Wegen des Angriffs Russlands auf die Ukraine haben westliche Staaten Sanktionen gegen Russland verhängt und weitere sollen folgen. Doch Sanktionen nützen nur dem Kapital, sie schaden aber den Menschen und taugen nichts gegen die Regierungen. Meint Thomas Walter
Noch gibt es sie, deutsche Firmen in Russland. Auf Ritter-Sport-Schockolade muss die russische Bevölkerung noch nicht verzichten. Die Globus-Märkte aus dem Saarland beschäftigen knapp 10.000 Mitarbeiter:innen in Russland. Metro, Bayer, Henkel und Telekom sind in Russland. Siemens »will sich nicht weiter vergrößern«. Doch viele andere Konzerne packen die Koffer. Die Firma Bertelsmann hat sich schon vor Jahren aus dem russischen Mediengeschäft zurückgezogen, weil dort der »wichtige Grundsatz des freien Journalismus« nicht möglich war. Doch auf seine Druckereien und Logistik-Betriebe wollte Bertelsmann bis zum Krieg nicht verzichten. Dazu waren die Löhne einfach verlockend niedrig, auch wegen der staatlichen Repression.
Auf den ersten Blick ist Russland wirtschaftlich schwach. Gemessen an der Größe des Bruttoinlandsprodukts ist es so groß wie Kanada, Brasilien oder Südkorea. Doch stammen die deutschen Steinkohle-Importe zu 45 Prozent aus Russland. Im Jahr 2000 waren sie noch nahe null, aber seitdem wurden die Steinkohleimporte, auch nach der Annexion der Krim durch Russland 2014, immer weiter ausgeweitet. Deutschland hängt vor allem zu über 50 Prozent beim Gasverbrauch von Importen aus Russland ab und beim Öl zu rund 35 Prozent. Jetzt rächt sich, dass die kapitalistische Wirtschaft auf einen energieverschwenderischen Individualverkehr setzte, statt auf Öffentlichen Verkehr.
Schon die Sowjetunion lieferte Gas
Schon seit den 50er Jahren liefert die Sowjetunion (SU) Energie, nicht zuletzt für die BRD. Die BRD lieferte die Röhren, die SU das Gas. In den 60er Jahren untersagten die USA und die Nato jedoch solche Geschäfte. Schon unterschriebene Verträge mussten gebrochen werden. Das war nicht nur gegen die SU gerichtet, sondern auch gegen einen »Verbündeten«, der sich wirtschaftlich immer mehr breit machte. Aber in den 70er Jahren ging der Handel weiter. Die SU, eigentlich »Systemgegner«, musste für ihren Kredit von der Deutschen Bank 6 Prozent Zinsen zahlen. Das waren damals 3 Prozent weniger als üblich. Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) begründete dies mit dem »großen Nachholbedarf« der deutschen Industrie bei Großprojekten mit dem Ostblock.
Mit dem Fall des Eisernen Vorhanges wurde Russland offiziell ein kapitalistischer Staat. Das Gerangel um Sanktionen hätte jetzt eigentlich aufhören müssen. Doch von Anfang an warnten westliche Politiker, dass ein nach westlichem Vorbild kapitalistisches Russland womöglich ein gefährlicherer Konkurrent sein könnte als die SU. Der Ost-West-Konflikt blieb, jetzt zwischen offiziell kapitalistischen Staaten.
Doch europäisches Kapital, das in der Weltmarktkonkurrenz punkten wollte, importierte weiterhin Energie aus Russland, Tendenz steigend. Estland, Finnland, Bulgarien und Lettland beziehen ihr gesamtes Gas aus Russland, Polen und Österreich etwa 80 Prozent, Deutschland über 50 Prozent und Italien 33 Prozent. Weniger betroffen sind Frankreich und Niederlande.
Abhängigkeit von russischen Rohstoffen
Der Westen droht Russland: Sanktionen ja, aber erst, wenn wir euer Gas nicht mehr brauchen. Jetzt soll 2027 Europa von russischen Energie-Importen unabhängig sein, meinen die Technokraten der Europäischen Kommission. Womöglich kommt Russland mit einem Exportstopp für Energie der EU zuvor.
Bis dahin können auch nicht alle russischen Banken vom internationalen Zahlungssystem abgekoppelt werden. Irgendwie muss der Westen ja seine Importe bezahlen, und Russland muss mit dem Geld etwas kaufen können, sonst rentieren sich für es keine Energie- und Weizenlieferungen mehr.
Auch die USA importieren Öl aus Russland und versuchen jetzt auf Länder wie Venezuela umzusteigen. Dazu müssen allerdings die Sanktionen, die gegen dieses »sozialistische« Land gerichtet sind, erstmal gelockert werden.
