Die US-Präsidentschaftswahl im November birgt das Risiko eines Trump-Sieges. Viele Demokrat:innen warnen davor und behaupten, dass Trump ein Faschist sei. David Renton geht der Frage nach, ob das wirklich der Fall ist
Dieser Artikel wurde zuerst im Magazin Tempest am 31. Januar 2024 veröffentlicht. Inzwischen steht Trump als Spitzenkandidat der Republikanischen Partei fest. Es liegt eine gekürzte Fassung vor.
Die US-Präsidentschaftswahl rückt näher und ihre entscheidenden politischen Parameter werden sichtbarer. Die Umfragen deuten auf ein Kopf an Kopf Rennen zwischen Joe Biden und Donald Trump hin. Die geringe Differenz zwischen den zwei Parteien ist kaum überraschend: seit 1996 hat es nur eine Präsidentschaftswahl gegeben (Barack Obama 2008), bei der der Sieger mit einem Vorsprung von mehr als fünf Prozentpunkten gewann. Für Biden sind das schlechte Nachrichten. Das Electoral College – ein veränderter Zuschnitt von Wahlkreisen – , dessen ursprünglicher Zweck es war, den ehemaligen Sklavenstaaten im Süden der USA überproportionale politische Macht zu verleihen, verschafft heute republikanischen Kandidaten einen Vorteil. Diese gewinnen in der Regel in kleineren, ländlichen und überwiegend von Weißen bewohnten Staaten. Um den Sieg zu erringen, muss ein demokratischer Kandidat bei den Wählerstimmen insgesamt einen Vorsprung von drei bis vier Prozentpunkten haben.
Bidens persönliche Zustimmungsquote tendiert seit der ersten Septemberwoche nach unten, und seit dem 7. Oktober noch stärker: Eine Mehrheit der Wähler:innen hat eine negative Meinung über seine Amtszeit. In drei der fünf letzten bundesweiten Umfragen war Trump Biden im Schnitt um einen Prozentpunkt voraus, in einer vierten Umfrage waren sie gleichauf und in einer fünften Umfrage lag Biden vor Trump, wieder um einen einzigen Punkt. Angesichts dieser Zahlen machen die Buchmacher Trump zu einem knappen Favoriten beim Kampf um das Weiße Haus.
Warum ist dieser Blick auf Trumps Chancen wichtig? Es geht darum zu zeigen, dass das übliche beruhigende Gerede von roten und blauen Swing-States nicht ausreichen wird, denn ein Trump-Sieg hätte ganz andere Auswirkungen als jede gewöhnliche Wahl. Aber was heißt das genau? Was wäre seine Politik im Falle eines Sieges?
Faschismus – Missbrauch eines Begriffs?
Eine Schwierigkeit bei der Beantwortung dieser Frage ist, dass pro-demokratische Journalist:innen seit achtzig Jahren immer die gleichen Antworten geben. Sie haben die Bedrohung von rechts ebenso überbetont, wie auch die Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten im Amt. Sie haben US-Wähler:innen gesagt, dass jeder republikanische Kandidat dem Faschismus die Tür öffnen würde. Ronald Reagan war ein Proto-Faschist, weil er den Gefallenen der Waffen-SS bei Bitburg gedachte, George Bush Senior war ein Proto-Faschist aufgrund der Art und Weise, wie er Willie Horton in der Kampagne gegen Michael Dukakis instrumentalisierte. Wähler:innen, die 2004 in Erwägung zogen, Ralph Nader zu unterstützen, wurde gesagt, dass sie unmöglich Grün wählen könnten, weil »das Bush-Team sich in der politischen Praxis einigen Elementen des Faschismus bediene«. 2016 wurde es für viele Demokrat:innen ein Glaubensbekenntnis, dass Trump bereits ein Faschist sei. So schrieb Madeleine Albright, eine Haupt-Architektin von brutalen US-Sanktionen gegen den Irak, ein Buch, in dem sie genau davor warnte (Faschismus – eine Warnung, Köln 2019).
Diese Ansichten kommen von gemäßigten Kommentator:innen, die eine möglichst demonstrative und wütende Rhetorik verwenden, um zu beweisen, wie radikal sie sind, und gleichzeitig ihre Leser:innen dazu ermuntern, nur in einem solchen Maße politisch aktiv zu sein, dass sich nichts grundlegend verändert. Ihre Rhetorik hat auch auf uns einen Einfluss. Sobald der Faschismus sich zeigt, hat die Linke eine Verpflichtung, ihn zu bekämpfen. Der Antifaschismus der Demokraten wird in der Praxis jedoch instrumentalisiert, damit jede eigenständige Organisation und Kampagne eingestellt wird, um Joe Bidens Wiederwahl zu sichern.
