Die venezolanische Rechte um Juan Guaido nutzt die Krise im Land, um mit Unterstützung der US-Administration einen Staatsstreich zu organisieren. Doch sie ist weder demokratisch, noch vertritt sie die Interessen der Mehrheit der Menschen in Venezuela. Von der marx21-Redaktion
Der rechte Oppositionspolitiker Juan Guaido ließ sich am Mittwoch vor einer regierungsfeindlichen Kundgebung als »Interimspräsident« ausrufen. Das Datum war nicht zufällig gewählt: Es war der Jahrestag des Sturzes der Diktatur von General Marcos Perez Jimenez im Jahr 1958.
Guaido sprach sich für baldige Wahlen aus: »Unsere Herausforderung ist es, freie Wahlen sicherzustellen und wir wollen sie so schnell wie möglich. Aber wir leben in einer Diktatur«. Was jetzt geschehe, sei der Anfang vom Ende für Staatschef Maduro.
Internationale Rückendeckung für Staatsstreich
Nur wenige Minuten, nachdem Guaido sich zum Übergangspräsidenten ernannt hatte, erkannte US-Präsident Donald Trump den Oppositionsführer als legitimen Interimsstaatschef an und erklärte: »Ich werde weiterhin das volle Gewicht der wirtschaftlichen und diplomatischen Macht der Vereinigten Staaten nutzen, um auf die Wiederherstellung der venezolanischen Demokratie zu drängen. Wir ermutigen andere Regierungen der westlichen Hemisphäre, den Präsidenten der Nationalversammlung, Guaido, als Interimspräsidenten Venezuelas anzuerkennen«.
Eine Reihe lateinamerikanischer Regierungen und westlicher Politikerinnen und Politiker folgten dem Vorbild des US-Präsidenten. So erkannte das vom Neofaschisten Jair Bolsonaro regierte Brasilien Guaido als Übergangspräsidenten an – ebenso wie Kolumbien, Paraguay, Chile, Peru, Argentinien, Guatemala, Costa Rica, Panama und Ecuador. Auch der kanadische Premierminister Justin Trudeau bekräftigte die von Trump vorgeschlagene Linie.
Und auch in Deutschland ließen die Stimmen nicht lange auf sich warten, die sich hinter den Staatsstreich stellen. So schlug sich Bundesaußenminister Heiko Maas im eskalierenden Machtkampf in Venezuela klar auf die Seite des selbst ernannten Interimspräsidenten: »Wir sind nicht neutral in dieser Frage, wir stehen auf der Seite von Guaido«, sagte Maas der Deutschen Welle während eines Besuchs der Vereinten Nationen in New York.
Auch die EU folgt dieser Linie: EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sprach sich für Neuwahlen aus. Der britische Außenminister Jeremy Hunt erklärte, Guaido sei »die richtige Person«, um das Land voranzubringen.
Spielball imperialistischer Interessen
Einen Tag nach Guaidos Selbsternennung zum » Interimspräsidenten« erklärten sowohl Russland als auch China ihre Unterstützung für Präsident Nicholas Maduro. Um die Interessen der Menschen in Venezuela geht es ihnen dabei aber genauso wenig wie der Trump-Administration oder Bundesaußenminister Heiko Maas. Venezuela wird zum Spielball imperialistischer Interessen.
Für die USA und alle anderen imperialen Mächte, die Lateinamerika aufteilen wollen, stehen die Venezolanerinnen und Venezolaner ganz unten auf der Liste ihrer Überlegungen. Was sie vor allem anderen interessiert, ist der Zugang zu den riesigen Erdölreserven Venezuelas – den größten der Welt.
Die USA erwägen ein Einfuhrverbot für venezolanisches Öl, um die Wirtschaftskrise des Landes zu beschleunigen. Ein Verbot des Verkaufs von Produkten zur Behandlung der schweren Rohölprodukte aus Venezuela hätte eine ähnliche Wirkung.
Linke dürfen sich mit keiner der imperialen Mächte gemein machen. Ein Staatsstreich ist, genau wie jede andere imperialistische Einmischung, entschieden abzulehnen (Stellungnahme von Marea Socialista, Erklärung weiterer lateinamerikanischer Organisationen).
Maduro ist Teil des Problems
Schon seit Jahren steckt Venezuela in einer sich beschleunigenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise. Die Menschen leiden unter der Politik der Regierung von Nicolas Maduro. Im Namen des Sozialismus herrschen Bestechung und Repression, Bodenschätze werden geplündert und die Einnahmen verschwinden in den Taschen einiger weniger. Als der Ölpreis fiel, war ein Zusammenstoß mit der Rechten unvermeidlich.
Die Wirtschaftskrise hat zu einer Hyperinflation und einer sprunghaften Zunahme der Armut geführt. Die Armutsquote, die bis 2012 laut UN-Angaben bereits von 60 auf 20 Prozent reduziert worden war, hat mittlerweile fast das alte Niveau erreicht. Nach eigenen Angaben leben fast 90 Prozent der Venezolanerinnen und Venezolaner in Armut. Im November veröffentlichten Medien, dass die Zahl der emigrierten Venezolaner zwischen 2017 und 2018 von 2,6 auf drei Millionen angestiegen sei. Unter Maduro ist keine Lösung der Krise in Sicht, vielmehr ist er Teil des Problems.
