Die CDU und mit ihr der politische Konservatismus befinden sich in einer tiefen Krise. In den letzten 20 Jahren haben CDU/CSU fast die Hälfte ihrer Mitglieder und über ein Drittel ihrer Wähler und Wählerinnen verloren. Was ist passiert? Wir geben Antworten auf die wichtigsten Fragen. Von Volkhard Mosler und Vincent Streichhahn
War die Zusammenarbeit mit der AfD in Thüringen der Auslöser für die Krise der CDU?
Nein. Doch die schleichende Krise des Konservatismus ist mit dem Dammbruch von Erfurt offen ausgebrochen. Der Beginn der Krise lässt sich ziemlich genau datieren: Sie fällt zusammen mit der Gründung der AfD 2013, die wiederum politischer Ausdruck eines in der globalen Finanzkrise 2008/9 entstandenen »Wutbürgertums« ist, einer Schicht vorwiegend älterer und wohlhabender Männer des alten und neuen Mittelstands.
Der Dammbruch von Erfurt erscheint im Nachhinein wie ein von niemandem gewollter Unfall. Und doch drückt er die Zerrissenheit des konservativen Lagers aus. Während nicht wenige rechtskonservative Vertreterinnen und Vertreter der Union die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten in Thüringen durch Stimmen der CDU, FDP und AfD anfangs bejubelten, bezog die Bundesführung der Partei eindeutig Stellung dagegen.
Nach dem Rücktritt von Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) ist der Machtkampf in der CDU offen ausgebrochen. Dessen Ausgang wird das zukünftige Verhältnis zur »Neuen Rechten« und ihrem parlamentarischen Arm, der AfD, prägen.
Worum geht es beim Richtungsstreit in der CDU?
Mit der Gründung und dem rasanten Aufstieg der AfD kam es zum Zerwürfnis innerhalb des konservativen Blocks, zwischen Horst Seehofer (CSU) und Angela Merkel (CDU). Nach der Kölner Silvester-Nacht 2015 (»Domplatten-Nacht«) forderte Seehofer die Einführung von Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen, 2018 stellte er sich ins islamophobe Lager (»Der Islam gehört nicht zu Deutschland«). Beide Male widersprach ihm Merkel umgehend. Der Richtungsstreit gipfelte im gleichen Jahr in der Affäre um den damaligen Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen (CDU). Auch hier konnte sich der nationalkonservative Flügel in der CDU nicht durchsetzen, Seehofer musste Maaßen entlassen.
Hinter dem Streit stand die Frage, ob und wie weit die Konservativen der erfolgreichen AfD hinterherlaufen sollten, um den weiteren Verlust von Wählern und Wählerinnen an die AfD zu stoppen. Als die CSU dann in der bayerischen Landtagswahl doppelt so viele Stimmen an die Grünen wie an die AfD verlor, war Seehofer mit seinem Latein am Ende. Sein Nachfolger Markus Söder bilanzierte kürzlich: »Es geht um eine klare Abgrenzung zur AfD, dabei darf man vor allem die Mitte nicht verlieren.« Aus dem schlechten Ergebnis der Landtagswahl 2018 folgerte er: »Wir haben festgestellt, dass man in der Mitte mehr verliert, als man rechts zu gewinnen hofft.« Söder fügte aber auch hinzu: »Die Bindekraft der Union muss immer tief in der Mitte verortet sein, aber auch das konservativ-patriotische Spektrum einbinden.«
Der Richtungsstreit brach auch im Kampf um den CDU-Vorsitz auf. Bei der Stichwahl konnte sich AKK nur knapp mit 51 Prozent gegen Friedrich Merz (48 Prozent) durchsetzen. Auch diese Wahl beendete den Richtungsstreit nicht; insofern zeigte der Rücktritt von AKK im Januar lediglich die Tiefe der anhaltenden Spaltung.
Wie sind die Kandidaten für den CDU-Vorsitz einzuordnen?
