Obwohl bereits mehrere Menschen an der belarussisch-polnischen Grenze gestorben sind, halten die EU und der deutsche Staat am rassistischen Grenzregime fest und weigern sich Geflüchteten das Recht auf Asyl zu gewährleisten. Der siebzehnjährige Palästinenser Yousef ist vor Kurzem aus Syrien über Belarus und Polen nach Deutschland geflüchtet. Wir sprachen mit ihm über seine Erfahrungen und die dramatische Situation am östlichen Rand der Festung Europa
Hallo Yousef, in den Medien konnten wir in den letzten Monaten Bilder von der verheerenden Lage an der Grenze zwischen Belarus und Polen sehen. Du bist selbst kürzlich über die Grenze geflüchtet. Wie bist du überhaupt nach Belarus gekommen?
Ich bin wegen des Kriegs von Syrien in die Türkei geflüchtet. Nach einem Jahr bin ich dann legal mit dem Flugzeug nach Belarus geflogen.
Wie war die Lage in Belarus selbst?
Wir mussten einen ganzen Tag im Flughafen warten, bis wir von der Polizei die Erlaubnis bekamen, dass wir gehen dürfen. Wir mussten auf eine Person warten, die für uns das Visum beantragt hatte. Da wir Angst hatten, haben wir im Hotel auf das Auto gewartet, welches uns in die Nähe der polnischen Grenze bringen sollte.
»Unterwegs ist mein Vater ohnmächtig geworden«
Was hat euch dort erwartet?
Die belarussische Polizei hat den Stacheldraht aufgeschnitten, um uns nach Polen durchzulassen. Danach mussten wir über die polnische Grenze rennen. Es war sehr kalt. Die Wälder sind extrem dicht und deswegen war es sehr schwer, dort zu rennen, weil man sich verletzen konnte. Auf dem Weg habe ich meinen Vater und die Gruppe verloren. Ich hatte keine Internetverbindung und war ganz alleine. Ich habe irgendwann zwei Personen gefunden, die weinend auf dem Boden saßen.
Zum Glück hatte ich ab dem Moment wieder Netz und konnte mit dem Schleuser reden. Er hat mir den Treffpunkt im Wald in Polen geschickt. Nach einer Stunde habe ich den vereinbarten Treffpunkt erreicht. Die restliche Gruppe und mein Vater sind zum Glück auch dorthin gekommen.
Illegale Pushbacks nach Belarus
Wie ging es dann weiter?
Danach mussten wir ungefähr 17 Stunden lang laufen und wurden an der Grenze zu Deutschland abgeholt. Unterwegs ist mein Vater ohnmächtig geworden. Zum Glück ist er nach 20 Minuten wieder zu sich gekommen. Meine Tante ist auf dem Weg sozusagen verrückt geworden und hatte einen Nervenzusammenbruch. Wir hatten kein Wasser mehr und waren am Ende unserer Kräfte.
»Die polnische Polizei hat uns verfolgt«
Bist du mit der polnischen Grenzpolizei in Kontakt gekommen?
Die polnische Polizei hat uns verfolgt, als sie uns an der Grenze gesehen hat. Sie haben meine Tante und einen Mann, der nur ein Bein hat, festgenommen. Sie wurden zurück nach Belarus abgeschoben und im Wald ausgesetzt. Das war richtig schlimm. Wir hatten dann drei Tage keinen Kontakt mehr mit meiner Tante. Wir wussten nicht, wo sie war oder wo sie hingebracht wurde. Nach drei Tagen hat sie uns von dem Handy eines Mannes in Belarus aus geschrieben. Sie versuchte dann nochmals über die Grenze zu flüchten. Diese unmenschliche Situation ist leider Alltag für die Geflüchteten an der Grenze zu Polen.
Jetzt, wo du in Deutschland bist, wie ist die Situation hier für dich?
Bis jetzt geht es einigermaßen. Erst wenn mein Aufenthalt gesichert ist, kann ich mehr dazu sagen. Ich warte noch auf den Asylbescheid.
»Es ist sehr unmenschlich«
Wie geht es den Menschen, die du kennst, die zurückgeblieben sind?
Meine Mutter wartet noch in der Türkei, weil die Flucht über Belarus für sie viel zu gefährlich gewesen wäre. Wir haben noch Familie in Syrien, der es aufgrund des Kriegs sehr schlecht geht.
Was denkst du über die Reaktion des deutschen Staates, die Grenze noch mehr zu kontrollieren, anstatt geflüchtete Menschen, die an der belarussisch-polnischen Grenze ausharren, aufzunehmen?
Ich kann nur sagen, dass es sehr unmenschlich ist, Menschen, die aus Verzweiflung hierher fliehen, sterben und erfrieren zu lassen.
Schluss mit der Unterstützung von Kriegen
Hast du Forderungen an den deutschen Staat?
Meine Forderung ist, dass keine Kriege finanziell oder politisch unterstützt werden dürfen. Waffenexporte und militärische Besatzung müssen beendet werden. Damit sind die neuen Formen der Rechtfertigung der Kolonialisierung von Ländern gemeint. Sie haben eine ganze Region destabilisiert und Millionen von Menschen sind ins Elend gestürzt, in jeder Hinsicht.
Anstatt die sofortige Aufnahme aller geflüchteten Menschen an der belarussisch-polnischen Grenze zu fordern, haben die Parteichefs der Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck, in einer gemeinsamen Erklärung gesagt, sie wollen durch eine Informationskampagne in den Herkunftsländern Geflüchtete davon abbringen, über Belarus nach Europa zu kommen. Was denkst du darüber? Hätte eine solche Kampagne dich von der Flucht abgehalten?
Das ist völliger Schwachsinn. Sie sollten lieber aufhören, Kriege zu führen oder zu beginnen oder sich da einzumischen. Man kann Menschen, die für sich keine Zukunft mehr sehen, nicht mit einer Informationskampagne zurückhalten.
Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft.
Interview: Helena Zohdi und Wessam A.
Foto: Kancelaria Premiera
Schlagwörter: Abschottung, Belarus, Festung Europa, Flucht, Rassismus