Nach den Massenprotesten zum dritten globalem Klimastreik steht die Klimabewegung vor der Frage, wie es weitergehen kann. Wie können wir gewinnen? Bringt Protest auf der Straße überhaupt etwas oder sind der Bundesregierung solche Demonstrationen egal? Brauchen wir Neuwahlen? Müssen wir es radikaler angehen und wie könnte das aussehen? Wer sind unsere potenziellen Verbündeten und wer die Gegner? Ein Kommentar der marx21-Redaktion
Die gute Nachricht vorab: Es geht weiter! Am 29. November wird der nächste Klimastreik in Deutschland stattfinden. Fridays for Future ruft wieder alle auf die Straße. Der Freitag ist gut gewählt, denn am 2. Dezember beginnt in Chile die Weltklimakonferenz und alle Aufmerksamkeit der Medien wird (mal wieder) auf dem Klimathema liegen (Lies hier ein Interview über die aktuellen Proteste in Chile). Die Enttäuschung über das Klimapaket der Großen Koalition kann den Protesten in Deutschland weiteren Auftrieb geben. Nach einer Studie des Umweltbundesamtes ist der Anteil der Menschen, die meinen, die Bundesregierung macht beim Klimaschutz genug oder eher genug, gegenüber 2016 um 20 Prozentpunkte zurückgegangen und beträgt gerade einmal noch 14 Prozent. Die Einschätzung, dass die Industrie genug tut, ist von 15 auf lediglich 8 Prozent gesunken.
Die Klimabewegung und Neuwahlen
Doch welche Forderungen sollte die Bewegung nun ins Zentrum stellen? Darüber herrscht Uneinigkeit. Die Kampagnenorganisation Campact schlägt vor, dass sich die Bewegung jetzt für Neuwahlen einsetzen sollte. Campact-Vorstand Christoph Bautz schreibt: »Was können wir jetzt ganz konkret tun? Die GroKo abtreten lassen. Eine vorgezogene Bundestagswahl zur Klimawahl machen. Und dann mit ambitionierten Grünen an der Regierung und einer Klimabewegung auf den Straßen die sozial-ökologische Transformation durchsetzen – das klingt doch nach einem Plan.« Ja! Das klingt nach einem Plan. Aber ist er auch der richtige? Wir meinen: Nein, es ist eine Sackgasse, denn die Gleichung »Grüne an die Macht für mehr Klimaschutz« geht nicht auf (Lies hier den marx21-Artikel »Wie die Grünen wurden, was sie sind«).
Mehr CO2-Emissionen unter einem grünen Ministerpräsidenten
Der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, ist seit 2011 an der Regierung im Ländle. Das Bundesland beheimatet mit EnBW, Daimler, Porsche oder Heidelberg Zement wahre CO2-Monster. Haben die Grünen in ihrer nunmehr achtjährigen Regierungszeit die Klima-Monster gezähmt und die CO2-Emissionen in Baden-Württemberg senken können? Nein, die Emissionen sind sogar gestiegen. Bei Regierungsübernahme von Kretschmann lagen die Treibhausgas-Emmissionen bei 77,6 Millionen Tonnen. Im Jahr 2017 waren es bereits 78,7 Millionen Tonnen. Also: Mehr CO2-Emissionen unter einem grünen Ministerpräsidenten.
Sozial-ökologische Reformen unter einer linken Regierung?
Die Grünen sind weder ein Garant dafür, dass es beim Klimaschutz vorwärts geht, noch ein verlässlicher Partner, wenn es um das »Soziale« geht. Die Perspektive, über Regierungshandeln eine sozial-ökologische Transformation und damit wirkliche Veränderungen zu erreichen, scheint vielleicht einfach, ist aber verhängnisvoll. Schon die letzte rot-grüne-Bundesregierung von 1998 bis 2005 hat in allen Belangen, sozial wie ökologisch, gnadenlos versagt. Auch die bittere Bilanz der Regierungsbeteiligung der LINKEN in Brandenburg zeigt die Grenzen dieser Strategie (Lies hier den marx21-Artikel »Brandenburg: DIE LINKE als Kohlepartei?«). So wurde die Genehmigung für den neuen Tagebau Welzow-Süd-2 unter Beteiligung der LINKEN erteilt. In Hamburg genehmigte im Jahr 2008 die grüne Umweltsenatorin gegen den Willen ihrer Partei das Kohlekraftwerk Hamburg-Moorburg. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Die Klimabewegung muss lernen Forderungen zuzuspitzen
Es gibt aber andere »Machtoptionen« für die Bewegung, als darauf zu setzen, die Farbe der Regierung zu wechseln. Um zu gewinnen, muss die Bewegung sich weiter politisieren, vertiefen, lokal verankern. Dazu gehört auch, die Forderungen zuzuspitzen: Wenn die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland und weltweit schnell sinken sollen, dann müssen wir als allererstes so schnell wie möglich aus der Kohle aussteigen – das Haupt-CO2-Monster.
Abschaltung der 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke jetzt!
