politik unter SPD-Führung würde den Untergang der Partei bedeuten. Daher muss die SPD aus Perspektive des Kapitals als Kanzlerpartei von der Union abgelöst werden, damit diese – flankiert durch eine rassistische Kampagne – den Generalangriff auf die Klasse der Lohnabhängigen durchsetzen kann.
Aus für die Ampel
Zu Jahresbeginn 2024 wurde immer deutlicher, dass die Koalition am Ende ist. Nicht nur, dass sie sich nicht auf einen gemeinsamen Haushalt einigen konnte, es fehlten auch die Mittel für bereits geplante Projekte. Darüber hinaus rutschte die Bundesrepublik bereits im Laufe des Jahres 2023 in eine Rezession. Wirtschaftskrise und Haushaltsloch machten den Handlungsdruck immer akuter, aber die Ampel hatte keine Antwort auf die Herausforderungen. Die politische Lähmung führte dazu, dass die Umfragewerte aller drei Koalitionsparteien in den Keller rauschten, ohne Aussicht auf eine Trendwende. Es brauchte einen Befreiungsschlag.
Zunächst ging die FDP in die Offensive. Christian Lindner legte den Koalitionspartnern ein Papier zur »Wirtschaftswende« vor, das im Kern einen Generalangriff auf Beschäftigte und Sozialstaat vorsah, Steuersenkungen für Konzerne forderte sowie einen Abbau von Klimaschutzmaßnahmen, um die Energiekosten für die Industrie zu senken. Das Papier gelangte unmittelbar an die Öffentlichkeit. Offensichtlich war die FDP dabei, den kalkulierten Bruch der Koalition vorzubereiten. Auf dem Koalitionsgipfel brachte sie Neuwahlen ins Spiel – und auch diesen Vorstoß ließ sie unmittelbar an die Presse durchsickern. Scholz suchte angesichts dieser Lage die Flucht nach vorne und entließ seinen Finanzminister. Die Ampel war Geschichte.
Mit seiner offensichtlich gut vorbereiteten Ansprache ist es Scholz gelungen, die FDP zu überrumpeln und sein eigenes Narrativ für das Scheitern der Ampel zu setzen.
Dieser Versuch aus der Sackgasse herauszukommen, in die sich die Ampel manövriert hatte, war riskant, aber angesichts mangelnder Alternativen das kleinere Übel. Die handlungsunfähige Koalition bis zum regulären Wahltermin im September 2025 fortzusetzen, während die Wirtschaft sich in der längsten Rezession seit mehr als 20 Jahren befindet und ein Konzern nach dem anderen einen Stellenabbau im großen Stil verkündet, hätte jede noch so geringe Chance auf eine Erholung aus dem Umfragetief oder gar einen Wahlsieg zunichte gemacht.
Mit seiner offensichtlich gut vorbereiteten Ansprache am Abend des 6. November ist es Scholz gelungen, die FDP zu überrumpeln und sein eigenes Narrativ für das Scheitern der Ampel zu setzen: Die SPD stehe für soziale Gerechtigkeit, eine Stärkung des Wirtschaftsstandorts, die Sicherung von Arbeitsplätzen, Investitionen in klimafreundliche Modernisierung und Infrastruktur, außenpolitische »Verlässlichkeit« (Aufrüstung und militärische Unterstützung der Ukraine) und eine solide Finanzierung des Gemeinwesens – all das sei mit der FDP aber nicht zu machen, weil diese parteipolitische Interessen über die Verantwortung für das Land stelle, daher brauche es Neuwahlen.
Aufholjagd der SPD?
Spätestens mit dem durch Scholz verkündeten Bruch der Koalition schaltete die SPD, wie auch alle anderen Parteien, auf Wahlkampfmodus. Unter diesem Vorzeichen muss auch das Geplänkel um den Wahltermin gedeutet werden. Niemand in der SPD wird ernsthaft geglaubt haben, die Union würde sich in einer solchen Lage für Gesetzesvorhaben der Ampel einspannen lassen. Das Argument, der Bundestag müsse noch geplante Projekte der Ampel-Regierung auf den Weg bringen, bevor neu gewählt werden könne, war ein Manöver, um Zeit zu gewinnen. Scholz wird von Beginn an klar gewesen sein, dass der Plan, erst im Januar die Vertrauensfrage zu stellen, nicht durchzuhalten ist. Dennoch hat die Verzögerungstaktik mit dem nun erzielten Kompromiss, den Wahltermin auf den 23. Februar anzusetzen, der SPD einen guten Monat mehr Zeit für die Aufholjagd auf Merz und die Union verschafft.
