Am 13. Januar 1980 wurden die Grünen gegründet. Wir analysieren, warum sich die Partei von einer linken Bewegungspartei in eine systemkonforme Kraft entwickelt hat
Die Gründung der Grünen 1980 war ein Produkt der politischen Entwicklung des vorangegangenen Jahrzehnts. Die Studentenbewegung von 1968 hatte die Kräfteverhältnisse innerhalb der westdeutschen Gesellschaft maßgeblich verändert. Die gesellschaftliche Politisierung, die von der ’68er-Bewegung ausging, drückte sich vor allem in der Bundestagswahl 1972 aus. Bei einer Rekordwahlbeteiligung von über 90 Prozent wurde die SPD um Willy Brandt mit dem Slogan »Frieden und Demokratie« erstmals stärkste Partei in der BRD.
Die Regierung Brandt war für soziale Reformen, mehr Demokratie, Vollbeschäftigung und Abrüstung gewählt worden. Gegen Ende seiner Amtszeit dämpfte der Kanzler zusehends die Hoffnungen seiner Anhänger. Er setzte sich nun für Lohnzurückhaltung ein und seine Regierung führte die Berufsverbote für radikale Linke ein. Brandts Nachfolger Helmut Schmidt drehte die Reformversprechen schließlich vollends ins Gegenteil. Er kürzte beim Arbeitslosengeld, bei der Ausbildungsförderung, beim Kindergeld und in der Behinderten- und Altersversorgung.
Die Unzufriedenheit mit der SPD-Regierung wuchs. Zum Kristallisationspunkt der Opposition wurde schließlich die Anti-Atom-Bewegung. Atomkraftgegner in den siebziger Jahren sahen sich von keiner der drei im Bundestag sitzenden Parteien vertreten. Sowohl die CDU als auch die SPD/FDP-Koalition befürworteten den Bau von AKWs. 1974 plante das Wirtschaftsministerium, bis zum Jahr 1985 etwa 50 neue Kraftwerke in Deutschland zu bauen. 1975 wurden diese Pläne erstmals durch große außerparlamentarische Proteste durchkreuzt. Eine vom breiten und entschlossenen Widerstand der regionalen Bevölkerung getragene Bauplatzbesetzung im badischen Whyl konnte den Bau eines Atomkraftwerks verhindern.
Militante Bauplatzbesetzungen in der Folgezeit scheiterten jedoch. In dieser Situation begann in der Bewegung die Diskussion über die Teilnahme an Wahlen. Diese sollten genutzt werden, um wieder in die Offensive zu kommen. Im ganzen Land entstanden grüne, bunte und alternative Listen. 1980 schlossen sich viele dieser Listen schließlich zur Partei »Die Grünen« zusammen. Die Ex-Grüne Jutta Ditfurth erinnert sich an den Gründungsparteitag: »Am Wochenende, dem 12. und dem 13. Januar 1980, barst die Stadthalle von Karlsruhe fast aus den Fugen: 1004 Delegierte wollten eine ganz neue Partei gründen. Rund 300 JournalistInnen beobachteten staunend oder hämisch einen Parteitag, wie sie ihn noch nie zuvor gesehen hatten: Bäuerliche BauplatzbesetzerInnen vom Kaiserstuhl begegneten radikalen Feministinnen aus Köln. Militante Brokdorf-DemonstrantInnen aus Hamburg und Hessen diskutierten mit christlichen PazifistInnen aus Bayern oder VogelschützerInnen aus Niedersachsen. Punks mit Schlipsträgern. KommunistInnen mit AnthroposophInnen.« Die Grünen verstanden sich als »Anti-Parteien-Partei« und als Partei der außerparlamentarischen Bewegung.
Realos und Fundis
Doch schon früh entwickelten sich in der Partei die beiden Flügel, deren Richtungskämpfe ihre Zukunft prägen sollten: die so genannten »Fundis« auf der einen Seite und die »Realos« um den Ex-»Sponti« Joschka Fischer auf der anderen Seite. Ein Streitpunkt zwischen den beiden Fraktionen, war die Frage, ob sich die Grünen an Regierungen beteiligen sollten.
Die »Fundis« waren gegen jegliche Regierungsbeteiligung. Jutta Ditfurth, eine prominente Vertreterin dieses Flügels, betonte, man könne »nicht mit Bürgerinitiativen zusammen gesellschaftliche Oppositionen machen, gleichzeitig aber selbst Teil des Staatsapparates sein«. Sie und ihre Mitstreiter verstanden die Grünen als »Partei der Bewegung«. Anfang der achtziger Jahre brachte die Orientierung auf die Friedensbewegung der Partei ein rasantes Wachstum. Auf dem Höhepunkt der Proteste (1981/82) vergrößerte sich die Mitgliedschaft um 10.000 auf 25.000. Außerdem bescherte die Teilnahme an den Protesten den Grünen 1983 den erstmaligen Einzug in den Bundestag.
