Nach der Einigung auf ein Klimaschutzabkommen in Paris ist die Euphorie groß. Warum wir uns nicht von den inszenierten Freudentränen einlullen lassen sollten, erklärt Hubertus Zdebel
Der vergangene Samstagabend lieferte rührselige Bilder von der Klimakonferenz in Paris. Hochrangige Staats- und Regierungsvertreter, Unterhändler, NGO-Abgesandte und Wissenschaftler lagen sich mit Freudentränen in den Armen. Alle waren sich einig. Der französische Außenminister und Leiter der Konferenz, Laurent Fabius, hatte sein grünes Hämmerchen geschwungen und einen »historischen Moment« besiegelt: Seit dem Wochenende steht nun das Pariser Klimaschutzabkommen, in dem sich erstmals alle Staaten der Erde auf einen gemeinsamen Fahrplan zum Klimaschutz verständigen. Die allgemeine Euphorie ist groß. Zu unerwartet kam die einstimmige Einigung, ist man doch das regelmäßige Scheitern der Klimagipfel gewöhnt. Die Ansprüche sind dementsprechend niedrig. Wurde denn nun tatsächlich »Geschichte geschrieben«, wie die Bundesregierung in einer ersten Pressemitteilung verkündete? Es besteht genügend Anlass zur Skepsis. Auf die Gefahr hin, die Partystimmung zu verderben: Ohne weitere entschlossene Klimakämpfe, die sich mit einer Kritik an der bestehenden Wirtschaftsordnung verbinden, besteht kaum Aussicht auf wirkliche Veränderung.
Es ist wahr, dass es erstmals eine gemeinsame Einigung aller Staaten gibt. Auch die führenden Industriestaaten und die aufstrebenden, auf den Weltmarkt drängenden Schwellenländer konnten sich dazu durchringen, die insbesondere von den Inselstaaten geforderte Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zur Zielmarke zu erklären. Jetzt ist die Rede von einer »emissionsneutralen« Weltwirtschaft ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. An diesen zweifelsohne zu begrüßenden Resultaten ist die herrschende Politik von nun an zu messen. Wahr ist aber auch, dass sie nach wie vor zuvörderst die Entwicklung ihrer nationalen Wirtschaftsleistung und die internationale Wettbewerbsfähigkeit im Blick hat. Daher kann man sich zurecht fragen, was das Pariser Klimaschutzabkommen wert ist, wenn die Staats- und Regierungschefs einhellig betonen, wie glücklich sie über die getroffenen Vereinbarungen sind. Offenbar sehen sie im Abkommen keine Bedrohung für ihr nationales Akkumulationsregime und auch von den internationalen Konzernen sind bislang keine Lamenti zu hören.
Gewohnt wachsweiche Formulierungen
Dazu bestünde auch wenig Anlass, denn das in gewohnt wachsweichen Formulierungen abgefasste Abschlusspapier eröffnet viel Spielraum für eine wirtschaftsfreundliche Interpretation der Klimaschutzziele. So könnte die erst für den Zeitraum ab 2050 angestrebte CO2-Neutralität auch durch Kompensationszahlungen der Unternehmen und Konzerne erkauft werden. Fürs weitere Verfeuern von Kohle, Gas und Öl pflanzt man dann einfach ein paar Bäume in der kapitalistischen Peripherie oder verpresst das überschüssige CO2 in unterirdischen Lagerstätten, ohne gewährleisten zu können, dass dies überhaupt funktioniert. Da man auf einen ehrgeizigen Fahrplan zur globalen Energiewende und Dekarbonisierung – dieser Begriff taucht im gesamten Abkommen nicht mehr auf – mit vollständiger Umstellung auf einhundert Prozent Erneuerbare Energien bewusst verzichtet hat, können sich auch die Atomkonzerne die Hände reiben und den weiteren Ausbau der vermeintlich CO2-neutralen Atomkraft propagieren. Es ist zwar absurd, aber beim Blick über den deutschen Tellerrand ist zu beobachten, dass Atomenergie global nur allzu gerne als »grüne Alternative« zu fossilen Energieträgern verkauft wird. Man darf gespannt sein, wie rasch erneut diesbezügliche Erklärungen die Runde machen werden. [Wenige Stunden nach Verfassen dieses Artikels war es dann auch soweit. Siehe diese Pressemitteilung der Atomlobby] Darüber hinaus ist auch von einem Verbot der enorm klimaschädlichen Fracking-Technologie an keiner Stelle in den Abschlusstexten die Rede. Überhaupt wurden kaum valide Pläne von Seiten der Staaten eingereicht, aus denen ersichtlich wäre, wie die ehrgeizigen Reduktionsziele erreicht werden sollen.