Merz gilt als »wertkonservativ«, »wirtschaftsnah«, steht für »deutsche Leitkultur« und einen »autoritären Führungsstil«. Er verspricht, wie Seehofer vor ihm, die AfD mit ihren eigenen Mitteln des Rassismus zu schlagen. Aber auch er lehnt eine Zusammenarbeit mit der AfD offiziell ab und erklärte sich bereit, auch mit den Grünen zu koalieren.
Merz steht für das nationalkonservative, Norbert Röttgen für das sozialliberale Lager. Das Team Armin Laschet und Jens Spahn versucht, eine mittlere Position einzunehmen. In der zur Zeit für Konservative wichtigsten Frage, der militärischen Abschottung der EU-Außengrenzen gegen Geflüchtete, vertreten sie alle die gleiche Position.
Röttgen kritisierte Merz zugleich für dessen »Botschaft« an die Geflüchteten: »Es hat keinen Sinn, nach Deutschland zu kommen.« Die Äußerung verstoße gegen das christliche Hilfegebot und sei auch nicht mit dem im Grundgesetz festgeschriebenen Grundrecht auf Asyl vereinbar. Zugleich kritisierte Röttgen Laschet dafür, dass dieser Merkels Geflüchtetenpolitik von 2015 verteidigt habe. Er nannte Laschets Äußerung »undifferenziert.« Mit anderen Worten: Alle Kandidaten balancieren, am wenigstens allerdings Merz.
Woher kommt die Krise des Konservatismus?
Der Konservatismus war in Deutschland vor allem nach dem 2. Weltkrieg und dann wieder in den 1980er Jahren unter Helmut Kohl hegemonial. Über Jahrzehnte war es der Union gelungen, verschiedene Klasseninteressen von Kapital, bürgerlichem Mittelstand und Teilen vor allem der katholischen Arbeiterklasse sowie unterschiedliche politische Traditionen unter ihrem Dach zu verbinden. Die Union galt als Modell einer klassen- und Milieu übergreifenden Volkspartei. Von 1951 bis 2013 schwankten ihre Ergebnisse bei Bundestagswahlen zwischen 35 und 51 Prozent.
Lange schien es, als wäre Deutschland immun gegen die Spaltung des konservativen, bürgerlichen Lagers und eine Polarisierung nach rechts. 2013 erreichte die Union unter Merkel noch einmal 41 Prozent. Der deutsche Kapitalismus war relativ gut aus der Weltwirtschaftskrise 2008/9 herausgegangen. Die von der rot-grünen Regierung Schröder/Fischer durchgesetzte neoliberale Deformation des Sozialstaates (Hartz IV, Agenda 2010) verschafften dem deutschen Kapitalismus innerhalb und außerhalb der neuen Eurozone einen beträchtlichen Wettbewerbsvorsprung.
Doch die Finanzierungsprogramme zur Rettung Griechenlands und der Banken in Milliardenhöhe ließen relevante Teile der alten und neuen Mittelklassen um ihre Ersparnisse zittern – zu Recht, wie die Vernichtung von gewaltigen Vermögenswerten in der nun ausgebrochenen Coronakrise demonstriert. Noch bevor die AfD 2013 in den politischen Ring trat, hatten konservative Innenminister sowie der ehemals sozialdemokratische Finanzsenator Thilo Sarrazin, gestützt auf eine breite Kampagne der Medien von Stern bis Spiegel, der Wut eine rassistische Richtung gegeben: gegen den Islam.
Die Krise der Union als konservative Volkspartei fällt mit dem Aufstieg der AfD als zunächst rechtspopulistische und dann mehr und mehr neofaschistische Partei zeitlich und ursächlich zusammen. Zwischen 2013 und 2017 verlor die Union eine Million Wähler und Wählerinnen an die AfD. Eine von Pegida und der AfD angeführte rassistische Massenbewegung drückte das gesamte politische Klima nach rechts.
Hätte diese Entwicklung angehalten, wäre Merkel längst zurückgetreten und Merz ihr Nachfolger geworden. Aber der weitere Aufschwung der AfD wurde 2018 zunächst gebremst – trotz Seehofers Schützenhilfe. Höhepunkt und Wendepunkt des Antirassismus war die riesige Unteilbar-Demonstration in Berlin am 10. Oktober.