Es besteht die reale Gefahr, dass Trump und seine Regierung nach einer Wiederwahl 2024 um einiges schlimmer sein werden, als sie es von 2017 bis 2021 waren.
Die Folge ist kein guter Aktivismus, aber auch eine wenig durchdachte politische Analyse. Der Begriff »Faschismus« steht dabei am Endpunkt einer Skala, die nur bis zehn geht: Faschismus ist das Schlimmste vom Schlimmsten. Aber wenn Trump schon 2016 an diesem Punkt war und seitdem ständig am gleichen Punkt steht, dann brauchen wir nicht zu unterscheiden zwischen jenen Momenten, in denen sich seine Administration gezwungen sah weniger radikal aufzutreten (wie zum Beispiel 2017 als Kritik an Trump für seine Inschutznahme der Charlottesville-Randalierer ihn dazu zwang, Steve Bannon »vorübergehend« abzusetzen) oder jenen Momenten, in denen er anfing, aktiv auf eine Diktatur hinzuarbeiten (wie im Dezember 2020 and Januar 2021). Den analytischen Regler auf zehn hochzudrehen und ihn dort zu halten, macht es auch schwerer zu verstehen, wo Trump sich heute befindet. Es lässt keinen Raum für die Möglichkeit, die ich als reale Gefahr ansehe, dass Trump und seine Regierung nach einer Wiederwahl 2024 um einiges schlimmer sein werden, als sie es von 2017 bis 2021 waren.
Ein weiteres Hindernis bei dem Versuch, Trump oder die Bedrohung durch den Faschismus aus den politischen Traditionen der amerikanischen Linken heraus zu analysieren ist, dass seit den 1960ern eine relevante Strömung marxistischer Analytiker:innen behauptet, dass das Land bereits faschistisch sei. Die europäischen Marxist:innen der 1930er Jahre unterschieden streng zwischen einer bürgerlichen Politik im Kapitalismus und einer faschistischen Diktatur. Im Gegensatz dazu versuchten viele Schwarze Radikale Theorien der 1960er Jahre, die Definition des Faschismus um rassistische und autoritäre Politik zu erweitern. Danach war der US-Imperialismus faschistisch, die Republikaner waren faschistisch und die Demokraten auch. Diese Weltanschauung mag einen bis heute beeindruckenden Aktivismus ermöglicht haben, aber es war zugleich eine Ablehnung von tiefergehenden Analysen. Im heutigen, veränderten Kontext erschwert das die Auseinandersetzung darüber, ob sich überhaupt irgendetwas verändert hat.
Zweifellos würde eine zweite Trump-Administration mit beträchtlicher Kontinuität an die herkömmlichen »racial politics« der Vereinigten Staaten anknüpfen. Sie würde die Grenzmauer und das Einsperren von »illegalen« Einwander:innen, verbunden mit der Trennung von Familien, aufrechterhalten. Sie würde ebenso unermüdlich wie Biden daran arbeiten, die Interessen Israels zu vertreten. Unter Trump, wie unter Biden, werden Schwarze in weitaus höherer Zahl eingesperrt als Weiße. Die eigentliche Frage ist, ob Trump beim nächsten Mal tatsächlich anders regieren wird.
Trump 2.0: Kontinuität oder Veränderung?
Am einfachsten ist es, mit den Argumenten für eine Fortsetzung seiner bisherigen Politik anzufangen. Entgegen denjenigen, die in Trump einen neuen Mussolini sehen, ist er kein originärer Faschist. Er ist nicht einmal ein richtiger Politiker. Sowohl Mussolini als auch Hitler waren Besessene. Auch ohne Regierungsmacht schmiedeten sie ständig Komplotte in Bezug auf ihre eigenen Parteien. In der Regierung wiederum durchdachten sie alles bis ins kleinste Detail, was ihre Politik für das Leben der Menschen bedeuten würde. Mussolini waren die Details des alltäglichen italienischen Lebens so wichtig, dass er es sogar schaffte, das Händeschütteln zu verbieten und den faschistischen Gruß gesetzlich verpflichtend zu machen. Während seiner Präsidentschaft hat Trump seine Regierung nicht als Instrument zur Veränderung der amerikanischen Gesellschaft gesehen, sondern als eine reale Version von »The Apprentice« (Anm. d. Red.: »The Apprentice« ist eine Reality Show, in der sich Kandidat:innen über mehrere Wochen für ein Unternehmen von Donald Trump bewarben). Er sah sich als Unternehmer, dessen Rolle hauptsächlich darin bestand, jene zu entlassen, die er gerade eingestellt hatte. Auch wenn sich das wie ein großes Aufräumen anfühlte, bedeutete es in Wahrheit, dass nur wenig getan wurde.