Bundesumweltministerin Hendricks verkündete zwar stolz, dass ein »historischer Erfolg« errungen worden sei, musste aber postwendend einräumen, dass die eingereichten nationalen Beiträge zur Emissionsreduktion noch weit hinter dem vereinbarten 1,5-Grad-Ziel zurückbleiben und derzeit eine Erwärmung von 2,7-Grad zur Folge hätten. Da das Abkommen erst 2020 in Kraft treten soll, besteht darüber hinaus noch fünf Jahre Zeit, die Emissionszahlen zugunsten des Wirtschaftswachstums weiter munter in die Höhe zu schrauben. Solange dies erst von den künftigen Generationen auszubügeln ist, erscheint die Vereinbarung den Verhandlungspartnern als gelungener Kompromiss. Ohnehin sind die Abschlussdokumente gespickt mit seichten Absichtserklärungen und Formulierungen wie »so schnell wie möglich« oder »auf freiwilliger Basis«. Dies geschah nicht zuletzt auch auf Drängen der US-Delegation, die bei schärferen Formulierungen eine Ratifizierungspflicht durch den US-Kongress befürchtete, in dem die Republikaner die Mehrheit besitzen und durch ihren Mehrheitsführer im Senat Mitch McConnell bereits androhen ließen, dass die Papiere nach den Präsidentschaftswahlen 2016 »in den Schredder« wandern würden.
Keine Sanktionsmechanismen und kaum Verbindlichkeit
Auch aufgrund solcher Äußerungen dürfte klar sein, dass ein Abschlussdokument, das weitgehend auf eine durch die UN abgesicherte rechtliche Verbindlichkeit und Sanktionsmechanismen verzichtet, den ökonomischen und politischen Konjunkturen nahezu schutzlos ausgeliefert ist. Die Vergangenheit liefert genügend Anschauungsmaterial dafür, dass gemessen am damaligem Stand durchaus ambitionierte Klimaschutzabkommen im Nachhinein durch nationale Blockadepolitiken zum Einsturz gebracht wurden. Staaten, die ihre nationale Kapitalakkumulation durch allzu strenge Reduktionsmaßnahmen eingeschränkt sahen, setzten sich über Vereinbarungen hinweg oder kündigten sie einfach auf, wie etwa im Falle Kanadas beim Kyoto-Protokoll. Es ist auch kein Geheimnis, dass die internationalen Konzerne im Rahmenprogramm des Klimagipfels vielseitig vertreten waren, die Konferenz großzügig sponserten und auf wirtschaftsfreundliche Formulierungen drängten. Bereits im Voraus wurde in den Verhandlungen dafür gesorgt, dass die Geschäftsinteressen der Wirtschaft berücksichtigt werden. Es würde jedoch zu kurz greifen, einzelne Wirtschaftsbosse und Konzernlenker sowie aufs Wirtschaftswachstum schielende Politiker einseitig persönlich dafür verantwortlich zu machen, dass es bislang mit dem Klimaschutz nicht geklappt hat und es auch diesmal bei Absichtserklärungen bleibt. Dies läge den Schluss nahe, dass man gierige Manager und die herrschende Politik einfach nur gegen »bessere Klimaschützer« austauschen müsste. Der Fehler liegt aber letztlich im System, der Grund für das permanente Scheitern der Klimaschutzbemühungen ist in der kapitalistischen Produktionsweise zu suchen.
