Die militanten Massenproteste der Gelbwesten setzen die Regierung von Emmanuel Macron weiter unter Druck. Wir sprachen mit John Mullen aus Paris über den Charakter der Proteste, die Perspektiven des Widerstands und die Rolle der Linken
Die Proteste der »Gelben Westen« (Gilets jaunes) scheinen zu eskalieren. Bilder von brennenden Barrikaden und Straßenschlachten mit der Polizei prägen die Berichterstattung der Medien. Sind die Gelbwesten alles Randalierer?
Quatsch! Natürlich zeigen die Medien vor allem die paar Dutzend brennende Autos. Damit wollen sie den Protest diskreditieren. Gewalt ist aber nicht das Hauptelement der Bewegung. Die Berichterstattung unterschlägt, dass es den Gelbwesten in den letzten Wochen gelungen ist, ihre Revolte zu verbreitern und eine Brücke zu anderen unzufriedenen Teilen der Bevölkerung zu schlagen.
Yves Lefebvre, Generalsekretär einer der Polizeigewerkschaften, sagte: »Wir brauchen ein anderes Herangehen. Das wird aber nicht ohne Ausnahmezustand gelingen. Dann könnten wir das Militär einsetzen, um für Ordnung zu sorgen.« Was bedeutet das für die Bewegung?
Zur Zeit klingen solche Rufe nach einem Ausnahmezustand eher ab. Präsident Macron scheint zu zögern. Er hofft, dass die Medienkampagne über die »gewalttätigen« und »faschistoiden« Gelbwesten die öffentliche Meinung gegen die Bewegung mobilisieren wird. Aber diese Rechnung muss nicht aufgehen. Gerade kommen immer mehr Informationen ans Licht, die zeigen, dass die Polizei gezielt Agents provocateurs gegen die »Gelben Westen« einsetzte, um manche der Zerstörungen zu organisieren.
Die Presse erweckt streckenweise den Eindruck, Macron könnte vielleicht gestürzt werden. Ist das auch dein Eindruck?
Die Zahl der beteiligten Menschen und die wirtschaftlichen Folgen dieser Bewegung sind wesentlich geringer als während der von den Gewerkschaften im letzten Frühling angeführten Bewegungen, die Macron letztlich überstand. Ihm kam zugute, dass die Bosse sich damit abgefunden hatten, abzuwarten, bis die Bewegung einfach wieder abebbte. Macrons »weder links noch rechts«-Spiel ist ihre letzte Karte, nachdem es weder rechtskonservativen noch sozialdemokratischen Vorgängerregierungen geglückt war, den Neoliberalismus nach dem Geschmack der Bosse genügend voranzubringen. Aber es gibt Gründe für Optimismus.
Die wären?
Bis zu 83 Prozent der Bevölkerung, darunter über 50 Prozent der Menschen, die in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen für Macron gestimmt haben, drücken in Umfragen Zustimmung für die Bewegung aus. Nur noch 20 Prozent sind der Meinung, dass Macron gute Arbeit leistet.
Aber die öffentliche Meinung alleine hat noch keinen Präsidenten gestürzt…
Stimmt. Aber die Zahlen sind schon sehr aussagekräftig. Und trotz der Medienhetze gegen die Gelbwesten bleiben diese Zustimmungswerte stabil.
Was ist die Reaktion des Präsidenten und der Regierung?
Macron hat sein Kabinett zu einer Krisensitzung einberufen. Nun hat Frankreichs Premierminister Edouard Philippe angekündigt, die zum 1. Januar geplanten Steuererhöhungen auf Diesel und Benzin für sechs Monate auszusetzen. Auch die bevorstehenden Anhebungen der Strom- und Gastarife würden »den Winter über ausgesetzt«, sagte Philippe. Das ist ein erster Teilerfolg der Bewegung.
Wird Macron also sein Projekt aufgeben?
In den letzten 25 Jahren haben Regierungen angesichts Massenwiderstands oftmals ihre neoliberalen Attacken auf die Bevölkerung begrenzt. Auch jetzt musste die Regierung Macron einlenken, obwohl er sich der Kapitalistenklasse angedient hat, als jemand der sich Protesten niemals beugen wird. Die Regierung scheint zu versuchen die Bewegung in Verhandlungen zu zwingen, um die Straßenmobilisierungen auszubremsen.
Die Regierung will sich also Zeit erkaufen?