Mehr als ein Drittel der von Trump ernannten Minister:innen, Staatssekretär:innen usw. wurden innerhalb ihres ersten Jahres im Amt entlassen, doppelt so viele wie bei jedem anderen US-Präsidenten der letzten vierzig Jahre. Die von Trump Ernannten halten die Rekorde für die kürzeste Amtszeit eines nationalen Sicherheitsberaters in der US-Geschichte (Michael Flynn) oder eines Stabschefs (Reince Priebus) oder eines Kommunikationsdirektors des Weißen Hauses (Anthony Scaramucci). Wenn Trump ernsthaft die Vereinigten Staaten nach 2024 in einen faschistischen Staat verwandeln wollte, müsste er sich in Personalführung und Geduld üben. Allerdings deutet alles darauf hin, dass er weder seine Beraterbasis erweitert, noch irgendwelche Fähigkeiten des (diktatorischen) Regierens erlernt hat. Er wird 2024 dieselbe Person sein wie vorher, bloß acht Jahre älter und noch streitsüchtiger.
Abgesehen von Trumps Art der Nutzung von sozialen Medien und seiner Beteiligung an der Planung des 6. Januars hat er nicht wie ein Faschist regiert. In fast allen Bereichen seiner Administration hat er die Vereinigten Staaten kein Stück näher an eine »racial dictatorship« herangeführt, als sie es nicht schon vorher waren. Unter Obama wurden 400.000 bis 900.000 Menschen pro Jahr abgeschoben, während unter Trump die Spanne »nur« von 400.000 bis 600.000 Menschen reichte. Unter Biden wurden Abschiebungen sogar auf 1,3 Millionen bis 1,5 Millionen Menschen pro Jahr erhöht. Von der Grenzmauer zu Mexiko wurden die ersten fünfhundert Meilen von einem konservativen Republikaner, George W. Bush, gebaut und die nächsten 130 Meilen von Präsident Obama. Trump hat etwa 85 Meilen hinzugefügt und Biden weitere zwanzig. Die Zahl Schwarzer Insassen in US-Bundesgefängnissen fiel unter Trump. Ebenso die Zahl der Hinrichtungen auf Bundesebene. Nichts davon soll Trumps autoritäre Intention kleinreden. Es soll vielmehr zeigen, dass — aus der Perspektive der amerikanischen Linken — der ernstzunehmendste Gegner derjenige ist, der die administrativen Fähigkeiten besitzt, seiner autoritären Rhetorik gerecht zu werden. Verglichen mit den Versprechen gegenüber seiner Basis war die Bilanz von Trumps Amtszeit die eines des Versagens.
Wenn Trump wie ein Faschist regieren würde, hieße das nicht nur, dass er autoritär regieren würde, sondern als ein Autoritärer der extremsten Sorte. Er würde beispielsweise nicht nur versuchen, zukünftige Wahlen zu manipulieren, sondern die Vorstellung loszuwerden, dass der Präsident überhaupt gewählt werden muss. Es gab in Italien nach 1924 oder in Deutschland nach 1933 keine Wahlen. Aber wenn Trump sich zum Führer auf Lebenszeit erklären würde, dann wäre das ein Bruch mit der erfolgreichen Politik der USA in den letzten achtzig Jahren und dem Konsens in der herrschenden Klasse mit Blick auf das gegenwärtige politische System. Die Spender:innen der Republikaner, mit denen sich Trump in einer unbequemen Allianz befindet, sowie ihre Berater:innen, fordern einen immer größeren Vermögenstransfer an die Reichen, aber sie erstellen damit noch nicht die Blaupausen für die autoritäre Herrschaft, die Trump anstrebt.
