Der Kohleausstieg in Deutschland geht viel zu langsam, weil Konzerne wie RWE den Klimaschutz torpedieren. Die Handschrift der Kohlelobby findet sich überall. Von Hubertus Zdebel
Der jüngst verabschiedete Abschlussbericht der Kohlekommission trägt eindeutig die Handschrift der Kohlelobby im Speziellen und der Wirtschaftslobby im Allgemeinen. Gemessen an den Pariser Klimazielen beginnt der Ausstieg zu zaghaft und endet zu spät. Weder ist der Erhalt des Hambacher Waldes gesichert, noch sind die absurden Umsiedlungen weiterer Dörfer vom Tisch. (Hier der gesamte Bericht)
Eine staatliche Profitgarantie
Durch die vom Bund vollkommen ohne Not gewährten »Abwrackprämien für marode Meiler« können sich RWE und Co. auf eine staatliche Profitgarantie für die nächsten Jahrzehnte freuen. Den Konzernen ist das Steuergeschenk in Milliardenhöhe indes nicht genug, weshalb RWE-Chef Rolf Martin Schmitz prompt mit einem »signifikanten Stellenabbau« bis 2023 droht.
Dabei verspricht der Abschlussbericht der Kommission: »Betriebsbedingte Kündigungen werden verhindert und den Beschäftigten entstehen keine unbilligen sozialen und ökonomischen Nachteile.« RWE wird nicht müde sich als finanzieller Verlierer des Kohleausstiegs zu inszenieren. In einer Stellungnahme klagt der Konzern über »gravierende Folgen« für das eigene Geschäft.
Das finale Ausstiegsdatum 2038 sei »deutlich zu früh«. Hierzu lassen sich allerdings schon ganz anders lautende Stimmen von Banken und Finanzmarktanalysten hören, die die Ergebnisse der Kohlekommission für RWE deutlich positiv bewerten. Die üppigen Kompensationszahlungen, der mit dem Ausstiegsdatum klare zeitliche Rahmen, sowie eine Absicherung vor Milliardenkosten bei Stilllegung von Tagebauen und Kraftwerken, hat sogar den Aktienkurs steigen lassen. Das Handelsblatt stellt fest: »Erleichtert registrieren die Investoren (…), dass die Kohlekommission sich darauf festlegte, dass die Unternehmen nicht enteignet, sondern einvernehmlich entschädigt werden. Die Energiebranche könnte so einen guten Schnitt machen – und daran ihre Aktionäre über steigende Dividenden teilhaben lassen.«
Finaler Kohleausstieg 2038?
Erfreulich dürfte für die Kohlekonzerne ferner die freie Interpretation der »Empfehlungen« im Bericht der Kohlekommission sein, denn das finale Ausstiegsdatum 2038 wurde jüngst von Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus torpediert, als er deutlich längere Laufzeiten ins Spiel brachte, natürlich einzig und allein um die »Versorgungssicherheit« zu garantieren.
Die Formulierungen, dass der Erhalt des Hambacher Walds »wünschenswert« wäre und die vom Kohleabbau bedrohten Siedlungen erhalten bleiben könnten, bestätigte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) in seiner jüngsten Regierungserklärung zwar. Er hatte aber keinerlei Strategie parat, wie er als verantwortlicher Politiker genau dies über das Jahr 2020 hinaus erreichen will.
Nur bis dahin hat RWE einen Rodungsstopp zugesagt. Dabei könnte die NRW-Landesregierung über eine neue Leitentscheidung für das Rheinische Revier auch gegen den Willen des Kohlekonzerns den Erhalt des Hambacher Waldes und der bedrohten Dörfer problemlos durchsetzen.
Sonderwirtschaftszonen an Rhein und Lausitz
Für die Kapitalseite ist im Bericht der Kohlekommission zudem noch ein besonderes Schmankerl versteckt. In den Maßnahmen- und Projektlisten zur Strukturentwicklung für das Rheinische Revier in NRW und der Lausitz werden sogenannte Sonderwirtschaftszonen erwähnt. Laut einer Pressemitteilung der DPA geht es darum, »die bisherigen hochqualifizierten und gut bezahlten Jobs in der Kohle mittel- und langfristig zu ersetzen. Deswegen soll es auch Investitionsanreize für Unternehmen geben, sich etwa in der Lausitz anzusiedeln«.