Sie sind sehr verängstigt. Jetzt sprechen sie sogar darüber, die Möglichkeit zu prüfen, einen Teil der kürzlich abgeschafften Vermögenssteuern in einer anderen Form wieder einzuführen. Aber die Regierung will in den nächsten ein bis zwei Jahren weitere neoliberale Angriffe durchsetzen.
Um was geht es da?
Zum einen gibt es die »Reform« des Rentensystems. Die Pläne haben zur Folge, dass Rentner, vor allem im öffentlichen Dienst, viel weniger Geld erhalten. Und zum anderen eine massive Erhöhung der Universitätsgebühren. Beim letzteren will er als ersten Schritt ausländische Studierende statt um einige hundert um einige tausend Euro pro Jahr zur Kasse bitten.
Wie haben die Gelbwesten reagiert?
Bereits vor der Regierungserklärung sagten zahlreiche Sprecherinnen und Sprecher der Gelbwesten, dass die Entscheidung, die Steuererhöhungen auszusetzen, keineswegs ausreiche. Benjamin Cauchy, der sich zum »gemäßigten Flügel« der Bewegung zählt, sagte: »Das ist ein Anfang, aber wir wollen nicht nur ein Stück, wir wollen das ganze Baguette.« Alle Gelbwesten waren sich darin einig, dass die Proteste nun weitergehen müssten.
Was wollen die Gelbwesten überhaupt?
Die ursprüngliche Forderung war die nach Rücknahme der Steuererhöhungen auf Kraftstoffe. Aber der Forderungskatalog umfasst mittlerweile viel mehr. Beispielsweise die Forderung nach einer Erhöhung des Mindestlohns und der Renten, Koppelung der Löhne an die Inflationsrate, Reduzierung der Mehrwertsteuer, stärkere Besteuerung der Großkonzerne, Einschränkung befristeter Verträge, bessere Behandlung von Asylsuchenden, Deckelung der Vorstandsgehälter auf maximal 15.000 Euro im Monat und vieles mehr. Es wird auch nach einer »Volksversammlung« gerufen und nach einer Erweiterung des Instruments des Volksentscheids bei politischen Entscheidungen. Die Proteste werden von der Wut auf Präsident Emmanuel Macron getrieben – eine beliebte Parole auf Großdemonstrationen ist »Macron, démission!« (Macron, nimm deinen Hut!).
Wie entstand diese Bewegung?
Die Bewegung begann als spontaner Protest – zunächst als Online-Petition – gegen die zum 1. Januar 2019 geplante Erhöhung der Benzin- und Dieselsteuer. Dann rief unter anderem der Lkw-Fahrer Eric Drouet dazu auf, am 17. November landesweit Straßen zu blockieren. Die Bewegung organisierte sich über die sozialen Netzwerke. Für viele war die Steuererhöhung auf Benzin der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Am ersten Aktionstag Mitte November waren weit über 150.000 Demonstrierende auf den Straßen Frankreichs aktiv. Sie verteilten sich auf 2000 Demonstrationen und Blockaden von Autobahnen, Einkaufszentren und Treibstoffdepots.
Wie verbreitert sich die Revolte?
Es gesellten sich immer weitere Gruppierungen dazu. Beispielsweise wurden letztes Wochenende Gymnasien im ganzen Land blockiert (In Frankreich gibt es an Gymnasien samstags Vormittagsunterricht). Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Bewegung haben sich auch mit den laufenden Streiks in den Ölraffinerien und den Protesten der Krankenwagenfahrer solidarisiert.
Was symbolisieren die gelben Westen?
Alle Autofahrerinnen und Autofahrer sind in Frankreich verpflichtet, solche Leuchtwesten vorsorglich mitzuführen. So wurden die Westen schnell zu einem geeigneten Symbol. Demonstrierende schreiben Forderungen auf ihre Weste, um ihr persönliches Anliegen kundzutun.
Wie wirken sich die Straßenblockaden aus?
Die Blockaden von Autobahnkreuzen und Großmärkten bremsen ganz spürbar den Handel und sind zugleich eine Gelegenheit für die Beteiligten, sich untereinander über die Richtung der Bewegung und was als nächstes zu tun ist auszutauschen.
Finden die Proteste schwerpunktmäßig in Paris statt?
Ganz im Gegenteil. Das ist ein besonderes Merkmal dieser Bewegung, dass sie in anderen Landesteilen wesentlich stärker und auch unter viel stärkerer gewerkschaftlicher Beteiligung als in der Hauptstadt verläuft. Das »Frankreich der Kleinstädte« steht im Mittelpunkt der Bewegung.
