Der öffentliche Sektor Griechenlands steht vor einer weiteren Welle von Privatisierungen. In Berlin diskutierten griechische Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter über Perspektiven des Widerstands. Von Freek Blauwhof
Vergangene Woche lud die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag zu einem Fachgespräch, um über die im dritten Memorandum vorgesehenen Privatisierungen in Griechenland zu diskutieren. Mehrere griechische Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sowie Alexis Passadakis von Attac referierten über die Lage in den betroffenen Betrieben und den Kampf gegen den Ausverkauf des Landes. Die griechischen Kolleginnen und Kollegen berichteten, dass der Privatisierungszwang den öffentlichen Sektor Griechenlands völlig aufzulösen drohe. So sollen die Post, die Eisenbahn, profitable Flughäfen, die Wasserversorgung, die staatlichen Energieunternehmen, die Häfen von Piräus und Thessaloniki, die Autobahn und zahlreiche staatliche Immobilien verscherbelt werden. Ein Privatisierungsfonds unter Aufsicht der EU hat die Aufgabe weitere Betriebe und Immobilien verschleudern.
Anastasia Frantzeskaki, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft der Hafenarbeiterinnen und Hafenarbeiter OMYLE, berichtete über die Arbeitsbedingungen beim chinesischen Konzerns Cosco, der bereits 2009 einen Teil des Containerterminals im Hafen von Piräus erworben hat: »Coscos Anlagen sind berüchtigt für ihre ausbeuterischen Arbeitsbedingungen. Betriebsunfälle sind ein alltägliches Phänomen. Die übergroße Mehrheit der Beschäftigten arbeitet in Teilzeit und auf Abruf. Aus ihren ohnehin niedrigen Löhnen bekommen noch zwei oder drei Subunternehmen ihren Anteil. Diese Zustände versuchen wir mittels Streiks und Bündnissen mit der lokalen Bevölkerung und der Regionalregierung im restlichen Hafen zu verhindern.«
360.000 Haushalte sind vom Stromnetz abgeschnitten
Der Generalsekretär der griechischen Eisenbahngewerkschaft POS Kostas Genidounias berichtete, dass die Privatisierung der Bahngesellschaft OSE bereits seit Anfang 2002 vorbereitet wird: »Mit dem ersten Memorandum von 2010 wurden unsere Gehälter um fünfzig Prozent gekürzt und mehr als 3000 Eisenbahnerinnen und Eisenbahner in andere Bereiche des öffentlichen Dienstes transferiert. Die besten Fachkräfte sind nun als Krankenhaus- oder Museumswächter eingestellt. Die daraus entstehenden Personalengpässe führen dazu, dass Lokführerinnen und Lokführer bis zu 29 Tage im Monat für jeweils neun oder zehn Stunden arbeiten.« Nun will der Privatisierungsfonds OSE für einen lächerlichen Preis verkaufen: »Obwohl die Bahngesellschaft garantierte Verträge für die nächsten fünf Jahre in Höhe von 250 Millionen Euro hat, schätzt der Fonds den Wert unserer Eisenbahn auf lediglich 30 Millionen Euro.«
Flora Papadede, Mitglied des Exekutivkomitees der Gewerkschaft der Elektrizitätsarbeiterinnen und -arbeiter, hat im öffentlichen Energieversorger DEI den wirtschaftlichen Zusammenbruch Griechenlands besonders deutlich erlebt: »Die Zerstückelung und Privatisierung von DEI kann nur zu Preissteigerungen und zur Bereicherung privater Stromhändler führen. 360.000 Haushalte sind bereits wegen Zahlungsunfähigkeit vom Stromnetz abgeschnitten und leben ohne Elektrizität. Weitere 1,8 Millionen Haushalte haben Schulden bei DEI und sind von Stromabschaltungen bedroht. Das entspricht etwa zwei Dritteln der Bevölkerung. Wir fordern den Erhalt von Elektrizität als öffentliches Gut in öffentlicher Hand, damit unsere Werke ein Werkzeug des Wiederaufbaus sein können.«
Es geht nicht um Griechenlands Zahlungsfähigkeit
Alexis Passadakis von Attac zeigte auf, wer von den Privatisierungen profitiert. »Die Privatisierungen kommen vor allem Milliardären wie Dimitris Melissanidis, Banken und spekulativen Fonds wie der Citibank oder Blackstone sowie staatlichen Konzernen wie Fraport und Cosco zugute. Bei der von der deutschen Bundesregierung und den sogenannten Institutionen vorgeschriebenen Austeritätspolitik geht es nicht um die Zahlungsfähigkeit Griechenlands, sondern um die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der EU auf dem Weltmarkt und um ein neoliberales Herrschaftsprojekt. Zu diesem Zweck ist Griechenland am 12. Juli zur Kolonie der Troika gemacht worden.«
