Die Kolleg:innen bei der Post kämpfen für 15 Prozent höhere Löhne. 85,9 Prozent haben nun in einer Urabstimmung das Angebot der Bosse abgelehnt und für den unbefristeten Arbeitskampf gestimmt. Was die Gewerkschaft jetzt tun muss, um zu gewinnen, erklärt der Zusteller Jan-Noah Friedrichs
Zur Person: Jan-Noah Friedrichs ist Zusteller und ver.di-Vertrauensleutesprecher bei der Post in Hannover.
Dieser Beitrag wurde während der laufenden Urabstimmung verfasst und am 15. Februar 2023 erstmals veröffentlicht.
Die Verhandlungen in der Tarifauseinandersetzung bei der Deutschen Post sind in der dritten Runde gescheitert. Trotz Rekordgewinn weigert sich der Konzern noch immer, uns gerecht zu bezahlen. Er hat ein so kompliziertes wie schwaches Angebot vorgelegt, das nicht ansatzweise an einen Inflationsausgleich herankommt – und das bei einer Laufzeit von 24 Monaten.
Die erste Hürde ist geschafft: Die Verhandlungs- und die Konzerntarifkommission haben das Angebot einstimmig abgelehnt und empfehlen den Mitgliedern in der nun bevorstehenden Urabstimmung ebenfalls eine Ablehnung. Genau vor dieser Hürde stehen wir jetzt: 75 Prozent der ver.di-Kolleg:innen müssen gegen das Angebot der Arbeitgeberseite stimmen und somit für weitere Streikmaßnahmen, um den Arbeitgeber am Verhandlungstisch zu bewegen und im Kampf für einen Inflationsausgleich erfolgreich sein zu können.
Direkt nach Bekanntgabe des Scheiterns der Verhandlungen startete der Konzern eine Desinformationskampagne, um die Kolleg:innen mit falschen Darstellungen seines Angebots zu täuschen, uns als ver.di bloßzustellen und uns an genau dieser 75-Prozent-Hürde scheitern zu lassen. Gleichzeitig müssen wir uns schon jetzt auf einen harten, unbefristeten Arbeitskampf vorbereiten und genau überlegen, wie wir genug Druck aufbauen können, um so schnell wie möglich zu gewinnen. Bis zur Urabstimmung haben wir nur wenig Zeit und – wenn wir erfolgreich sind – bleibt auch danach nur wenig Zeit bis zum Streikbeginn. Ab jetzt zählt jeder Tag – und jede:r Einzelne, denn wir brauchen alle, um zu gewinnen.
Fünf Punkte für den Sieg im Streik bei der Post:
1. Das Angebot des Konzerns darf uns nicht das Genick brechen
Das Angebot des Vorstands ist bewusst verwirrend, um eine Spaltung der Belegschaft zu provozieren. Es zielt darauf ab, den harten Kern von den Unentschlossenen, den »Nicht-Kampfeswilligen« abzuspalten. Uns muss klar sein, dass es nicht mehr reicht, nur die Entschlossenen zu mobilisieren. Wir müssen uns jetzt Zeit nehmen und geduldig mit allen Kolleg:innen argumentieren. Trotz Milliardengewinnen will uns der Arbeitgeber mit seinem Angebot Reallohnverluste erleiden lassen. Wenn wir das Angebot annehmen, wird weiterhin nötiges Personal wegbleiben und weiterhin werden langjährige Kolleg:innen das Unternehmen verlassen.
Nicht nur für uns als Beschäftigte wäre ein schlechter Abschluss eine große Niederlage, sondern auch für uns als ver.di. Wenn wir jetzt nicht gewinnen, haben wir auch langfristig verloren – und nicht nur wir. Die Kolleg:innen im öffentlichen Dienst schauen auf uns. Unser Ergebnis ist richtungsweisend für ihren gerade begonnenen Arbeitskampf. Gleichzeitig stehen wir gemeinsam mit vielen unserer Kund:innen – die Öffentlichkeit ist auf unserer Seite. Wann, wenn nicht jetzt, haben wir die Chance, einen wegweisenden und längst überfälligen Sieg einzufahren?
2. Wir müssen effektives Streiken lernen
Mit vielen hundert neuen Beitritten und beinahe 100.000 Streikenden in den Warnstreiks haben wir unsere Kampfkraft mehr als deutlich unter Beweis gestellt. Gleichzeitig läuft es in einigen Betriebsgruppen deutlich besser als in anderen. Wir müssen mehr voneinander lernen, schnell verallgemeinern, was funktioniert und uns gegenseitig aufbauen. Das gilt auch für die betriebliche Arbeitskampfleitung selbst. Die Kolleg:innen sind die Expert:innen im Betrieb. Wir müssen ihr Wissen nutzen, um zu gewinnen. Sie wissen zum Beispiel, wie eine aufsuchende Urabstimmung am besten organisiert werden kann. Vor allem aber wissen sie, wie die Standorte am effektivsten dicht gemacht werden können – und zwar alle.