In dem Maße wie die Importe aus Russland gedrosselt werden, werden die Preise noch mehr steigen. Dazu kommt, dass ein Viertel aller Getreideexporte der Welt (nicht der Getreideproduktion insgesamt) aus Russland und Ukraine kommt. Der Krieg und die Sanktionen stoppen solche Lieferungen, die Preise steigen. Vor allem in Afrika droht Hunger. (Vom weltweiten Weizenexport entfielen 2020 19 Prozent auf Russland, auf USA und Kanada jeweils 13 Prozent, auf Frankreich 10 Prozent, auf Ukraine 9 Prozent und auf Deutschland, dem achtgrößten Weizenexporteur der Welt, 5 Prozent.)
Es trifft die Armen
Die hohen Preise bei Heizung, Benzin und Lebensmitteln treffen auch in Deutschland vor allem die Ärmeren. Die Unternehmen machen Extra-Profite, weil die Preise wegen der Verknappung stärker steigen als die Kosten.
Der Chef des gewerkschaftsnahen Instituts IMK Sebastian Dullien schätzt, dass sich für eine Durchschnittsfamilie die Heizkostenrechnung pro Monat um 100 Euro erhöht, noch ohne Ukraine-Krieg gerechnet. Der Ökonom Rudolf Hickel sieht vor allem für die Ärmeren soziale Probleme: Menschen in der Grundsicherung und in Niedriglohnjobs können die hohen Preise nicht bezahlen. Auf Ersparnisse können sie nicht zurückgreifen, und Luxusausgaben haben sie keine, die sie kürzen könnten. Pendler können die Benzinrechnung nicht mehr bezahlen. Dramatisch würde es, wenn schlichtweg Gas- und Ölimporte gestoppt würden.
Sanktionen sind Teil des Konkurrenzkampfes
Ziel der Sanktionen soll sein, Russland am Kriegführen zu hindern. Der russische Kapitalismus kann aber noch auf die eigene Wirtschaft setzen und auf die noch möglichen Importe. Ökonomen glauben, dass Russland so weiter existieren kann. Doch je mehr in Russland für den Krieg produziert wird, desto weniger verbleibt den Menschen. Diese Verschiebung weg vom Lebensnotwendigen hin zu Militärausgaben läuft über natürlich auch in Russland immer höhere Preise, welche die Menschen zahlen müssen.
Aus kapitalistischer Sicht dienen Sanktionen dazu, Konkurrenten nieder zu halten. Es geht gar nicht gegen die verantwortlichen Regierungen als solche. Die dürfen ruhig im Amt bleiben. Hauptsache, der Staat als solcher wird als Konkurrent geschwächt. Nebenbei werden auch »Verbündete« ausgebremst, die sich an den Sanktionen beteiligen müssen. Das ifo-Institut stellt zwar bei insgesamt 1400 untersuchten Sanktionen gegen einzelne Länder fest, dass Wirtschaft, Gesundheit und Lebenserwartung geschädigt wurden. Doch Hoffnungen auf einen politischen Kurswechsel hätten sich selten erfüllt.
Die Regierungen, gegen die sich die Sanktionen angeblich richten, überleben, weil sie diese Sanktionen nutzen, um eine Wagenburg-Stimmung zu ihren Gunsten herzustellen und mit diesen Sanktionen repressive Maßnahmen rechtzufertigen. In Ländern wie Iran, das seine Öllieferungen um 90 Prozent wegen Sanktionen vermindern musste, Kuba, Nordkorea oder Venezuela ist es zu keinem Wechsel der Regierung gekommen. Im Gegenteil, oft profitieren die Hardliner von gegen das Land gerichteten Sanktionen. Die Leidtragenden sind die Bevölkerung. Auch der innenpolitische Widerstand wird geschwächt.
Kapitalistische Krisen verschärfen sich
Der Krieg und die Sanktionen sind Ausdruck der sich verschärfenden internationalen Konkurrenz. Krieg und Sanktionen sind mit beträchtlichen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden. Ein erstes Opfer ist die Umwelt. In den Medien ging fast unter, dass der brasilianische Regenwald womöglich bald kippt mit verheerenden Folgen für das Weltklima. Atomkraft– und Kohlekraftwerke sollen wieder in Gang gesetzt werden.
Unternehmen müssen ihre Investitionen in Russland abschreiben. Der Kostendruck gefährdet viele Unternehmen, die jetzt nach dem Staat rufen. Das Kapital kommt am besten aus dieser Krise, je mehr Kosten es auf die Arbeiterklasse abwälzen kann.
Die Linke muss darum kämpfen, dass der Staat nicht Unternehmen subventioniert, sondern Menschen mit niedrigem Einkommen stützt. Die Arbeiterklasse ist nicht verantwortlich für die Konflikte imperialistischer Staaten. Die bürgerliche Hoffnung, dass eine weltwirtschaftliche Globalisierung Kriege verhindern würde, ist einmal mehr blamiert. Statt Sanktionspolitik Enteignung der Täterinnen und Täter in Russland und in den Nato-Staaten.
Bildquelle: Wikipedia Benutzer Kandschwar
Schlagwörter: EU, Krieg, Russland, Ukraine