Mikis Theodorakis ist tot. Ein Nachruf auf den griechischen Komponisten, Abgeordneten und Aktivisten. Von Dimitra Kyrillou
»Ich habe immer mit zwei Klängen gelebt – einem politischen und einem musikalischen«, sagte Mikis Theodorakis 1970 in einem Interview mit der New York Times.
Der Tod des gefeierten griechischen Komponisten Mikis Theodorakis am 2. September 2021 fand weltweite Beachtung. Leitmedien wie die New York Times, The Guardian und viele andere würdigten sein immenses musikalisches Werk, das von klassischer Musik, Opern und Oratorien bis hin zu griechischer Popmusik und Soundtracks reichte. Letztere wie »Alexis Zorbas«, »Z«, »Serpico« wurden fast noch berühmter als die Filme, für die sie geschrieben wurden. Natürlich wurde in allen Nachrufen auf seine politische Einstellung eingegangen, auf seine Zugehörigkeit zur kommunistischen Partei und zur Linken und auf seine spätere Hinwendung zum rechten Flügel. Wer also war Mikis Theodorakis? War er einfach nur der »nationale« Komponist, einer, der für alle Griechen sprechen konnte, unabhängig von ihren Ideen und ihrer Politik?
Die Regierung der konservativen Nea Dimokratia antwortete mit »Ja«. Sie rief eine dreitägige Staatstrauer aus und beeilte sich, das Genie von Mikis Theodorakis und sein Werk zu loben, das »für Griechenland, das Land und die Nation spricht«!
Was für eine Heuchelei! Die Welt der herrschenden Klasse verneigt sich vor einem großen Künstler, der nur deshalb so groß wurde, weil er sich mit seinem Werk mit der Welt der Arbeiterklasse und der Unterdrückten identifizierte. Das Wichtigste ist, dass dies in einem langen Zeitraum geschah, in dem sich die letzteren in einem heftigen und ungelösten Konflikt mit den ersteren befanden, in den 1960er und 1970er Jahren.
Ich habe immer mit zwei Klängen gelebt – einem politischen und einem musikalischen
Das gesamte Leben, die Ansichten und die Tätigkeit von Mikis Theodorakis sind widersprüchlich. Diese öffnen die Tür für den Versuch einer solchen Vereinnahmung, auch wenn sie nicht erfolgreich sind. Denn Mikis Theodorakis selbst schrieb kurz vor seinem Tod einen Brief, in dem er erklärte, dass es auf die »großen Zahlen« ankomme, und dass er als Kommunist sterben wolle. Aber auch – und das ist das Wichtigste – weil seine Lieder von den Kämpfen der Linken geprägt waren, von den großen Aufständen der Arbeiterklasse und der Armen. Auch heute noch werden sie in Momenten sozialer Unruhen von den Menschen als historische Referenz und Inspiration gesungen.
Erste Schritte, Zweiter Weltkrieg
Mikis Theodorakis wurde 1925 auf der Insel Chios als Sohn eines Beamten aus Kreta und einer Geflüchteten aus der Provinz Izmir im Schatten des griechisch-türkischen Kriegs von 1921-22 geboren. Beide Eltern stammten aus einem demokratischen Umfeld in Zeiten harter Unterdrückung. Als die Deutschen Griechenland während des Zweiten Weltkriegs besetzten, studierte Mikis Theodorakis am Konservatorium und komponierte Chorwerke. Schon bald wurde er zu einem Aktivisten im Kampf ums Überleben, in einer Zeit, in der die Armen hungerten und der Schwarzmarkthandel florierte. Dies veranlasste ihn, sich der mit dem Partisanenwiderstand verbündeten Jugendgruppe EPON und später der Partisanenarmee ELAS anzuschließen.
Im Dezember 1944, am Ende des Zweiten Weltkriegs, griffen britische Truppen die linken Kräfte, die den Widerstand gegen die Deutschen angeführt hatten, in der blutigen Schlacht von »Dekemvriana« an. Mikis Theodorakis entkam während dieser Straßenschlachten der Verhaftung, wurde aber später verhaftet und 1945 und 1946 fast zu Tode gefoltert. Während des griechischen Bürgerkriegs richtete das Regime Verbannungslager auf einsamen Ägäisinseln ein, um die Rebellen zu »reformieren«, zu foltern und sie zu zwingen, Erklärungen zu unterschreiben, in denen sie sich vom Kommunismus lossagten. Mikis Theodorakis zahlte den Preis für sein politisches Engagement, indem er mehrere Monate auf der berüchtigten Gefängnisinsel Makronisos verbrachte.
Nach dem griechischen Bürgerkrieg
Nach dem Ende des Bürgerkriegs wurde er freigelassen, schloss sein Studium am Athener Konservatorium ab und begann mit der Komposition und der Arbeit an seiner ersten Sinfonie. Mit einem Stipendium der französischen Regierung verließ er mit seiner Frau Myrto das Land, damit sie beide in Paris weiter studieren konnten.
