Der belgische Regisseur Lucas Belvaux hat mit »Das ist unser Land« einen mutigen Film über den Aufstieg der neuen Rechten gemacht. Phil Butland hat ihn für uns vorab gesehen
Worte wie »Ein Schundfilm«, »Propaganda wie bei Gobbels« oder »undemokratisch und manipulativ« waren über den Film aus Kreisen des Front Nationals zu hören. Marine Le Pen, die Vorsitzende des faschistischen Front National, bezeichnte die Produktion als »Angriff auf unsere Partei!« Ein Grund mehr sich den Film mal anzusehen, denn der Belgische Regisseur Lucas Belvaux will genau erzählen, wie Faschismus in seiner Wahlheimat wächst. Sein neuer Film »Das ist unser Land« wird vielleicht ein genauso wichtiger Film wie »Cabaret«. »Cabaret« war ein wichtiger antifaschistischer Film von Bob Fosse Anfang der 1970iger Jahre, der den Aufstieg der NSDAP aus dem Blickwinkel von Künstlerinnen und bürgerlichen Besuchern der Berliner Kabarettszene zeigt. Im Verlauf des Films beobachtet man, wie die im Hintergrund stattfindenen Angriffe der Nazis immer bedrohlicher werden. Am Ende des Films, als die Nazis das Kabarett erobern und ein Hitlerjunge das Lied »Der Zukunft gehört mir« singt, werden wir gezwungen uns zu fragen, »wie konnte das passieren?«. Anders als bei »Cabaret« verzichtet der Regisseur in dem Film »Das ist unser Land!« weitgehend auf Andeutungen und versucht die Situation und Entwicklungen konkret sichtbar zu machen. »Das ist unser Land!« spielt in Hénart, einer kleinen Industriestadt in Nordfrankreich. Auch anders als »Cabaret« nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart. Und – genau wie im Frankreich von Marine Le Pen – geht es im Film um eine Partei, die um die Stimmen der Verlierer einer Gesellschaft kämpft.
»Nur die Gesichter unserer Politiker wechseln«
Eine Hauptfigur des Films ist Pauline (Émilie Dequenne), Krankenpflegerin und Tochter eines Kommunisten. Sie geht nicht wählen und ist von der herrschenden Politik enttäuscht: »Ich arbeite seit 15 Jahren, jeden Tag wird es schlimmer. Nur die Gesichter unserer Politiker wechseln«. Trotzdem versteht sich sich als »eher links natürlich«, sie ist davon überzeugt, dass die Gesellschaft radikale Veränderungen braucht. Über Dr. Berthier (André Dussollier), ein Arzt mit dubioser politischer Vergangenheit, lernt Pauline Agnes Dorgelle (Catherine Jacob) kennen. Sie führt das Wahlbündnis Rassemblement National Populaire (RNP) an, welches die Nachfolgeorganisation des Patriotischen Blocks, einer Nazi-Partei, die Agnes Vater gegründet hat ist. Trotzdem betont ihr Wahlkampf stärker den Kampf gegen die soziale Misere als ganz simpel kruden Rassismus zu vertreten.