Der von der Regierung verabschiedete »Kohlekompromiss« ist aber innerhalb der Bewegung längst nicht das Hauptthema. Zwar ist die Notwendigkeit des Kohleausstiegs unumstritten, wir müssen aber als Bewegung die Regierung an der Frage des »Kohlekompromisses« viel stärker unter Druck setzen. Die Forderung nach Abschaltung der 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke sollte deswegen eine der Hauptforderungen der nächsten Protesttermine werden. Die Kohlekraftwerke machen 25 Prozent der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland aus. Die Aktionen von »Ende Gelände«, die vom 29. November bis 1. Dezember 2019 mit Massenaktion des zivilen Ungehorsams im Lausitzer Braunkohlerevier die Kohleinfrastruktur symbolisch blockieren wollen, sind ein guter Ansatzpunkt, auf genau diese Forderungen aufmerksam zu machen. Antikapitalismus in die Bewegung tragen, heißt, das Fadenkreuz auf die Konzerne zu legen.
Straßenprotest, ziviler Ungehorsam und Streiks der Klimabewegung
Darüber hinaus müssen wir uns als Bewegung vertiefen. Wir haben mit den fossilen Konzernen mächtige Gegner. Die Klimabewegung braucht eine Kraft in sich, die diesen Gegner auch in die Knie zwingen kann. Straßenproteste und Massenaktionen des zivilen Ungehorsams sind wichtig, um als Bewegung sichtbar zu werden und Anstöße zu geben. Manchmal reicht diese Protestform auch, um einzelne Forderungen durchzusetzen.
Ein Teil der Regierenden ist sichtlich nervös
Und ja: Ein Teil der Regierenden ist sichtlich nervös aufgrund unserer anhaltenden Massenproteste. Die zunehmenden Attacken auf Greta Thunberg sind ein Ausdruck davon. Aber die Bewegung zu vertiefen, bedeutet, dass die Klimabewegung in die Lage kommen muss, einen wirklichen Streik zu organisieren oder zu unterstützen – also einen Streik, der den Konzernen und Regierungen echten wirtschaftlichen Schaden zufügt und so den Druck erhöht. Die Beteiligung der Gewerkschaften am Klimastreik ist vor diesem Hintergrund nicht nur bemerkenswert, sondern für die Zukunft der Bewegung zentral.
Die Klimabewegung und die Tarifrunde im öffentlichen Nahverkehr 2020
Wie könnten diese zarten Bande zwischen Gewerkschaftsbewegung und Klimabewegung gestärkt werden? Im Sommer 2020 beginnt die Tarifrunde im öffentlichen Nahverkehr. Es ist für die Klimabewegung eine Chance, die Beschäftigten für sich zu gewinnen und gemeinsam für einen massiven Ausbau des ÖPNV zu streiken. Denn das ist neben der Abschaltung der 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke die zweite wichtige Forderung, auf die sich die Bewegung konzentrieren sollte. Warum? Weil die Bewegung hier die Möglichkeit hat, sich lokal zu verankern. Der Nahverkehr ist Sache der Kommunen und Städte. Jeder und jede braucht einen gut ausgebauten ÖPNV. Gleichzeitig verursacht der Verkehrssektor 20 Prozent der CO2-Emissionen. An einem massiven Ausbau des Nah- und Fernverkehrs kommt niemand vorbei und die Klimabewegung hat einen mächtigen Partner: Anders als im Kohlebergbau, vertritt hier die Beschäftigten nicht die konservative IGBCE, sondern ver.di.
Tous ensemble: Klimaaktive und Gewerkschaften sind ein starkes Team
Die Gewerkschaft plant schon jetzt, das Klimathema in der Tarifauseinandersetzung mitzudenken. Was liegt näher, als dass die Klimabewegung sich nicht nur solidarisch mit den Beschäftigten erklärt, sondern echte Unterstützung organisiert. In jeder größeren Stadt wird es Warnstreiks und vielleicht sogar Streiks geben. Gemeinsame Bündnisse vor Ort mit den Nahverkehrsgewerkschaften, Parteien, Verbänden und Initiativen, die für einen Ausbau des Nahverkehrs, bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne kämpfen – das ist ein ganz anderer Plan für eine sozial-ökologische Transformation als die Hoffnung auf eine andere Regierungspolitik. Ob er aufgeht? Wir können es jetzt ausprobieren.
Klimastreikwoche vom 25. bis 29. November 2019
Dafür gilt es, jetzt vor Ort Kontakte zu knüpfen und Solidaritätsnetzwerke aufzubauen. Eine weitere Gelegenheit dazu gibt es in der Woche vor den nächsten Großdemonstrationen am 29. November. So planen die Studierenden von Students for Future, den Klimastreik an die Hochschulen zu bringen und ab dem 25. November für eine Woche die Fachhochschulen und Universitäten zu bestreiken. Der Hochschulbetrieb soll Kopf stehen: Klimabildung für alle, statt Studium nach Lehrplan – vielleicht mit einem Grußwort von einer Busfahrerin in deiner Stadt! In diesem Sinne: Tous ensemble!
Schlagwörter: Klima, Klimabewegung, Klimaschutz