Mit Blick auf den 1. Mai spitzen sich die Forderungen der Proteste gegen Macron zu. Der Druck auf ihn und sein Lager steigen. Wie zu erwarten bedienen sie sich des Rassismus und Hetze gegen Migration. Von John Mullen
Nach dem 12. Aktionstag am 13. April haben die nationalen Gewerkschaftsführer:innen für den ersten Mai, der traditionell ein Tag der Demonstration für die Rechte der Arbeiter:innen ist, zu einer »Flutwelle von Protesten« aufgerufen. In der Zwischenzeit finden täglich in verschiedenen Städten Demonstrationen und Blockaden von Autobahnen, Einkaufszentren, Bahnhöfen, Universitäten und Gymnasien statt. Am 20. April stürmten die Demonstrierende den Sitz von Euronext, dem Eigentümer der Pariser Börse. »Wir haben die Börse gewählt«, erklärt ein Demonstrant, »weil wir wollen, dass die reichsten Unternehmen mit ihren unendlich vielen Millionen für unsere Renten aufkommen«.
Macron hat nun sein Rentengesetz unterzeichnet und am Montag, den 17. Januar, abends eine Live-Rede »an die Nation« gehalten. Zum Zeitpunkt seiner Rede versammelten sich Demonstrierende vor den Rathäusern im ganzen Land, um auf Töpfe zu schlagen und seinen Unsinn zu übertönen. Alles, was er zu bieten hatte, war eine dumpfe Ansammlung seichter Slogans. Er erklärte, er brauche »hundert Tage«, um »die Lage zu beruhigen«. Er versprach »einen neuen Pakt über das Leben am Arbeitsplatz«. Keine:r hat ihm geglaubt. Nicht nur, dass 90 Prozent der Erwerbstätigen gegen seine Idee sind, uns zwei Jahre länger am verdammten Arbeitsplatz verbringen zu lassen, sondern diejenigen, die seine Rede verfolgt haben, wissen, dass es Macron war, der die Befugnisse der Arbeitsschutzausschüsse in den Betrieben drastisch beschnitten hat und der die Rechte der gesetzlichen Personalvertretungen ständig angreift. Kurz vor seiner Rede erfuhren wir, dass nur ein Viertel derjenigen, die regelmäßig für Macron stimmen, glaubten, seine Rede würde helfen!
Macron ist weiterhin in Bedrängnis
Entschlossen zu zeigen, dass er das Sagen hat und »das Blatt wenden« kann, hat Macron eine Reihe symbolischer Besuche zu anderen Themen im ganzen Land organisiert und seine Minister aufgefordert, ebenfalls auf die Straße zu gehen und mit den Menschen zu sprechen. Am Donnerstag, den 20. Juni, wählte er eine Schule in einer Kleinstadt mit nur 4.000 Einwohner:innen, wo er einige Ankündigungen zur Bezahlung der Lehrer:innen machen wollte. Bei seiner Ankunft auf dem Flughafen von Montpellier schalteten Energiearbeiter:innen den Strom ab. Hunderte von Demonstrierenden warteten auf ihn, und die Elektrizitätswerke kappten den Strom in der Schule, in die er gehen wollte, so dass er gezwungen war, auf dem Schulhof und ohne Mikrofon zu sprechen. Ein massives Polizeiaufgebot hinderte den Protest daran, sich Macron zu nähern, und es kam zu Personenkontrollen, bei denen Kochtöpfe konfisziert wurden, falls sie gefunden wurden! Macron kündigte eine Gehaltserhöhung für alle Lehrer:innen an, allerdings mit vielen Auflagen, ein Beispiel für eine Reihe von kleinen Zugeständnissen in dieser Woche.
Am Freitag waren fünf Minister in den Städten des Landes zu Gast. Sie wurden von Menschenmengen empfangen, die mit Tränengas geschützt wurden. Mehrere Minister der Macronisten haben es einfacher gefunden, ihre öffentlichen Auftritte abzusagen.
Die Bewegung hat sich zwar verlangsamt, ist aber immer noch sehr aktiv und äußerst populär (Umfragen zeigen, dass 64 Prozent der Gesamtbevölkerung eine Fortsetzung der Proteste wünschen, und 45 Prozent wünschen sich radikalere Aktionen). Die Weigerung der nationalen Gewerkschaftsführung, sich dafür einzusetzen, über den wöchentlichen Aktionstag hinauszugehen, machte einen schnellen Sieg gegen den Angriff auf die Renten unmöglich, aber Macron ist noch nicht über den Berg.
Der Staat greift zum antimuslimischen Rassismus, erwartbar
Einige aus dem Macron-Lager haben zynischerweise beschlossen, dass jetzt die Zeit gekommen ist, den Rassismus zu nutzen, um uns zu spalten. Ein vor einigen Wochen auf Eis gelegtes Einwanderungsgesetz, das die Abschiebung von Menschen erleichtern soll, wird dem Parlament wahrscheinlich doch noch vorgelegt werden. Finanzminister Bruno Le Maire erklärte diese Woche, dass die wahre Sorge der Französinnen und Franzosen der Sozialleistungsbetrug sei, dessen Geld »nach Nordafrika fließt«, wie er behauptete. Tatsächlich belaste Einwanderung die Sozialhaushalte weit weniger als andere Bevölkerungsgruppen, da sie häufig als Erwachsene einreisen (so dass ihre Ausbildung nicht von Frankreich bezahlt wird) und nicht selten Frankreich im Ruhestand verlassen (so dass die Gesundheitskosten im Alter nicht von Frankreich getragen werden). Auf jeden Fall sind sich alle Expert:innen einig, dass der Steuerbetrug durch reichere Bürger etwa hundert Milliarden Euro kostet, mindestens zehnmal mehr als der Leistungsbetrug. Die Äußerungen von Le Maire zeigen, dass er die extreme Rechte gerne ermutigt, um die Haut seiner Regierung zu retten.
Macrons »hundert Tage der Beruhigung« wurden von den Elektrizitätsgewerkschaften zu »hundert Tagen der Wut« erklärt. Bei großen Prestigeveranstaltungen wie den Filmfestspielen in Cannes im Mai und dem Tennisturnier in Roland Garros im Juni kann es durchaus sein, dass der Strom knapp wird. Der erste Mai dürfte ein beeindruckender Tag werden. Dennoch werden weitere Massenstreiks notwendig sein, um zu gewinnen.
John Mullen ist ein antikapitalistischer Aktivist, der in der Region Paris lebt und ein Unterstützer von France Insoumise ist. Seine Website lautet randombolshevik.org
Titelbild: Tobias Kratz
Schlagwörter: Antimuslimischer Rassismus, Frankreich, Macron, Rentenreform