Das alles soll nicht heißen, dass eine faschistische Wende grundsätzlich unmöglich ist. Wenn wir Karl Marx‘ Charakteristik des Staates im Kommunistischen Manifest als »ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet« ernst nehmen, so folgt daraus der Schluss, dass sich viele individuelle Kapitalist:innen oft damit abfinden müssen, unter einem politischen Führer zu leben, der nicht ihre erste Wahl ist. Aber eine Diktatur, die Wahlen ganz aufgibt, ist schwerer zu kontrollieren. Es bedeutet, dass jeder individuelle Protest auch ein Angriff auf die Legitimität des Staates ist. Folglich würde jeder ernsthafte Versuch, in den Vereinigten Staaten den Faschismus einzuführen, oder demokratische Wahlen durch eine Ein-Parteien-Regierung zu ersetzen, auf Kritik stoßen — sogar innerhalb der Clique von extrem-rechten Plutokraten, in deren Interesse Trump zu regieren versucht.
Hinzu kommt, dass, wenn die USA sich dem Faschismus zuwenden würden, dies nicht als Antwort auf eine radikale, kämpferische Linke passieren würde. Nur in den Fieberträumen der Faschisten und von Teilen des Sicherheitsapparates gibt es eine lauernde Revolution, gegen die Trump sich als einziger Hüter der kapitalistischen Ordnung verkaufen könnte.
Wie schlimm könnte Trump sein?
Das Problem ist, dass trotz all dieser Argumente dafür, dass ein Sieg Trumps keine signifikante Veränderung an der Spitze des amerikanischen Staates bedeuten würde, auch Argumente für die gegenseitige Position ins Feld geführt werden können – also dass ein Sieg Trumps einen strategischen Wandel im Kräftegleichgewicht zwischen denen bedeuten würde, die ein Fortbestehen der Demokratie wollen und jenen extrem rechten Kräften, die sie aufgegeben haben.
Die zentrale Idee des 6. Januar war, dass Trump regieren wollte, obwohl er die Wahl verloren hatte. Mitglieder des Kongresses hätten die Ergebnisse in ihren Bundesstaaten anfechten können, um sich selbst an die Stelle der Wähler:innenzu stellen. Vor dem Marsch auf das Kapitol sprach Trump mit einer Gruppe seiner Anhänger:innen und sagte ihnen, dass sie sich durch ihren Aufmarsch »ihr Land zurückholen« könnten.
In Mittelpunkt der klassischen marxistischen Faschismustheorie steht die Idee, dass es nicht ausreicht, dass ein Teil der Reichen oder der Armee die Diktatur unterstützt, um die Welt in einen Weltkrieg und einen Völkermord in den fortgeschrittenen Ländern zu sürzen. Was man braucht, ist eine Massenpartei, in der Millionen von einfachen Menschen eine persönliche Beziehung zu ihrem »Führer« haben. Diese Partei muss zur Gewalt aufrufen und sie auch ausüben. Sie muss nach den Regeln der Massenpolitik leben, in der große Menschenmassen mobilisiert werden, um die parlamentarische Demokratie zu zerstören.
Während seiner Präsidentschaft hat Trump seinen Twitter-Account dazu verwendet, sich ein Publikum von achtzig Millionen Follower:innen zu verschaffen. Ein wesentlicher Anteil glaubte nicht an Trumps Mission, zumindest nicht am Anfang. Sie sahen ihn eher als Witzfigur, als Entertainer, der den außerordentlichen Konservatismus der Regierungsinstitutionen Amerikas durchbrechen würde (dazu gehörten auch Journalist:innen, Zehntausende seiner Gegner:innen, ebenso wie Leute, die zu Beginn seiner Präsidentschaft bloße republikanische Wähler:innen der alten Schule oder andere nicht-faschistische Formen rechter Wähler:innen waren, so wie Neokonservative und neoliberale Marktradikale). Innerhalb von vier Jahren bewegte sich allerdings eine signifikante Gruppe von Menschen innerhalb dieses großen, formlosen rechten Publikums auf Positionen von Hass und Gewalt gegen die Linke zu (nun definiert als »Antifa«, Verfechter:innen von »Critical Race Theory«, »Wokeness« und sogar Joe Biden selbst).
Trump verstärkte Randfiguren – »Patriot:innen«, »Oath Keepers«, »Three Percenters«, »Proud Boys«, weiße Nationalist:innen, christliche Nationalist:innen, Anhänger:innen von Alex Jones, Impfgegner:innen und QAnon-Verschwörungstheoretiker:innen. Von Trump unterstützte Social-Media-Accounts mit Hunderten von Follower:innen hatten bald Tausende und manchmal sogar Millionen eigener Follower:innen. Damals schien das eine besondere Form zum Aufbau einer eigenen Basis und Einflussnahme auf die eigene Anhängerschaft zu sein, die nichts mit der eigentlichen politischen Arbeit des Präsidenten der Vereinigten Staaten zu tun hatte – ein Amt, das mit der konstitutionellen Macht verbunden ist, Kabinettsmitglieder zu ernennen oder Kriege zu beginnen.
