In Frankreich regt sich Widerstand gegen den Faschismus in Form von Marine Le Pen und gegen den Rechtskurs von Präsident Emmanuel Macron. Von John Mullen
Am Samstag, den 12. Juni, fanden in 140 Städten in ganz Frankreich Demonstrationen »Für unsere Freiheiten und gegen rechtsextremes Gedankengut« statt. In Paris schlossen sich Zehntausende einem jungen und dynamischen Marsch an. Es war die größte Initiative gegen Faschismus und die extreme Rechte seit Jahren.
Der Aufruf dazu wurde von der linken France Insoumise initiiert und von 110 Organisationen, darunter die Gewerkschaftsverbände CGT und FSU sowie die Neue Antikapitalistische Partei, unterzeichnet. Darin heißt es, dass rechtsextremes Gedankengut die jüngsten islamfeindlichen und repressiven Gesetze unter Präsident Macron beeinflußt habe.
Die faschistische Partei von Marine Le Pen, der Rassemblement National, habe sich vollends im politischen Mainstream etabliert. Die Kommunistische Partei rief in einer eigenen Erklärung ebenfalls dazu auf, sich den Märschen anzuschließen.
Rechtsruck von Macron
Macron hat ultrarechte Ideen vorangetrieben und versucht, Le Pen den Platz streitig zu machen. Sein Bildungsminister für Universitäten zum Beispiel hat eine Untersuchung über die Gefahren der »Islamo-Linken« in der Hochschulbildung gefordert. Das Konzept ist lächerlich, aber die politische Forderung war ein Erfolg: In jüngsten Umfragen stimmte eine Mehrheit zu, dass eine Untersuchung notwendig sei.
Ein anderer Anführer von Macrons Partei brüstete sich kürzlich damit, dass heute 30 Prozent weniger Einwander:innen die französische Staatsbürgerschaft erhalten als zu Zeiten rechter Präsidentschaften. Die jüngsten Gesetze, die sich gegen Muslime und Demonstrierende richten, gehen weiter als die jeder rechter Regierung der letzten Jahrzehnte. Das Verbot von muslimischen Bürgerrechtsorganisationen und die Abschaffung jeder öffentlichen Einrichtung, die zaghafte Kritik an Islamophobie zu üben wagt, runden das Bild ab.
Faschismus im Mainstream
Der Rassemblement National hat Millionen davon überzeugt, dass sie eine ganz normale politische Partei sei. Selbst unter den Lehrenden an den Universtitäten schämen sich Le Pens Sympathisant:innen nicht mehr, dies auch offen kund zu tun.
Die Partei hat ein paar ihrer Positionen angepasst und ist nun weniger offen anti-EU und anti-Homo-Ehe. Doch sie stellt immer noch die Schuldzuweisungen an Einwander:innen und den Hass auf Muslime in den Mittelpunkt ihres Diskurses. Regelmäßig erinnert uns Marine Le Pen indirekt an ihr Projekt des Faschismus. Sie applaudierte etwa kürzlich einer Gruppe pensionierter Generäle, die gar mit einem Bürgerkrieg drohten.
Zusammenbruch der Mitte
Wahltechnisch hat Marine Le Pens Partei ein äußerst erfolgreiches Jahrzehnt hinter sich. Der Zusammenbruch der traditionellen Parteien im Spektrum Mitte-links und Mitte-rechts, des Parti Socialiste und der Republicains, bei den letzten Präsidentschaftswahlen hat die politische Landschaft des Landes neu definiert.
Beide Parteien waren für ihre neoliberale Sparpolitik abgestraft worden. Die zehn Millionen Stimmen in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen 2017 waren Le Pens bisheriger Höhepunkt. Ihre Wortführer:innen sind überall in den Massenmedien präsent. Sie ist Favoritin für die erste Runde 2022 – und würde damit in die Stichwahl kommen.
Doch ihre Partei hat viele Schwächen. In den meisten Städten hat sie kaum eine Parteistruktur. Sie kann keine landesweiten Massendemonstrationen organisieren. In diesem Jahr hat sie sogar ihre Kundgebung am 1. Mai in Paris abgesagt, die in der Regel ein paar tausend Menschen anlockte.
Kämpfe sind Hindernis für Le Pen
Die harten Auseinandersetzungen um die Interessen der Arbeiterklasse in Frankreich hat Millionen gegen die Abschaffung des Arbeitnehmerschutzes oder gegen die Kürzung der Renten mobilisiert. Diese Kämpfe machen es Le Pen schwer. Diese bedeutenden Auseinandersetzungen konnte Le Pen wegen ihrer eigenen starken Basis unter kleinen Arbeitgeber:innen nicht unterstützen.
