Immer mehr Menschen Spaniens stellen sich gegen den Tourismus in ihrem Land, weil sie immer weniger davon haben. Von Hannes Maerker
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»Unser Barceloneta steht nicht zum Verkauf« steht groß auf den gelben T-Shirts der Demonstrierenden: Sie haben sich zu einer Menschenkette am Strand von »Barceloneta«, einem Arbeiterviertel Barcelonas getroffen. Getreu nach dem Motto ihr nehmt uns die Wohnungen, wir euch den Strand blockieren sie gemeinsam symbolisch den Zugang zum Meer für die Urlauber. Doch nicht nur in Barcelona wird der Unmut gegen den Tourismus größer, auch auf Mallorca formieren sich die Einwohnerinnen und Einwohner. Die Bewegung hier nennt sich »Ciutat per qui l’habita« (zu Deutsch: »Die Stadt für die Bewohner«).
Verdrängung der Einheimischen
Schuld an dieser Situation ist die spanische Regierung, denn seit Jahren folgt sie den Interessen des Gastgewerbes und fördert damit den Massentourismus. Jahr für Jahr verbucht das Land neue Besucherrekorde, allein im letzten Jahr nahmen die Besucherzahlen um 10,3% zu. Mit den 75,6 Millionen Besuchern ist Spanien das am meisten bereiste Ferienland Europas, ein neuer Rekord. Verdrängung der Einheimischen ist bei diesen Touristenmassen vorprogrammiert: »Ciutat per qui l’habita« kritisiert, dass es nur noch schwer möglich ist Wohnungen in Mehrfamilienhäusern zu finden, da viele über Portale wie »Airbnb« vermietet werden, zu Preisen, die für Normalverdiener monatlich nicht zu stemmen sind. Doch trotz dieser alarmierenden Zustände lehnt die spanische Zentralregierung Vorschläge wie eine Begrenzung der Touristenzahlen vehement ab. Als linke Regionalregierungen eine extra Touristenabgabe einführen wollten, um zusätzliches Geld für die Bewältigung der Umweltprobleme und für den Ausbau der sozialen Infrastruktur zu bekommen, reagierte die Zentralregierung nervös. Der Justizminister, Rafael Catalá, meint: »Das wäre eine Tragödie!« Es sei so, als »würde man sich selber in den Fuß schießen«. Auch der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy ging mit Blick auf die vielen Initiativen linker Regionalregierungen auf die Barrikaden. Im Bereich des Tourismus müsse man mit »extremer Vorsicht« handeln, warnte er.
Tourismus ist der »Jobmotor des Landes«
Hauptargument der Regierung ist, dass die Tourismusindustrie der »Jobmotor des Landes« sei. Doch diese »Jobs« sind häufig nicht mehr als saisonale Aushilfsstellen um den Touristenandrang zu bewältigen. Jobs, mit Minilöhnen zwischen 500 und 1000 Euro, von denen die Arbeitgeber einen Teil meist schwarz bezahlen, um Sozialabgaben zu sparen. Die Spanier haben für die Art der prekären Beschäftigung eine treffende Beschreibung gefunden: »contratos basura« (zu Deutsch: »Müllverträge«). Das traurige: mehr als 90% aller neuen Arbeitsverhältnisse in Spanien sind solche Müllverträge, denn sie sind für viele Arbeitslose der einzige Weg, um sich vorübergehend ein paar Euro zu verdienen. Gut bezahlte Jobs sind trotz des regelrechten Booms von Urlaubern im Tourismussektor schwer zu finden. Die Arbeitslosenquote liegt auf den Balearen bei 11,1%, in Spanien bei 17,7%, also deutlich höher. Doch selbst eine Arbeitslosenquote von 0% würde den Einwohnern Mallorcas nicht helfen, denn die Verdienstmöglichkeiten sind einfach zu gering. Auf den Balearen bekommen Arbeiterinnen und Arbeiter deutlich weniger als im Landesvergleich. Doch nicht nur die Region, sondern auch der Sektor zählt zu den absoluten Niedriglöhnern. So wenig wie im Tourismus verdient im ganzen Land keine andere Branche. Das heißt in einem der touristisch stärksten Gebiete des Landes verdienen die Arbeiterinnen und Arbeiter der Tourismusbranche am wenigsten, während sie mit die höchsten Lebenshaltungskosten des Landes haben. Das Grundgehalt liegt im Tourismus zwischen 1.000 Euro und 1.300 €, wobei die Lebenshaltungskosten zum Beispiel in Palma de Mallorca vergleichbar sind mit denen in deutschen Großstädten. Wirklich profitieren nur die Hotel- und Immobilienbesitzer. Sie können immer mehr von ihren Besuchern für einen Aufenthalt verlangen, die Kassen klingeln. Spätestens hier zeigt sich das wahre Gesicht des spanischen Tourismus: ohne Touristen hätte die Rezeptionistin keinen Job, mit ihnen hat sie keine Wohnung.
»Der Abschaum, der uns geschickt wird, ist nicht angenehm!«
Worüber die Regierung schweigt: Die Urlaubsgebiete sind gleichzeitig Wohngebiet für Einheimische. Jene, die die Urlauber in den Hotels mit Frühstück und frischen Handtüchern versorgen. Die, die sie mit dem Bus zum Flughafen bringen. Die, die einfach dafür sorgen, dass die Touristinnen und Touristen einen schönen Urlaub haben, während diese dafür sorgen, dass die ganze Nacht Lärm auf den Straßen ist. »Sauftourismus« ist das richtige Wort für das was dort, gerade in Palma, passiert. Urlauberinnen und Urlauber die sturzbetrunken auf den Straßen randalieren. Kein Wunder, dass sich eine Krankenschwester, die von ihrer Nachtschicht nach Hause kommt davon gestört fühlt. In Barcelona hat man sich mit den solchen Urlaubern längst abgefunden: Eine Bewohnerin beschreibt, dass die betrunkenen Touristinnen und Touristen nicht ihr Hauptproblem sind, schlecht erzogene Menschen gibt es schließlich überall. Der Bürgermeister von Palma de Mallorca, Antoni Noguera, fasste das treffend zusammen: »Der Abschaum, der uns geschickt wird, ist nicht angenehm!«. Richtige Worte aus dem falschen Mund: Letztendlich hat die Politik mit zu diesem Tourismuswachstum beigetragen. Und die Politik ist es, die diesen Tourismus eindämmen kann.
Der Widerstand gegen die Auswirkung des Massentourismus geht deswegen weiter. Solltest Du also in der nächsten Zeit Urlaub in Spanien machen, wundere dich nicht über schwarze Flaggen an Fenstern und Balkonen der Anwohner, denn sie sind Zeichen gegen Massentourismus und Gentrifizierung.
Foto: Jeff Crisp / Twitter
Schlagwörter: Barcelona, Spanien, Tourismus, Weltweiter Widerstand, Widerstand