Die Trump-Armee
Ob absichtlich oder nicht, Trump war dabei, eine Partei aus Menschen zu schaffen, die ihm etwas schuldig waren. Im klassischen Faschismus-Modell gehören der faschistische Anführer und das Mitglied zur selben Organisation, einem hierarchischen System von Beitragszahler:innen und einer zentralisierten Führung. Der Trumpismus unterschied sich darin, dass er auf die persönliche Kommunikation über soziale Medien baute, statt auf Mitgliedsbeiträge oder Partei-Publikationen, um die Bindung gegenseitiger Loyalität aufrechtzuerhalten, doch letzten Endes war dies eine bescheidene Veränderung eines altbekannten Systems.
Über eintausend Menschen sehen sich mit Strafanzeigen für den 6. Januar konfrontiert. Sie brauchen einen Trump-Sieg, damit er sie begnadigen kann. Sollte er das tun, wie er es im Falle eines Wahlsieges versprochen hat, so könnten seine Anhänger:innen sagen, dass sie tatsächlich Leute seien, die »das Kapitol in Ehren halten«. Sein Sieg würde ihre Gewalt rückwirkend rechtfertigen. Ebenso wird Trump 2024 diese Individuen und ihre Verbündeten brauchem, damit sie bei Wahlveranstaltungen auftauchen, seine Wahlwerbung finanzieren und die Wiederholung seiner vorherigen Versuche unternehmen, die Wahlhelfer:innen beim Auszählen der Stimmen einzuschüchtern.
Definitionsfrage: Theorien des Faschismus
Selbst anspruchsvolle Faschismustheorien neigen dazu, der Methode des »Ideal-Typus« zu folgen – oder, um es weniger wohlwollend auszudrücken, sie gleichen dem Abhaken einer Checkliste. Journalist:innen lesen die Werke von Historiker:innen und benutzen sie, um eine Liste der definierenden Merkmale des Faschismus aufzustellen. Dann, je nachdem, welcher Historiker:in zitiert wird, sagt man vielleicht, dass der Faschismus definiert ist durch seine mobilisierenden Leidenschaften, seinen Ultranationalismus, seinen vielen Widersprüchen oder seine vielfältigen Negierungen (Anti-Sozialismus, Anti-Demokratie) und so weiter. Auf diese Weise kann jede:r Verfasser:in eine eigene Liste aufstellen, Donald Trump damit vergleichen und dann zur eigenen Zufriedenheit sagen, dass er entweder ein Faschist ist oder nicht.
Wirft man allerdings einen Blick auf die Art und Weise, wie Historiker:innen im letzten Jahrzehnt über den Faschismus geschrieben haben, so sind sie einem anderen Ansatz gefolgt. Die meisten von ihnen finden es uninteressant, auf die 1930er Jahre zurückzublicken und zu fragen, wer von Benito Mussolini, Francisco Franco, Oswald Mosley oder Adolf Hitler im »wahrsten« Sinne des Wortes ein Faschist war. Die wichtige Frage, die man sich stellen muss, lautet vielmehr, welche Merkmale der historischen Situation es einigen, aber nicht allen dieser Persönlichkeiten ermöglichten, an die Macht zu kommen – und die es einigen dieser Regierungen erlaubte, sich im Amt zu radikalisieren.
Niemand von uns weiß, zu welcher Gestalt das Ungeheuer heranwachsen wird, aber vor uns spielt sich eine Entwicklung ab, in der die Kreatur ihrem ersten Atemzug immer näher kommt.
Aus einer internationalen Perspektive gesehen, ist Donald Tump der lokale Vertreter einer globalen Verschiebung nach rechts, das amerikanische Pendant zu Benjamin Netanyahu in Israel, Narendra Modi in Indien oder Vladimir Putin in Russland. So gesehen, war Trumps erster Wahlsieg ein Wendepunkt. Sobald das reichste Land der Welt, mit der größten Armee, von Rechtsaußen geführt wurde, verlor die alte rechte »Mitte« an Bedeutung. Es gab eine Zeit, in der die Wahl einer extrem-rechten Regierung ein Skandal war und die umliegenden Staaten anschließend versuchten, auf das neue Regime Druck auszuüben. Doch es wird viel schwieriger, so zu denken, sobald auf globaler Ebene die Autoritären und Ultranationalist:innen am Gewinnen sind und die Konservativen sich dazu entscheiden, ihnen zu folgen.