Die »Realos« hingegen vertraten die Ansicht, dass nur über das Parlament gesellschaftliche Veränderung möglich sei. Die sozialen Bewegungen könne lediglich die Parlamentsarbeit flankieren. Joschka Fischer forderte schon zu Beginn der achtziger Jahre, dass die Grünen »bündnisfähig« und zum »Machtfaktor« werden müssten.
Diese Position setzte sich in den kommenden Jahren in der Partei durch. 1985 trat die Partei in Hessen in die Regierung ein. Joschka Fischer wurde Umweltminister der ersten rot-grünen Koalition. Von 1998 bis 2005 stellten sie gemeinsam mit der SPD die Bundesregierung – mit fatalen Folgen: Die ehemalige Friedenspartei stimmte den Angriffskriegen in Serbien und Afghanistan zu. Und ein grüner Umweltminister setzte Castor-Transporte mit Polizeigewalt gegen Anti-AKW-Demonstranten durch. Zudem war Rot-Grün die Bundesregierung, die die schärfsten Angriffe auf den Sozialstaat seit 1945 durchgeführt hat.
Jutta Ditfurth, die die Grünen 1991 verlassen hat, sagt über diese Entwicklungen: »Wir wollten eine Welt ohne Atomkraftwerke, ohne Unterdrückung, ohne Hunger. Eine Welt ohne Angst. Wir hatten einen Traum! Und wir hatten Erfolg. Zehntausende kamen zu uns, wählten uns. Aber dann kamen die Karrieristen, die Opportunisten, die Spontis – Josef ‘Joschka‘ Fischer, Daniel Cohn-Bendit…« Wie konnte es dazu kommen?
Die Kräfteverhältnisse ändern sich
Ab Ende 1973 geriet die BRD in die bis dato schwerste Rezession ihrer bisherigen Geschichte. Die Zahl der Arbeitslosen stieg auf über eine Million im Jahr 1975 an. 1983 waren es bereits 2,5 Millionen. Die Krise und die damit verbundene Angst vor Arbeitslosigkeit sorgten für Verunsicherung in den Betrieben. Die Kampfbereitschaft der Arbeiter sank. Die Zahl der Streiks in Deutschland nahm ab und viele endeten in Niederlagen.
Der Niedergang der westdeutschen Arbeiterbewegung stellte eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zugunsten der Unternehmer dar. Von den Akteuren der sozialen Bewegungen wurde dies aber zunächst nicht so wahrgenommen. Vielmehr versteckte sich der Abschwung der Arbeiterbewegung zunächst hinter einem Aufschwung anderer außerparlamentarischer Kämpfe in den siebziger und frühen achtziger Jahren.
Noch inspiriert durch die 68er-Bewegung entstanden die so genannten Neuen Sozialen Bewegungen – zum Beispiel die Anti-AKW-Proteste, die Häuserbesetzungen oder die Friedensbewegung. 1982/83 gingen Hunderttausende gegen den »NATO-Doppelbeschluss« – die Stationierung von atomaren Kurzstreckenraketen vom Typ Cruise-Missile und Pershing II in der BRD – auf die Straße. 1986 protestierten Zehntausende gegen die atomare Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf und das Endlager in Gorleben.
Doch all diese Bewegungen konnten nicht mehr den gleichen gesellschaftlichen Druck aufbauen wie die Streikbewegungen der sechziger und frühen siebziger Jahre. Die besetzten Häuser wurden geräumt, die Atomkraftwerke weiter betrieben und der NATO-Doppelbeschluss vom Parlament verabschiedet.
Grüne Marktwirtschaft
Wie viele Linke verabschiedeten sich auch die Grünen in den Achtzigern davon, den Kapitalismus als System überwinden zu wollen. Während die radikale Linke einige Jahre zuvor noch Teile der Arbeiter mit ihren Positionen ansprechen konnten, waren diese jetzt nicht mehr für die Ziele der Bewegung zu gewinnen. Im Gegenteil: Teilweise protestierten sie sogar gegen sie – wie etwa 1977, als 100.000 Menschen in Dortmund zu einer Pro-Atom-Demonstration zusammen kamen. Die Arbeiterklasse wurde nicht mehr als die Kraft für gesellschaftliche Veränderungen angesehen. Ausdruck der Abkehr von den radikalen Zielen der ’68er Bewegung war auch das 1980 erschienene Buch »Abschied vom Proletariat« des französischen Sozialisten André Gorz. Es fand reißenden Absatz unter Linken.