Das hat dazu geführt, dass nicht der an der CDU-Basis populärere Merz, sondern AKK zur Parteivorsitzenden gewählt wurde, wenn auch knapp. Nach neueren Umfragen hätte ein Kanzlerkandidat Merz schlechtere Chancen als Söder, der in der letzten Zeit Massendemonstrationen gegen rechts unterstützt hat.
Stimmt die These von der »Sozialdemokratisierung« der Konservativen unter Merkel?
Nein. Vom rechten Flügel der Union wurde und wird Merkel beschuldigt, klassische konservative Werte aufgegeben und dadurch den rechten Flügel so geschwächt zu haben, dass die AfD diesen Platz einnehmen konnte. Richtig ist, dass unter Merkels Führung die Union einer Reihe von Maßnahmen zugestimmt hat, die unter einem Kanzler Kohl noch undenkbar schienen (Abschaltung von Atomkraftwerken, Abschaffung der Wehrpflicht, Homo-Ehe, freie sexuelle Orientierung, Mindestlohn, staatliche Konjunkturprogramme 2008/9). Die Union hat unter Merkel wenn auch zögerlich eine Politik der gesellschaftlichen Modernisierung betrieben, die neoliberale Politik, die Öffnung der Weltmärkte Globalisierung und die Fortsetzung der Schröderschen Arbeitsmarktpolitik mit einer liberalen Familien- und Kulturpolitik verband. Dazu gehört vor allem die Verteidigung der Eurozone ohne Binnengrenzen und der Ausbau der »Festung Europa« nach außen.
Merkel steht für einen Kurs, der von der deutschen Exportindustrie befürwortet wird: Globalisierung mit Stärkung deutscher Beteiligung an internationalen Kriegs- und Militäreinsätzen. In Regierungsverantwortung haben die Konservativen unter Merkels Führung jedoch die Asylgesetze massiv verschärft. Ein ähnliches Bild ergibt sich in den Themenfeldern »Innere Sicherheit« und »Bürgerrechte«: In Deutschland werden unter Führung der Konservativen seit Jahren verfassungsrechtlich garantierte Freiheitsrechte zersetzt. Die Sicherheitsgesetze in Deutschland gehören bereits jetzt zu den schärfsten in der EU. Die vermeintliche »Sozialdemokratisierung« ist wenn überhaupt eine »Liberalisierung« der CDU und entpuppt sich als teilweise Anpassung an eine gesellschaftliche Modernisierung. In den meisten Bereichen handelt es sich um eine Fortsetzung oder Radikalisierung bisheriger Politiken.
Wer ist die Werteunion?
Die Werteunion wurde 2017 unter aktiver Beteiligung einiger ehemaliger AfD-Mitglieder gegründet und dient als Sammelbecken eines rechtskonservativen Lagers, das bis in die Reihen enttäuschter CDU-Politiker reicht. Die Werteunion ist von der CDU-Bundespartei nicht offiziell anerkannt. Nach der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen stand die Werteunion in der Kritik, weil sie die mit AfD-Stimmen erfolgte Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich begrüßt hatte. Der stellvertretende Vorsitzende des Arbeitnehmerflügels der Christdemokraten, Christian Bäumler, erklärte: »Wer die Werte der CDU nicht teilt, hat in der CDU nichts zu suchen. Wir brauchen keine AfD-Hilfstruppe in unseren Reihen.«
Die Reaktion von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Wahl Kemmerichs kommentierte der damalige Werteunion-Pressesprecher Ralf Höcker mit dem sarkastischen Vorschlag eines neuen Paragrafen für das Grundgesetz, in welchem stehen müsse: »Eine Wahlwiederholung muss erfolgen, wenn das Wahlergebnis unverzeihlich ist. Die Bundeskanzlerin beurteilt nach freiem Ermessen, ob dies der Fall ist.« Am 13. Februar 2020 trat Höcker nach Drohungen gegen ihn von allen politischen Ämtern zurück.
