Kürzlich verabschiedeten die Fraktionen von Grünen, SPD, FDP und Union eine Antisemitismus-Resolution – mit den Stimmen der AfD. Im Bundestag zeigt sich ein toxischer Antifaschismus, der nach Rechtsaußen offen ist. Von Sebastian Baer
Anfang November 2024 verabschiedete der Bundestag eine Antisemitismus-Resolution mit dem Titel »Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland beschützen, wahren und stärken«. Eine Resolution hat keinen bindenden Charakter wie ein Gesetz. Mit einer Resolution kann der Bundestag ausdrücken, was seiner Meinung nach Bundesregierung, Kommunen und Landesregierungen umsetzen sollten.
Die Resolution beklagt einen angeblich zunehmenden Antisemitismus: »Seit dem grausamen Terror-Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 sehen wir in Deutschland Judenhass und israelbezogenen Antisemitismus auf einem seit Jahrzehnten nicht dagewesenen Niveau.« Als Konsequenz fordert sie mehr Repression: »Dazu gehört es unter anderem Gesetzeslücken zu schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen. Dies gilt in besonderem Maße im Strafrecht sowie im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht.« Außerdem sollten Schulen und Hochschulen darin unterstützt werden, Schüler:innen vom Unterricht auszuschließen und Studierende zu exmatrikulieren.
Kein bloßer taktischer Trick
Für die Antisemitismus-Resolution stimmte ein breiter Block von den Grünen und der SPD, über Union und FDP, bis hin zur AfD. Die Zustimmung der Nazis in der AfD-Fraktion ist kein bloßer taktischer Trick, um sich einen bürgerlichen Anstrich zu geben. Die Zustimmung der AfD wurzelt im inhaltlichen Kern der Resolution.
Antragsteller:innen sind die Fraktionsvorsitzenden der Grünen, CDU/CSU, SPD und FDP sowie ihre Fraktionen. Ihnen war es wichtig, festzuhalten, dass »nicht zuletzt« Zugewanderte für den ihrer Meinung nach zunehmenden Antisemitismus verantwortlich sind:
»In den vergangenen Monaten ist nicht zuletzt das erschreckende Ausmaß eines Antisemitismus deutlich geworden, der auf Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens basiert, in denen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit … verbreitet sind.«
Dieser Satz könnte von der AfD stammen, wenn es ihnen die Antragsteller:innen ermöglicht hätten, die Resolution mit zu verfassen. Er entspricht ziemlich genau dem, was die AfD mit »importiertem Antisemitismus« meint. Ein Punkt, den die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch gleich zu Beginn ihres Debattenbeitrags hervorhob: »Und jetzt das Eingeständnis der ehemaligen Ampelparteien und der Union mit diesem gemeinsamen Antrag zum jüdischen Leben. Ja, der explodierende Judenhass in Deutschland hat etwas mit Einwanderung und mit dem Islam zu tun. Ich kann mich noch gut an ihrer aller Schnappatmung hier erinnern, als die AfD vor muslimischen und importierten Antisemitismus gewarnt hat. … Die Realität hat sie eingeholt.«
Sie fährt fort: »Und auch der Lösungsvorschlag in ihrem Antrag geht in unsere Richtung. Zitat: Repressive Möglichkeiten ausschöpfen, insbesondere … im Asyl- und Aufenthaltsrecht. Auf deutsch: Muslimische Antisemiten in den Flieger setzen und ab in die Heimat.«
Die AfD hat kein Problem damit, den Kampf gegen »Antisemitismus« zu unterstützen, so lange der Antisemitismus Muslimen zugeschrieben wird. Das ist eine Säule, auf der sich die Unterstützung der Nazis gründet.
Vorbild Israel
Die zweite Säule auf der die Unterstützung der AfD zu der Antisemitismus-Resolution ruht, ist die Konzentration auf den sogenannten »israelbezogenen Antisemitismus«. Die Antragsteller:innen setzen antisemitische Nazis mit Islamist:innen und Israelgegner:innen gleich:
»Die Entwicklung … ist sowohl auf einen zunehmend offenen und gewalttätigen Antisemitismus in rechtsextremistischen und islamistischen Milieus als auch auf einen .. vermehrt israelbezogenen und links-antiimperialistischen Antisemitismus zurückzuführen.«
In der zweiten Hälfte ihres Debattenbeitrags begründete Beatrix von Storch ihre Unterstützung Israels und damit ihre Stimme für die Resolution so, dass Israel »alles repräsentiert, was Europa mal war … Einen starken Staat, selbstbewußt, national, religiös, bereit seine kulturelle Identität zu schützen und seine Grenzen zu verteidigen.«
Die AfD wähnt sich in einem Kulturkampf gegen den Islam und die Einwanderung von Muslimen. Während Menschenrechtsorganisationen Israel die Errichtung eines Apartheidsregimes vorwerfen, erkennt Beatrix von Storch eben genau darin etwas von dem, was sie in Deutschland verwirklichen will. Während Israel in Gaza einen Völkermord an den Nicht-Juden, den Palästinenser:innen, verübt, droht die AfD mit der »Remigration« der Nicht-Deutschen, womit sie vor allem Muslime, auch muslimische Deutsche, meinen.