Und in Übersee?
Auf der Insel Réunion, französischem Überseeterritorium im Indischen Ozean ist die Lage besonders bemerkenswert. Dort leben 40 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Die Bewegung der Gelbwesten ist dort noch aufständischer und viel tiefer und breiter verankert als in Frankreich selbst. Sie erkämpfte dort schon vor einer Woche ein dreijähriges Einfrieren der Treibstoffsteuer sowie mehr Geld für öffentliche Dienstleistungen
Wer hat die jüngsten Proteste am 1. Dezember organisiert?
In vielen Städten gab es gemeinsame Demonstrationen von »Gelben Westen« und Gewerkschaften, während in Paris einige schwarze Bürgerrechtsorganisationen dazu aufriefen, zusammen mit den »Gelben Westen« zu marschieren, Eisenbahner ebenfalls. Gegenwärtig wird die Bewegung vor allem über die sozialen Netzwerke organisiert. Aktivistinnen und Aktivisten teilen meistens ihre Aufrufe und Videos auf Facebook und Twitter, wo sie zehntausende User erreichen.
Wen treffen die neuen Steuern?
Wir müssen verstehen, dass es sich um eine Verbrauchssteuer handelt. Das sind die sozial ungerechtesten Steuern, da sie einen wesentlich höheren Anteil am Einkommen der ärmeren Bevölkerungsschichten ausmachen. Das ist auch der Grund, warum die herrschenden neoliberalen Regierungen der meisten europäischen Länder in den letzten fünfzig Jahren die Einkommenssteuer, die sozial betrachtet eine gerechtere Steuer ist, reduziert, dafür beispielsweise die Mehrwertsteuer erhöht haben. In Frankreich hat Macron erst vor kurzem die Reichensteuer abgeschafft und gleichzeitig die Steuern auf Renten durch die Bank erhöht. Die jüngst angekündigte Steuererhöhung auf Kraftstoffe »im Namen der Umwelt« war für viele der Punkt, an dem ihr Geduldsfaden riss.
Ist diese »Ökosteuer« nicht doch ein Beitrag zum Umweltschutz?
Es ist ein Hohn, wenn ausgerechnet Macron das Argument der Ökologie hervorzaubert. Er ist verantwortlich für die fortlaufende Stilllegung von regionalen Eisenbahnlinien und die rigide Kürzung von Mitteln für den öffentlichen Nahverkehr der kommunalen und regionalen Regierungen. Zudem will er auch die Programme des sozialen Wohnungsbaus beenden. Aber besonders Menschen mit niedrigem Einkommen können durch diese Programme näher an ihrem Arbeitsplatz wohnen und damit auch Pendelkosten sparen. Die riesigen Ölkonzerne hingegen zahlen nur extrem geringe Steuern, während der Treibstoff für Flugzeuge überhaupt nicht besteuert wird. Das alles wurde gerade durch die Veröffentlichung von internen Regierungspapieren noch getoppt. Dort steht, dass die Einnahmen aus der »Ökosteuer« überhaupt nicht zum Zweck des Umweltschutzes eingesetzt werden, sondern lediglich die Steuersenkungen für die Reichen ausgleichen soll.
Manche Linke argumentieren, dass die Proteste in erster Linie von kleinbürgerlichen Schichten getragen werden. Stimmt diese Einschätzung?
Es gibt sicherlich manche Selbständige und andere Teile der »Mittelschichten« wie Ladenbesitzer oder Handwerker, die an den Protesten teilnehmen. Aber wenn diese Schichten in ihrem eigenen Interesse gegen das Großkapital und die Regierung mobilisieren, sollte die Linke sie unbedingt unterstützen. Es ist aber wichtig zu verstehen, dass die Mehrheit der Gelbwesten-Aktiven – wie mehrere Untersuchungen feststellten – aus der Arbeiterklasse der ländlich geprägten Regionen kommen.
Aber die Protestierenden bezeichnen sich als »apolitisch«…
Ja, aber diese Selbstbezeichnung trifft insofern zu, als dass diese Arbeiterschichten zuletzt nicht besonders »rebellisch« waren. Genau so wie die Bewegung »Nuit debout« letztes Jahr viele junge Erwachsene in einen unstrukturierten Protest einbezog, so mobilisiert auch die Bewegung der Gelbwesten jetzt neue Schichten.
Viele machen sich Sorgen, dass die extreme Rechte an den Protesten teilnimmt. Manche argumentieren, dass die Linke aus Prinzip sich nicht beteiligen sollte. Was sagst du dazu?