Dabei sind zwei Dinge wichtig. Erstens müssen wir rein in die Fläche an alle Standorte. Zweitens müssen wir die strategisch sinnvollen Punkte mit Massenstreikposten lahmlegen. Bisher haben wir nur einzelne Standorte für kurze Zeit dicht gemacht, jetzt müssen wir den Arbeitgeber da treffen, wo es am meisten wehtut. Die Post ist stolz darauf, »just in time« zu liefern. Viele, insbesondere auch Großkunden, verlassen sich darauf. Genau hier müssen wir ansetzen. Dafür müssen wir genau über die strategischen Punkte Bescheid wissen, uns vorbereiten und die Streiks entsprechend danach ausrichten. Zum Beispiel, indem wir mit zwei Streiktagen im gesamten Einzugsgebiet eines Paketzentrums die Mobilisierung unter den Streikenden aufbauen, um möglichst viele zu werden. Und dann ziehen wir in dem Einzugsgebiet alle Streikenden vor dem Paketzentrum zusammen und machen es dicht. Ich bin überzeugt: Wenn auf diese Weise die große Mehrheit der Paket- und Briefzentren lahmgelegt würde, müsste die Post innerhalb weniger Tage aufgeben.
Natürlich gilt auch hier, dass wir gemeinsam stärker sind. Wenn wir unsere Kräfte mit Unterstützer:innen aus Politik, Kultur, Sport usw. bündeln, können wir gewinnen. Sie haben Möglichkeiten (wie »zivilen Ungehorsam«), die wir als Beschäftigte nicht haben. Der Arbeitgeber hat wenig Skrupel. »Spielregeln«, »Respekt« und »Fairness« sind nur noch leere Worte. Wenn wir hier wirklich gewinnen wollen, müssen wir jetzt alles tun, was dafür notwendig ist. Das bedeutet auch, Dinge auszuprobieren, die wir uns vorher noch nicht getraut haben.
3. Wir müssen Leute in Verantwortung nehmen
In vielen Betriebsgruppen liegt die Last der Arbeitskampfleitung auf nur sehr wenige Schultern verteilt. Es besteht die Gefahr, dass die wenigen Schultern am Ende unter der Last zusammenbrechen. Dabei könnten unsere Vertrauensleute und aktiven Kolleg:innen wesentlich besser beteiligt werden. Ohne sie können wir nicht in die Fläche gehen. Wir haben als ver.di in den letzten Jahren sehr gute Erfahrungen mit mehr Beteiligung gemacht. Das müssen wir jetzt auch in der Post voranbringen, um (auch langfristig) erfolgreich zu sein und unsere Strukturen zu stärken. Wir müssen so viele Kolleg:innen wie möglich in die Verantwortung nehmen. Wo wir schlecht aufgestellt sind, müssen wir jetzt nachsteuern. Wir können nur gewinnen, wenn wir jetzt klar sagen: Ein »Nein« zum Arbeitgeberangebot bedeutet auch ein »Ja« zum Schmieden eines anspruchsvollen Plans, wie wir gewinnen. Wir sollten den Kolleg:innen offen sagen: Wenn du gewinnen willst, dann musst du jetzt mit deiner Familie und deinem Umfeld sprechen und sagen: ich brauche jetzt ein paar Wochen meines Lebens Zeit, um einen Streik zu gewinnen, der auf Jahre meinen Beruf prägen und verbessern wird. Das muss jeder Kollege und jede Kollegin jetzt zu Hause diskutieren und gewissenhaft entscheiden. Nur, wenn viele viel Verantwortung übernehmen, können wir das jetzt gewinnen.
Das bedeutet, unsere volle Energie auf die Frage zu fokussieren, wie wir vor Ort am effektivsten streiken können. Und es bedeutet auch, bereit zu sein, in andere Standorte und Niederlassungen zu fahren und Massenstreikposten zu organisieren. Vor allem bedeutet es aber, nicht nur mit den ver.di-Mitgliedern zu sprechen. In den letzten Wochen sind viele Kolleg:innen beigetreten – ein großer Erfolg. Aber jetzt muss mit allen Kolleg:innen in den Niederlassungen ein Gespräch geführt werden über diesen Arbeitskampf als historische Chance und weshalb sie sich jetzt organisieren müssen. Gerade die Teamleitungen spielen hier eine große und wichtige Rolle. Während der Forderungsbefragung konnten wir in meinem Standort durch gezielte und strukturierte Ansprache der Nicht-Mitglieder zig neue Mitglieder gewinnen und mit vielen aktiven Kolleg:innen stark in die erste Warnstreikwelle starten. Jetzt stehen wir vor einer ähnlichen Situation. Wenn wir das in jeder Niederlassung machen, kann sich unser Druck aus den Warnstreikwellen vervielfachen.