Im Februar 2020 ließ der Werteunion-Vorsitzende Alexander Mitsch nach einer Sitzung des Bundesvorstandes der Werteunion deren Beschluss verlautbaren: »Die Werteunion lehnt eine Zusammenarbeit mit der AfD und der Linkspartei entschieden ab und hat auch nie eine Zusammenarbeit gefordert. Sie steht voll und ganz hinter den diesbezüglichen Beschlüssen des CDU-Bundesparteitags.«
Der Beschluss kam nach massiven Ausschlussdrohungen von prominenten CDU-Funktionären zustande. Er zeigt aber nur, wie stark der Druck auf eine klare Trennung gegenüber der AfD nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) und den rechtsterroristischen Anschlägen und Morden in Halle und Hanau ist. Die neuerliche Abgrenzung von der AfD ist rein taktischer Art. Ihr prominentestes Mitglied, Hans-Georg Maaßen, hatte noch als Chef des Verfassungsschutzes die Kooperation mit der AfD gesucht und diese beraten, wie sie sich einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz entziehen könnte.
War Thüringen ein Einzelfall in der Zusammenarbeit von CDU und AfD?
Nein. Es stellte schon im Sommer 2019 kein Problem dar, dass die beiden stellvertretenden CDU-Fraktionschefs im Landtag von Sachsen-Anhalt, Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer, das Nationale mit dem Sozialen versöhnen wollten. Zimmer stellte sich wenige Tage nach der Wahl Kemmerichs vor Kameras und fand überhaupt nichts Schlimmes dabei, wenn sich die CDU in Zukunft von der AfD tolerieren ließe. Dabei dachte er wohl auch an die 2021 stattfindenden Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt. Seinen Sitz im Landesvorstand musste er danach zwar räumen, doch sein Amt in der Landtagsfraktion behält er. Es ist die gleiche Fraktion, die im Landtag, trotz der amtierenden Kenia-Koalition (schwarz-rot-grün) mit den Stimmen der AfD eine Enquete-Kommission »Linksextremismus« einrichtete und AfD-Politikern in Ämter verhalf.
Im Richtungsstreit innerhalb der CDU, wie er im Kampf um den Parteivorsitz zum Ausdruck kommt, sind zukünftige Konflikte um die Frage eines rechts-konservativen Regierungsblocks angelegt, d. h. damit ist die Frage verbunden, ob eine »österreichische Lösung« nicht auch eine Regierungsoption für Deutschland wäre. Der »österreichische Weg« der ehemaligen Regierung aus ÖVP und FPÖ (Kurz/Strache) steht für eine Kombination von Rassismus und Sozialpartnerschaft als Mittel der Herrschaftssicherung. Der Rechtsblock aus ÖVP und FPÖ sicherte sich bis zum Auseinanderbrechen der Koalition aufgrund der Ibiza-Affäre Mehrheiten in den Parlamenten durch immer neue rassistische, islamophobe Kampagnen; die SPÖ sorgt auch in der Opposition durch ihre Kontrolle der Gewerkschaften dafür, dass die Arbeiterklasse mit gefesselten Händen in den Kampf zur Verteidigung des Sozialstaats zieht.
Ist der Rechtskurs von Teilen der CDU etwas Neues?
Nein. Der deutsche Konservatismus hat eine lange Tradition der »offenen Flanke« zum völkischen Nationalismus und Antisemitismus. Schon in den 1880er Jahren kam es zum Bündnis zwischen Konservativen und Antisemiten. In den frühen 1930ern gab es zwei Zentren des Konservatismus, ein katholisches, die Zentrumspartei, und ein protestantisches, die DNVP (Deutschnationale Volkspartei). Ihre Führer Brüning (Zentrum) und Hugenberg (DNVP) suchten die Zusammenarbeit mit Hitler, beide mit der Illusion, die Nazibewegung durch Regierungsbeteiligung zu zähmen. Beide kapitulierten 1933 vor Hitler durch ihre Zustimmung zum sogenannten Ermächtigungsgesetz, das die Zerschlagung der Arbeiterbewegung und des gesamten übrigen Parteienspektrums gesetzlich ermöglichte.
