Im kommenden Jahr ist Bundestagswahl. In der Linkspartei wird über Wahlstrategie, Wahlprogramm und das Verhältnis zu SPD und Grünen diskutiert. Janine Wissler und Thomas Nord sind unterschiedlicher Meinung, was eine rot-rot-grüne Koalition – kurz: #r2g – angeht
Ob es reicht, wird man sehen
Von Thomas Nord
Die Debatte über eine Koalition aus SPD, der LINKEN und Bündnis 90/Die Grünen lässt viele Antworten zu. Zunächst kann man sie einfach ausschließen. Das fällt leicht. Oft genug war Enttäuschung auch über DIE LINKE die Folge, wenn diese Parteien in Regierungen waren. Schwieriger ist es, Verratsvorwürfen nicht gleich nachzugeben und Möglich- oder Notwendigkeiten, Chancen und Risiken des Zusammenarbeitens nüchtern abzuwägen. Ein handfester Grund für diese Abwägung ist das eigene Mobilisierungspotenzial, welches sich die Regierungsbeteiligung »ihrer« Partei wünscht. Es umfasst aktuell neunzig Prozent der Wählerinnen und Wähler der LINKEN.
Die »heilspolitische« Überhöhung eines rot-rot-grünen Gesellschaftsprojekts fällt aus. Das Selbstverständnis der Parteien liegt in der jeweiligen Binnenbetrachtung weit auseinander. Deshalb ist der Widerstand gegen eine solche Zusammenarbeit in ihnen höher als bei Wählerinnen und Wählern. Bei diesen dominiert eine Sichtweise, die verschiedene, auf dem Papier oft nahe beieinander liegende politische Profile miteinander in Bezug bringt. Schon im Interesse der Mobilisierung bei Wahlen sollte sich DIE LINKE diese Option offen halten und sie wie jede andere auf ihren realen Gebrauchswert prüfen.
Die existenziellen Konflikte und bestehenden Kräfteverhältnisse bilden den Maßstab für Entscheidungen. Sie sind so aus der aktuellen Situation heraus erklärbar und nicht mit dem Blick in den Rückspiegel. Für eine positive Antwort sind drei Voraussetzungen notwendig: Das Ergebnis der Wahl muss die Möglichkeit einer Mehrheit eröffnen. Die Parteien dürfen sich wechselseitige Verletzungen der Vergangenheit nicht als Blockadegrund vorhalten und angesichts der aktuellen Politik von SPD und Teilen der Grünen bedarf es einer Erwägung, ob theoretische Möglichkeiten jetzt die notwendige Antwort geben.
Als Resultat neoliberaler Politik erstarken reaktionäre Kräfte. Die Rechten sind auf dem Vormarsch. Politische und zivilisatorische Errungenschaften werden durch ihren wachsenden Erfolg infrage gestellt. Die aus einem dramatischen Sozialabbau resultierenden Ängste werden genutzt, um mit menschenfeindlichen, rassistischen und religiösen Feindbildern mehrheitsfähig zu werden. Mit Erfolg, wie man in Ungarn, Polen und in Österreich sehen kann. Frankreich könnte folgen. Diese Entwicklung gibt es auch in Deutschland. Hier wird 2017 mitentschieden, ob sich dieser verheerende politische Trend in Europa fortsetzt oder ob er gestoppt werden kann. Die stalinistisch dominierte Linke hat Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts angesichts der aufstrebenden rechten Kräfte falsch entschieden. Die Folgen sind bekannt.
Allein wird DIE LINKE das nicht schaffen. Die Offensive der reaktionären Rechten reicht bis tief in die bürgerlichen Parteien. Bündnispartner für eine Gegenbewegung stehen bei uns nicht Schlange. In einer solchen Lage muss auch in anderen Parteien für einen Seitenwechsel in den sozialen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen geworben werden. Geprüft werden muss, ob aus Überschneidungen auf dem Papier der Einstieg in reale Verbesserungen entstehen kann. Unabhängig von dieser Frage wird jede Partei mit eigenem Profil und eigenen Themen in den Wahlkampf ziehen.
Der Autor:
Thomas Nord ist Mitglied des deutschen Bundestags und Bundesschatzmeister der LINKEN.
Regierungsbeteiligung gegen den Rechtsruck?
