Der Parteitag hat ein klares Zeichen in der Debatte über Migrationspolitik und Antirassismus gesetzt. Von marx21
Mit überwältigender Mehrheit wurde der Leitantrag verabschiedet. Er beinhaltet das Bekenntnis zu offenen Grenzen und sozialer Gerechtigkeit für alle. Damit bestätigte der Parteitag die Linie des Bundestagswahlprogramms, die Sahra Wagenknecht ja bereits am Wahlabend öffentlich infrage gestellt hatte. Der Leitantrag definiert neben sozialen Schwerpunkten und Frieden den Kampf gegen rechts als einen von mehreren Arbeitsschwerpunkten.
Der Parteitag war zugleich Kick-off für die Kampagnenschwerpunkte mehr Personal in Gesundheit und Pflege und bezahlbarer Wohnraum. Insgesamt hat sich in den vergangenen Jahren eine stärkere Orientierung auf konkrete Bewegungen für die Interessen der Lohnabhängigen in der Partei durchgesetzt. Dass sich jeder zweite Redebeitrag positiv auf Klassenpolitik bezogen hat, ist eine deutliche Linksverschiebung im Diskurs.
Zudem wurde ein weiterer Antrag zum Kampf gegen rechts mit großer Mehrheit angenommen. Im Frauenplenum beschlossen die Teilnehmerinnen, entsprechend dem Bundestagswahlprogramm sich für das Recht auf öffentliches Bekenntnis zu einer Religion und gegen das Verbot religiös motivierter Bekleidung – wie das Kopftuch – auszusprechen. Auch das ist ein wichtiger Schritt in einer zunehmend polarisierten gesellschaftlichen Debatte, in der das Feindbild Islam neben dem Feindbild »Flüchtlinge« nicht nur von der AfD immer weiter aufgebaut wird.
Nur eine Handvoll Delegierte unterstützten sowohl in der Generaldebatte als auch in der Debatte über Einwanderung und der spontan eingebrachten und beschlossenen Debatte nach Sahra Wagenknechts Rede deren zugespitzte Position. Sie hatte durch ihr wiederholtes Eintreten für eine Beschränkung der Zuwanderung für großen Unmut in der Partei gesorgt. Ihre Positionen sind nicht hilfreich, um sich der rechten Erzählung, dass Merkel durch »unkontrollierte Zuwanderung« den sozialen Zusammenhalt gefährde, entgegenzustellen – etwa, wenn Sahra sagte »es können ja nicht alle kommen« oder wenn sie sich für die Begrenzung von Arbeitsmigration ausspricht, um Einheimische vor Dumpinglohnkonkurrenz zu schützen. Dieser Ansatz, die Arbeitsmigranten selbst zum Problem zu erklären, ist falsch, denn er spaltet die Lohnabhängigen. Vielmehr ist es die Aufgabe der Linken, die Solidarität für den gemeinsamen Kampf herzustellen. Das bedeutet, gegen die Entrechtung der Arbeitsmigrantinnen und Migranten einzustehen und mit ihnen für gleiche Rechte und höhere Löhne zu kämpfen, anstatt sich auf einen Begrenzungsdiskurs einzulassen. Bemerkenswerterweise hat auch Gregor Gysi in seiner Rede auf dem Parteitag diesen Ansatz aufgegriffen, als er in Richtung von Sahra Wagenknecht den Internationalismus als einen zentralen Markenkern der LINKEN hervorhob: »Unser Kampf muss sich nicht darauf richten, Niedriglohnkonkurrenz durch Begrenzung von Arbeitsmigration auszuschließen, sondern darauf, die Löhne für alle zu erhöhen.«
Insgesamt hat der Parteitag die politische Linie des Parteivorstandes in großer Breite getragen.