Wir müssen der Desinformationstaktik des Arbeitgebers den Wind aus den Segeln nehmen. Dazu können wir uns an der Taktik des sogenannten Arbeitsstreiks aus der Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst orientieren. Bei einem »Arbeitsstreik« werden Kolleg:innen zum Streik aufgerufen, um gemeinsam an einem Plan für den Erfolg der Auseinandersetzung zu arbeiten und Arbeitskampfmaßnahmen zu koordinieren. Stellt euch vor, wir würden bundesweit alle Vertrauensleute in Arbeitsstreiks führen, schulen und dann in sämtliche Standorte fahren, um alle Postler:innen an dieser wichtigen Entscheidung zu beteiligen. Gerade die noch nicht organisierten Kolleg:innen müssen sich jetzt entscheiden: Um gerechten Lohn für alle und eine Zukunft des Unternehmens kämpfen oder weiter verarmen und zusehen, wie der Arbeitgeber den Konzern an die Wand fährt. Gerade auf die Unorganisierten müssen wir jetzt zugehen.
Am Ende brauchen wir zum Gewinnen beides: Schnelles Handeln und eine gute Portion Vertrauen – gleichzeitig die Bereitschaft der Vertrauensleute und Kolleg:innen, einen gemeinsamen Plan zu schmieden und ihn umzusetzen.
4. Unsere Streiks müssen unberechenbar sein
In einigen Fällen waren die Arbeitgeber:innen wohl schon auf unsere Streiks vorbereitet und haben entsprechende Maßnahmen einleiten können. Das müssen wir ändern. Wir brauchen die Freigabe, dass die Vertrauensleute vor Ort – natürlich in Absprache mit den Sekretär:innen und Freigestellten – selbst spontan zum Streik aufrufen können. Das wird unter anderem in den Kämpfen bei Amazon gemacht. Ich habe neulich eine Geschichte von einem Kollegen vom Sicherheitsdienst im Flughafen Düsseldorf gehört, wo die Streiks immer ineffektiv waren, weil der Arbeitgeber Bescheid wusste und dann Leiharbeit organisieren konnte. Als die Kolleg:innen mit jeweils einem Hauptamtlichen spontan auf ein Signal hin aufrufen konnten, wurde der ganze Flughafen lahmgelegt und die Beschäftigten hatten damit gewonnen. Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen.
5. Gemeinsam mit den Kolleg:innen im öffentlichen Dienst haben wir die nötige Stärke
Während wir bei der Post in die Urabstimmung gehen, finden parallel richtig viele Warnstreiks im öffentlichen Dienst statt. Obwohl wir zeitgleich für dasselbe Ziel kämpfen, kämpfen wir noch nicht zusammen. Das müssen wir jetzt ändern. Als ich in ver.di eingetreten bin, wurde mir immer gesagt, dass ver.di so stark sein kann, weil sich verschiedene Berufe in einer starken Gewerkschaft zusammengeschlossen haben. Nun haben wir endlich mal die konkrete Chance, diesen Vorteil praktisch zu nutzen. Die reine Mitgliedschaft in einer großen Organisation schafft noch keine gemeinsame Erfahrung und Identität. Wir brauchen große gemeinsame Arbeitsstreiks, bei denen wir uns alle zusammen besprechen können, bevor wir wieder in die Planung unserer eigenen Bereiche gehen. So kann zum Beispiel auch eine gemeinsame und motivierende Sitzung der betrieblichen Arbeitskampfleitungen des öffentlichen Dienstes und der Post stattfinden. Der DGB könnte als Gewerkschaftsbund beim Zusammenführen der Kämpfe eine weitere, wichtige Rolle spielen.
Die Chance, in einem Arbeitskampf gemeinsam erfolgreich zu sein, ist so groß wie lange nicht. Wenn wir dieses historische Möglichkeitsfenster ergreifen, wird uns das alle langfristig stärken, genau wie die Generationen organisierter Kolleg:innen, die nach uns kommen. Und sie werden sich berufsübergreifend als eine gemeinsam handelnde Organisation erlebt haben. Darauf sollten wir uns jetzt gemeinsam und konkret ausrichten. Jetzt schreiben wir als Kolleg:innen und Gewerkschafter:innen Geschichte. Wir haben in der Hand, wie diese Geschichte aussieht. Es geht um nicht weniger als unsere Arbeit und unser Leben.
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In den letzten Tagen und Wochen durfte ich viele tolle Kolleg:innen kennenlernen und habe viele spannende Anregungen bekommen. Gemeinsam mit diesen Kolleg:innen freue ich mich auf viele weitere! Meldet euch gern, wenn ihr Lust habt, in den Austausch zu gehen, Erfahrungen zu teilen und gemeinsam zu lernen. Ihr erreicht mich über telegram unter @JanNoahFriedrichs.
Schlagwörter: Deutsche Post AG, Gewerkschaften, Streik