Ich hatte die Gelegenheit, als Obmann der Linksfraktion im Bundestags-Umweltausschuss einige Tage in Paris anwesend zu sein und am offiziellen Programm teilzunehmen. Außer Frontbeschallung und wenigen zugelassenen Diskussionsfragen habe ich nicht viel mitnehmen können. Auffallend aber letztlich auch nicht weiter überraschend war, dass jenseits der ins Abseits gedrängten Protestaktionen kaum über die Gründe des menschengemachten Klimawandels diskutiert wurde. Dementsprechend gab es auch keinen Raum, die Art und Weise unseres Wirtschaftens zu hinterfragen. Man wollte pragmatisch sein und den Schulterschluss mit allen Akteuren und damit auch den Konzernen hinbekommen. Das Motto lautete: der Grüne Kapitalismus wird’s schon richten.
Die Profitmaximierung wird nicht in Frage gestellt
Vergessen wird dabei, dass die Prinzipien des Kapitalismus und die Anforderungen eines wirksamen Klimaschutzes sich dauerhaft ausschließen und bestenfalls kurzfristig eine widersprüchliche und höchst fragile Allianz ermöglichen, die in der Krise schnell zerbrechen kann. Denn die kapitalistische Produktionsweise kennt keine natürliche Schranke der Kapitalakkumulation. Das Kapital muss, um sich zu erhalten, stets weiter ausgedehnt und vermehrt werden. Dies mag zum Teil auch mit Investitionen in den Sektor der Erneuerbaren Energien möglich sein. Doch die Orientierung an der Profitmaximierung, die von der herrschenden Politik nicht in Frage gestellt wird, zeigt bereits die bleibende Nötigung zu einer ständigen Ausweitung der Produktion und damit auch einer Ausweitung des Ressourcenverbrauchs. Eine gesamtgesellschaftliche Planung, die an den Bedürfnissen der Menschen orientiert ist und der Natur auch Regenerationsphasen zugesteht, findet nicht statt. Im Kapitalismus wird auf Basis des Privateigentums an Produktionsmitteln getrennt privat voneinander produziert. In der allgemeinen Konkurrenz stellt sich der Erfolg eines Unternehmens erst im Nachhinein am Markt heraus und bemisst sich nicht etwa an der bestmöglichen Versorgung der Menschen, sondern an möglichst hohen Profiten. So hat man es dann mit dem Paradox zu tun, dass die kapitalistische Produktion einerseits den Geld- und Warenreichtum sowie den technischen Fortschritt steigert, andererseits aber die »Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.« (Marx, Kapital, Band I, S. 529 f.) Unter solchen Verhältnissen bestehen Überproduktion und Massenarmut nebeneinander. Und auch der Klimaschutz bleibt prekär, obwohl er eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein müsste, wenn die Bedingungen menschlichen Lebens auf der Erde gewahrt bleiben sollen.
Auf Grundlage eines dermaßen unvernünftigen Wirtschaftssystems, dass das Allgemeininteresse an der Bewahrung der natürlichen Lebensbedingungen dem Profitinteresse unterordnet, kann ein Klimaschutzabkommen immer nur ein fauler Kompromiss bleiben. Von vorneherein war klar, dass die privaten Zwecke und Interessen der Wirtschaft mit in die Abschlussdokumente einfließen werden. Und so darf es auch nicht verwundern, dass abgesehen von einigen Milliardenhilfen für Entwicklungsländer, deren Aufbringung und Verteilung weitgehend ungeklärt bleibt, im Abkommen nichts zur sozialen Frage und zur gesamtgesellschaftlichen Verteilung der lebensnotwendigen Güter zu finden ist. Stattdessen bleibt der Text beseelt von der falschen Hoffnung, dass Klimaschutz und Kapitalismus schon irgendwie dauerhaft unter einen Hut zu bringen sind. Nun wäre es seltsam, wenn man den Interessenvertretern des Kapitals die Vertretung der Interessen des Kapitals vorwerfen würde. Der Pariser Klimagipfel stellt, wie alle bisherigen Klimakonferenzen zuvor auch, den Versuch dar zusammenzubringen, was nicht zusammengebracht werden kann. Die maßgeblichen Impulse für einen Wandel können daher auch nicht aus den Konferenzsälen kommen, sondern müssen stets von einer sich kapitalismuskritisch begreifenden Klimabewegung in sie hineingetragen werden. Auch dass es die Konferenz in Paris überhaupt zu einem gemeinsamen Abkommen gebracht hat, liegt weniger an dem genialen Verhandlungsgeschick von Fabius und Co., sondern wäre ohne den jahrelangen Vorlauf der Klimakämpfe nicht denkbar gewesen.