Am Vortag hatte der Parteivorstand mit 32 Ja-Stimmen, 2 Gegenstimmen und 3 Enthaltungen einen Antrag angenommen, mit dem die Bundestagsfraktion aufgefordert wird, keinen Untersuchungsausschuss zu den Vorgängen am Bremer BAMF einzubringen. Das war nötig geworden, weil die Fraktionsspitze in der Öffentlichkeit die Einrichtung eines solchen, der Wasser auf die Mühlen der Rassisten wäre, offengehalten hatte.[emaillocker]
DIE LINKE entwickelt sich zu einer selbstbewussten Mitgliederpartei
Das hohe Maß der Beteiligung an Debatten wie auch klare Worte an die Fraktionsspitze haben gezeigt: Die Parteimitglieder fordern Debatten ein und machen ihren Standpunkt deutlich. Die Delegierten sprengten an zwei Stellen die Parteitagsregie: sie setzten die Beschneidung der Redezeit für Prominente und die Debatte über Sahras Rede durch. Auch wenn es ein festes Lager auf der Seite Sahras gibt, das unverbrüchlich zu ihr hält, haben auch viele, die keinem Lager zuzuordnen sind, die Forderung gestützt, dass die Fraktion sich an die Positionen der Partei halten muss. An die 90 Wortmeldungen für die Generaldebatte und spontan 100 Wortmeldungen für die Debatte nach Sahras Rede zeigen die Lebendigkeit der Partei und das Einfordern einer klaren Haltung und gemeinsamen Agierens von der Führung.
Die sogenannte Sammlungsbewegung, die Sahra Wagenknecht ins Leben rufen möchte, war kein offizielles Thema auf dem Parteitag, aber natürlich war sie dennoch im Raum. Der Parteitag hat Mut gemacht, dass es viele gibt in allen Teilen der Republik, die eine selbstbewusste Mitgliederpartei wollen und die eine Sammlungsbewegung, die vorbei an den Strukturen und Debatten in der LINKEN organisiert wird, zumindest skeptisch sehen.
Die alten politischen Strömungen brechen auseinander
Die Debatte über Migration und Rassismus hat die großen politischen Strömungen zerrissen. Das ist auch nicht verwunderlich, treibt doch die Debatte über den Umgang mit dem Rechtsruck und der AfD nicht nur die LINKE um, sondern das gesamte politische Spektrum genauso wie außerparlamentarische Bewegungen.
Diese Auseinandersetzung hat inzwischen fast alle großen Strömungen in der LINKEN erfasst, vor allem die Antikapitalistische Linke (AKL), die Sozialistische Linke (SL) und das Forum demokratischer Sozialismus (FdS).
Der Konflikt wegen Sahra Wagenknechts Positionen zur Einwanderung wurde in der Öffentlichkeit lange reduziert auf einen „Zickenkrieg“ zwischen ihr und Katja Kipping. Zum einen, weil das in eine mediale Inszenierung reinpasst, und zum anderen, weil diese Position gestützt wurde von einem Machtbündnis in der Bundestagsfraktion, dem »Hufeisen«, zwischen den engsten Anhängern von Dietmar Bartsch einerseits und Sahra Wagenknecht andererseits, die aus den parteiinternen Strömungen AKL, SL und FdS stammen. Dieses Machtbündnis besteht aus Wahlabsprachen: Zum Beispiel wurde Stefan Liebich aus dem »Bartsch-Lager« zum außenpolitischen Sprecher gewählt, weil er von Leuten um Wagenknecht mitgewählt wurde, und Sevim Dağdelen aus dem »Wagenknecht-Lager« wurde zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, weil Leute um Dietmar Bartsch das im Gegenzug mitgetragen haben. Diese Deals gibt es auch auf inhaltlicher Ebene. Das Bartsch-Lager schweigt zu Sahras Position zur Einwanderung, das Wagenknecht-Lager trägt beispielsweise im Gegenzug den umstrittenen grün-linken Antrag zu 70 Jahre Israel mit, der an der Fraktion vorbei eingefädelt wurde.