Die faschistische Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen bekam zehneinhalb Millionen Stimmen bei den Wahlen letztes Jahr – viele in den ländlichen Regionen. In jeder größeren sozialen Bewegung werden sich auch einige ihrer Wählerinnen und Wähler befinden. Es ist verständlich, dass Linke sich Sorgen machen und das sollte auch diskutiert werden. Aber jetzt darauf zu verzichten, sich an einer Massenbewegung zu beteiligen, weil auch Menschen mit rechten Ideen involviert sind, würde bedeuten, auf jegliche Perspektive sozialer Veränderung durch die Massen zu verzichten.
Was wäre die Alternative?
Wir müssen den Menschen, die rechts wählen oder gewählt haben, zeigen, dass Le Pen und ihre Millionärsfamilie Lügner und Betrüger sind. Marine Le Pen und einige weitere Gestalten der extremen Rechten haben zwar zu Beginn ihre Unterstützung für die Gelbwesten erklärt. Aber in folge der Proteste sah sich beispielsweise Marine Le Pen gezwungen ihre Position zu den wichtigsten Forderungen der Bewegung klarzustellen. So sprach sie sich deutlich gegen eine Erhöhung des Mindestlohns aus und forderte stattdessen Subventionen für Kleinunternehmen mit hohen Treibstoffkosten. Das kam bei vielen Gelbwesten nicht gut an.
Aber es gab Versuche der radikalen Rechten die Bewegung für sich zu Vereinnahmen …
Ja, aber es ist von Ort zu Ort sehr unterschiedlich. Beispielsweise gab es unter den hunderten Menschen, die in Paris verhaftet wurden, überhaupt keine Parteimitglieder. Kader der extremen Rechten wurden an einigen Orten aus der Bewegung rausgeschmissen und anderswo sind es Aktive von La France Insoumise oder andere linke Gruppen, die die Hauptorganisatoren darstellen.
Wird der Einfluss der extremen Rechten auf die Bewegung übertrieben?
Meiner Meinung nach ja. Diese Übertreibung ist im Interesse Macrons. Seine Minister haben behauptet es sei eine »extrem rechte Bewegung«. Und um den »Faschismus« zu bekämpfen müsse Macron unterstützt werden. Auch das Fernsehen behauptet unablässig, dass die extreme Linke und die extreme Rechte sich in dieser oder jener Frage einig wären, um auf diese Weise die Linke zu diskreditieren.
Aber es gab doch sexistische und rassistische Vorfälle bei den Protesten …
Ja, das stimmt. Es gab Hunderte von Blockaden und dabei wurden auch einige schockierende Fälle von Rassismus und Sexismus gemeldet. In einem Fall händigten zum Beispiel Protestierende illegale Migranten, die sich in einem Lastwagen versteckt hielten, an die Polizei aus. All das ist wenig überraschend in einer rassistischen und sexistischen Gesellschaft. Die Reaktion der Linken darf weder darin bestehen, sich zu weigern, die Bewegung der Gelben Westen zu unterstützen, noch darin, solche rassistischen Vorfälle zu ignorieren.
Wie haben die Menschen in der Bewegung reagiert?
Es hat eine Reihe erfreulicher antirassistischer Reaktionen gegeben. Als die »Gelben Westen« zu einer Diskussion mit dem Umweltminister eingeladen wurden, war eine der beiden Delegierten Priscilla Ludosky – eine Schwarze Frau. Sie startete die Online-Petition »Für die Absenkung der Benzin-Preise«, die mittlerweile über eine Million Menschen unterzeichnet haben. Einige der radikaleren Organisationen von Schwarzen in den Pariser Vororten haben zur Beteiligung an den Protesten der Gelbwesten in Paris aufgerufen. Sie organisierten auch Veranstaltungen, auf denen diskutiert wurde, was Schwarze Menschen in den armen Stadtteilen, mit armen Menschen in den ländlichen Regionen gemeinsam haben. In Montpellier begrüßte die Demonstration der »Gelben Westen« lautstark eine feministische Demonstration gegen sexuelle Gewalt, die zufällig am gleichen Tag stattfand. Wenn Menschen sich einmal in Bewegung setzen, können ihre rassistischen und sexistischen Einstellungen leichter in Frage gestellt und verändert werden.
Stimmt es, dass sich viele Frauen an den Protesten beteiligen?
