Hinter den Vorwürfen des Antisemitismus gegen die Journalistin Nemi El-Hassan steckt eine gezielte Kampagne, um Kritiker:innen Israels mundtot und Palästinasolidarität unmöglich zu machen, meint Nidal Thawri
Angeführt von rechten Vordenker:innen und der Bildzeitung wird die Journalistin Nemi El-Hassan zur Zielscheibe von Hass und Hetze. Bild-Chefredakteur Julian Reichelt bezeichnet die muslimische Medizinerin und Aktivistin mit palästinensischen Wurzeln als »Islamistin« und spricht ihr aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit die Kompetenz als Journalistin ab. Andere Konservative und angebliche Expert:innen sowie nahezu der gesamte bürgerliche Medienapparat folgen. Ausgangspunkt der Diffamierungskampagne: El-Hassan nahm 2014 an der pro-palästinensischen Al-Quds-Demo teil und trug dabei ein Palästinensertuch während sie mit den Fingern das Victory-Zeichen formte. Aufgrund der nun erhobenen »massiven Antisemitismus-Vorwürfe« hatder WDR die Zusammenarbeit mit ihr beendet.
Kampagne eines rechtsradikalen Rassisten
Recherchen von »Zeit-Online« zeigen, dass die Kampagne gegen Nemi El-Hassan vom rechtsradikalen Aktivisten Irfan Peci losgetreten wurde. Peci, der sich selbst »Islamistenjäger« nennt und der AfD sowie der Identitären Bewegung nahesteht, hatte nach eigenen Angaben einen Tipp bekommen, dass El-Hassan an der Al-Quds-Demo 2014 teilgenommen hatte, durchsuchte daraufhin Fotos von der Demo und wurde fündig. Auf rechten Youtube-Kanälen und im AfD-nahen Deutschland-Kurier berichtete er über seinen »Recherche-Erfolg«. Die Bildzeitung griff die Vorwürfe des Rechtsradikalen auf und in kürzester Zeit wurde aus der Kampagne eines antimuslimischen Rassisten ein bundesweit diskutiertes Thema.
Keine der Zeitungen und Sender, die El-Hassan diffamierten, erwähnte auch nur, was im Jahr 2014 im besetzten Palästina los war: Wieder einmal führte Israel Krieg gegen Gaza. In weniger als sieben Wochen wurden mehr als 2.000 Menschen im größten Freiluftgefängnis der Welt ermordet, darunter mehr als 500 Kinder. Über 10.000 Palästinenser:inen wurden verletzt, etwa ein Drittel davon war minderjährig. Doch der Krieg gegen Gaza und das Massaker an der Zivilbevölkerung wurden im »Fall« Nemi El-Hassan komplett totgeschwiegen.
Angriff auf Palästinasolidarität
Nemi El-Hassan ist nicht das erste Opfer einer gezielten Kampagne, um palästinasolidarische Stimmen in Deutschland mundtot zu machen. Wer Israel öffentlich kritisiert, es wagt, Israel einen Apartheidstaat zu nennen oder gar die BDS-Kampagne unterstützt, sieht sich massiver Repression ausgesetzt. Das geht von öffentlicher Diffamierung, über Auftrittsverbote bis hin zur Einschränkung der Berufsausübung – wie im Fall El-Hassan.
Erst letztes Jahr sollte der postkoloniale Denker Achille Mbembe von der Ruhrtriennale ausgeladen werden, weil er Israel als Apartheidstaat bezeichnet hatte. Im selben Jahr wollte eine Gruppe antizionistischer, jüdischer Kunststudierender in Berlin eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel »School for Unlearning Zionism« veranstalten, woraufhin sie von Politiker:innen und Medien als »Antisemiten« bezeichnet und als »selbsthassende Juden« dargestellt wurden. Es gibt unzählige ähnliche Geschichten. Palästinensische Gruppen und besonders palästinensische Geflüchtete mit unsicherem Aufenthaltstitel werden mit umso heftigeren Attacken bedroht.
Der Fall Nemi El-Hassan
Im Fall El-Hassan soll nun offensichtlich ein weiteres Exempel statuiert werden. Die Kampagne gegen sie soll ein klares Zeichen an alle palästinasolidarischen, antizionistischen und antirassistischen Stimmen – und besonders an kritische migrantische, muslimische, palästinensische Menschen – hierzulande senden: Wer in diesem Land nicht öffentlich geächtet, verunglimpft und als Persona non grata abgestempelt werden möchte, muss sich der rassistisch-zionistischen Hegemonie beugen. Dies von palästinensischstämmigen Menschen einzufordern, ist umso perfider und ein Ausdruck des anti-palästinensischen Rassismus.
So werden nicht nur der Rassismus und die Verbrechen des Zionismus geleugnet, sondern jeder Widerstand dagegen diskreditiert. Gleichzeitig kann so der real existierende Antisemitismus, der eine lange mörderische Geschichte in diesem Land hat, auf muslimische Migrant:innen abgeschoben werden, womit die Mehrheitsgeselllschaft nicht nur fein raus ist, sondern auch weiter ihrem Rassismus gegen Muslime als »nicht-integrierbar«, »unzivilisiert« und »islamistisch« fröhnen kann. Das wiederum soll deren Ausgrenzung und Überwachung sowie schärfere Einwanderungs- und Einbürgerungsgesetze legitimieren.
Reflex auf Solidaritätsbewegung
Die schrillen Reaktionen der Zionist:innen und ihrer Unterstützenden sind auch ein Reflex auf die internationale Stärke der Solidaritätsbewegung mit den Palästinenser:innen. In diesem Frühjahr demonstrierten weltweit Millionen für die Freiheit Palästinas und auch in Deutschland gingen Zehntausende auf die Straße.
Der antikoloniale Denker Frantz Fanon schrieb 1961 in »Die Verdammten dieser Erde«: »Im kolonialen Kontext hält der Kolonialherr erst dann in seiner Zermürbung des Kolonisierten inne, wenn dieser mit lauter und vernehmbarer Stimme die Überlegenheit der Werte des weißen Mannes eingestanden hat.«
Treffender hätte man die Zustände in Deutschland 2021 im Kampf gegen Palästinasolidarität nicht beschreiben können. El-Hassan hat dem Druck nachgegeben (»Ich schäme mich für diese Zeit«) und, wie zu erwarten, trotzdem verloren. Es ist höchste Zeit, dass die Linke aufwacht und sich der Hetze entgegenstellt.
Foto: Screenshot bild.de
Schlagwörter: Antisemitismus, Inland, Palästina