Trailer zum Film:
Gewollte Parallelen zu Le Pen und dem FN
In einer der Schlüsselszenen des Films werden Kandidatinnen und Kandidaten der Partei darin geschult, »keine rassistischen Ausdrücke“ mehr zu verwenden. „Sagt Pack, das versteht jeder. Kommunitarist geht auch. Fundamentalist, Dschihadist, Islamist… Alles gut. Aber nicht Kameltreiber, Kanaken, dreckige Ausländer oder Nigger. Auf keinem Fall. Wenn andere dieses Vokabular benutzen, wir sind keine Moralapostel«. Die Parallelen zu Marine Le Pen und ihrem Vater Jean Marie sind deutlich und gewollt. Im Verlauf des Films stellen mehrere Personen fest, dass „Agnes Dorgelle nicht ihr Vater« sei, fragen sich aber auch wie weit der Apfel vom Stamm gefallen ist? Ist die RNP tatsächlich eine neue Partei und »weder links noch rechts“ wie Parteifunktionäre behaupten, oder nur ein Mittel, um eine Nazi-Organisation besser zu verkaufen und aufbauen zu können? Ein Teil der Antwort auf diese Frage gibt Stanko (Guillaume Gouix), ein ehemaliger Schulfreund von Pauline, mit dem sie eine Liebesbeziehung anfängt. Seine Vergangenheit ist genauso schmutzig wie die von Dr. Berthier, aber während der Arzt Teil der Führung und Euroabgeordneter des Patriotischen Blocks ist, war Stanko ein Teil der Schlägertrupps. Bei einem Treffen sagt ihm der Arzt »Du hättest nur akzeptieren müssen einen Anzug zu tragen, Du wärst noch bei uns«. Das heißt nicht, dass sich die Partei von ihren rechten Schlägern total getrennt hat. Denn weiterhin finden parallel zu Dorgelles Auftritten rassistische Angriffe statt. Die Hetze der Partei gegen den Islam und Migranten hat mörderische Folgen. Belvaux macht klar, dass dies kein unglücklicher Zufall ist, sonder Teil einer Strategie. Den Nazi-Kader zu füttern während die Parteivorsitzende Dorgelle sich in der Öffentlichkeit von Ihnen distanziert.
»Das ist unser Land« bringt glaubwürdige Nazis
Der Film ist tragisch in seiner Aktualität, denn er zeigt hervorragend, wie es – trotz schrecklicher Entwicklungen – möglich wurde, für ehemalige Linke wie Pauline, die Nazis zu unterstützen, zu wählen und am Ende ihrer Kandidatin zu werden. Der Film entschuldigt die Nazis nicht, aber er zeigt, wie eine faschistische Partei für viele attraktiv werden kann. Die Schuld dafür trägt auch die politische Linke, denn es war der Misserfolg der Linken, die es verpasst haben, wirklich reale Veränderungen durchzusetzen. Sie waren gezwungen, anderswo nach Lösungen zu suchen. »Das ist unser Land« ist kein pessimistischer Film, er traut seinen Zuschauern zu, sich ihr eigenes Bild zu machen. Deswegen sind die Nazis auf der Leinwand keine bösen Stereotypen, sondern glaubwürdig, und damit umso gefährlicher. Wie der Regisseur sagt: »Ich verlange vom Publikum nicht, dass es sich mit den Handelnden identifiziert. Die Idee ist vielmehr, sich an ihre Seite zu stellen, sich in ihre Situation zu versetzen, um zu verstehen, welchen Weg sie gegangen sind.«
»Populismus als großer Schwindel«
So könnte er eine mutige Intervention im Kampf gegen die Nazis sein. Als er nach seiner Motivation gefragt wurde sagte er »Was ich mir erhoffe ist, dass der Film zu Diskussionen anregt. Ich habe versucht aufzuzeigen, wie Populismus als großer Schwindel funktioniert. Wie er Politik als Marketing-Instrument verwendet und Bürger und Wähler wie Kunden behandelt, um seine Ziele zu erreichen.« Der französische Film erzählt viel mehr als den aufhaltsamen Aufstieg von Marine Le Pen und ihrer Partei. Er stellt auch die politische Korruption und Aussichtslosigkeit dar, die so einen Aufstieg ermöglicht hat. Marine Le Pen und ihr Front National hassen den Film und versuchen, juristisch dagegen vorzugehen. Aber der neue Präsident Emmanuel Macron wäre genauso unbegeistert über solch einen Film. Es gibt kaum eine bessere Empfehlung.
Der Film:
Das ist unser Land!
Regie: Lucas Belvaux
Frankreich / Belgien 2017
Alamodefilm Filmverleih
119 Minuten
ab 24. August 2017 im Kino
Schlagwörter: Filmkritik, Frankreich, Front National, Kino, Marine Le Pen, Rechtspopulismus, Rechtspopulisten