Das Ringen um die Rodung im Hambacher Forst berührt die Eigentumsfrage. Von Hubertus Zdebel
Dieser Artikel ist ein Vorabveröffentlichung aus dem neuen marx21-Magazin. Das Heft erscheint am 13. Oktober. Bestelle noch bis zum Dienstag, den 9.10.2018 Dein Abo und du bekommst die erste Ausgabe geschenkt. Das Magazin erscheint fünf Mal im Jahr und kostet 5 Euro pro Ausgabe inklusive Verschickung. Du kannst das Abonnement jederzeit und ohne Angabe von Gründen kündigen.
Der Hambacher Forst ist zum wichtigsten Symbol im Kampf für Klimaschutz, einen raschen Kohleausstieg und gegen die kapitalistische Ausbeutung von Mensch und Natur geworden. Seit 1978 wird hier einer der ältesten Mischwälder Europas vom Kohlekonzern RWE gerodet. Von einst 5500 Hektar Wald ist weniger als ein Zehntel übrig. Seit 2012 wurde er mehrfach besetzt. Die Proteste sind eindeutig antikapitalistisch orientiert (Lese hier einen Artikel von Naomi Klein zur Frage: »Um den Klimawandel zu bekämpfen, müssen wir den Kapitalismus bekämpfen«). Es geht um mehr als »nur« den Hambacher Forst, obschon sein Erhalt aufgrund des enormen Artenreichtums Grund genug für einen Rodungsstopp wäre. Es geht um die grundsätzliche Frage, inwieweit die kapitalistische Profitmaximierung mit dem Interesse der Menschheit an einer intakten Umwelt und guten Lebensbedingungen für alle vereinbar ist.
Der Hambacher Forst und die Profitinteressen von RWE
Das Pariser Klimaabkommen von 2015 schreibt den Staaten ambitionierte Klimaziele vor. Ein rascher Kohleausstieg in Deutschland ist unumgänglich, damit die Bundesrepublik diese Ziele realistisch erreichen kann. DIE LINKE fordert daher als ersten Schritt die Abschaltung der 20 schmutzigsten Kraftwerke bis 2020. Doch RWE will noch den letzten Rest Profit aus der nicht mehr zeitgemäßen Kohleverstromung quetschen. Seit dem 13. September wird der Hambacher Wald auf Geheiß der CDU/FDP-Landesregierung geräumt. Haarsträubend sind die Begründungen, die dafür herhalten müssen: Nach sechs Jahren Waldbesetzungen stellt die zuständige Baubehörde fest, dass die Baumhäuser gegen Brandschutzbestimmungen verstoßen. Zufällig fällt den Behörden dieser Umstand wenige Wochen vor der geplanten Rodung durch RWE auf. Damit macht sich die NRW-Landesregierung zum Büttel der Profitinteressen von RWE. Der Konzern bezieht sich auf seine Verträge, den Wald roden zu dürfen.
Welche Verantwortung hatte die rot-grüne Landesregierung?
In der Tat hat noch die damalige rot-grüne Landesregierung in einer Leitentscheidung 2016 den Weg für die vollständige Abholzung des Hambacher Forsts geebnet. Der jetzige verbalradikale Protest der Grünen – Parteichefin Annalena Baerbock reimt: »Reden statt Roden« – ist angesichts dessen nicht nur unglaubwürdig, sondern greift auch zu kurz. Die Grünen sind schon lange die Partei des sogenannten grünen Kapitalismus. Sie trommeln für eine technische Umrüstung der industriellen Produktion, wollen aber das kapitalistische Produktionsverhältnis, also den Antagonismus von Lohnarbeit und Kapital, unangetastet lassen.
Damit befinden sie sich in einem Bündnis mit vermeintlich progressiveren Kapitalfraktionen, denn auch unter ihnen gerät die fossile Industrie mehr und mehr in Verruf. Internetgiganten wie Google und Amazon, aber auch führende Versicherungskonzerne und Banken bemerken, dass eine gelingende Kapitalverwertung zumindest die Abwendung der schlimmsten Klimakatastrophen erforderlich macht. Nach einem Bericht der Wirtschaftswoche ziehen Investoren und Banken ihre Gelder daher sukzessive aus dem Kohlesektor ab, wovon auch RWE betroffen ist.