Scholz’ Rede nach dem Ampel-Aus ließ bereits erkennen, mit welcher Taktik die SPD nun in den Wahlkampf geht.
Umfragen zufolge liegt die SPD bei aktuell etwa 16 und die Union bei etwa 33 Prozent. Dennoch sollte man die Sozialdemokratie nicht verfrüht abschreiben. Im Bundestagswahlkampf 2021 sahen die Umfrageinstitute die SPD nur zwei Monate vor der Wahl ebenfalls bei nur etwa 16 Prozent. Die Union kam in den Wahlumfragen zu diesem Zeitpunkt auf etwa 30 Prozent. Letztlich gelang der SPD aber der knappe Wahlsieg mit einem Ergebnis von 25,7 Prozent gegenüber 24,1 Prozent bei der Union. Das Erfolgsrezept war ein Wahlkampf, bei dem die SPD links blinkte und auf soziale Themen sowie ein staatliches Investitionsprogramm zur Ankurbelung der Wirtschaft setzte. Innerhalb weniger Wochen drehte sie die Stimmung, was aber auch mit der Schwäche und den Patzern des Unionskandidaten Armin Laschet zusammenhing.
Ob solch eine Aufholjagd wieder möglich ist, bleibt fraglich, ist aber auch nicht völlig ausgeschlossen. Scholz’ Rede nach dem Ampel-Aus ließ bereits erkennen, mit welcher Taktik die SPD nun in den Wahlkampf geht. Um überhaupt eine Chance zu haben, wird sie wie schon 2021 versuchen, mit einem linken Profil in der Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik die Union herauszufordern, während sie bei den Themen Asyl und Migration sowie Rüstung, Militarisierung und Waffenexporte in Kriegsgebiete den gesellschaftlichen Rechtsruck weiter mitgehen und sogar befeuern wird.
»Agenda 2040« flankiert durch Rassismus
Ohne Zweifel hat die Union deutlich bessere Chancen, die Bundestagswahl zu gewinnen und mit Friedrich Merz den nächsten Kanzler zu stellen. Die Union ist zwar nicht Hauptprofiteurin des aktuellen Rechtsrucks – das ist eindeutig die AfD –, aber sie kann sich als bürgerliche Alternative zur faschistischen Höcke-AfD inszenieren. Vor allem aber ist sie die Wunschoption der Herrschenden – des Kapitals – und damit auch ihrer Meinungsmacher, den bürgerlichen Medien. Die ihr zugedachte Aufgabe besteht darin, eine Neuauflage der Schröderschen Agenda-Politik durchzusetzen. In Unions- und Arbeitgeber-Kreisen ist bereits seit längerem von der Notwendigkeit einer »Agenda 2040« die Rede. Niemand könnte für diese schmutzige Arbeit ein geeigneterer Kandidat sein als der ehemalige Aufsichtsratschef des US-Finanzinvestors Blackrock in Deutschland.
Die AfD droht zur eigentlichen Gewinnerin der verkorksten Legislatur der Ampel-Koalition zu werden.
Um von ihrer unsozialen und arbeitnehmerfeindlichen Politik abzulenken, werden Merz und CDU/CSU versuchen, die Hetze gegen Geflüchtete, Migrant:innen und Muslime weiter zu befeuern, was letztlich vor allem der AfD weiteren Aufwind geben wird. Es erwartet uns also ein Wahlkampf, der einerseits geprägt sein wird von einer Auseinandersetzung um den wirtschaftspolitischen Kurs aus der Krise und andererseits von Rassismus und Sündenbockpolitik. Insbesondere mit der Wahl Donald Trumps in den USA wird als weiteres Thema die Fortsetzung der militärischen Unterstützung der Ukraine von Bedeutung sein, wobei hier die Differenzen zwischen Union und SPD nicht sehr groß sind, sondern vor allem zur AfD, dem BSW und in Teilen der Linkspartei verlaufen.
Die AfD droht zur eigentlichen Gewinnerin der verkorksten Legislatur der Ampel-Koalition zu werden. Die Politik der scheidenden Bundesregierung war Wasser auf die Mühlen der Faschisten. Insbesondere die Grünen – der ideologische Lieblingsfeind der AfD – haben mit ihrer elitären Politik unter dem Deckmantel der Progressivität, mit ihrer Klimapolitik auf dem Rücken von Beschäftigten und Verbraucher:innen und mit ihrem aggressiven Bellizismus unter dem Schein der Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten der AfD die ultimative Angriffsfläche geboten. Aber auch die Union unter Merz hat in ihrer Oppositionsrolle mit rassistischen Hetzkampagnen der AfD den roten Teppich ausgerollt.