Nicht nur Beatrix von Storch und die übrigen bürgerlichen Rechtsaußen der AfD-Fraktion, sondern auch die Antisemiten in der Fraktion unterstützten die Resolution. Letztere wollten sicherlich keinen Eklat provozieren, obwohl ihnen Sätze wie die folgenden gehörig gegen den Strich gehen dürften:
»Jüdisches Leben in all seinen Facetten ist heute ein selbstverständlicher und integraler Bestandteil unseres Landes. Dies ist ein großes Glück. Die Vielfalt jüdischen Lebens anzuerkennen, sichtbar zu machen, zu bewahren und zu schützen, ist Ausdruck der deutschen Staatsräson.«
Aber sofort im Anschluss fahren die Antragsteller:innen fort: »Diese Selbstverpflichtung … begründet gleichsam unser unverrückbares Schutzversprechen an das Existenzrecht des Staates Israel als sichere Heimstätte des jüdischen Volkes.«
Nazis träumen von einem völkischen Staat und einer ethnisch »reinen« Gesellschaft. Das schließt nicht aus, dem »jüdischen Volk« eine »Heimstatt« zuzugestehen, solange diese Heimstatt nicht in Deutschland liegt. Aber es schließt aus, dass Juden, Muslime und Christen in Deutschland friedlich zusammen leben.
Etikettenschwindel
Unter den europäischen Rechtsaußen und Faschisten entwickelt sich schon länger eine pro-israelische Strömung. Die französische Faschistin Marine Le Pen (RN), der Rechtsaußen Viktor Orbán (Fidesz) in Ungarn, Geert Wilders (PVV) in den Niederlanden, die faschistische italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (FdL) und der deutsche Faschist Alexander Gauland (AfD) stellten sich bereits alle auf die Seite Israels.
Für diese Strömung ist es kein Problem, sich einem Kampf gegen Antisemitismus anzuschließen, der sich hauptsächlich gegen die Palästinabewegung, Kritiker:innen an Israel und eingewanderte Muslime wendet. Am klarsten hat das Geert Wilders auf den Punkt gebracht, der 2015 in einer Rede auf einer Pegida-Demonstration in Dresden erklärte: »Israel ist ein Leuchtfeuer der Freiheit und des Wohlstands, umgeben von islamischer Dunkelheit.« Dass er das nicht nur symbolisch meint, macht ein Satz aus einer Rede deutlich, die er 2010 im israelischen Tel Aviv hielt: »Die Zukunft der Welt hängt an Jerusalem. Wenn Jerusalem fällt, werden Athen, Rom, Paris, London und Washington die nächsten sein.«
Die Antisemitismus-Resolution hält nicht, was ihr Titel verspricht. Sie verspricht »Jüdisches Leben in Deutschland beschützen … und stärken« zu wollen. Aber der Antifaschismus der Resolution ist ein toxischer Antifaschismus. Er trennt dort, wo wir Einheit brauchen.
Erstens ist er durchsetzt mit antimuslimischem Rassismus, obwohl sich alle Menschen in Deutschland gemeinsam gegen die faschistische Gefahr stellen müssen. Zweitens macht er die Unterstützung eines Staates zur Grundbedingung, der auf der Vertreibung der Palästinenser:innen beruht. Er stellt jede und jeden vor die unmögliche Wahl, entweder Israel oder die Faschist:innen gewähren zu lassen.
Er wirkt nicht nur deshalb toxisch, weil er dort trennt, wo wir Einheit brauchen, sondern auch weil er dorthin Brücken baut, was von uns abgeschieden bleiben muss. Er öffnet den Faschist:innen und den Antisemit:innen eine Tür. Alle Antragsteller:innen tragen ihren Teil der Verantwortung daran, das ermöglicht zu haben.
Von Moral und Verantwortung …
Man kann davon ausgehen, dass die Union (und wahrscheinlich auch die FDP) für die Passagen verantwortlich sind, die sich gegen zugewanderte Muslime richten. Aber Dreh- und Angelpunkt des toxischen Faschismus ist die Ausweitung des Antisemitismusvorwurfs auf die Kritik an Israel. Für diesen Punkt zeichnen alle, auch die Grünen und die SPD, verantwortlich.
Das ist keine neue Entwicklung. Sie gedeiht im Treibhaus einer immer schwerer zu rechtfertigenden bedingungslosen Unterstützung Israels.
