Die Rentenreform von Macron wird zum Zündfunken sozialer Proteste. Spannende und entscheidende Woche für den Klassenkampf in Frankreich. Von John Mullen
Emmanuel Macron hat am Donnerstag, dem 16. März, eine schwere politische Niederlage erlitten. Die letzten Tage hatte er damit verbracht, die Abgeordneten der traditionell rechten Republikanischen Partei anzuflehen, nicht gegen sein Rentengesetz zu stimmen. Um eine Niederlage in der Parlamentsabstimmung zu vermeiden, setzte er das Gesetz im letzten Moment per Dekret durch. Für die Mehrheit in der Nationalversammlung fehlen Macron 39 Stimmen. Normalerweise konnte er sich auf die 61 republikanischen Abgeordneten verlassen. Diesmal nicht.
Die Republikaner sind ebenso wie Macron Feinde der Arbeiter:innen. Unter dem Druck der Millionen auf der Straße oder im Streik und insbesondere der massiven Mobilisierungen in mittelgroßen »konservativen« Städten hatte etwa die Hälfte der republikanischen Abgeordneten ihre Ablehnung des Gesetzesentwurfs deutlich gemacht. Durch das Dekret kann das Gesetz nun in Kraft treten, es sei denn, das Parlaments beschließt am Montag einen Misstrauensantrag gegen die Regierung und Premierministerin Borne, was zweifellos zu Neuwahlen führen würde.
Macrons Gesetzentwurf verfolgt zwei Ziele. Erstens die Anhebung des regulären Rentenalters von 62 auf 64 Jahre und zweitens die Abschaffung mehrerer besserer sektoraler Rentenvereinbarungen, die im Laufe der Jahre von Arbeitnehmer:innen mit den stärksten Gewerkschaften durchgesetzt wurden (Macron spricht von »Sonderregelungen«). Dies ist der wichtigste Teil seiner Reformen. Viele Mainstream-Analyst:innen haben aufgezeigt, dass es keine wirtschaftliche Notwendigkeit für diese Änderungen gibt: Auch die von der Premierministerin eingesetzte Kommission für Rentenstrategie sagt, dass der Prozentsatz des BIP, der für die Zahlung von Renten benötigt wird, trotz einer alternden Bevölkerung über viele Jahre hinweg konstant bleiben wird. Der jetzige Angriff hat auch symbolische Bedeutung. Sie zeigen, dass die Arbeitnehmer:innen und nicht die Unternehmer:innen für die Wirtschaftskrise zahlen sollen und Macrons »Geschenke für Milliardäre« in Zukunft noch großzügiger ausfallen werden.

»Nein, Nein zur Rente mit 64 Jahren« Credit: Nykaule / CC BY / flickr.com
Renten: Zwei Jahre, die das Fass zum Überlaufen brachten
Der Gesetzentwurf sorgt für einen historischen Konflikt. Im Gegensatz zu dem vor drei Jahren vorgelegten Plan, der nach massiven Streiks auf Eis gelegt wurde, ist dieser Vorschlag sehr einfach – er wird das Arbeitsleben um zwei Jahre verlängern. Macrons früherer Plan, der auf einem komplizierten Punktesystem beruhte, hätte es ihm vielleicht ermöglicht, Zugeständnisse zu machen und sein Gesicht zu wahren. Beim jetzigen Entwurf heißt es aber entweder-oder: »Zwei Jahre länger arbeiten oder nicht?«.
Der Schatten der Guillotine ist auf dem Weg
Nach der Bekanntgabe des Dekrets am Donnerstagnachmittag (das »Neunundvierzigste«, benannt nach der Klausel in der französischen Verfassung, die es erlaubt, das Parlament auf diese Weise zu überstimmen), kam es in einem Dutzend französischer Städte zu spontanen Demonstrationen. In Paris versammelten sich Tausende nur wenige hundert Meter vom Parlament entfernt. Die Polizei griff mit Wasserwerfern an. Die Demonstranten errichteten Barrikaden mit brennenden Mülltonnen. In einer Stadt wurde »Fuck the 49.3« auf die Straße geschrieben, in Pflastersteinen, dem Symbol der sozialen Explosion vom Mai 1968. In einer anderen warnte ein riesiges Graffiti: »Der Schatten der Guillotine ist auf dem Weg«. Im Parlament konnte sich Premierministerin Elizabeth Borne kein Gehör verschaffen. Die linken Abgeordneten übertönten sie mit der Marsellaise: »Zu den Waffen, Bürger!«.
