Nach weit über 40.000 Toten fällt ein nüchterner Blick auf langfristige Pläne der israelischen Politik schwer. Und doch ist die Frage wichtig, denn ihre Antwort gibt Hinweise auf polit-ökonomische Interessen hinter dem Genozid und der großflächigen Zerstörung der palästinensischen Gebiete. Von Daniel Kipka-Anton
Im Windschatten der israelischen Bombardierung und dem Einmarsch im Libanon geht das aktuelle Vorgehen der sogenannten Israel Defence Forces (IDF) im Gazastreifen in den deutschen Nachrichten nahezu unter. Der Blick dorthin ist weiterhin nicht nur nötig, um den gegenwärtigen Genozid zu verstehen, sondern auch, um eine Prognose für die Zukunft der Besatzung und der beabsichtigten Nachkriegsordnung zu wagen. Denn diese besteht nicht allein aus Zerstörung, Vertreibung und ethnischer Säuberung, sondern auch aus einer gefährlichen Mischung aus Kontrolle, ökonomischen Interessen und politischen Wahnideen.
Die Entvölkerung des nördlichen Gazastreifens
Die IDF konzentrieren sich aktuell vor allem auf den Norden des Gazastreifens. So ist dieser Tage vor allem das Flüchtlingslager Dschabalija mit seinen tausenden Einwohner:innen Ziel israelischer Attacken. Wie aus allen anderen Phasen seit Oktober 2023 bekannt, wird kein Unterschied zwischen militärischen Zielen, Wohnhäusern und Krankenhäusern gemacht. Wie im bisherigen Verlauf werden Frauen, Kinder und Alte zu Zielen.
Dschabalija gilt als größtes Flüchtlingslager innerhalb Palästinas und der laufende Einsatz skizziert, was Israel in naher Zukunft anstrebt: ein zunächst entvölkertes und schließlich vollständig und dauerhaft militärisch besetztes Gebiet. Diese Strategie wurde Anfang September in israelischen Medien als »General’s plan« lanciert. Neu ist die Idee einer weiteren und noch stärkeren Aufteilung und Zersplitterung des Gazastreifens, welcher seit 2007 unter einer hermetischen Blockade steht, aber nicht. Bereits zu Beginn des Jahres 2024 entstand inmitten der Militäroperation der sogenannte »Highway 749«, eine von israelischen Bulldozern und Panzern geschaffene Straße, die das zerbombte Gebiet südlich von Gaza-Stadt bis zum Mittelmeer durchpflügt und damit beste Voraussetzungen für eine Teilung in einen nördlichen und südlichen Teil des Gazastreifens schafft.
Auch hier ist das Muster klar: Wer nicht getötet wurde und sich nicht vertreiben lässt, muss mit noch härterer Kontrolle rechnen und mit weiteren Demütigungen. Ob Netanjahus Plan aufgeht, ist offen: Die extreme Rechte kann aber zufrieden sein, weil weitere potenzielle Gebiete für jüdische Siedlungen erschlossen werden und für das erweiterte rechte Spektrum bleibt die Perspektive auf einen noch härter kontrollierten und geteilten Gazastreifen.
Ideologisch steckt hinter diesem Vorgehen die Idee von einem »Groß-Israel«. Das ist keine Phantasterei des äußersten rechten Rands des politischen Spektrums in Israel. Der Ministerpräsident Benjamin Netanjahu selbst kokettiert bei öffentlichen Auftritten – unter anderem bei den Vereinten Nationen – regelmäßig mit dieser Idee, indem er beispielsweise eine Karte Israels ohne die palästinensischen Gebiete zeigt. »From the river to the sea« ist hier längst ein politisches Programm. Was im Westjordanland seit Jahrzehnten passiert, schält sich also immer weiter auch als Ziel der Kriegsführung seit dem 7. Oktober heraus. Israelische Kabinettsmitglieder sprechen offen vom Ziel der teilweisen oder vollständigen Vertreibung bzw. Vernichtung der palästinensischen Bevölkerung und der damit einhergehenden Vergrößerung des israelischen Staatsgebiets.
Zahlt sich der Genozid aus?
Doch die planmäßige Zerstörung palästinensischen Lebens ist nicht nur ein ideologisches Großprojekt, sondern auch eine finanziell lukrative Idee. Israelisches und internationales Kapital zeigt teils unverhohlenes Interesse an einem gesäuberten und noch stärker durch Israel kontrollierten Gazastreifen. Vor einigen Wochen schwärmte der Schwiegersohn Donald Trumps, Jared Kushner, in einem Interview vom möglichen Wert der Grundstücke an Gazas Küste und verband diese Feststellung mit dem Ratschlag: »I would do my best to move the people out and then clean it up« – ein offener Aufruf zugunsten von Immobilienspekulation den Genozid in Kauf zu nehmen.