Klimakämpfe und Arbeitskämpfe verbinden
Rings um den Gipfel in Paris war eine Vielzahl an kreativen Protesten geplant, um eine antikapitalistische Perspektive in die Öffentlichkeit zu tragen. Die Hollande-Regierung nahm jedoch die Sicherheitslage angesichts der Terroranschläge vom November zum Vorwand, um die allermeisten angemeldeten Aktionen per Handstreich zu verbieten. Dennoch kamen auch am Abschlusstag der Klimakonferenz tausende Menschen in der französischen Hauptstadt zusammen, um unter dem Motto »Ändern wir das System – nicht das Klima« zu demonstrieren. Mögen die hermetische Abriegelung der Konferenz und die ausgesprochenen Protestverbote auch einige Demonstrierende entmutigt haben, bleiben dennoch die vielen gelungenen Aktionen der letzten Monate und Jahre, mit denen Bewusstsein für die verheerenden Folgen der Umweltzerstörungen geschaffen werden konnte. So etwa die vielen lokalen und regionalen Anti-Fracking-Initiativen, die engagierten Braunkohleproteste mit ihren Kohlebaggerbesetzungen und die von breiten Bündnissen getragenen Großdemonstrationen für eine sofortige Energiewende. Langsam, aber stetig schreitet die Vernetzung der globalen Klimakämpfe voran. Hieran führt auch kein Weg vorbei. Damit die im Pariser Klimaabkommen enthaltenen Absichtserklärungen in Zukunft auch wirklich umgesetzt werden, sind weitere mutige Proteste der Klimabewegung nötig. Dabei darf sie sich auch von verstärkten Kriminalisierungsversuchen nicht abschrecken lassen.
Der ökologische Umbau muss noch heute beginnen und der Verweis auf die Unvereinbarkeit von Kapitalismus und Klimaschutz reicht nicht aus, um eine Veränderung in Gang zu bringen. Insofern ist ein jeder erkämpfte Schritt in die richtige Richtung als Erfolg zu werten. Die Resultate des Pariser Klimagipfels liefern immerhin handfeste Zielmarken, an denen die herrschende Politik von nun an zu messen ist. Die von der Bundesregierung eingereichten Reduktionspläne laufen derzeit noch auf eine globale Erwärmung weit über dem 1,5-Grad-Ziel hinaus. Forderungen nach einem sofortigen Verbot der Fracking-Technologie sowie einem schnelleren Kohleausstieg sind die passenden Antworten auf die unzureichenden Pläne der Bundesregierung. Dazu bedarf es jedoch auch innerhalb der LINKEN einer neuen Klimaoffensive, die sich der unbequemen Frage nach dem Abbau von Industriearbeitsplätzen im Bereich der fossilen Energiewirtschaft stellt. Die Lösung zu diesem Problem liegt zum einen im weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, wodurch hier neue Arbeitsplätze entstehen. Zum anderen könnte durch Umverteilung von Arbeit einhergehend mit einer deutlichen Arbeitszeitverkürzung die nötige Umstrukturierung im Sinne der Menschen möglich gemacht werden. Mit der Verbindung von Klimakämpfen und Arbeitskämpfen kann also nicht nur auf einen wirksameren Klimaschutz hingearbeitet, sondern auch die Perspektive auf (gesundheits-)schonendere und kürzere Arbeit eröffnet werden. Ohne Zweifel ist hier noch viel an Organisierung zu leisten. Es wäre daher nur hinderlich, sich von den inszenierten Freudentränen einlullen zu lassen, die das Gelingen eines Grünen Kapitalismus, einer Vereinbarkeit von kapitalistischem Wachstumszwang und Nachhaltigkeit, suggerieren. Erst in Verbindung mit der sozialen Frage, und damit auch der Eigentumsfrage und der Frage nach den Bedingungen der Arbeit, wird die Klimabewegung zum kritischen Stachel für die derzeit so vom Glück beseelten staatlichen Klimaschutzbeauftragten.
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