Potenzial für Widerstand
Doch es gibt auch Grund zur Hoffnung. Die Massenbewegung gegen die AfD zu Jahresbeginn 2024 hat gezeigt, dass es nach wie vor ein gewaltiges antifaschistisches Protestpotenzial gibt. Auch die Proteste und Blockaden gegen den AfD-Parteitag in Essen Anfang Juni im Rahmen von #Widersetzen sind Ausdruck dessen. Die aktuelle Diskussion über ein AfD-Verbot bietet die Gelegenheit, wieder an die Massenproteste anzuknüpfen, mit dem Ziel, die außerparlamentarische Bewegung zu verbreitern und Druck von unten aufzubauen. Ohne diesen wird es kein Verbot geben. Aktuell formiert sich an den Hochschulen unter dem Label »Studis gegen Rechts« die bislang größte Studierendenbewegung des Jahrzehnts. Mit der nun vorgezogenen Bundestagswahl gilt es, dieses Potenzial schnellstmöglich in Aktion zu bringen und der AfD, wo immer es geht, den öffentlichen Raum streitig zu machen.
Die Angst vor einem brutalen Rechtsruck und dem Aufstieg eines neuen Faschismus treibt breite Teile der Gesellschaft um.
Die Wahl von Trump hat auch in Deutschland viele Menschen alarmiert. Die Angst vor einem brutalen Rechtsruck und dem Aufstieg eines neuen Faschismus treibt breite Teile der Gesellschaft um. Darüber hinaus gibt es auch ein wachsendes Bewusstsein für die Notwendigkeit einer solidarischen Alternative zum neoliberalen und rassistischen »Weiter so« der etablierten Parteien. Das drückt sich auch in der Mitgliederentwicklung der Linkspartei aus. Viele Tausend vorwiegend junge Menschen sind seit der Abspaltung von Sahra Wagenknecht in Die Linke eingetreten. Allein seit der Trump-Wahl gibt es mehr als eintausend Neueintritte – in nur einer Woche. Dies zeigt das große Potenzial, eine starke linke Partei gegen den neoliberalen und faschistischen Block aufzubauen.
Herausforderungen der Linken
Doch die Neuwahlen kommen für Die Linke zur Unzeit und stellen sie vor eine gewaltige Herausforderung. Die Krise der Partei ist noch nicht überwunden und in Umfragen liegt sie bundesweit weiterhin unter 5 Prozent. Der eingeschlagene Kurs der Erneuerung steht noch ganz am Anfang und was darunter verstanden wird, ist weiterhin umkämpft. Der Plan, im Rahmen eines Vorwahlkampfs eine großangelegte Gesprächs- und Haustüroffensive anzugehen und darüber die Partei in Aktivität zu bringen, sie lokal zu verankern und Stärke aufzubauen, um bis zur Bundestagswahl im September eine neue Aufbruchstimmung und den Wiedereinzug zu schaffen, ist angesichts der Neuwahl im Februar nur in Ansätzen umzusetzen. Umso wichtiger ist es, jetzt in die Offensive zu gehen und dafür zu kämpfen, dass es weiterhin eine soziale, solidarische, antirassistische und antikapitalistische Kraft im Deutschen Bundestag gibt.
Es geht nicht darum, sich als Kümmererpartei zu inszenieren, die stellvertretend für die Menschen ihre Probleme löst, sondern darum, Selbstaktivität und Beteiligung zu stärken.
Wie das gelingen könnte, hat die Kampagne um die Kandidatur von Nam Duy Nguyen gezeigt, der im sächsischen Landtagswahlkampf mit einem klassenpolitischen, antirassistischen und antifaschistischen Profil das Direktmandat in Leipzig Mitte-Ost gewann und als erste Person of Color in den Sächsischen Landtag eingezogen ist. Das Erfolgsrezept der Kampagne: Ein Haustürwahlkampf, der weit mehr war als ein Werben um Wählerstimmen. Statt leeren Verheißungen stand die Aktivierung und Beteiligung von unten im Zentrum der aufsuchenden Gespräche. Diese dienten nicht primär dazu zu erklären, was Die Linke will, sondern um zuzuhören, was die Probleme und Anliegen der Menschen sind, um daraus Forderungen abzuleiten, für deren Erkämpfung zur gemeinsamen Aktivität eingeladen wird. Es ging also nicht darum, sich als Kümmererpartei zu inszenieren, die stellvertretend für die Menschen ihre Probleme löst, sondern darum, Selbstaktivität und Beteiligung zu stärken.
