Mit Mesut Özil ist einer der besten deutschen Fußballer aus der Nationalmannschaft zurückgetreten, weil er dort Rassismus erleidet. Özils Foto mit Erdogan ist dafür nur ein Vorwand, meint Hans Krause
»Bestimmte deutsche Zeitungen machen rechte Propaganda«, »die Medien haben doppelte Standards« und »Rassismus sollte niemals akzeptiert werden«. Was wie Auszüge aus einem antirassistischen Flugblatt klingt, stammt tatsächlich aus Mesut Özils Rücktrittserklärung aus der Fußball-Nationalmannschaft.
Dass er diesen Schritt machen muss, liegt an einer in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen rassistischen Hetz-Kampagne von Politik, Medien und Deutschem Fußballbund (DFB) gegen die türkischstämmigen Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan. Auslöser dieser Kampagne war ein gemeinsames Foto der Spieler mit dem diktatorisch regierenden türkischen Präsidenten Recep Erdogan im Mai. Doch die Ursache ist die seit Jahren laufende rassistische Diskussion, in der auch türkischstämmige Menschen, die wie Özil und Gündogan in Gelsenkirchen geboren und aufgewachsen sind, unabhängig von ihrem Glauben als Muslime und damit als minderwertig betrachtet werden.
Das 5. Treffen von Erdogan und Özil
Özil hatte Erdogan bereits in den Jahren 2010, 2011, 2012 und 2016 getroffen, ohne dass es jemand gestört hätte. Zwar war es unklug von Özil und Gündogan, dasselbe so kurz vor den türkischen Wahlen im Juni zu machen. Aber unkluge Dinge haben Fußballer schon oft getan, ohne dass sie dafür mit rassistischem Hass überzogen wurden.
Lothar Matthäus umarmte während der Weltmeisterschaft den russischen Präsidenten Wladimir Putin, ohne dass der DFB ihn dafür kritisiert, geschweige denn den Titel »Ehrenspielführer der Nationalmannschaft« entzieht. Und Nationalspieler, die wie Özil die Hymne nicht mitsingen, gab es schon sehr viele; von den westdeutschen Weltmeistern 1974 alle elf.
»… hat viele Fans enttäuscht«
Doch nur in einer Zeit, in der sich CDU, SPD, Grüne und FDP von der AfD am Nasenring durch die Arena der rassistischen Diskussionen ziehen lassen, ist es möglich, dass sowohl Politiker als auch DFB-Funktionäre bis heute gegen Özil hetzen, der noch 2014 den Weltmeistertitel für die deutsche Mannschaft erkämpft hat. Erst gestern unterstellte der frühere Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir, Özil »spiele denen einen Steilpass zu, die unsere Demokratie ablehnen«und wirft ihm damit AfD-Hilfe vor.
Nur eine Woche nach dem Ausscheiden der Mannschaft bei der WM, behauptete DFB-Präsident Reinhard Grindel zu den Erdogan-Fotos: »Dass sich Mesut bisher nicht geäußert hat (…), hat viele Fans enttäuscht« und Nationalmannschaft-Manager Oliver Bierhoff erzählte, es sei nicht gelungen, Özil von der Nationalmannschaft »zu überzeugen« und »man hätte überlegen müssen, ob man sportlich auf ihn verzichtet«.
Vorsicht vor Doppelstandards
Wer trotz all dem glaubt, Özil müsse sich für sein Foto mit Erdogan entschuldigen, sollte überlegen, ob er nicht dem weit verbreiteten rassistischen Trick des »Doppelstandards« auf den Leim geht: Jemand mit und jemand ohne Migrationshintergrund tun dasselbe, doch der Migrant wird dafür scharf kritisiert und der Deutsche nicht.
Denn niemand verlangt, dass sich Merkel, Maas oder andere Politiker für ihre Treffen mit Erdogan entschuldigen. Und niemand verlangt Merkels Rücktritt, weil ihre Regierung die Lieferung genau der Panzer an die türkische Armee genehmigt hat, mit denen Erdogan dieses Jahr Krieg in Syrien geführt hat. Denn all diese Forderungen gibt es nur an den türkischstämmigen und gläubigen Muslim Özil.
So berechtigt jede Kritik an den tausendfachen Menschenrechtsverletzungen von Erdogans Regierung ist. So wenig sind diese der wirkliche Grund für die Kampagne von CDU- und DFB-Bossen gegen Mesut Özil. Denn sie selbst sind es, die wöchentlich Diktatoren auf der ganzen Welt die Hand schütteln.
Doch selbst wenn man in der Welt des Sports bleibt, stellt sich die Frage: Wenn es hinnehmbar ist, dass sich Fußballer mit Angela Merkel fotografieren lassen, warum dann nicht mit Erdogan? Wer den Vergleich der beiden Politiker unangemessen findet, sollte bedenken, dass Merkel die mächtigste Politikerin der EU ist und beharrlich dazu schweigt, dass im Mittelmeer allein im ersten Halbjahr mindestens 1400 Geflüchtete ertrunken sind und Seenotrettung verboten bleibt. Ein Verbrechen, das denen Erdogans nicht nachsteht.
Ein Rücktritt gegen Rassismus
Mesut Özil hätte nachgeben und sich für sein Foto entschuldigen können. Doch damit hätte er allen Recht gegeben, die direkt oder indirekt behaupten, dass die Ursache von Rassismus das falsche Verhalten der Migranten sei. Stattdessen hat er gerade mit seinem Rücktritt Mut bewiesen und diesen ausdrücklich mit dem Rassismus der Gesellschaft allgemein und des DFB-Vorsitzenden im Besonderen begründet. Dafür sollte man Özil danken.
Um so bedauerlicher ist es, dass sich sogar Journalisten von taz.de wie René Hamann der geifernden Hetze gegen Özil anschließen. Er zitiert Özil: »‘Meine Mutter hat mir beigebracht (…) nie zu vergessen, wo ich herkomme‘« und kommentiert dann zynisch: »Mami ist also schuld. Mami wurde allerdings nicht in den Kader berufen. Dem DFB bleibt jetzt nur, Härte zu zeigen«.
Schweden zeigen Solidarität
Denn dass im Fußball auch der Rassismus keineswegs unschlagbar ist, hat die Solidarität mit dem ebenfalls türkischstämmigen Schweden Jimmy Durmaz gezeigt. Er hatte im WM-Spiel gegen Deutschland den Freistoß verursacht, der zum entscheidenden Gegentor führte und war danach ebenso rassistischen Hetzparolen ausgesetzt wie Özil.
Der Unterschied war, dass der schwedische Fußballverband Anzeige gegen einige Täter erstattet und die Mannschaft sich in einem Video buchstäblich hinter Durmaz gestellt und ihn mit einem gemeinsamen »Fuck Racism!«-Ruf unterstützt hat.
Rassismus zerstört Gesellschaft
Solche Unterstützung bräuchte Mesut Özil jetzt ganz besonders, von allen deutschen Nationalspielern, mit oder ohne Migrationshintergrund. Würden nur einige Spieler wie Manuel Neuer oder Marco Reus andeuten, dass sie das nächste Länderspiel boykottieren, müsste der gesamte DFB-Vorstand zurücktreten und sich bei Özil entschuldigen.
Ein solches Vorgehen wäre angemessen. Denn der Rassismus ist eine Gefahr, die nicht nur den Fußball, sondern die ganze Gesellschaft zu zerstören droht.
Foto: Wikipedia
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