Von Janine Wissler
DIE LINKE muss sich vor einem möglichen Eintritt in eine Regierung überlegen, ob sie tatsächliche Fortschritte erreichen kann oder ob sie sich aufgrund der politischen und finanziellen Rahmenbedingungen zur Mitverwalterin des Mangels macht und Verschlechterungen aufgrund von vermeintlichen Sachzwängen durchsetzt. Wenn linke Regierungen die Menschen enttäuschen, können davon rechte Parteien wie die AfD profitieren und die Rolle der Opposition ausfüllen.
»Es ist nicht anzunehmen, dass die Partei DIE LINKE unter den gegebenen Bedingungen in einer Bundesregierung viel mehr erreichen würde als aus der Opposition«, meint der Philosoph Michael Brie hierzu. »Sie würde bei einer Beteiligung an einer Mitte-links-Regierung also die schon jetzt vorhandene politisch-parlamentarische Repräsentationslücke für einen Richtungswechsel komplett machen, damit die Rechten weiter stärken und zugleich ihren eigenständigen politischen Gebrauchswert verlieren.«
Gerade in Zeiten von Schuldenbremse und angespannter Haushaltslage ist es wichtig, dass DIE LINKE verdeutlicht, was sie nicht mitzutragen bereit ist, und klare Haltelinien benennt. In der Debatte um eine Regierungsbeteiligung sind daher zwei Botschaften wichtig. Zum einen: DIE LINKE ist keine Mehrheitsbeschafferin für eine falsche Politik. Sie wird keinem Sozialabbau, keinem Stellenabbau im öffentlichen Dienst, keinen Privatisierungen und keinen Auslandseinsätzen der Bundeswehr zustimmen. Diese Haltelinien dürfen nicht verhandelbar sein.
Ebenso wichtig ist die zweite Botschaft: Wenn mit parlamentarischen Mehrheiten die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen verbessert werden können, dann wird DIE LINKE diesen Verbesserungen zustimmen. Sie wird keine solche Reform aus Parteikalkül nur deshalb ablehnen, weil wir gern einen größeren Schritt machen würden.
Für grundlegende Veränderungen ist es allerdings wichtiger, ob es Bewegungen und Kämpfe und ob es gewerkschaftlichen sowie betrieblichen Protest gibt. Entscheidend ist weniger, wer regiert, sondern vielmehr, wer opponiert, und ob es gelingt, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu verändern und Zugeständnisse von Regierungen zu erkämpfen.
Gerade als LINKE müssen wir immer wieder grundsätzlich deutlich machen, dass die Macht in der Gesellschaft nicht in erster Linie in den Parlamenten und Regierungen liegt. Wir haben es mit einer ungeheuren Machtkonzentration großer Konzerne zu tun, die nicht bereit sind einfach zuzugucken, wenn Politik gegen sie gemacht wird. Vielmehr versuchen sie, Regierungen zu einer kapitalfreundlichen Politik zu bewegen oder notfalls sogar zu erpressen.
Zudem ist der Staat selbst keine neutrale Institution. Der Staatsapparat ist Ausdruck der kapitalistischen Klassengesellschaft und der Eigentumsverhältnisse. Dieses Demokratiedefizit kann auch eine Regierung unter Beteiligung der LINKEN nicht grundsätzlich lösen. Deshalb muss sich DIE LINKE auch selbst der Grenzen der Möglichkeiten des Parlamentarismus bewusst sein und die gegenwärtigen Besitz- und Eigentumsverhältnisse infrage stellen. Es geht darum, um die Macht in den Betrieben zu kämpfen, und nicht nur um Mehrheiten in Parlamenten.
Um zu der Gefahr von rechts zurückzukommen: Wollen wir der AfD wirksam begegnen, dann müssen wir gesellschaftliche Mobilisierungen gegen rechts unterstützen und rassistischen Argumentationen etwas entgegensetzen. Natürlich muss DIE LINKE dabei auch – etwa im Rahmen der Kampagne »Aufstehen gegen Rassismus« – mit SPD und Grünen zusammenarbeiten. Das ist aber etwas ganz anderes, als auf einen Wahlkampf zu setzen, der die Illusion einer möglichen linken Regierungsbeteiligung im Bund schürt.
Die Autorin:
Janine Wissler ist Fraktionsvorsitzende der LINKEN im hessischen Landtag.
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Foto: linksfraktion
Schlagwörter: AfD, Bundestagswahl, DIE LINKE, Dietmar Bartsch, Kampf gegen Rechts, Koalition, Linksfraktion, Linkspartei, R2G, Rechtsruck, Rot-Rot-Grün, Rotrotgrün, Sahra Wagenknecht