Postdemokratie, Autoritarismus und Faschismus
Wir durchleben einen Prozess, in dem die politischen Systeme, durch die es einst möglich erschien, den Kapitalismus aufrechtzuerhalten, durch den stummen Zwang wirtschaftlicher Verhältnisse, die einst die Vorherrschaft des Kapitals über das Proletariat besiegelten, nicht länger überzeugen. Und jene, die wollen, dass der Kapitalismus erhalten bleibt, verlangen eine Rückkehr zum Autoritarismus, oder bringen sogar einen neuen Faschismus ins Spiel.
Diesen historischen Prozess mit anzusehen, ist so, als ob man, so wie in Shelleys Roman »Frankenstein«, dabei zuschaut, wie ein menschlicher Körper aus den zerlegten Teilen von Leichen zusammengebaut wird. Wir bewegen uns immer mehr auf ein neues Monster zu. Wir sehen die Stiefel von General Pinochet, die Lungen Mussolinis und die Hände argentinischer Generäle, die sich daran erfreuten, Sozialist:innen aus Flugzeugen zu werfen. Niemand von uns weiß, zu welcher Gestalt das Ungeheuer heranwachsen wird, aber vor uns spielt sich eine Entwicklung ab, in der die Kreatur ihrem ersten Atemzug immer näher kommt.
Eine Möglichkeit, sich post-demokratische Vereinigte Staaten vorzustellen, ist, sich in anderen Ländern umzuschauen, in denen eine vergleichbare Entwicklung stattfindet, darunter Ungarn und weite Teile Osteuropas. Wir als Antifaschist:innen sind deswegen besorgt: Was wird als nächstes in Italien passieren? In Holland unter Geert Wilders? In Argentinien unter Javier Milei? Bei der nächsten Präsidentschaftswahl in Frankreich?
Obwohl Liberale Trump als Faschisten bezeichnen, haben relativ wenige der genannten Länder versucht, Wahlen komplett zu unterbinden. Sie sind weder in den Krieg gezogen, noch haben sie (mit der Ausnahme Israels) einen Genozid gegen ihre ethnischen Feinde geführt. Vielmehr bewegen sie sich in einem autoritären Raum zwischen Konservatismus und Faschismus.
Sehen wir uns zum Beispiel an, wie die Wahlen in Ungarn ablaufen. Wenn auch formell bei diesen Wahlen verschiedene Parteien miteinander konkurrieren, sind ungarische Wahlen auf mehrere Weisen strukturell manipuliert. Alle nichtstaatlichen Fernsehsender und fast alle Zeitungen sind im Besitz von Verbündeten der Regierungspartei. Ein Ergebnis, das dadurch erreicht wurde, dass Unternehmer, die den Staat kritisierten, zu hohen Geldstrafen verdonnert wurden und dann, als der Wert der Presseunternehmen abstürzte, bestimmten Leuten erlaubt wurde, sie mit Hilfe von Staatsgeldern zu kaufen. Sowohl staatliche als auch unabhängige Medien sind damit beauftragt, Oppositionskandidat:innen zu boykottieren. Während der Wahlkampagne 2022 wurden dem Oppositionsführer Péter Márki-Zay lediglich fünf Minuten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu gestanden, um sein Programm vorzustellen. Staatsbeamte sind wegen angeblicher Illoyalität entfernt worden. Richter:innen werden nur ins Amt erhoben, wenn sie die Regierungspartei unterstützen.
Es zeigt sich, dass es durchaus möglich ist, den Schein zu wahren, dass es immer noch freie Wahlen gibt und gleichzeitig ein System zu etablieren, in dem die regierende Partei niemals verlieren kann. Die Entscheidung, trotzdem weiterhin Wahlen durchzuführen, obwohl diese praktisch bedeutungslos sind, wird zu einer Machtdemonstration der herrschenden Partei. Man kann seine Gegner:innen auf diesem Weg demoralisieren und die Idee, dass Wahlen einen Unterschied machen könnten oder sollten, diskreditieren.