Die anwesenden Bundestagsabgeordneten der LINKEN bestätigten Passadakis‘ Analyse. »Die Auflagen für Griechenland sind ein Angriff auf die Demokratie«, sagte Andrej Hunko, Mitglied im EU-Ausschuss des Bundestages. »Es geht um Umverteilung von unten nach oben und die Vorherrschaft im Weltmarkt. In parlamentarischen Gremien höre ich immer wieder von geplanten Privatisierungsräten auch in anderen Ländern der EU.« Nach Einschätzung von Herbert Behrens, Obmann im Verkehrsausschuss für DIE LINKE, dient der Ausverkauf in Griechenland als Blaupause für den Rest Europas: »Auch anderswo sollen Infrastruktur und öffentliche Daseinsvorsorge privatisiert werden. Das Finanzkapital braucht dafür heutzutage keine Staatsstreiche mehr, sondern setzt finanzpolitisches Waterboarding ein.« Jutta Krellmann, gewerkschaftspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE, machte zudem auf den Abbau von Arbeitnehmerrechten aufmerksam: »In Griechenland wird vieles umgesetzt, was ich auch in Deutschland kritisiere. Da nenne ich Leiharbeit, Rente mit 67, Befristungen und Streichung von Tarifverträgen. Nur geht es in Griechenland super schnell.«
»Die Regierung von Tsipras hat keine reale Macht«
Die Kolleginnen und Kollegen aus Griechenland berichteten, dass die Arbeiterbewegung nach dem Referendum und der Kapitulation der Regierung unter Ministerpräsident Tsipras sich wieder auf ihre eigene Organisierung von unten besinnen müsse. So betonte Anastasia Frantzeskaki: »Die Regierung von Tsipras hat keine reale Macht, um die Forderungen der Kolleginnen und Kollegen umzusetzen: Der Minister für Maritime Angelegenheiten Thodoris Dritsas lehnt die Privatisierungspläne zwar ab, doch er hat nichts zu entscheiden. Denn die Privatisierungsgesellschaft ‚Hellenic Republic Asset Development Fund‘ (HRADF), besitzt 74 Prozent der Anleihen der Häfen von Piräus und Thessaloniki, und einhundert Prozent der Anleihen der übrigen Häfen des Landes. Allein der Fonds hat entschieden, dieses Modell der Privatisierung voranzutreiben. Die Syriza-Regierung hat das nicht angefochten.«
Auch Kostas Genidounias von der Eisenbahngewerkschaft hat dieses Jahr sehr enttäuschende Erfahrungen mit der linken Regierung gemacht: »Unsere Gewerkschaft hat immer sehr enge Beziehungen zu linken Parteien gepflegt. Im Jahr 2013 bat uns der heutige Ministerpräsident Tsipras auf einer Versammlung unserer Mitglieder, dass wir weiter kämpfen, um die Bahn in öffentlicher Hand zu halten, damit eine künftige linke Regierung die bisherigen Privatisierungen wieder zurücknehmen könne. Zwei Jahre später scheint es jedoch, dass er sein Versprechen nicht einhält.«
Für Flora Papadede hat sich die Syriza-Regierung jetzt endgültig zum Vollstrecker der Troika gemacht: »Seit dem dritten, ‚linken‘ Memorandum vom August diesen Jahres, sind das öffentliche Eigentum und der Staat der Griechen zu bloßen Wertpapieren in den Händen des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM verkommen. Die traurige Wahrheit ist, dass Griechenland zur Schuldenkolonie der internationalen Geldgeber und der politischen Führung Deutschlands, Frankreichs und der USA geworden ist. Ich vertraue aber auf das griechische Volk und dessen Arbeiterinnen- und Arbeiterklasse. Bislang haben wir jedes Mal in unserer Geschichte die Kraft gefunden, um uns zu organisieren und unsere nationale und internationale Pflicht zu leisten. Das heißt, um unser Land vom Faschismus, der Diktatur der Junta und jetzt der Diktatur des Finanzkapitals zu befreien. Und das geht nur, indem Griechenland aus dem Euro und der Europäischen Union austritt.«
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