Die Gelbwesten-Bewegung, die genau aus den Regionen kam, in denen Le Pens Unterstützung stark ist, tendierte im Laufe der Monate immer weiter nach links. Sie konzentrierte sich auf das Anprangern der erschreckenden Polizeigewalt. Le Pen steht dem angesichts ihrer großen Beliebtheit bei der Polizei wegen ihrer Law-and-Order-Positionen total entgegen.
Guter Anfang gegen Faschismus
Die Demonstrationen gegen rechts an diesem Wochenende sind ein guter Anfang. Dies sollte der Beginn einer nationalen Kampagne sein, die sich gegen den Rassemblement National richtet.
Viele sind allerdings der Ansicht, dass eine gezielte Mobilisierung gegen Le Pen bedeuten würde, Macron vom Haken zu lassen, oder dass Macron quasi selbst ein Faschist sei. Das Flugblatt, das die Neue Antikapitalistische Partei für diese Woche herausgegeben hat, trägt den Titel »Gegen Macron, die Rechten und die extreme Rechte«. Aber die Schwächung von Le Pen ist wichtig, um die politische Debatte wieder nach links zu ziehen.
Le Pen gezielt bekämpfen
Die Kommunistische Partei und ein Großteil der extremen Linken neigen dazu, zu argumentieren: »Wir sollten die Armutslöhne und den Kapitalismus bekämpfen, welche den Faschismus befördern, anstatt gezielt gegen die Faschisten selbst vorzugehen«.
Dies ist ein Fehler. Eine entschlossene landesweite Bewegung könnte durch gezielte Aktionen den Rassemblement National zurückdrängen, wie es in den späten 90ern mit der damaligen Vorgängerpartei Front National gelungen ist. Damals haben gezielte Mobilisierungen die Partei deutlich spalten und schwächen können.
Das Problem der Armut und des Kapitalismus zu lösen ist nichts, was die Linke in ein paar Monaten erledigen könnte. Darüber hinaus gibt es eine große Anzahl von Antirassist:innen, die gegen Le Pen mobilisiert werden könnten. Diese sind aber nicht unbedingt daran interessiert, antikapitalistischen Organisationen beizutreten oder sie aufzubauen. Eingängige Slogans gegen die Faschisten wären entscheidend.
Dauerhafte Organisation fehlt
Als Le Pens Vater Jean Marie Le Pen 2002 in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen einzog, gingen Millionen auf die Straße. Schüler:innen streikten, und es gab wochenlang jeden Tag Kundgebungen.
Tragischerweise führte diese inspirierende Welle nicht zur Entstehung einer dauerhaften breit angelegten antifaschistischen Organisation. Das Ende vom Lied war, dass der Front National weiter an Unterstützung gewann. Von sieben Millionen Stimmen im Jahr 2002 steigerte sich die Partei auf zehn Millionen im Jahr 2017.
Proteste gegen Rassemblement National
Die französischen Medien beharren auf der Vorstellung, dass die extreme Rechte durch die Ultra-Rechte zurückgedrängt werden kann. Dafür wird in klassischer Hufeisen-Manier vor den Regionalwahlen in diesem Monat sogar der wichtigste Vertreter der radikalen Linken, Jean-Luc Mélenchon, mit Le Pen gleichgesetzt, wie etwa in einem kürzlich erschienenen Artikel in der Tageszeitung »Le Figaro«.
Unser Weg nach vorne führt über eine breite Kampagne, die sich direkt gegen Le Pens Organisation richtet. Diese Kampagne sollte den Gedanken in den Vordergrund stellen, dass Le Pens Absichten sich direkt gegen die Interessen der Arbeiterklasse richten. Man müsste durch stetiges Anprangern dieser Interessenkonflikte ihren wackeligen Parteiapparat schwächen und den Nazi-Kern ihrer Bewegung blossstellen.
Die für Anfang Juli in Perpignan geplanten Massenproteste gegen die dort stattfindende Jahreskonferenz der Rassemblement National sind ein notwendiger nächster Schritt.
Der Autor:
John Mullen ist ein Revolutionär, der in der Gegend von Paris lebt und Unterstützer der France Insoumise ist.
(Aus dem Englischen von Franziska Wöckel. Foto: Socialist Worker)
Schlagwörter: Faschismus, Frankreich, Le Pen