Solche »Anreize« könnten nach Einschätzung der Kommission diese Sonderwirtschaftszonen schaffen. Die Idee ist nicht neu. Sie wurde während des Siegeszugs des Neoliberalismus in den 1980ern für NRW und nach der Wende für die gesamten Ost-Bundesländer diskutiert. Nachdem der Aufschwung Ost ausgeblieben war, kündigte der damalige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) 2004 sogar einen entsprechenden Gesetzentwurf an, der jedoch aufgrund von Bedenken über die Vereinbarkeit mit EU-Recht nicht realisiert wurde. Karl Brenke, Ostdeutschland-Experte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, kommentierte die Pläne damals in der Berliner Zeitung folgendermaßen: »Das Stichwort Sonderwirtschaftszone wird immer wieder genannt, wenn man nicht mehr weiter weiß.«
Griff in die neoliberale Mottenkiste
Aus sozial-ökologischer Perspektive wirft dieser abermalige Griff in die neoliberale Mottenkiste ein fatales Licht auf die Kohlekommission. Was sagt dieses an den Thatcherismus erinnernde Vorhaben über die allseits beteuerte »Sozialverträglichkeit« des Strukturwandels aus? Bereits die früheren Versuche zielten darauf, »das Gründerklima des 19. Jahrhunderts oder der 1950er Jahre künstlich wiederherzustellen«, in dem ein »Unternehmerparadies geschaffen wird, in dem lästige Gesetze außer Kraft« gesetzt sind und »Arbeit und Kapital dann dem völlig freien Spiel der Kräfte« überlassen werden.
Staatliche Investitionen bräuchte es gemäß dieser marktradikalen Theorie nicht, wenn nur »unternehmerische Investitionsanreize steuerlicher Art« gesetzt und diese »mit weitgehenden Befreiungen von staatlichen Auflagen« gekoppelt würden. Deutlich wird: Die Wirtschaftslobby kokettiert beim Kohleausstieg mit der weiteren Aushöhlung des Sozial-, Arbeits- und Umweltrechts. Und das alles – so muss man leider feststellen – bei Zustimmung der Umweltverbände. Anstatt RWE und Co. für den Strukturwandel zur Kasse zu bitten, schmiedet die herrschende Politik Pläne für deregulierte Unternehmerparadiese und offensichtlich auch für Kürzungen im Bundeshaushalt an anderen Stellen. Laut Spiegel vom 2.2.2019 will Finanzminister Olaf Scholz (SPD) die Kosten des Kohlekompromisses von rund 80 Milliarden Euro bis 2038 durch Einsparungen und Umschichtungen im Bundeshaushalt aufbringen.
Arbeitsplätze und das Wohl der Kumpel
Der PR-Abteilung von RWE ist es gemeinsam mit der Industriegewerkschaft IGBCE gelungen, den klimapolitisch dringend erforderlichen Kohleausstieg innerhalb der Belegschaften als Verrat an der »Lebensleistung« der Kumpel erscheinen zu lassen. Betrachtet man die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen in der Kohlebranche, dann findet der Ausstieg allerdings längst statt. Bislang blieb er jedoch unkontrolliert der »Anarchie des Marktes« überlassen. Lediglich noch rund 20.000 Beschäftigte arbeiten in der deutschen Braunkohleindustrie. 1990 waren es im Vergleich dazu 130.000 Menschen. Im Jahr 2030 dem von der LINKEN anvisierten finalen Ausstiegsdatum, werden die meisten Kohlekumpel bereits im Rentenalter oder kurz davor sein.
Eine klassenbewusste LINKE hat dafür zu streiten, dass die betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter – und nicht die Konzerne – gut abgesichert werden. Den Konzernen sind Frühverrentungen, Umschulungen und Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich abzutrotzen. Wo dies nicht gelingt, kann der Staat zur Not unterstützend eingreifen. Primär sollten Bund und Länder sowie die Gewerkschaften jedoch daran interessiert sein, dass die Konzerne selbst für die Folgekosten des Ausstiegs aufkommen. Schließlich haben sie zuvor jahrelang satte Profite erzielt und die Energiewende verschleppt. Es ist ein fataler Irrglaube, dass es RWE jemals um das Wohl der Kumpel gegangen wäre.