Guaido und die Opposition in Venezuela
Doch auch die rechte Opposition ist weder demokratisch, noch vertritt sie die Interessen der Mehrheit der Menschen in Venezuela. Die Kandidaten der rechten Opposition gehören alle zur Bourgeoisie, keiner von ihnen kennt den alltäglichen Kampf der Mehrheit der Bevölkerung. Auch Guaido hat weder ein Programm noch eine Strategie zur Bewältigung der Krise. Seine einzige Sorge ist es, die Macht zurückzugewinnen. Es ist offensichtlich, dass Teile dieser oppositionellen Elite die Krise in Venezuela nutzen wollen, um mit Unterstützung der US-Administration die alten Machtverhältnisse vor der Präsidentschaft von Hugo Chávez wiederherzustellen.
Auch wenn die soziale Lage bereits jetzt katastrophale Ausmaße angenommen hat, würde eine Rückkehr der alten Eliten an die Macht die Situation im Land keineswegs verbessern. Sie waren es, die sich vor Chávez Regierungszeit über Jahrzehnte nicht nur schonungslos bereichert haben, sondern auch die Opposition brutal unterdrückten.
Die Reichen Venezuelas und ihre Geldgeber haben die Menschen schon immer rücksichtslos ausgebeutet. Als Hugo Chávez 1998 ins Amt kam, führte er einige armutsorientierte Reformen durch. Aber er scheute sich, die Reichen direkt herauszufordern, indem er ihren Reichtum und ihre Kontrolle über Wirtschaft und Medien intakt ließ.
Trotz seiner radikalen und revolutionären Rhetorik war Venezuela auch unter Chávez nicht sozialistisch. Das strukturelle Problem einer »Rentenökonomie« und das damit einhergehende System des Klientelismus bei der Verteilung der Erdöleinnahmen wurde nicht durchbrochen.
Umgekehrt wird der Sturz von Präsident Maduro aber mit Sicherheit auch nicht »mehr Demokratie« bringen. Im Gegenteil: Ohne Maduro würden die alten Eliten zum alten Verteilungsmodell inklusive ihrer Repression zurückkehren. Die autoritäre und rassistische Rechte würde durchmarschieren und die USA hätten wieder ihren »Hinterhof«.
Militär und Patronage
Der Schlüssel zum Erfolg des jetzigen Putschversuchs liegt beim venezolanischen Militär. Maduro hat stets darauf geachtet, die oberen Schichten des Militärs zu bereichern, um seine Gegner innerhalb der Streitkräfte abzuschneiden und zu isolieren.
Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass diese Strategie Gefahr läuft, zu scheitern. Am Montag wurden 27 Nationalgardisten verhaftet, nachdem sie angeblich einen Aufstand geplant hatten.
Die Gegner Maduros innerhalb des Militärs erhalten tatkräftige Unterstützung aus den USA. So sprach sich US-Senator Marco Rubio mittlerweile für einen möglichen Militärputsch aus: »Wir müssen die Mitglieder des Militärs in Venezuela unterstützen, die angekündigt haben, die Verfassung zu verteidigen und Guaido als legitimen Interimspräsidenten anzuerkennen«, schrieb er auf Twitter.
Gefahr einer militärischen Intervention
Maduro reagierte auf Trumps Erklärung und befahl allen US-Diplomaten, innerhalb von 24 Stunden das Land zu verlassen. Guaido widerrief den Befehl. Die USA antworteten, indem sie erklärten, sie würden ihre Diplomaten nicht abziehen, womit sie Maduro effektiv herausfordern, Schritte gegen sie zu unternehmen.
Damit wird ein diplomatischer Vorfall ausgelöst, der den USA den Vorwand für eine militärische Intervention liefern könnte. Es ist oberste Aufgabe der internationalen Linken, sich dieser Gefahr entschieden entgegenzustellen. Gleichzeitig darf sich die Linke jedoch auch nicht unkritisch hinter Maduro stellen, dessen Politik den Wiederaufstieg der Rechten erst möglich gemacht hat.
Die Regierung Maduro hat, auch unter ihren ehemaligen Wählerinnen und Wählern, massiv an Unterstützung verloren. Das zeigt sich nicht zuletzt an der geringen Beteiligung bei den letzten Wahlen und der großen Zahl der Teilnehmenden aus der Arbeiterklasse an den letzten Protesten der rechten Opposition. Viele Menschen in Venezuela haben die Nase voll von der Situation und keinerlei Hoffnung mehr in die Regierung. Aber ihre Ablehnung von Maduro bedeutet nicht, dass es eine Mehrheit für einen Putschversuch gibt.
Scheitern der Bolivarischen Revolution
Die Entwicklung Venezuelas in den letzten Jahren wird häufig als Beispiel dafür angeführt, dass der Sozialismus nie funktionieren wird. Tatsächlich muss Chávez Projekt der Bolivarischen Revolution, die in einen »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« führen sollte, als gescheitert betrachtet werden.
Dieses Scheitern ist jedoch keineswegs ein Beleg für die Unmöglichkeit einer Gesellschaft jenseits des Kapitalismus. Vielmehr ist es ein Beispiel dafür, wie Kompromisse mit der herrschenden Klasse langfristig zur Niederlage führen und letztlich in der Katastrophe münden.
Als Chávez im Jahr 2002 mit einem Putsch konfrontiert wurde, wurde er durch die Mobilisierung der Massen gerettet. Das ist der einzige Weg, um die Rechte zurückzuhalten. Heute wird dies jedoch viel schwieriger sein, weil Maduro alles andere als eine Politik umgesetzt hat, die den Widerstand dieser Massen gegen die Rechte anregt.
Foto: Hands Off Venezuela
Schlagwörter: Chavez, Maduro, Venezuela