Die Pausenräume machen es schwer, den wegen Corona nötigen Abstand zu halten. Das erzählt Straßenbahnfahrer Udo* aus Halle
marx21: Wo arbeitest du?
Udo*: HAVAG, Hallesche Verkehrs AG.
Als was arbeitest du?
Straßenbahnfahrer aka Bimmelkutscher. Ich bin 54 Jahre alt, seit 30 Jahren Straßenbahnfahrer, Vertrauensmann für die Gewerkschaft und auch in der Linken.
Wieviele Beschäftigte sind in deinem Unternehmen tätig?
Rund 770 Mitarbeitende, hauptsächlich Fahrbedienstete, das sind etwa 250-300. Dann gibt’s noch Verwaltung und Werkstattbereiche, Reparaturbetrieb und so weiter, davon etwa 40 Azubis.
Arbeitest du während des »Lockdowns«?
Ja.
Wie hat der »Lockdown« deine Arbeit verändert?
Im Arbeitsalltag wird viel mehr auf Abstand geachtet, sowohl zwischen Kolleginnen als auch zu den Kunden. Im ersten Lockdown ist das Fahrgastaufkommen auf 30-35 Prozent runtergegangen. Da sind wir nur noch alle 20 Minuten gefahren. Zuletzt war unser Fahrgastaufkommen aber wieder bei 65-70 Prozent vom Normalbetrieb.
Seltenere Fahrten im Lockdown
Seit dem Schneefall in den letzten Tagen haben wir nur noch drei Notlinien und alles andere wird über Busse geregelt. Bei 50 cm Schnee und Eis kommen unsere Maschinen häufig nicht mehr dagegen an. Das muss alles per Hand gemacht werden. Bei der Innenstadtlinie haben wir nur ein Gleis freigelegt und fahren dort jetzt eine Ringlinie. Es ist wegen des vielen Schnees und mit den modernen Wagen (Niederflurtechnik) zu mehreren Entgleisungen gekommen. Nebengewerke sind durch das Schneechaos besonders belastet.
Warst du in Kurzarbeit?
Nein. Bei uns ist niemand in Kurzarbeit.
Wie ging es den anderen Kolleginnen und Kollegen bei dir im Betrieb?
Gerade im Gleisbau haben die Leute gerade echt viel zu tun. Bei den 50 cm Neuschnee in den letzten Tagen ist das richtig harte körperliche Arbeit. Sie sind den ganzen Tag draußen. Es gibt oft keine verfügbaren Toiletten. Wegen Corona arbeiten die Kolleginnen und Kollegen nur in kleinen Teams, die immer zusammen arbeiten.
Wenn an der Oberleitung was ist, ist das nochmal ein ganz anderer Spaß. Da sind ja 600 Volt drauf und da bei Minusgraden zu arbeiten, macht sicher keinen Spaß. Was gut ist: Dass für Kollegen mit Kindern auch mal ein Dienst getauscht wird, das wird alles toleriert. Da muss ich sagen: Hut ab.
Wie ist der Gesundheitsschutz bei dir im Betrieb geregelt?
Die Kabinen müssen regelmäßig gelüftet werden. Uns werden Masken und Desinfektionsmittel zur Verfügung gestellt. Die Kolleginnen und Kollegen aus der Verwaltung können zumeist im Homeoffice arbeiten. Das geht für Fahrdienste und Instandhaltung natürlich nicht.
An manchen Stellen würde ich mir schon wünschen, dass mehr darauf geachtet wird. Unsere Pausenräume sind oft sehr voll und es kann nicht auf Abstand geachtet werden. Größere Pausenräume würden dem Unternehmen natürlich mehr Kosten verursachen.
Größere Pausenräume kosten mehr Geld
Im ersten Lockdown gab es einen reduzierten Fahrplan und damit kürzere Schichten ohne Pause. Jetzt sind wir wieder im Regelbetrieb und müssen dann natürlich Pausen nehmen. Aber weil es an Investitionen in den ÖPNV fehlt, fehlt natürlich auch das Geld für größere Pausenräume.
Ist die Kantine offen?
Die Kantine ist zwar offen, aber nur zum Mitnehme. Wir müssen dann am Arbeitsplatz essen. Als Fahrer spielt das für uns aber auch nicht so eine große Rolle, unsere Pausenräume sind eh nicht, wo die Kantine ist.
Gibt es kostenfreie FFP2 Masken?
Ja.
Was hältst du von der Initiative #ZeroCovid?
Finde den Vorstoß schwierig. Habe davon mal gehört, aber ich persönlich halte relativ wenig davon. Welche Bereiche will ich denn davon aussparen? Es müssen offen bleiben Krankenhäuser, Feuerwehr, Polizei, Supermärkte. Wie kommen die Leute zur Arbeit und nach Hause? Dafür braucht es natürlich einen funktionierenden ÖPNV. Mir fehlt eine wirklich durchdachte Strategie.