Schulterschluss zwischen Arbeit und Kapital
Wie jedes andere kapitalistische Unternehmen auch behandelt der Konzern seine Belegschaft als das notwendige Menschenmaterial zur Produktion von Mehrwert. Anstatt dieses Ausbeutungsverhältnis zu skandalisieren, praktiziert die IGBCE ganz offensiv den Schulterschluss zwischen Lohnarbeit und Kapital. Besonders ihr Chef Michael Vassiliadis, der auch Mitglied der Kohlekommission war, verschleiert den Klassengegensatz durch seine Lobgesänge auf die sogenannte »Sozialpartnerschaft«. Wenn er sich in der Debatte zu Wort meldet, dann richten sich seine Forderungen fast ausschließlich an die Politik und kaum an RWE und Co. Er sieht sich nicht als Gegner von RWE-Chef Schmitz, sondern als dessen Kollege und Partner.
Das riesige Bohei um den Braunkohleausstieg lässt sich nicht allein durch die vergleichsweise geringen Beschäftigtenzahlen erklären. Zum Vergleich: Deutschlandweit arbeiten rund 330.000 Beschäftigte im Bereich erneuerbarer Energien. Sondern es kommt hinzu, dass sowohl die Konzerne als auch die Gewerkschaften sich als Opfer eines politischen Eingriffs von außen begreifen.
Die Kapitalseite und ihre Verbündeten in der Politik, allen voran die FDP, versuchen beim Kohleausstieg ein planwirtschaftliches Schreckgespenst an die Wand zu malen, das jeglichen Realitätsbezug verloren hat. Dass sich die IGBCE an die Seite der Konzerne stellt, sagt einiges über den Stand des gewerkschaftlichen Klassenbewusstseins aus. Selbst rein systemimmanent müsste es im Interesse der Beschäftigten und der Gewerkschaften sein, dass in den Revieren möglichst frühzeitig zukunftsträchtige Jobperspektiven entstehen, anstatt die Regionen sehenden Auges vor die Wand zu fahren.
Vergesellschaftung der Energieversorgung
Dies hieße aus Sicht der LINKEN insbesondere auch, sich nicht länger von RWE und Co. die Bedingungen des Strukturwandels diktieren zu lassen, sondern Wege in Richtung Vergesellschaftung der Energieversorgung einzuschlagen. Will DIE LINKE eine antikapitalistische Partei und nicht bloß die neue Sozialdemokratie sein, dann hat sie sowohl beim Kohleausstieg wie auch auf anderen Politikfeldern stets zwei Perspektiven miteinander zu verbinden: Die Interessensvertretung der lohnabhängig Beschäftigten im Kapitalismus – also Sicherung der Arbeitsplätze – ebenso wie die grundsätzliche Kritik am Kapitalismus, der auf dem Antagonismus von Lohnarbeit und Kapital beruht.
Nicht die Klimaschützerinnen und Klimaschützer bedrohen die Existenz der Beschäftigten, sondern das Kapital mit seinem Drang nach unendlicher Kapitalverwertung auf Kosten von Mensch und Natur. Aus klimapolitischer Perspektive und auch aus der Perspektive der noch beschäftigten Kumpel lassen die Beschlüsse der Kohlekommission zu viele Fragen offen. Weitere Verzögerungen beim Klimaschutz sind nicht akzeptabel. Der weltweite CO2-Ausstoß hat 2018 ein neues Rekordhoch erreicht. Nach derzeitigem Stand ist bis Ende des Jahrhunderts mit einer Erderwärmung von über 3 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu rechnen. Gleichzeitig drohen mit dem Kohlekompromiss auch für die Kumpel unsichere Zeiten. Damit sich wirklich etwas ändert, ist weiterer Druck – insbesondere der Klimabewegung – erforderlich.
Schlagwörter: Inland, Klima, Klimabewegung, Kohle, Kohleausstieg