Das Agieren der Staatsmacht im Hambacher Forst
Umso verbissener versucht der größte Klimakiller Europas mit Kettensägen und unter Beihilfe der Landesregierung und Polizei im Hambacher Forst Fakten zu schaffen. Indem die Waldbesetzung den reibungslosen Produktionsablauf von RWE stört, stellt sie eine ungeheure Provokation für den Konzern und seine Fürsprecher in Politik und Medien dar. Sobald die Herrschaft des Privateigentums auch nur angekratzt wird, imaginieren sich Law-&-Order-Politiker und die bürgerliche Presse sogleich einen bürgerkriegsähnlichen Zustand.
Die Bilder der Räumungen erinnern an den G20-Gipfel in Hamburg, als die Staatsmacht alles auffuhr, was sie zu bieten hat. Mindestens 3500 Polizisten standen mit Räumungspanzern, Hubschraubern, Wasserwerfern, Reiterstaffeln und Polizeihunden rund 50 Bewohnern von 50-60 Baumhäusern gegenüber. In Eigentumsfragen kennt der bürgerliche Staat null Toleranz, aber bei tatsächlichen Gefährdungen des Rechtsstaates und des friedlichen Zusammenlebens, wie zuletzt in Chemnitz, schaut er weg.
Der Hambacher Forst und die Macht von RWE
Die völlig unnötige Eskalation fügt auch der Kohlekommission der Bundesregierung massiven Schaden zu. Die schwarz-gelbe Landesregierung NRW will die Kommission zum Platzen bringen, um den Braunkohleabbau in der Region zu verlängern. Schon jetzt ist die Arbeit des Gremiums kaum noch ernst zu nehmen, denn ein gesellschaftlicher Konsens ist längst zugunsten des Profitinteresses von RWE sabotiert. Allerdings sind selbst für den Fall, dass der Kohleausstieg doch bald kommen sollte, die Zukunftsaussichten des Essener Kohleriesen alles andere als düster. RWE wird auch nach dem Ende der Kohleverstromung über gigantische Flächen im rheinischen Revier verfügen, die der Konzern zum Teil schon heute gewinnbringend an Logistikunternehmen verpachtet.
Michael Gramm, Wirtschaftsgeograph an der RWTH Aachen, wird von der Wirtschaftswoche wie folgt zitiert: »Durch seinen erheblichen Flächenbesitz und seinen Einfluss spielt RWE im Rheinland heute eine ähnliche Rolle, wie sie über Jahrhunderte nur die katholische Kirche innehatte.« Wenn die Bundes- und Landesregierung weiter das Profitinteresse des Energiekonzerns schützt, wird er vermutlich auch in Zukunft erheblichen Einfluss auf das Leben der Menschen in der Region haben.
Klimabewegung und Gewerkschaften
DIE LINKE kämpft dagegen für einen Strukturwandel, der nicht zulasten der Belegschaften geht. RWE muss in der Verantwortung für die Folgekosten bleiben, den Beschäftigten Teilzeit, Frührente, Umschulungen und Arbeitszeitverkürzungen ermöglichen. Um hierfür genügend Druck zu erzeugen, müssen Klimabewegung und Gewerkschaften zu einer gemeinsamen Klassenpolitik (zurück)finden. Die Auseinandersetzungen um den Hambacher Forst zeigen, dass sich nur mit Druck von der Straße (oder aus dem Wald) auch etwas bewegt.
Die herrschende Politik bis hinauf zu Bundeskanzlerin Merkel kann sich nicht länger um eine klare Positionierung drücken, sondern muss im Konflikt um die Kohleverstromung endlich Farbe bekennen. Die Aufgabe der LINKEN wird es sein, die antikapitalistische Orientierung der Klimaproteste weiter zu stärken. Anstatt den Kapitalismus bloß grün anzustreichen, kann einzig seine Abschaffung die Ausbeutung von Mensch und Natur stoppen.
Schlagwörter: Antikapitalismus, Bundesregierung, Die Grünen, DIE LINKE, ende gelände, Gewerkschaft, Grüner Kapitalismus, Hambacher Forst, Hubertus Zdebel, Inland, Klimaabkommen, Klimabewegung, Kohleausstieg, Landesregierung, Polizei, Protest, RWE, Umwelt, Umweltbewegung, Umweltverschmutzung