Pleite mit dem Impfstoff
Dann kommt noch dazu diese unerträgliche Pleite mit dem Impfstoff. Wenn einfach die Versorgung mit Impfstoffen nur mal klappen würde. Da hat der Kapitalismus dann scheinbar reibungslos funktioniert. Wenn die in den USA mehr als das Fünffache zahlen, wird der natürlich dahin geliefert, und das, obwohl der Impfstoff in Deutschland entwickelt wurde. Da das Pflegepersonal noch nicht durchgeimpft wurde, wird das Personal im ÖPNV gar nicht beachtet.
Solange in der Politik nicht ankommt, dass es ein Mindesteinkommen trotz Kurzarbeit braucht, wenn es nicht 100prozentigen Ausgleich gibt, wird es dafür keine Mehrheit geben.
Was forderst du von deiner Gewerkschaft?
ver.di ist für unsere Interessen viel unterwegs. Als Tarifkommission haben wir gemeinsam mit Aktiven von Fridays For Future versucht, Druck aufzubauen in der letzten Tarifrunde.
Für uns ist auch ein Problem, dass unser Personal sehr überaltert. Der Altersdurchschnitt liegt bei knapp 50. Dabei sagen Studien, dass viele Beschäftigte nach 20 Jahren körperlich und psychisch fertig sind. Bei 134.000 werden 78.000 bis 2030 in den Ruhestand gehen. Da braucht es dann richtig viele neue Leute. Und wenn die Bedingungen so bleiben, wird das echt schwer. Ein LKW-Führerschein kostet etwa 5000 Euro. Da braucht man sich nicht zu wundern, dass kaum neue Busfahrer gefunden werden, wenn die erstmal so viel Geld lassen müssen. Immerhin gibt es auch mittlerweile wieder Ausbildungsgänge bei der HAVAG.
Starke Belastungen eindämmen
Die starken Belastungen in unserem Beruf müssen eingedämmt werden. Zumindest müssen die Kollegen so entschädigt werden, dass sie auch was davon haben. Ich war in der letzten Tarifrunde sehr enttäuscht von der Arbeitgeberseite, weil da immer so getan wurde, als wäre alles im grünen Bereich. Manche unserer Forderungen müssen in anderen Branchen gar nicht mehr diskutiert werden, etwa eine Arbeitszeit von 38,5 Stunden, Altersteilzeit und natürlich eine bessere Bezahlung. Es rächt sich jetzt, dass die letzten Jahrzehnte am ÖPNV gespart wurde. Wir haben aktuell einen Investitionsstau im ÖPNV von 120 Milliarden in Deutschland. Es gibt zwar ein bundesweites Investitionsprogramm für den ÖPNV, aber diese Gelder sind nur für Investitionen, nicht für bessere Bezahlung oder neues Personal.
Unser Entgelt-Tarifvertrag in Sachsen-Anhalt läuft bis Juni 2022, der Manteltarifvertrag, der die Arbeitsbedingungen darüber hinaus regelt, Urlaub, Arbeitszeit, Eingruppierung, Altersteilzeit, Ruhezeiten und so weiter, läuft Ende Juni 2021 aus. Ende 2023 werden wir dann bundesweit nochmal angehen, einen bundesweit einheitlichen Rahmentarifvertrag durchzusetzen.
*Name von der Redaktion geändert
Mach mit!
#CovidAtWork – unter diesem Hashtag werden im Zuge des Aufrufes ZeroCovid weltweit Geschichten aus dem Arbeitsalltag gesammelt und veröffentlicht. marx21 beteiligt sich mit einer eigenen Serie namens #Schichtgeschichten, und du kannst dabei helfen. Was erlebst du im Job unter den Bedingungen von Corona? Hier geht es zu unserem Online-Formular: Schichtgeschichten.
Andere #Schichtgeschichten:
- »Ich erwarte, dass meine Gewerkschaft #ZeroCovid unterstützt«
- »Geflüchtete werden zu oft überhört«
- »Im Kulturbereich sieht die Auftragslage schlecht aus«
- »Für Künstler sind Onlineausstellungen kein Ersatz«
- »Vor allem für die Kinder anstrengend«
- »Bei der Post hat sich die Arbeitsintensität erhöht«
- »Der Lockdown ist gar kein Lockdown«
- »Kein ›Weiter so‹ im Gesundheitswesen«
- »Die Produktion muss geändert werden«
- »Was nicht systemrelevant ist, muss nicht offen sein«
- »Die Konzernleitung übt hohen Druck aus«
Schlagwörter: #CovidAtWork, #Schichtgeschichten, #ZeroCovid, Corona, Covid-19