1967/68 kam es in einer Reihe niedersächsischer Kommunen zur Zusammenarbeit von CDU und NPD. Nicht jeder, der Auschwitz verharmlose, sei gleich ein Nazi, hieß damals die Begründung.
Über Jahrzehnte gab es die »Stahlhelmer« in der CDU, um den Fuldaer Bundestagsabgeordneten und ehemaligen NSDAP-Mann Manfred Dregger, die in Hessen jahrelang eine enge Kooperation mit neofaschistischen Gruppierungen der Burschenschaften oder des Witikobundes pflegten. Der Thüringer Heimatschutz, aus dem auch der NSU hervorging, war das Kind hessischer CDU-Kräfte, die das Innenministerium in Erfurt schon seit dem Frühjahr 1990 aufgebaut hatten.
In den 1990er Jahren wurden in den Reihen der Union Reden gehalten, die heute jeden Montag bei Pegida in Dresden gehört werden können. Klaus Landowsky, einst Fraktionsvorsitzender der Berliner CDU, erklärte 1997 in einer Rede im Berliner Abgeordnetenhaus: »Es ist auch viel Abschaum an Kriminalität in die Stadt gekommen, von China, über Russland, Rumänien und so weiter, meine Damen und Herren. (…) Es ist nun mal so: Wo Müll ist, sind Ratten, und wo Verwahrlosung ist, ist Gesindel, meine Damen und Herren, und das muß beseitigt werden in der Stadt.«
Landowskys Rede war kein Ausrutscher. CDU-Mitglieder haben sich immer schon in rechten Kreisen getummelt. So wies der Norddeutsche Rundfunk 2002 darauf hin, dass sich rechte CDU-Mitglieder in der »Gesellschaft für freie Publizistik« einbringen, die sogar der Verfassungsschutz als »die bedeutendste rechtsextremistische Kulturvereinigung« bezeichnete. Nach dem Einzug der NPD im Jahr 2004 in den sächsischen Landtag unterstützten Mitglieder der CDU-Fraktion Anträge der NPD und zeigten offene Sympathien für deren politische Arbeit. Die Reihe der Beispiele ließe sich über die »Kinder statt Inder«-Parole von Jürgen Rüttgers und über Horst Seehofers rassistische Diagnose, die »Migration sei die Mutter aller politischen Probleme« noch lange fortsetzen. Die CDU hatte lange Zeit vor der Gründung der AfD einen rechten Flügel, an dem sich in der Partei damals anscheinend niemand störte.
Welche Verbindungen gibt es zwischen dem rechtskonservativen Flügel der CDU und der national-völkischen bis neofaschistischen AfD?
Die Verbindungen lassen sich exemplarisch an der Person Karl-Eckhard Hahns, Leiter des Wissenschaftlichen Dienstes der thüringischen CDU und Vertrauter von Mike Mohring, zeigen. Hahn spielte wenige Tage vor der Wahl Kemmerichs in der Zeitschrift »The European« die Option einer Wahl des Ministerpräsidenten durch die AfD-Stimmen durch. Die »gesellschaftlichen Umbauprojekte« von r2g hält Hahn für gescheitert. Hahn ist auch Mitglied der »Deutschen Gildenschaft«. Diese völkisch-nationalistische Studentenverbindung dient als Netzwerk der Rechten, wie das Antifa-Magazin »Der rechte Rand« schon vor Jahren ermittelt hat.
Karlheinz Weißmann und Dieter Stein, beide bei der Jungen Freiheit und wichtige Größen in der faschistischen Neuformierung im Rahmen der »Neuen Rechten«, sind ebenfalls in der »Deutschen Gildenschaft«. Auch Götz Kubitschek, spiritus rector der »Neuen Rechten« und freudiger Kommentar des Erfurter Coups, war einst Mitglied. Man kennt sich. Hahn ist derweil nicht einfach Mitglied, sondern sitzt gar im Vorstand der Vereinigung. Wie der Historiker Volker Weiss nach der Wahl Kemmerichs schrieb, publizierte Hahn in den 1980er Jahren u.a. mit Weißmann, plädierte in der Tradition der »Konservativen Revolution« für einen »unbedingten Antiliberalismus«.