Die Jahre nach dem Bürgerkrieg waren für Linke in Griechenland hart, denn Repressionen und Ausgrenzung aus dem öffentlichen Leben waren die Regel. Obwohl er sich dieser harten Realität bewusst war, beschloss Mikis Theodorakis, nach Hause zurückzukehren und aktiv am kulturellen und politischen Leben Griechenlands teilzunehmen. Anstatt sich mit dem musikalischen Establishment in Athen auseinanderzusetzen, entschied er sich, Musik für das Gedicht »Epitaph« zu komponieren, das der kommunistische Dichter Yiannis Ritsos geschrieben hatte. Dieses Gedicht war inspiriert durch den blutigen 1. Mai 1936, als die Polizei Hunderte von Tabakarbeitern in Thessaloniki angriff und tötete. Ritsos und seine Poesie waren 1960 fast illegal, aber Mikis Theodorakis brachte eine LP heraus und schaffte damit den Durchbruch in die Öffentlichkeit und schockierte damit die intellektuellen Mainstream-Kreise.
1960er Jahre – Anerkennung in Griechenland
Man kann hier die Elemente erkennen, die seine Musik einzigartig machten: Er wählte Gedichte von berühmten Dichtern wie Georgios Seferis, Tasos Livaditis, Garcia Lorca und Odysseas Elytis aus und komponierte Musik, die Innovationen wie die Verwendung der Bouzouki einführte. Dies war das traditionelle Saiteninstrument. Er setzte auch Volksmusiksänger »einfacher Herkunft« ein. Das Ergebnis war prestigeträchtig. Es war eine Musik, die aus dem Volk stammte und zum Volk zurückkehrte. Auf diese Weise ist die Poesie keine »hohe Kunst« mehr, die den gebildeten Eliten vorbehalten ist, sondern sie hält Einzug in die Häuser der Arbeiterklasse und wird an den Arbeitsplätzen, bei Protesten und Konzerten gesungen. 1965 veröffentlichte Mikis Theodorakis »Mauthausen«, basierend auf den Texten des Holocaust-Überlebenden Iacovos Kampanellis. Man könnte sie als die beste Musik bezeichnen, die über den Holocaust geschrieben wurde.
Mikis Theodorakis war aktives Mitglied der EDA (der einzigen legalen linken Partei, da die kommunistische Partei verboten war). In den 1960er Jahren kam es zu einem Aufschwung des Klassenkampfs in Griechenland, und er gründete die Jugendorganisation »Demokratische Jugend Grigoris Lambrakis« (benannt nach einem Sportler und politischen Aktivisten, der 1963 von rechtsextremen Schlägern ermordet wurde) und wurde ihr erster Vorsitzender. Als gewählter Abgeordneter der EDA reiste er von Stadt zu Stadt, um mit seinen Ensembles aufzutreten und anschließend mit dem Publikum zu diskutieren. Junge Leute widersetzten sich den polizeilichen Verboten und nahmen an den Konzerten teil, so dass diese zu politischen Veranstaltungen wurden. Dieser Prozess steigerte sowohl sein politisches Verständnis als auch seine Kunst, die dialektisch mit der Volksbewegung verbunden war. In diesen Jahren wurde er weltweit bekannt, insbesondere nach dem internationalen Erfolg von »Zorba the Greek« (1964).
Aufstieg und Fall der Diktatur
Leider wurden die politischen Unruhen der 1960er Jahre durch den Militärputsch von 1967 zunichte gemacht, der Griechenland für sieben Jahre unter ein Militärregime stellte und Mikis Theodorakis eine neue wichtige Rolle einbrachte. Er gehörte zum kleinen Kreis derer, die schon Tag nach dem Putsch zum bewaffneten Widerstand aufriefen. Im Gegensatz zu den Führern der linken Parteien war er optimistisch, was die Möglichkeiten der Organisation gegen das Regime anging. Er zahlte den Preis für seine Haltung, aber er legte auch den Grundstein für die nächste Phase der Bewegung. Mikis Theodorakis wurde verhaftet, gefoltert, inhaftiert, unter Hausarrest gestellt, bevor er 1970 nach einer internationalen Kampagne nach Paris floh. Er war bereits berühmt. 1969 hatte er die Filmmusik für Kosta Gavras‘ »Z« geschrieben, einen Film über die Ermordung seines Freundes Lambrakis (siehe oben). Von Paris aus tourte er durch die Welt, gab Konzerte mit seiner Band und setzte sich für die internationale Solidarität mit Griechenland ein. Sein internationales Publikum fand er von Allendes Chile bis Palästina und von Castros Kuba bis London. Er schrieb Musik nach Texten von Pablo Neruda (Canto General, 1971), Film- und Fernsehmusik, insbesondere Gavras‘ »Belagerungszustand« und Sidney Lumets »Serpico« (1973) mit Al Pacino in der Hauptrolle als idealistischer Polizist.
