Frankreich im Frühsommer 2018: Ein Land in Aufruhr, die Schlacht beginnt. Zehntausende sind auf der gemeinsamen Demonstration der Streikenden des öffentlichen Diensts und der Studierenden. Von Matthias Danyeli
Auf den Straßen von Paris demonstrieren Arbeiterinnen und Arbeiter mit Bengalos, in Sprechchören wird der Generalstreik, die »grève générale«, heraufbeschworen. Studierende stimmen Kampflieder im Stil von Stadiongesängen an und werden mit Feuerwerk von den Streikenden begrüßt. Die Entwicklung gleicht einem Lauffeuer: Vor drei Monaten wurde die erste Universität in Montpellier besetzt, dem folgten landesweit zahlreiche weitere Unis. Anlass für die Proteste sind die Reformvorhaben von Präsident Emmanuel Macron. Der gesamte Bildungssektor, von den Schulen bis zu den Universitäten, soll umstrukturiert werden, ähnlich dem NC-System in Deutschland. Die Fächerwahl in der Schule soll bereits maßgeblich für die Zulassung zum Studium sein. Die Studierenden kämpfen jedoch nicht nur für sich, sondern zeigen auf Demonstrationen zu Tausenden, dass es ihnen um die Gesellschaft als Ganzes geht, ganz ähnlich dem 1968er-Motto »Unser Streit hat keinen Punkt«. Es geht ihnen um eine »convergence des luttes«, um eine Verbindung aller Kämpfe.
In Frankreich geht es um viel
Auch die Beschäftigten des öffentlichen Diensts streiken zu Hunderttausenden, wie bei den Studierenden eine Antwort auf die neuesten Reformvorhaben: Unter anderem sollen 120.000 Beschäftigte des öffentlichen Diensts entlassen werden und der beamtenähnliche Status der Eisenbahnbeschäftigten soll abgeschafft werden. In den letzten Jahren gab es bereits mehrere Arbeitsmarktreformen. Dieses Mal hat sich die Regierung auf die Eisenbahnbeschäftigten eingeschossen, da sie als die am besten organisierten Arbeiterinnen und Arbeiter gelten. Wird ihr Widerstand gebrochen, wäre der Weg frei für den kompletten Sozialkahlschlag, so die Deutung der Protestierenden.
Die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner
Für die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner, das merkt man auf ihren Streikversammlungen, geht es um enorm viel. Verlieren ist in diesem Kampf keine Option. Heftig wird darüber diskutiert, wie noch mehr Kolleginnen und Kollegen für den Streik gewonnen werden können. Dass Großdemonstrationen den Streik nicht automatisch zum Sieg führen, haben die Streikenden spätestens 2016 erfahren, als sie mit 1,2 Millionen Menschen gegen die erste große Arbeitsmarktreform auf die Straße gingen und die Regierung ihre Pläne trotzdem nicht aufgab.
Video: Demonstration der Gewerkschaft der Eisenbahner
Die Debatte um erfolgreiche Streikstrategien ist weiterhin in vollem Gange, wie die jüngsten Vorschläge von Gewerkschaften zeigen, auf Überraschungsstreiks umzustellen, um den Konzernen nicht unnötig Planungssicherheit zu verschaffen.
Video: Eisenbahnerinnen und Eisenbahner besetzen Büro von Macron
Frankreich: Die Schlacht um die Demokratie
Weil die Reformen am Parlament vorbei durch präsidiale Verordnungen durchgesetzt werden sollen, geht es auch um die Demokratie. Die Folgen des Ausnahmezustands haben gerade die Studierenden durch brutale Polizeieinsätze bei Demonstrationen am eigenen Leib erfahren. Polizeigewalt ist auch diesmal ein Thema: Bei der Räumung der Universität Tolbiac stürzte ein Student während seiner Festnahme von einer Mauer und liegt nun im Koma. Mehrmals haben Studierende gegen die Räumung demonstriert, die Stimmung ist aufgeheizt.
Viele Fragen bleiben offen: Werden die Strategien für erfolgreiche Kämpfe ausreichen? Wie wird die Großdemonstrationen am 26. Mai die Streikdynamik beeinflussen? Wird die »convergence de luttes« dieses Mal den großen Durchbruch erzielen, wie er vor genau 50 Jahren in Angriff genommen wurde? Die entscheidende Schlacht hat begonnen.
Foto: www.force-ouvriere.fr
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