In dieser Woche beginnen in Den Haag am Internationalen Gerichtshof (IGH) die Anhörungen anlässlich der Klage Südafrikas, den israelischen Krieg gegen Gaza als Genozid zu verurteilen. Ein endgültiges Urteil könnte sich Jahre hinziehen und auch im Fall einer Verurteilung gibt es kaum Durchsetzungsmöglichkeiten. Warum der Prozess trotzdem wichtig ist und Wellen schlägt:
Am 16. März 2022, nicht mal einen Monat nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine, traf der IGH eine Anordnung: Russland müsse sofort die militärische Gewalt in der Ukraine beenden. Das Gericht folgte damit einem Antrag der ukrainischen Regierung. Den Krieg und das Morden hat das bekanntlich nicht gestoppt, aber für die westliche Welt und die NATO war es ein willkommener Urteilsspruch für die eigene Agenda und eine moralische Bestätigung für eine bedingungslose Unterstützung der Ukraine sowie für Aufrüstung und teils massiv vergrößerte Verteidigungshaushalte zuhause.
Die Klage aus Südafrika ist ausführlich belegt
Nun ist derselbe Gerichtshof mit einer Klage aus Südafrika beschäftigt, die in der westlichen Gemeinschaft nicht auf dieselbe Gegenliebe stoßen dürfte: Es geht um die Frage, ob Israels Vorgehen gegen die palästinensische Bevölkerung, ganz besonders nach dem 7. Oktober, die Kriterien für einen Völkermord bzw. Genozid erfüllt. Dass Südafrika starke inhaltliche Argumente hat, liegt auf der Hand.
Die Ankläger:innen im Auftrag Südafrikas haben für ihre Beweisführung unter anderem ein 85-seitiges Dokument mit entsprechenden Äußerungen von israelischen Politiker:innen zusammengestellt.
Nicht nur die nackten Zahlen der inzwischen 23.000 Getöteten im Gazastreifen und der Westbank, sondern auch die inzwischen zahlreichen, belegten Aussagen aus israelischer Politik und höchsten Regierungskreisen zum Krieg in Palästina könnten nicht nur tausende Aktivist:innen in aller Welt, sondern auch den Gerichtshof zum Urteil führen, dass es sich um einen Genozid handelt. Der Begriff des Genozids umfasst dabei nicht nur die tatsächliche Durchführung, sondern auch die Absicht »eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche zu zerstören«.
Die Ankläger:innen im Auftrag Südafrikas haben für ihre Beweisführung unter anderem ein 85-seitiges Dokument mit entsprechenden Äußerungen von israelischen Politiker:innen zusammengestellt. Darunter finden sich beispielsweise die Aussage des israelischen Verteidigungsministers Yoav Gallant, der die Bewohner:innen Gazas als »menschliche Tiere« bezeichnet hatte oder des Finanzministers Bezalel Smotrich, der die »freiwillige Ausreise« der palästinensischen Bevölkerung aus ihrer Heimat fordert und die besetzten Gebiete mit israelischen Staatsbürger:innen besiedeln möchte.
Eine Eilentscheidung wäre ein starkes Zeichen
es könnte ein mächtiges Signal setzen, welches als Wendepunkt die weltweite Solidarität für die Befreiung Palästinas stärken würde.
Da es sich um einen Eilantrag handelt, könnte der IGH zeitnah eine Eilentscheidung fällen, die der ähnelt, die 2022 gegen Russland gefällt wurde. Ob eine solche Entscheidung allerdings Israels Kriegsführung wirklich ändern würde, ist zu bezweifeln. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass sich imperialistische Staaten durch ein Gerichtsurteil stoppen lassen und spätestens durch ein US-amerikanisches Veto im UN-Sicherheitsrat wäre dann Schluss für ein Vorgehen der internationalen Gemeinschaft gegen Israel. Trotzdem wäre ein »Genozid-Urteil« enorm wichtig für die Menschen, die sich weltweit gegen Krieg, Besatzung und Apartheid in Palästina wenden und die wirklich die Kraft sind, die den Krieg nachhaltig stoppen könnten.
Das lässt sich an der Reaktion Israels auf die Anklage ablesen: Obwohl das Land viele internationale Organisationen ablehnt oder gar nicht anerkennt, nimmt es die Verteidigung sehr ernst. Das ergibt aus Israels Sicht auch durchaus Sinn: Ein Urteil durch den Strafgerichtshof wäre ein moralischer Boost für die Palästina-Bewegung und könnte die Proteste gegen Krieg und Besatzung stärken.
Die Versuche die Proteste als antisemitisch zu brandmarken, wenn sie den Genozid-Begriff nutzen, würden auch in Deutschland schwieriger werden. Je stärker wiederum die Proteste werden, desto größer wird der Druck auf die jeweiligen Regierungen, Israel in seinem Vorgehen nicht weiterhin bedingungslos zu unterstützen. Waffenlieferungen könnten weniger werden und Allianzen bröckeln. Keine Frage: Den Haag wird den Krieg nicht beenden, aber es könnte ein mächtiges Signal setzen, welches als Wendepunkt die weltweite Solidarität für die Befreiung Palästinas stärken würde.
Schlagwörter: Gaza, Genozid, Palästina