Am Freitagmorgen wurden Autobahnen in Paris, Chambéry, Perpignan, Toulon und anderswo blockiert. Dutzende von Gymnasien und Universitäten sind ebenfalls blockiert, darunter Nanterre, die Sorbonne und Saint Denis. In mehreren Orten wie Bordeaux besetzen Demonstrant:innen Bahnstrecken und halten Züge an. Die andauernden Streiks der Müll-, Raffinerie-, Hafen- und Energiearbeiter:innen, um nur einige zu nennen, scheinen sich zu verschärfen. In den Straßen von Paris und anderen Städten stapelt sich der Müll. Die Energiearbeiter:innen stellen Krankenhäusern und anderen sozialen Einrichtungen kostenlosen Strom zur Verfügung. (Lies hier den marx21-Artikel: »Macron, die Linke und ein heißer Herbst in Frankreich«.)
Die Gewerkschaften trauen sich noch nicht den Angriff von unten zu führen
Enttäuschend ist, dass die öffentlichen Verkehrsmittel nach mehreren Tagen des Stillstands wieder fahren. In Ermangelung eines klaren Aufrufs zu einem Generalstreik durch die nationalen Gewerkschaftsführer:innen fühlten sich die Arbeiter:innen in einigen bestreikten Sektoren nicht in der Lage, den Streik fortzusetzen (niedrige Löhne und hohe Inflation verstärken den Druck). Es wurden weitaus mehr Streikgelder gesammelt als üblich (France Insoumise hat z.B. 500.000 Euro gesammelt), aber die Streikgelder können den ärmsten Streikenden derzeit nur wenig helfen. Ein Hundertfaches davon wäre nützlich.

»Sie haben Milliarden, aber wir sind Millionen.« »Besteuern wir die Reichen« »Die Rentenreform in Clermont: Wir sagen nein!« »Kein Kompromiss mit der Regierung« Credit: Mijak0 / CC BY / flickr.com
Die Führungen der weniger kämpferischen Gewerkschaftsverbände hatten mehr oder weniger geplant, die Mobilisierung nach der Verabschiedung des Gesetzes zu beenden. Die Tatsache, dass das Rentengesetz jetzt per Dekret durchgesetzt wurde, zwingt sie allerdings, im Bündnis aller acht Gewerkschaftsverbände zu bleiben. Die größte Schwäche dieses seltenen Bündnisses bleibt aber die entscheidende Weigerung, zu einem unbefristeten Generalstreik aufzurufen. Diese Zurückhaltung zielt darauf ab, die weniger kämpferischen Gewerkschaften an Bord zu halten. Angesichts der Entschlossenheit von Macron und seiner Clique ist das allerdings eine riskante und schädliche Strategie.
Anstatt zu einer großen Mobilisierung am Montag aufzurufen, dem Tag an dem ein Misstrauensantrag gegen die Regierung im Parlament debattiert wird, hat das nationale Gewerkschaftsbündnis zu einem neuen Aktionstag und Streiks am kommenden Donnerstag, dem 23. März aufgerufen. Die größte Hoffnung der Bewegung liegt daher in der Entwicklung radikalerer Initiativen, die vor allem von einfachen Gewerkschafter:innen und Studierenden ausgehen.
Die Gräben zwischen den französischen Linken
Die Krise macht die Unterschiede zwischen den verschiedenen linken Organisationen deutlich. Während die France Insoumise, ebenso wie die NPA und andere linksradiale Strömungen sofort ihre Unterstützung für die spontanen Demonstrationen und die anhaltenden Streiks und Blockaden zum Ausdruck brachten, erklärte die Führung der Kommunistischen Partei, dass der Fokus jetzt auf einem Referendum über das Rentengesetz liegen müsse. Plakate der KPF, die zu einem Referendum auffordern, werden im ganzen Land aufgehängt.
Die Verfassung sieht die Möglichkeit vor, die Regierung zur Durchführung eines Referendums zu verpflichten. Voraussetzung dafür sind Unterschriften von 185 Parlaments- und Senatsmitgliedern und 4,7 Millionen Wähler:innen. Obwohl sich natürlich niemand direkt gegen eine solche Idee aussprechen sollte, ist es zum jetzigen Zeitpunkt ein schwerwiegender Fehler, den Fokus auf ein langwieriges verfassungsrechtliches Verfahren und nicht auf eine aufständische Bewegung zu legen.
In einem aufschlussreichen Kommentar behauptete Macron am Donnerstag, dass der Druck der internationalen Finanzwelt ein wichtiger Faktor bei seiner Entscheidung war, den Gesetzesentwurf durchzusetzen. Es liegt an uns, die klare Botschaft auszusenden, dass wir nicht zwei Jahre länger arbeiten und der internationalen Finanzwelt und ihren Lakaien zu zeigen, dass der Preis für das Rentengesetz zu hoch sein wird.
John Mullen lebt in der Region Paris, ist revolutionärer Sozialist und Unterstützer der France Insoumise. Seine Website lautet randombolshevik.org
Bild: Mijak0
Schlagwörter: Frankreich, Macron, Protest, Rentenreform, Streik