Die Kampagne um die Kandidatur von Nam Duy war so erfolgreich, weil Die Linke zeigen konnte, dass sie anders ist als andere Parteien. Hier wurde im Kleinen erkennbar, wie eine erneuerte Linke aussehen kann. Hunderte Aktivist:innen beteiligten sich an den Haustürgesprächen – nicht wenige davon (zunächst noch) keine Parteimitglieder. Das zeigt, wie attraktiv die Linkspartei für ein vorwiegend junges, aktivistisches Milieu sein kann, wenn sie auf Aktivierung statt Stellvertretertum setzt.
In die Offensive
Eine Kampagne wie in Leipzig lässt sich natürlich nicht überall eins zu eins kopieren, aber die grundsätzliche Herangehensweise schon. Und auch wenn das Zeitfenster bis zur Neuwahl sehr klein ist, sollte die Partei alles darauf setzen, jetzt an möglichst vielen Orten Aktivenstrukturen aufzubauen und einzuladen, dort mitzumachen. Tatsächlich sind inzwischen bereits über 150 Kreis- und Bezirksverbände bei der Gesprächsoffensive am Start. Darauf gilt es aufzubauen. Klar ist aber auch: Ein Großteil des aktivistischen Potenzials für eine Erneuerung der Partei ist bislang (noch) nicht in der Linkspartei organisiert. Das gilt es zu ändern, indem sich die Partei vor Ort so aufstellt, dass sie ein attraktives Angebot für diese Menschen bietet.
Die Linke hat eine Chance, wenn sie sich als Partei der lohnabhängigen Klasse für eine grundlegend andere Gesellschaft einsetzt, und dabei Strategien aufzeigt, wie sich diese mit demokratischer Selbstorganisation und Machtaufbau von unten erkämpfen lässt. Nur so kann sie einen realen Gebrauchswert für die Klasse entwickeln. Vor dem Hintergrund, dass die SPD versuchen wird, sich im Wahlkampf als linke Alternative zur CDU zu profilieren, muss Die Linke sich deutlich von der Sozialdemokratie abgrenzen. Es reicht nicht, deren Forderungen lediglich zuzuspitzen oder zu überbieten. Eine Wahlkampagne, die Die Linke wie im Wahlkampf 2021 zum Beiboot der SPD macht, wäre fatal, weil sie sich dann überflüssig macht. Stattdessen braucht es einen klaren Anti-Establishment-Kurs und ein scharfes Oppositionsprofil, auch bei gesellschaftlich kontroversen Konfliktthemen, wie aktuell den Kriegen in der Ukraine und in Gaza. Der Widerstand gegen Waffenexporte in Kriegsgebiete darf nicht AfD und BSW überlassen werden. Es braucht eine starke linke Stimme gegen Militarisierung, Aufrüstung und Krieg.
Eine große Streikbewegung unmittelbar vor einer Bundestagswahl ist ein absolutes Novum.
Gute Gelegenheiten für Die Linke, sich im Wahlkampf als Klassenpartei an der Seite der Beschäftigten aufzustellen, bieten die Tarifrunden bei der Post und im öffentlichen Dienst. Durch die vorgezogenen Neuwahlen fallen beide Runden mitten in die heiße Wahlkampfphase. Das ist ein absolutes Novum in der Geschichte der Bundesrepublik. Noch nie gab es eine große Streikbewegung unmittelbar vor Bundestagswahlen. Beide Tarifrunden sind als offensive, konfliktorientierte Bewegungen angelegt. Das ist sowohl ein Resultat des gestiegenen Erwartungsdrucks der Beschäftigten und des gewachsenen Selbstbewusstseins vieler Kolleg:innen wie auch der Tatsache, dass in den letzten Jahren bei ver.di vorsichtige Schritte in Richtung einer Demokratisierung von Tarifrunden gemacht wurden. Hunderttausende Beschäftigte der Post und 2,5 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst könnten nun im Wahlkampf zu Streiks aufgerufen werden und die Teuerung bei den Lebenshaltungskosten sowie die Ausfinanzierung der öffentlichen Daseinsvorsorge als Wahlkampfthemen setzen – eine große Chance, die SPD vor sich herzutreiben, auch für Die Linke.
Für Millionen Menschen im Land ist die Trump-Wiederwahl und auch der Regierungsbruch in Deutschland ein Schock. Sie können auch ein Weckruf werden. Gehen wir es an!
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Schlagwörter: Ampel, Bundestagswahl