Was steckt hinter dem Begriff der »Konservativen Revolution«?
Bereits der Historiker Stefan Breuer hat die sogenannte »Konservative Revolution« in seiner Klassikerschrift »Anatomie der konservativen Revolution« (1993) als Mythos entlarvt. Weiss hat diese Perspektive in seinem Buch »Untergang des Abendlandes« bekräftigt und die Verbindungen zur »Neuen Rechten« in der Gegenwart aufgezeigt: »Die Konservative Revolution als solche gab es gar nicht. Sie ist eine Konstruktion, die der Schweizer Autor Armin Mohler direkt nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen hat, um gewissermaßen den Theoriekanon der deutschen Rechten wiederzubeleben, unter Umgehung – zumindest vorgeblicher Umgehung – des Nationalsozialismus«.
Der Bezug auf die »Konservative Revolution« dient als politischer Deckmantel. Das Dilemma des völkischen Nationalismus nach 1945 ist hinreichend bekannt: Der Massenmord an den europäischen Juden und der verlorene Zweite Weltkrieg machten und machen es Faschisten bis heute schwer, sich offen in die Tradition des historischen Faschismus zu stellen. Einerseits wollen sie zwar ihre Wurzeln nicht kappen, andererseits können sie in der isolierten Nazi-Ecke nicht wachsen. Dieser Deckmantel kann zum Schirm eines neofaschistischen Hegemonieprojekts werden, das auf die Unterstützung durch die CDU angewiesen wäre. Es handelt sich um den Versuch, sich das Schild des respektablen Nationalkonservatismus umzuhängen. In den Reihen der AfD finden sich viele Akteure mit ehemaligem CDU-Parteibuch und auch innerhalb der CDU gibt es weiterhin führende Politiker, die die Kooperation mit der AfD suchen, um Mehrheiten für rechtskonservative Politiken zu erringen. Einige werden rassistische Überzeugungstäter sein, andere treibt einfach der blinde Wille zur Macht. Das Ergebnis ist dasselbe: eine Stärkung des Neofaschismus.
Ist der Konservatismus jetzt am Ende?
Nein. Die CDU ist, wie die Sozialdemokratie, in einer Krise, aber nicht am Ende. Das Parteiensystem in Deutschland befindet sich wie in vielen Ländern im Umbruch. Etablierte Parteien verlieren an Zustimmung und neue Parteien entstehen. Wir erleben eine Polarisierung in ganz Europa. Dahinter steht auch die Hegemoniekrise des Neoliberalismus und seiner politischen Vertreter infolge der Krise 2008. Dieser Prozess verläuft jedoch in der BRD bisher langsamer als beispielsweise in Frankreich.
Wie sollten Linke mit der Krise der CDU und des Konservatismus umgehen?
Es wäre politisch fatal, sich um die Auseinandersetzung in der CDU nicht zu scheren. Die Partei wird zwar niemals Politik im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung machen, aber ihr Verhältnis zur »Neuen Rechten« wird maßgeblich deren weitere Mobilisierungs- und Machtchancen prägen. Beim Aufstieg des Faschismus war es immer entscheidend, wie sich die konservativen Eliten verhalten haben. Es muss daher darum gehen, die AfD als das zu labeln, was sie ist – eine neofaschistische Partei im Werden – und davon auch Politiker und Politikerinnen der Union zu überzeugen. Aussichtslos ist das nicht, wie die Reaktionen nach dem Erfurter Sündenfall gezeigt haben, aber es ist vor allem notwendig, weil eine CDU unter der Führung von Friedrich Merz schwarz-blaue Koalitionen noch realistischer macht.
(Foto: Bundesarchiv, B 145 Bild-F082406-0002 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA 3.0 / CC BY-SA 3.0 DE, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)
Schlagwörter: CDU, CSU, Merkel