Die »Zwei-Parteien-Diktatur«
So ein Prozess wäre in den Vereinigten Staaten einfacher durchzusetzen, als in Ländern mit einer ähnlich langen demokratischen Tradition. Die USA haben bereits Wahlregeln, die Drittparteien vom Wahlzettel fernhalten und Schwarze Wähler:innen entrechten. Die Kapitalist:innen sind fest entschlossen, immer weniger zur Aufrechterhaltung des Staates beizutragen und ein Rechtssystem aufzubauen, das es ihnen erlaubt, anstatt Steuern zu zahlen, Kandidat:innen zu kaufen. Dies hat zur Folge, dass ein:e durchschnittliche:r Kandidat:in für den Kongress etwa einhundert Mal so viel für politische Werbung ausgibt, als ihre Pendants in Großbritannien, Deutschland oder Frankreich.
Vor zwanzig Jahren sprachen Sozialist:innen von den USA als eine Zwei-Parteien-Diktatur, in der es zwei rivalisierenden Parteien gibt, die sich im Amt abwechseln und für eine große politische Kontinuität sorgen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass eine entschlossene politische Autorität das System in ein Ein-Parteien-Wahlsystem umwandelt.
Wenn Leute sagen, Trump sein ein »Faschist«, scheinen sie damit zu meinen, dass er ernsthaft das Ziel verfolgt, ein System der gelenkten Demokratie zu errichten, in der die verbleibende Wahlmöglichkeit auf der Präsidentenebene die Auslöschung der Wahlmöglichkeiten überall sonst verbergen würde. Dann gäbe es nicht mehr zwei Parteien, die um die Macht ringen, sondern in den meisten Orten nur einen Ein-Parteien-Staat.
Ob Trump die Fähigkeiten und die Kraft besitzt, ein solches System zu erschaffen oder nicht, ist eine Sache. Eine ganz andere ist, dass die Sozialist:innen und Antifaschist:innen seinen Wunsch nach Rache ernst nehmen müssen. 2016 war der Groll, den Trump gegen Hillary Clinton hegte der, dass sie eine Frau war, dass ihr erlaubt wurde, gegen ihn anzutreten, und dass sie womöglich gewinnen könnte. Das reichte ihm, um zu fordern: »Sperrt sie ein!« Nun stelle man sich einen gewählten Präsidenten in seiner zweiten Amtszeit vor, der drei Jahre nicht nur außerhalb des Amtes verbracht hat, sondern immer wieder vor Gericht stand und mit einer Inhaftierung, der Zerstörung seines Reichtums und sonstiger Schmach rechnen musste.
Es ist eine Reise, die auf seine weitere Radikalisierung und die Radikalisierung seiner Basis hindeutet.
Trump hat bereits angefangen, darüber zu scherzen, ob er als Diktator regieren wird. Auf die Frage von Fox-News-Moderator Sean Hannity: »Sie würden niemals Ihr Amt zur Vergeltung gegen irgendwen missbrauchen?«, antwortete er »Nein, nein, nein«, er würde kein Diktator sein, »außer an Tag Eins«. Zu diesen letzten zwei Worten erläuterte er, dass er vorhabe, den rassistischen Staat auszuweiten und jegliche verbleibenden Hindernisse zur uneingeschränkten Zerstörung des Planeten durch die Ölkonzerne zu beseitigen: »Wir schließen die Grenze und wir bohren, bohren, bohren«, so Trump.
Das Problem mit dem Faschismus-Diskurs ist, dass er davon ausgeht, dass Menschen sich nicht grundsätzlich ändern können. Dass sie mit Zwanzig eine Reihe von Ansichten haben und ihnen für den Rest ihres Lebens treu bleiben. Schaut man sich jedoch das Leben einzelner Diktatoren oder Faschisten an, so wurden sie von den historischen Ereignissen geformt. Sie improvisierten in bestimmten Situationen und hielten dann an der Logik ihrer Entscheidungen fest. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt war Mussolini ein Sozialist. Später war er dazu bereit, sich im Dienste der Reichen anheuern zu lassen und arbeitete für sie als Streikbrecher und als Pro-Kriegs-Journalist. Diese Entscheidungen, die Linke zu verlassen und mit den schlimmsten Teilen der Rechten zu verkehren, veränderten ihn weiter.
Etwas Ähnliches kann durchaus mit Trump passiert sein: Indem er zum Aufstand aufrief, statt das Wahlergebnis von 2020 anzuerkennen, hat er sich für eine bestimmte Richtung entschieden. Es ist noch nicht klar, wo das hinführen wird, aber es ist eine Reise, die auf seine weitere Radikalisierung und die Radikalisierung seiner Basis hindeutet.