Seit dreißig Jahren schon nehmen immer mehr Frauen führende Stellungen in sozialen Bewegungen ein. Ob in den Bewegungen und Streiks für bessere Arbeitsbedingungen, gegen antimuslimischen Rassismus oder für die Rechte von Geflüchteten. Auch in der jüngsten Studierendenbewegung war eine außerordentliche hohe Anzahl von Frauen in der Führung. Das alles ist das Ergebnis von einem jahrzehntelangem Kampf für die Gleichberechtigung. Daher ist es nicht überraschend, dass auch bei den Gelbwesten Frauen eine herausragende Rolle spielen.
Die Proteste scheinen derzeit die Beteiligung von Parteien strikt abzulehnen. Stimmt das?
Die Ablehnung von Parteien ist nicht so stark wie zuvor in einigen anderen Bewegungen. Parteiaktivisten stoßen nicht auf offene Ablehnung, wobei die meisten Anführer vor Ort sagen, »wir sind nicht parteipolitisch«, und auf Demonstrationen oft verlangen, dass keine parteipolitischen Transparente oder Schilder getragen werden. Parolen wie »alle Politiker sind korrupt« sind nicht selten, das bedeutet allerdings nicht, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht mit linken Aktivisten sprechen würden.
Wie haben linke Parteien wie deine eigene Organisation »La France insoumise« reagiert?
La France insoumise (LFI) ist keine Partei, sondern eine politische Bewegung – mit allen Vor- und Nachteilen, die damit einhergehen. Wie andere Gruppierungen der radikalen Linken verhielt sich die Führung von LFI zunächst abwartend, während die Bewegung über Wochen immer mehr an Fahrt aufnahm. Während es zu Beginn hieß, »diese Bewegungen sind Ausdruck berechtigter Wut«, hieß es später, »wir hoffen, sie werden erfolgreich« und mittlerweile »unsere Mitglieder sollten sich daran beteiligen«. Mehrere der Forderungen der »Gelben Westen« sind weitgehend deckungsgleich mit dem Programm von La France insoumise. Eine ähnliche Entwicklung machte auch die wichtigste linke Gewerkschaft CGT, so dass wir inzwischen eine ganze Reihe von gemeinsamen Demonstrationen von Gewerkschaften und »Gelben Westen« erleben konnten.
Wie reagieren die Oppositionsparteien auf die Proteste?
Die politischen Reaktionen sind vielfältig. Mélanchon, prominenter Vertreter von La France Insoumise, unterstrich die Verantwortung der Polizei. Sie hätte mit ihrem aggressiven Verhalten die Gewalt provoziert. Er machte im Fernsehen auch deutlich , dass es ohne soziale Gerechtigkeit keine Ruhe und Ordnung geben könne. Eine gemeinsame Parlamentsinitiative von La France Insoumise und der Kommunistischen Partei für ein Misstrauensvotum gegen die Regierung ist denkbar, wobei die Sozialistische Partei ihre Unterschrift verweigert.
Was wird als nächstes passieren?
Die Situation ändert sich jeden Tag, und ich fürchte, ich habe meine Kristallkugel im Zug gelassen (lacht).
Wagst du trotzdem eine Prognose?
Solche Bewegungen wie die Gelbwesten können genauso schnell wieder verschwinden, wie sie aufgetaucht sind. Aber zur Zeit erscheint Macron schwach, während die radikale Linke mit ihren Forderungen nach Neuwahlen auf Gehör stößt. Für die Zukunft der Bewegung ist es sicherlich wichtig, ob es durch den Zusammenschluss mit anderen Bewegungen eine neue Dynamik geben wird.
An was denkst du da?
Am 8. Dezember finden Demonstrationen gegen den Klimawandel in mehreren Städten statt. Macrons armselige Ausrede, die Benzinsteuererhöhung sei ein Beitrag für die Umwelt, kann von beiden Bewegungen aufgegriffen werden. Hier muss unsere Seite die Verbindungen ziehen. Wenn die Bewegung weiter wächst und mehr Menschen sich beteiligen – von den Gelbwesten über die Proteste der Studierenden bis hin zu hin den laufenden Streiks in den Raffinerien und im Transportsektor – dann ist Macrons Position ernsthaft bedroht. Es scheint, dass die Bewegung zur Zeit immer noch sehr stark im Aufstieg begriffen ist. Es bleibt spannend.
Interview: Yaak Pabst / Übersetzung ins Deutsche von David Paenson
Foto: NightFlightToVenus
Schlagwörter: Emmanuel Macron, Frankreich, Protest