Südafrika verklagte im Dezember 2023 Israel vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Völkermord. Der Internationale Gerichtshof sah die Klageschrift als plausibel genug an, um ein Verfahren zu beginnen. Über 30 Staaten begrüßten die Klage. Spanien hat sich im Februar der Klage angeschlossen. Deutschland wandte sich gegen die Klage und versprach, vor dem Internationalen Gerichtshof Partei für Israel zu ergreifen.
Im August 2024 forderte eine deutliche Mehrheit in der UN-Vollversammlung den Rückzug Israels aus den Palästinensergebieten. Deutschland enthielt sich.
Im November erließ der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehl gegen Netanyahu wegen Verbrechen gegen die Menschheit. Die deutsche Regierung unterstützt den Internationalen Strafgerichtshof üblicherweise. Aber diesmal fiel es Regierungssprecher Steffen Hebestreit plötzlich »schwer«, sich »vorzustellen, dass wir auf dieser Grundlage Verhaftungen durchführen«.
Die UN oder der Internationale Strafgerichtshof werden die Palästinenser:innen nicht vor Israel retten. Aber die Gerichtsverfahren und die Resolutionen schwächen diejenigen, die Israel unterstützen, moralisch.
Das stellt das linke und rechte politische Establishment vor ein Problem. Eine Mehrheit der Wähler:innen will mittlerweile einen Stopp der Waffenlieferungen an Israel. Nicht jedoch die Antragsteller:innen der Resolution. Deutschland ist, während Israel in Gaza einen Völkermord begeht, der zweitgrößte Waffenlieferant nach den USA. Dafür stehen SPD, Grüne, FDP und Union.
Die Resolution ist ein weiterer Schritt dahin, grundsätzliche Kritik an Israel als Antisemitismus zu verunglimpfen. Das soll einerseits die deutsche Außenpolitik in der Bevölkerung rechtfertigen. Das soll aber auch innerparteiliche Kritiker:innen zum Verstummen bringen. Die Zustimmung der AfD nahmen die Antragsteller:innen als Kollateralschaden in Kauf.
… und wer Verantwortung übernahm
Die ehemalige Linkenpolitikerin Sevim Dağdelen, die heute beim BSW ist, drückte ihre Ablehnung des Antrags in der Debatte entsprechend deutlich aus:
»Sie aber leisten mit ihrem Antrag dem Kampf gegen Antisemitismus leider einen Bärendienst. Sie wollen eine wissenschaftlich umstrittene Antisemitismusdefinition staatlich postulieren und auch die Kritik an der in Teilen rechtsextremen Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu wird so unter den Verdacht des Antisemitismus gestellt. Das ist nichts weiter als ein Angriff auf Grundgesetz und Völkerrecht. Das können Demokraten nicht akzeptieren.«
Die Abgeordneten des BSW bezogen offen Position und stimmten geschlossen gegen die Resolution. Man muss ihnen Respekt dafür zollen. Man darf darüber zwar nicht vergessen, dass das BSW, ebenso wie Union und AfD, Zugewanderte zum Problem erklärt, aber es zeigt, dass es sich manche zu einfach machen, wenn sie das BSW und seine Wähler:innen als rassistische Abspaltung von der Linken abtun und zusammen mit Union und AfD in einen rechten Block einsortieren. Die Abspaltung des BSW aus der Linken ist komplexer und ambivalenter als dieses holzschnittartige Bild.
Im Gegensatz zum BSW drückte sich Die Linke, die eigentlich immer standhaft gegen Rassismus war, vor einer Entscheidung. Ihre Abgeordneten konnten sich nicht darauf einigen, die Resolution abzulehnen, sondern enthielten sich. Das hat einerseits ideologische Gründe. Vielen deutschen Linken fällt es schwer, zwischen Antizionismus und Antisemitismus zu unterscheiden. Das ist angesichts der deutschen Geschichte verständlich, nichtsdestotrotz falsch. Das hat aber auch machtpolitische Gründe, was inakzeptabel ist. Diese alte Linke opfert lieber ihre Grundsätze um koalitionsfähig zu sein, anstatt das Richtige zu tun und zu sagen. Sie ist sogar bereit, gegen palästinasolidarische Mitglieder mit Parteiausschlussverfahren vorzugehen.
Das ist nicht die Linke, die wir brauchen. Weder brauchen wir eine Linke, die der Hetze gegen Flüchtlinge nachgibt, so wie das BSW, noch brauchen wir eine Linke, die einem toxischen Antifaschismus nicht entgegentreten kann, wo er sich, wenn auch noch verschämt, mit der AfD gemein macht.
Die Linke versucht sich gerade zu erneuern. Eine erneuerte Linke darf nicht den Kampf gegen Antisemitismus und Faschismus mit einer pro-israelischen Position verwechseln. Das ist etwas, was sich ändern muss.
Foto: Montecruz Foto / flickr.com / CC BY-SA 2.0
Schlagwörter: Antisemitismus, Israel