Vor dem Hintergrund der selbstbewussten inhaltlichen Positionierung des Parteitags, kam das Hufeisen erstmalig nach außen wahrnehmbar in die Bredouille: als zum Beispiel die FdS-Sprecherin Luise Neuhaus-Wartenberg und Zaklin Nastic, die sich fast immer auf der Seite des Hufeisens positioniert, in eine Stichwahl kamen, die Nastic dann für sich entschied.
Diese Konstellation hat zu Erosionsprozessen und Verwerfungen in den formellen Strömungen der Partei geführt. Im Reformerspektrum gibt es eine Absetzbewegungen vom FdS, wie die Austrittserklärung von Udo Wolf, Sandra Brunner und anderen kurz vor dem Pateitag zeigten. Auf dem linken Flügel ist als Ausdruck der Neugruppierung der Strömungen mit der »Bewegungslinken« ein neuer Akteur entstanden, der auf dem Parteitag eigene Akzente setzte.
Ohne dass alte politische Widersprüche – zum Beispiel bezüglich Regierungsbeteiligung oder EU – verschwunden wären, rücken die nach der Position zu Einwanderung und Antirassismus sowie zum Parteiverständnis in den Vordergrund. Das ist der politische Konflikt, und nicht der Streit zwischen zwei Frauen an der Spitze.
Klare Erwartungen an Partei- und Fraktionsspitze
Der Parteitag hat dem Vorstand und der Fraktionsspitze ein klares Arbeitsprogramm und eine eindeutige Aufforderung mitgegeben:
- Setzt die beschlossenen Positionen und Schwerpunkte, die sich ja nicht nur auf die Migrationspolitik beziehen, um.
- Zieht an einem Strang und tragt Differenzen in den Gremien der Partei aus und nutzt nicht euren privilegierten Zugang zu den Medien, um andere Positionen als die der Partei zu vertreten.
Entsprechend haben Kipping, Riexinger, Bartsch und Wagenknecht am Ende des Parteitages ein eindeutiges Signal ausgesendet.
Dass Sahra Wagenknecht und ihre Anhänger nun im Nachklang des Parteitags das Ergebnis und auch die inhaltlichen Beschlüsse uminterpretieren und den Kurs als Bestätigung ihrer Position auslegen, darf ihnen die Partei nicht durchgehen lassen.
Ebenso wenig wie Ablenkungsmanöver wie das von Alexander Neu, der gleich einen Tag nach dem Parteitag zum Angriff auf Katja Kipping ausholt und ihr fälschlicherweise unterstellt, sie würde der Niedriglohnarbeit von Arbeitsmigranten das Wort reden.
Ein Delegierter wies richtigerweise darauf hin, dass, wenn wir die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner wieder auf die Felder lenken wollen, für die wir im besonderen Maße stehen – und das ist neben dem Antirassismus die soziale Frage und das Thema Krieg und Frieden – dann dürfen die Positionen der Partei nicht weiter von der Fraktionsspitze her infrage gestellt werden. Denn dies provoziert die Debatte.
Neben der weiteren inhaltlichen Debatte in der Partei brauchen wir jetzt Schritte in der Entwicklung der Kampagnen: Fokus der Partei auf die Umsetzung der Mieten- und Pflegekampagne. Unterstützung der Kreisverbände beim Aufbau und der Integration neuer Mitglieder, Mobilisierung gegen die AfD und die sozialen Missstände und natürlich die Unterstützung der Landtags- und Kommunalwahlen in den nächsten Monaten.
Das sollten wir von allen Funktions- und Mandatsträgerinnen und -trägern einfordern.[/emaillocker]
Schlagwörter: Arbeitsmigration, Bundesparteitag, DIE LINKE, Flüchtlingsdebatte, Migrationspolitik, Parteitag, Sahra Wagenknecht, Wagenknecht