Mit dem Sturz der Diktatur 1974 kehrte Mikis Theodorakis als Held nach Griechenland zurück. Das war eine Zeit der Wiedergeburt für die Arbeiterbewegung und die Linke. Tausende von Menschen strömten in die Stadien, um den Sieg des Widerstands zu bejubeln. Leider unterstützte Mikis Theodorakis zu diesem Zeitpunkt offen den neuen konservativen Ministerpräsidenten Karamanlis, indem er erklärte, dass die Wahl bei den Wahlen »entweder Karamanlis oder die Panzer« lautete! Er lag zu 100 Prozent falsch, denn die Dynamik der Bewegung, die die Diktatoren stürzte, war stark und links orientiert. Der Irrtum, dass die Rechte die Hüterin der Demokratie sei, bremste das Potenzial jener Zeit.
Es ist jedoch verständlich, denn im Zentrum von Mikis Theodorakis Denken stand sein Land, Griechenland, und zwar »Romiosyni« – nach einem dieser Alben – mehr als Nation denn als eine in Kapitalisten und Arbeiter geteilte Gesellschaft. Obwohl er sich kurzzeitig mit der Kommunistischen Partei (KKE) versöhnte, wurde der patriotische Gedanke allmählich zum vorherrschenden Konzept in seinem gesamten Schaffen. Dies führte zu Spannungen und Kontroversen. Mikis Theodorakis reiste in den Libanon, um die PLO und Jassir Arafat zu unterstützen, und verpflichtete sich, die palästinensische Nationalhymne zu schreiben. Aber er komponierte auch Musik zur Feier des Wahlerfolgs von François Miterrand in Frankreich. Er komponierte weiterhin alle Arten von Musikstücken, aber die Lieder, die er für seine Konzerte auswählte, stammten zweifellos hauptsächlich aus den 1960er und 1970er Jahren.
Wendung nach rechts
In den 1990er Jahren brachte seine politische Laufbahn Mikis Theodorakis in die Regierung des Rechtsaußen Konstantinos Mitsotakis. Obwohl diese Zusammenarbeit nicht von Dauer war, war sie eine große Enttäuschung für die linke Unterstützer:innenschaft, die sich verraten fühlte. Die Zusammenarbeit mit der Rechten wurde nicht von Mikis Theodorakis begonnen, sondern von der vereinigten »Synaspismos der Linken« im Jahr 1989, als sie eine Koalitionsregierung mit der rechten Partei bildete. Mikis Theodorakis hat diese Zusammenarbeit nicht erfunden, er hat nur die Strategien, die die reformistischen Parteien bereits praktiziert hatten, auf die Spitze getrieben.
In den folgenden Jahren hatte er einige brillante Momente, als er sich gegen die Kriege der Nato in Afghanistan (2001) und im Irak (2003) aussprach. Während der »Platzbewegung« von 2010 in Griechenland mischte er sich ein und gründete eine Initiative namens »Spitha« (Funke). Er hatte auch seine dunklen Momente, am bekanntesten ist seine Beteiligung an den nationalistischen Protesten gegen Nordmazedonien. Aber auf jeden Fall hat seine Rolle im politischen Leben abgenommen.
Zu wem gehört Mikis?
Das Leben von Mikis Theodorakis war voller Kontroversen und Zickzack-Kursen, aber sein musikalisches Werk war es nicht. Seine Lieder gehen darüber hinaus und stellen eine Art nationales und globales Erbe dar, sie sind große Kunst. Aber sie sind eine Kunst, die für die von unten spricht und gegen die von oben kämpft. Das ist der Hauptgrund, warum die Versuche der Rechten, an das Erbe von Mikis anzuknüpfen, illegitim sind. Linke mögen sich von manchen Positionen von Mikis enttäuscht gefühlt haben, aber sein Werk identifiziert sich mit einigen der wichtigsten Ereignisse des Klassenkampfes und der Linken in Griechenland, es ist eine Bereicherung für die Bewegung. Das ist der Grund, warum die Menschen während einer Demonstration spontan seine Lieder singen, und das ist die beste Art, sich von Mikis Theodorakis zu verabschieden. Nicht indem man ihn idealisiert, sondern indem man den Geist des Widerstands wiederbelebt, mit dem sie entstanden sind.
Mikis gehört zu uns
Dimitra Kyrillou ist eine griechische Sozialistin, die in Berlin lebt. Sie wurde in den Nationalrat von ANTARYSYA gewählt. Derzeit ist sie aktives Mitglied der LINKE Berlin Internationals.
Foto: Heinrich Klaff
Schlagwörter: Griechenland, Kultur, Musik