Eines der wahrscheinlichen Ergebnisse ist, dass Trump damit scheitert, die USA in einen Ein-Parteien-Staat zu verwandeln – weil die Hürden zu hoch sind und weil ein erfolgreicher Übergang zum Autoritarismus eine historisch bedeutsame Person erfordern würde, die in der Lage ist, so ein Regime auf eine strategische Art und Weise zu führen, wofür Trump ungeeignet scheint.
Und doch hätte ein solches Scheitern Konsequenzen. Die Auswirkung von Trumps erster Amtszeit von 2017 bis 2021 war, dass Millionen von Menschen für die Unterstützung des Faschismus gewonnen wurden und dass die Republikanische Partei in etwas Autoritäres umgewandelt wurde. Eine neue Regierung wäre durch Trumps Bedürfnis nach Rache dazu verpflichtet, weiterzugehen, als sie es zuvor getan hat. Trump an der Macht, selbst wenn er scheitert, wäre aus der Sicht der amerikanischen Linken und der sozialen Bewegungen, in denen wir arbeiten, eine Katastrophe.
Die Macht bekämpfen
Dennoch, egal wie mächtig eine faschistische oder rechtsextreme Bedrohung erscheint, gibt es immer praktische Schritte, die Menschen unternehmen können, um sie zu verhindern. Wir befinden uns immer noch in einem Moment der Wiederbelebung von Gewerkschaften, wobei die UAW die richtige Richtung für andere Gewerkschaften vorgibt. Ein Teil von Trumps Nimbus ist seine Behauptung — welche masochistischerweise von liberalen Quellen wiederholt wird, gleichwohl sie offensichtlich unwahr ist —, dass er die traditionelle Arbeiterklasse repräsentiere. Wir haben derzeit eine Bewegung von Arbeiter:innen, die selbstbewusst für die eigenen Interessen eintritt und die Opfer des amerikanischen Imperialismus im Mittleren Osten unterstützt, statt die israelische Regierung mit ihrem Siedlungskolonialismus.
Jene, die argumentieren, Joe Biden repräsentiere ein Bollwerk gegen den Faschismus, scheinen zu denken, dass Trumps Bedrohung damit beginnt und endet, ob er die nächste Präsidentschaftswahl gewinnt oder nicht. Aber wenn Trump gewinnt, werden Leute gebraucht, die Widerstand gegen ihn leisten, so wie damals als seine Anhänger:innen in Charlottesville blockiert wurden, und im darauffolgenden Jahr, als Antifaschist:innen es schafften, mehr Menschen als die Rechte zu mobilisieren. Das Ergebnis war, dass die Rechte sich für die nächsten dreißig Monate, bis zum versuchten Staatsstreich am 6. Januar, in der Defensive befand. Wir werden in Zukunft wieder mehr von diesen mutigen Menschen brauchen.
Liberale tun so, als könnten sie mit dem Wahlkampf für Biden den weltweiten Rechtsruck aufhalten. Aber Demokraten blockieren nicht den Aufstieg von Autoritären, vielmehr helfen sie ihnen. Biden, sogar zur Verzweiflung seiner eigenen Berater:innen, verbreitet die Kriegslügen des israelischen Regimes und stellt die Gelder und die Waffen zur Verfügung, die das Gemetzel in Palästina ermöglichen. Israel sagt der Welt, es könne tun, was es will. Wen interessiert es, was die Regeln der liberalen Ordnung besagen? Indem Biden diesen Genozid legitimiert, hat er es Trump einfacher gemacht, zu sagen, er könne tun, was er will – wen interessiert es, was Regeln bedeuten?
In den letzten drei Monaten haben die USA die größte Protestmobilisierung seit Black Lives Matter erlebt, angeführt von Tausenden von Palästinenser:innen und Menschen arabischer Herkunft und unterstützt von vielen antizionistischen Jüd:innen. Anti-Kriegs-Netzwerke wurden überall wiederbelebt.
Wenn wir an diese Bewegung denken und an die Gegenmacht, die sie darstellt, ist die erste Frage: Tun Aktivist:innen genug, um die Führung der Vereinigten Staaten und ihre Vorgehensweise der verdeckten Finanzierung des Genozids und der Diffamierung derer, die sich für Palästina stark machen, zu verhindern? Aber unabhängig davon, ob Aktivist:innen eine Waffenruhe durchsetzen können oder nicht, werden aller Wahrscheinlichkeit nach die Netzwerke, die wir jetzt aufbauen, früher gebraucht werden, als uns lieb ist.
David Renton ist promovierter Historiker und profilierter Rechtsanwalt in Großbritannien.
Schlagwörter: Faschismus, Trump, USA