Die Debatte um linken Populismus ist in vollem Gange. Einen wertvollen Beitrag liefern Thomas Goes und Violetta Bock mit einem Essay, das Theorie und Praxisbeispiele verbindet. Von Rebecca Offermann
Welche sozialen Gruppen können die Gesellschaft verändern und welche Rolle können Linke dabei spielen? Diese zwei Fragen bilden den rote Faden des Essays »Ein unanständiges Angebot?« der Kasseler Stadtverordneten der LINKEN Violetta Bock und des Sozialwissenschaftlers Thomas E. Goes. Die beiden liefern einen Rundumschlag und äußern sich zu Debatten über eine neue Klassenpolitik (sie soll feministisch, antirassistisch und internationalistisch sein), zum Rechtspopulismus der AfD (ein Teil von deren potenziellen Wählerinnen und Wählern könne von linker Politik überzeugt werden) und zum Potenzial des Linkspopulismus (mit sieben Schritten zum »popularen Sozialismus«).
Ein antirassistischer Volksbegriff
Die Situation in Deutschland sei durch zunehmende Legitimationsprobleme der Eliten geprägt, schreiben Bock und Goes. Diese Probleme seien begründet im (potenziellen) sozialen Abstieg breiter Bevölkerungsschichten und in der von ökonomischer Unsicherheit geprägten Lebensrealität vieler Menschen. Noch gäbe es zwar keine Wirtschaftskrise wie in Südeuropa, doch lasse sich von einer »schleichenden Legitimationskrise« sprechen. Diese eröffne Räume für Populismus von rechts und links.
Bislang habe vor allem die AfD diese Möglichkeiten genutzt. Das wollen die Autorin und der Autor ändern. Populismus verstehen sie als eine Mobilisierungsstrategie, die Widersprüche zwischen »Volk und Elite« verdeutliche. Sie argumentieren durchaus überzeugend, dass es möglich sei, einen antirassistischen Volksbegriff zu prägen, der sich auf alle unterdrückten und lohnabhängigen Einwohnerinnen und Einwohner eines Landes bezieht. Dafür deuten sie »Volk« im Gegensatz zur Rechten als Volksklassen, die sich aus der Arbeiterklasse, anderen lohnabhängigen Schichten des öffentlichen und privaten Sektors, Selbstständigen, Kleinstgewerbetreibenden und Erwerbslosen zusammensetzten, unabhängig von Nationalität und Aufenthaltsstatus.
Sozialismus von unten
Auf diese Weise liefern Bock und Goes eine lesenswerte Analyse der Unterschiede von rechtem und linkem Populismus. Die meist widersprüchlichen Arten, wie Lohnabhängige Krisenerfahrungen verarbeiten, bilden die Basis für ihre Überlegungen zum linkspopulistischen Potenzial in Deutschland. Darunter verstehen sie die Möglichkeit, die gesellschaftliche Polarisierung für linke Politik zu nutzen. Doch der Linkspopulismus, der ihnen vorschwebt, muss erst noch erfunden werden. Daher fragen sie kritisch, was von der spanischen Linkspartei Podemos, von Hugo Chávez, Bernie Sanders und Sarah Wagenknecht gelernt werden kann.
Eine große Stärke des Essays ist, dass er nicht bei der Analyse stehenbleibt. Bock und Goes stellen darüber hinaus sieben Handlungsaufforderungen zur Debatte. Sie wollen eine parlamentarische und außerparlamentarische Linke in Deutschland schaffen, die sich direkt an Kämpfen von Unterdrückten beteiligt und mithilfe populistischer Mobilisierungsstrategien auch den Teil der Bevölkerung erreicht, der nicht politisch organisiert oder nur sporadisch aktiv ist. Ihre Vision ist ein Sozialismus von unten, der selbst von den Volksklassen erkämpft wird – und nicht stellvertretend von einer Partei oder Führungsfigur.
Die Dreifaltigkeit des linken Populismus
Die politische Praxis, die sie für linke Basisaktive vorschlagen, orientiert sich stark am betrieblichen und am Community-Organizing. Ihre Forderung, lokale Zentren der Gegenmacht, der Solidarität und des Austauschs zu schaffen, ist durch die »Worker Centers« in den USA inspiriert. Außerdem betonen sie die hohe Bedeutung von innerer Demokratie, um ein Organisationslernen zu ermöglichen. Für Bock und Goes bedeutet linker Populismus in der Praxis eine Dreifaltigkeit aus politischen Organisationen, den genannten sozialen Zentren und einer »Politik der einigenden Fronten« (Linke sollen trotz unterschiedlicher Ansichten zusammen gegen gemeinsame Gegner wie die AfD kämpfen). Als Öffentlichkeitsstrategie bedeute linker Populismus mithilfe von Symbolen, Slogans und Kampagnen ein »Wir« zu erschaffen, das ein klares gemeinsames Feindbild hat: die Elite aus Staat und Kapital.
Eine Schwäche des Essays ist derweil die Auseinandersetzung mit dem, was Bock und Goes »rebellisches Regieren« nennen, also dem Verhältnis der Linken zur parlamentarischen Macht. Sie erwähnen zwar das Scheitern linker Regierungen (etwa in Chile unter Salvador Allende oder in Griechenland unter Syriza), aber sie unterschätzen die strukturelle Abhängigkeit des Staats vom Kapital. Zugleich überschätzen sie die Spielräume linker Regierungen. Denn historisch betrachtet sind Übergänge von einem Gesellschaftssystem ins andere auf parlamentarischem Weg bisher nicht vorgekommen. Nichtsdestotrotz haben Bock und Goes einen sehr lesenswerten Beitrag dazu veröffentlicht, wie linke Politik funktionieren könnte.
Das Buch: Thomas E. Goes/ Violetta Bock: Ein unanständiges Angebot? Mit linkem Populismus gegen Eliten und Rechte, PapyRossa Verlag, Köln 2017, 133 Seiten, 12,90 Euro
Wie ein linker Populismus aussehen könnte, um eine Bewegung gegen Eliten und Rechte aufzubauen, könnt ihr mit der Autorin und dem Autor auf ihrer Facebookseite »Ein unanständiges Angebot? Mit linkem Populismus gegen Eliten und Rechte« diskutieren.
Foto: Dr Case
Schlagwörter: Allende, Antirassismus, Buch, Buchrezension, Chavez, Chile, Hugo Chávez, Linkspopulismus, Organizing, Podemos, Populismus, Rechte, Rechtspopulismus, Rezension, Sanders, Syriza, Wagenknecht