Kushner ist mit diesen Plänen kein Sonderling, sondern fügt sich in ernsthafte Planungen großer Immobilienriesen ein, die damit beginnen, sich um die Kriegsbeute zu streiten. Kaum beachtet hierzulande und auch abseits der Waffenlieferung von Rheinmetall & Co. will auch das deutsche Kapital Profite mit den gesäuberten Immobilien machen, so beispielsweise der Axel-Springer-Verlag. Nach Recherchen des Journalisten Hanno Hauenstein besitzt der Verlag das größte israelische Anzeigenportal »Yad2«, welches nicht nur Wohnungen in den illegalen Siedlungen im Westjordanland an Interessent:innen aus Israel vermittelt, sondern erst vor wenigen Monaten mit ganzseitigen Anzeigen Werbung unter dem Titel »From the river to the sea« platzierte.
Der Spruch, in Deutschland kriminalisiert, wenn von Palästina-solidarischen Menschen benutzt, wird hier in Kombination mit einer Karte von Israel verwendet, auf der die palästinensischen Gebiete schlicht nicht sichtbar sind. Selbst für einen Verlag wie Springer ist ein solcher Grad an Zynismus krass. Einer ökonomischen Grundlage entbehren die Ideen aber leider keineswegs und sie sind eine konsequente Fortsetzung des israelischen Siedlerkolonialismus, der sich lange vor dem 7. Oktober, vor allem im Westjordanland, Bahn brach.
Deutsche Profiteure und Komplizen
Die weiteren Kriegspläne sind somit auch blutige Investitionsmöglichkeiten. Die Chancen stehen gut, dass auch hier deutsche Unternehmen von der möglichen Nachkriegsordnung und dem Wiederaufbau unter israelischer Ägide profitieren werden. »Heidelberg Materials« früher »Heidelberg cement«, eines der größten Baustoffunternehmen der Welt, hat auch in der Westbank keine Probleme, in besetzten Gebieten Rohmaterialien abzubauen und Baustoff für illegale Siedlungen zu liefern. Betongold kennt keine Menschenrechte und es gibt wenig Hinweise darauf, warum das deutsche Kapital plötzlich Skrupel entwickeln sollte.
Der Immobilienmarkt ist jedoch bei weitem nicht das einzige Geschäftsfeld, das von der israelischen Politik und damit von der Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung profitiert. Der Waffen- und Rüstungshandel zwischen Deutschland und Israel war schon in der jüngeren Vergangenheit stark, blüht aber spätestens seit dem 7. Oktober in ungekanntem Ausmaß auf: Seit dem Angriff der Hamas haben sich die deutschen Waffenexporte an Israel verzehnfacht, auf über 300 Millionen Euro. Damit kommen 30 Prozent der Gesamtimporte Israels an Waffen und Rüstungsgütern aus deutschen Waffenschmieden. Rheinmetall und Co. sind direkte Profiteure des israelischen Kriegs, ihre Börsenwerte gingen seit Kriegsbeginn durch die Decke.
Ein bisher ungehobener Schatz schlummert zudem unter dem Mittelmeer vor dem Gazastreifen. »Gaza Marine« ist ein massives Gasfeld 35 Kilometer vor der Küste. Von der britischen BG Group im Jahr 2000 entdeckt, hat Israel zwar bisher noch nicht direkt versucht, das Feld zu erschließen, aber durch die von Israel gezogene Seegrenze um den Gazastreifen ist es ebenso wenig möglich, dass Palästina dort Gas fördert. Einmal mehr ist also die Einhegung Gazas mit möglichen Milliardenprofiten verbunden.
Was steckt hinter Israels Genozid?
Es wäre eindimensional und falsch, den Völkermord auf Profitinteressen zu reduzieren. Er ist – unter anderem – Resultat der geopolitischen Interessenlage der USA und der EU, praktisches Testfeld für die globale Rüstungsindustrie, Ergebnis der kolonialen Geschichte des Zionismus und Folge des Appeasement der arabischen Nachbarstaaten. Ihm wohnt eine starke historische und ideologische Komponente inne, ganz besonders aus deutscher Sicht.
Aber es ist trotzdem wichtig aufzuzeigen, wer hinter der Nebelwand aus Staatsräson, »einziger Demokratie im Nahen Osten« und biblischer Schein-Legitimation vom Vorgehen der israelischen Regierungen profitiert: eine illustre Runde an Kapitalist:innen aus aller Welt, die auf jeden Cent warten, den dieser Krieg und die Nachkriegspläne abwerfen. Sie sind die größten Feinde der dort lebenden Menschen, egal ob Muslim:innen oder Jüd:innen, denn der Krieg ist ihr Geschäft.
Die Begründung ist zwar im Zweifelsfall egal, wenn die Profite stimmen. Am besten aber lässt sich das simple Streben nach Profit mit einem moralischen Überlegenheitsgefühl durchführen und das gründet spätestens seit dem 11. September 2001 auf dem andauernden Kampf des vermeintlich aufgeklärten, demokratischen Westens gegen die Barbarei der muslimischen Welt.
Für den Widerstand gegen Krieg und Besatzung bedeutet das hierzulande – bei aller richtigen moralischen Entrüstung über Israels Krieg – die ganz nüchternen Interessen, auch ganz besonders die deutscher Unternehmen, in den Blick zu nehmen. Denn bisher scheint der Anteil von Bauunternehmen, Waffenhändlern, IT und Logistik an der Besatzungspolitik in Palästina nämlich hauptsächlich eins zu sein: von der deutschen Staatsräson gedeckt.
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