Für viele gelten sie als Sozialbetrüger und Kriminelle. Sinti und Roma sind so stark von Rassismus betroffen wie kaum eine andere Personengruppe. Ein neues Buch erklärt die dahinterliegenden Mechanismen. Von Reuven Neumann
Eine repräsentative Umfrage der Universität Leipzig kam im Jahr 2014 zu dem Ergebnis, dass 55 Prozent der Befragten ein Problem damit hätten, wenn sich Sinti und Roma in ihrer Gegend aufhalten würden. Gleichzeitig waren 47 Prozent der Meinung, dass sie aus den Innenstädten vertrieben werden sollten. 56 Prozent vertraten die Auffassung, dass diese Gruppe grundsätzlich zu Kriminalität neige. Dies verdeutlicht: Es gibt noch immer starke Ressentiments gegen Sinti und Roma in Deutschland.
In seinem Buch geht Wolfgang Benz, langjähriger Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, diesem Antiziganismus nach, also dem Rassismus gegen Sinti und Roma. In verschiedenen Artikeln beschreibt er dessen Entwicklung sowie die unterschiedlichen Erscheinungsformen, die auf eine lang zurückgehende Tradition dieses Ressentiments verweisen.
Lange Tradition der Ressentiments
Die aktuelle Situation zeige, dass insbesondere im Rahmen der 2014 erfolgten Öffnung der Grenzen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Bulgarien und Rumänien massiv Ängste vor einer Armutszuwanderung in die Sozialsysteme geschürt wurden. Diese wendeten sich gegen jene, die aus ärmsten Verhältnissen stammten und regelmäßiger staatlicher Diskriminierung ausgesetzt waren, nämlich den Sinti und Roma. Häufig bringen die Medien diese Personengruppe mit Begriffen wie »Sozialbetrug«, »Bettelei« und »Kriminalität« in Zusammenhang und erwecken so den Eindruck, eine Welle von Armutsmigranten plündere die deutschen Sozialkassen.
Die Tatsache, dass viele aus elenden Bedingungen stammen, wird dabei nicht selten als ein Beleg dafür gesehen, dass Sinti und Roma selbst für ihre Lage verantwortlich seien und zugleich diese Elendsverhältnisse auch nach Deutschland einführten. Hier zeige sich der Anknüpfungspunkt zu den tradierten Vorstellungen über die Sinti und Roma, die als eine immer umherfahrende und zu antisozialem Verhalten neigende Gruppe betrachtet werden.
Tatsächlich ist der Anteil derjenigen Sinti und Roma, die in Deutschland Sozialleistungen erhalten, im Vergleich zu anderen Migrantengruppen jedoch am geringsten. Auch die Arbeitslosenquote von Migranten aus Bulgarien und Rumänien liegt unter dem Durchschnitt der gesamten ausländischen Bevölkerung.
Rassisch begründete Ermordung von Zehntausenden
Benz stellt in seinem Buch auch den Völkermord der Nazis an den Sinti und Roma dar, dem vermutlich eine halbe Million Menschen zum Opfer fielen. Bereits Mitte der 1930er Jahre erfolgten erste Maßnahmen zur »Bekämpfung der Zigeunerplage«, die schließlich in der planmäßigen, rassisch begründeten Ermordung von Zehntausenden mündeten.
Hierbei schildert er auch den skandalösen erinnerungspolitischen Umgang mit diesen Verbrechen und die Auseinandersetzungen über Wiedergutmachung in der Nachkriegszeit. Jahrzehntelang mussten Sinti und Roma für die Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus kämpfen, da sie in der NS-Zeit als »Asoziale« und »Kriminelle« verfolgt wurden und die Vernichtung daher angeblich keine rassenpolitischen Gründe hatte.
Parallelen zu antimuslimischem Rassismus
Positiv hervorzuheben ist, dass Benz den Ansatz der »vergleichenden Vorurteilsforschung« verfolgt. Auf diese Weise zeigt er Parallelen zwischen verschiedenen Formen des Rassismus auf und stellt den Antiziganismus in einen sinnvollen Kontext mit antimuslimischem Rassismus und mit Antisemitismus. Eine Trennung mache keinen Sinn, denn »dies gerät unweigerlich zum Nachteil des größeren Zusammenhangs, aus dem Einsicht zu gewinnen ist nicht nur über Feindschaft gegen eine bestimmte Gruppe, sondern über die allgemeine Mechanik von Feindbildern und ihre Wirkung in der Gesellschaft«.
Dies ist eine durchaus zutreffende und wichtige Aussage und hier liegt neben dem vermittelten Wissen über den Rassismus gegen Sinti und Roma der Gewinn des Buches. Leider verweist Wolfgang Benz letztlich nur auf Bildung und Aufklärung als Mittel, dem Problem zu begegnen, und gibt somit keine wirkliche Handlungsanleitung für den unmittelbaren Kampf gegen Rassismus.
Das Buch: Wolfgang Benz: Sinti und Roma. Die unerwünschte Minderheit. Über das Vorurteil Antiziganismus
Metropol , Berlin 2014, 348 Seiten, 4,5 Euro
Foto: sebbe_munich
Schlagwörter: Antimuslimischer Rassismus, Buch, Nationalsozialismus, Rassismus