Zugleich verzichteten die Grünen darauf, eine grundsätzliche Kritik am Kapitalismus zu formulieren. Hatten viele ihrer Mitglieder noch in den siebziger Jahren im Rahmen verschiedener maoistischer »K-Gruppen« für dessen Abschaffung gekämpft, so forderten sie nun eine kontrollierte »grüne« Marktwirtschaft. So richtig die Kritik an der Industrialisierung und der damit einhergehenden Umweltverschmutzung war, so falsch war die Idee nachhaltigen Umweltschutz im Rahmen der Marktwirtschaft durchzusetzen. Denn das Problem der Umweltzerstörung liegt weniger in Industrialisierung und technischem Fortschritt an sich begründet, sondern darin, wie diese im Rahmen kapitalistischer Profitlogik stattfindet. Um im globalen Konkurrenzkampf bestehen zu können, umgehen große Unternehmen häufig Umweltstandards oder verzichten darauf, erschwingliche umweltfreundliche Produkte auf den Markt zu bringen.
Das Primat der Marktwirtschaft hat den Grünen häufig Schwierigkeiten bereitet, sich positiv in soziale Auseinandersetzungen einzuschalten. Letztendlich ist auch der Beschluss aus dem Bundeswahlkampf 1998, den Benzinpreis auf 5 DM zu erhöhen, Ergebnis dieser Position. Nicht die großen Konzerne, sondern die Verbraucher sollen für die Umweltverschmutzung zahlen.
In der Anhängerschaft der Partei sind diese Positionen wenig umstritten – was auch mit deren Lebenssituation zusammenhängt. Die Grünen-Wähler verfügen über ein überdurchschnittlich hohes Haushaltseinkommen und sind daher von Hartz IV oder der Rente mit 67 weniger schwer betroffen. Dies erklärt auch, warum der Aufschrei gegen die Agenda 2010 an der grünen Basis wesentlich gemäßigter ausfiel als bei der SPD. Joschka Fischer hatte nicht ganz Unrecht, als er in den Achtzigern die Zukunft der Partei als die einer »ökologischen FDP« sah.
Regierung statt Straße
Das allgemeine Abflauen außerparlamentarischer Proteste in den achtziger Jahren und der Niedergang der Arbeiterbewegung schwächten den Flügel, der auf Bewegung setzte, und stärkten den Realoflügel in seiner Orientierung auf Regierungsbeteiligung. In dieser Situation argumentierten sie, dass die einzige Möglichkeit Veränderungen zu erreichen, der parlamentarische Weg sei. Sie verstanden die Arbeit im Parlament nun nicht mehr als Instrument zur Stärkung der außerparlamentarischen Bewegung, sondern die Bewegung wurde – wenn überhaupt – zu einem Instrument, um einzelne Forderungen im Parlament durchzusetzen.
Ohne die Bewegung auf der Straße fehlte den Grünen allerdings auch das Mittel, im Parlament Druck ausüben zu können. Sie waren – wollten sie überhaupt irgendetwas erreichen – gezwungen, Kompromisse einzugehen. Nach und nach wurden viele grüne Inhalte über Bord geworfen, um regierungsfähig zu werden. Als 1985 in Hessen die erste rot-grüne Landesregierung gebildet wurde, spottete der »Spiegel« über den Koalitionsvertrag: »Die Grünen gaben sich damit zufrieden, dass sie sich künftig um den Bestand von Vogelarten kümmern dürfen, aber nicht um den Abbau der Kernenergie«. Die Beteiligung an der Regierung Schröder führte schließlich zur völligen Aufgabe ihrer Grundsätze. Die Grünen trugen alle maßgeblichen Projekte Schröders kritiklos mit.
Auf kommunaler Ebene arbeitet die Partei teilweise eng mit der CDU zusammen – so in Frankfurt und in zwei Hamburger Bezirksparlamenten. Mittlerweile plädieren führende Politiker der Grünen auch auf Landesebene für Koalitionen mit der Union. So sagte Krista Sager Anfang Februar 2009 in einem Interview mit der »Berliner Zeitung«, dass sie ein schwarz-grünes Bündnis nach der Bürgerschaftswahl in Hamburg nicht ausschließen wolle.
Fazit
Letztendlich führte die Orientierung auf Parlament und Regierungsbeteiligung zu einem vollkommenen Wandel der Grünen. Viele Linke verließen die Partei, spätestens seit Ende der 80er Jahre wird sie von den »Realos« beherrscht. Einzelne Linke wie Hans-Christian Ströbele können auf den grundsätzlichen Kurs der Partei nicht wirklich Einfluss nehmen. 30 Jahre nach ihrer Gründung sind die Grünen kein verlässlicher Bündnispartner für die lohnabhängig Beschäftigten, Rentner, Studierende und sozial Benachteiligte. Wohl aber für Konzerne wie die Allianz – die mittlerweile zu ihren Großspendern zählen.
Foto: gruenenrw
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